Wilhelm Heinse
Ardinghello und die glückseligen Inseln
Wilhelm Heinse

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Endlich im November erst empfing ich einen Brief von diesem, der schon im August geschrieben, aber von Demetri oder seiner Tante, denn von der letztern kam er zu mir, verspätet worden war. Mir dünkte, als ob ich von einem fürchterlichen Traum erwachte und den Glanz der Morgenröte schaute, als ich die Züge seiner Hand erblickte.

 
Brindisi, August.

Meine widerwärtigen Schicksale erheben mich mehr, als daß sie mich niederschlagen sollten; je stärker der Widerstand, desto gedrungner und geschwellter regt sich alles in mir. Ich glaubte schon in Genuß und Ruhe zu sein, und jetzt erst beginnen meine Arbeiten. Ich seh in ein neues Leben hin, und das hohe Getümmel ergreift meine Sinnen. Gut, daß ich nicht wie ein Kind hineinkomme! Das Leben des Jünglings ist Liebe, das Leben des Mannes Verstand und Tat.

Ach, daß ich Dich nicht noch einmal sprechen durfte! Wir kamen bei Nacht zu Rom an; ich schickte Hälen mit meinen Pferden voraus und wollte mit Fiordimonen auf ihr Gut alle Vene nachfahren, um uns dort zu vermählen. Sie hatte deswegen in der Stadt verschiednes zu besorgen und mitzunehmen; aber es ist alles nun zerstört und zerrissen. Ich versteckte mich auf die drei oder vier Tage bei Demetrin, damit mich der Kardinal nicht wittern möchte; sie hatte mir manches erzählt, wie er sie mit seiner Liebe verfolgte und daß sie ihn nicht leiden könnte.

Die zweite Nacht kam ein fürchterliches Donnerwetter ohne Regen über Rom, und es schmetterte Schlag auf Schlag, als ob alles untergehen sollte. Statt daß ich sonst große Freude an diesen Naturbegebenheiten habe und mich daran nicht satt hören und sehen kann, wurde mir diesmal selbst bang im Herzen. Der Mensch ist ein sonderbares Wesen und voller dunkeln Gefühle, die kein Philosoph aufklärt; es war gewiß Ahndung dessen, was mir bevorstand. Ich warf meinen Mantel um mich und nahm den bloßen Degen auf alle Gefahr unter den Arm und ging fort, um Fiordimonen in der schrecklichen Nacht nicht allein zu lassen; in ihrem Palaste waren den Sommer über nur ein paar alte Bedienten und Frauen zurückgeblieben. Sie hatte mir den Schlüssel zu einer Seitentür gegeben.

Ich eilte, und ging oft wieder langsam, und hielt im Schritt ein. Endlich kam ich in das kleine Gäßchen an den Garten, wo ihr Schlafzimmer ist, und wurde plötzlich angefallen mit einem Dolchstoß in die Seite. Ich sprang zurück, Blitze machten die Finsternis hell und zum Tage; erblickte den Mörder, der mir nicht ausweichen konnte. Er rennte noch einmal auf mich zu, mich zu unterlaufen, und ich stieß ihn auf der Stelle nieder. Bei diesem allen wurde kein Wort ausgesprochen, indes der Donner um uns brüllte, daß die Erde dröhnte.

Kaum war dies vorbei und ich im Begriff, den Leichnam wegzuschleppen, so tritt eine andre verkappte Gestalt auf und setzt mit Tigersprüngen auf mich ein, daß ich mit Not den Augenblick erhasche, mich zur Wehre zu stellen. »Vermaledeite Brut!« hört ich die Stimme meines Kardinals, der in die vorgehaltne Klinge mit der Brust lief, die ich bepanzert fühlte. Erstaunt und erschrocken über alle die Folgen, tat ich nichts als ihn von mir abhalten, gebrauchte meine ganze Stärke und war bald so glücklich, daß ich ihm den Degen herausschlug, hieb ihn auf die Hände, womit er in Raserei mein Gewehr fassen wollte, schonte sein Leben und lief dann davon und durch Nebenwege wieder zu Demetrin.

Diesem erzählt ich gleich, was geschehen war, und vertraute ihm das Hauptsächlichste meiner Geschichte mit Fiordimonen; und sein großer edler Charakter erhielt hier Gelegenheit, sich zu zeigen. Er verbarg mich unerforschlich und half mir die folgende Nacht fort, nachdem wir erfuhren, daß der Ermordete, den wir zuerst für einen Banditen hielten, selbst Vetter des Papsts, der jüngere B***, sei. Auch dieser war wütend in Fiordimonen verliebt, ob sie mir gleich nie etwas von ihm gesagt hat. Meine Wunde ging nur gestreift über die Rippen weg; das Stichblatt vom Degen im Arm hielt den Stoß auf, und wir brauchten dazu keinen Chirurgen. Tolomei verkleidete sich mit mir in einen Franziskaner, und so sind wir die Pontinischen Sümpfe zu Fuß durch und von Capua durch Kalabrien nach Brindisi. Heroen, echte wie Theseus und Perithoos, wie Orestes und Pylades, Demetri und er. O der Mensch kann groß sein in jedem Zeitalter, und das Edle in seiner Natur bleibt immer irgendwo noch auf Erdboden!

Fiordimona dauert mich; was kann das Feuer dafür, daß es brennt? Demetri hat kurze Nachricht vom fernern Erfolg an Tolomeien nach Brindisi gegeben, unter andern Dingen, die er ihm meldete, dies wie im Vorbeigehen, wenn ohngefähr der Brief sollte aufgefangen werden: sie und der Kardinal haben des Mordes wegen Arrest bekommen. Um alles noch zu tun, was ich kann, hab ich selbst an den Heiligen Vater geschrieben, und an den Großherzog, und noch an den Kardinal; und ihnen allen die Natürlichkeit und Notwendigkeit der Begebenheit und meine Unschuld vorgestellt.

Und nun dann hinein in die Wasserwelt; o wie klopft mir das Herz! O Vaterland, Vaterland, daß ich dich in Ketten und Banden sehen muß und von dir scheiden! Lebe wohl, schönes Italien, lebe wohl! Lebe wohl, Venedig, Genua und Rom! O du warst es wert, stolzes Land, vor allen andern einmal die Herrschaft über die Welt zu haben!

Umarm und küsse Cäcilien statt meiner; das himmlische Geschöpf wird an keines andern Brust besser aufgehoben und glücklicher sein als der meines Freundes. Befürchtet keine Sünde; der Größte der Halbgötter gab Iolen mit der empfangnen Frucht seiner Liebe seinem eignen Sohne zur Gattin. Lucinde, du allein brennst mich auf dem Herzen; aber ich will alle Verfolgungen des erzürnten Himmels dulden, wenn ich's büßen kann.

Lebt wohl, ihr Höhen des Apennin und ihr entzückenden Täler! wohl, du königlicher Po, und du, Tiber und Arno! ach, und ihr klaren Quellen des Clitumnus! Ein günstiger Wind schwellt die Segel, und ich flieg Ionien entgegen. Ich reiße mich von Eurem Herzen, o all Ihr Lieben, um Eurer würdig zu sein.

Ardinghello
 

Fiordimona war leider an allem schuld; sie mochte nun erkennen, wohin ihr schönes System führe. Sie hatte vermutlich erst dem Neffen des Papsts Gehör gegeben, und hatte dann dem Kardinal Gehör gegeben, und suchte beide loszuwerden, wie sie Ardinghello mit ganz andrer Lust und Freude und Schönheit und Inbrunst an sich fesselte; und dieser ließ sich in jugendlichem Taumel von ihren überschwenglichen Reizen fangen. Die verwegne Reise nach Neapel machte sie wahrscheinlich deswegen, um die erstern ganz von sich abzubringen, welche vielleicht auch den Weg zu den Quellen des Clitumnus wußten, und den Ardinghello in aller möglichen Lust ungestört zu genießen. Ein Weib kann seine Natur nicht verleugnen: sie kam den folgenden Winter mit Zwillingen von beiderlei Geschlecht nieder und fand es doch ihrem Stande gemäß, den Vater derselben als Gemahl zu besitzen.

Die Mohrin mußte unter den heftigsten Drohungen ohne Zweifel dem Kardinal ihre Reise mit Ardinghellon anzeigen, konnte aber nicht sagen, wohin. Und zu Rom und alle Vene wurde voll Rache auf ihre Zurückkunft gelauert. In der Leidenschaft hatte das zärtliche Paar seine Maßregeln nicht behutsam genug genommen.

Ardinghello wurde allgemein bedauert, und auch Fiordimonen tadelte man nicht sehr: sie machten miteinander das vollkommenste Paar aus, das man weit und breit hätte finden können. Das Verständnis der letztern mit dem Neffen und dem Kardinal ließ sich durch den Ausgang nur mutmaßen und blieb außerdem im verborgnen; ihre seltne Schönheit und hohe Naturgaben und Reichtümer sprachen übrigens für sie, und das Geschwätz der Weiber hielt man für Neid und gewöhnliche Lästerung. Jeder Triumph hat seine Schmählieder vom Pöbel hinterdrein; dies ist in der Natur. Der Mann im Purpurhute schwieg hierüber weislich und sagte nicht mehr, als was er sagen mußte, ins Ohr dem Richter. Ich habe hernach in lauter neuem Vergnügen vergessen, sie hierüber auszuforschen.

Von den Gütern des Ardinghello wurde nichts eingezogen, der Kardinal mußt es doch groß finden, daß er sein Leben schonte, da er es in seiner Gewalt hatte; und seine Tante übernahm deren Verwaltung, als Schwester seines Vaters. Sie verkaufte einen Teil davon und tilgte die Schulden; der Edle hatte manchem Mann von Talent aus der Not geholfen und in eine bequemere Verfassung gesetzt, welches nun bekannt wurde.

Erst den Frühling darauf erhielt ich wieder kurze Nachricht von ihm; ein Brief war unterdessen mit einem venezianischen Schiffe verlorengegangen, das im Sturm bei Korfu scheiterte.

 
Im Hafen zu Scio, Mai.

All mein Wesen ist Genuß und Wirksamkeit; heiter der Kopf, immer voll heller Gedanken, reizender Bilder und bezaubernder Aussichten, und das Herz schlägt mir wie einer jungen Bacchantin im ersten ganz freien Liebestaumel.

Diagoras durchstreicht mit mir den Archipelagus, damit ich jeden gefährlichen Paß und alle Häfen kenne. Von Smyrna sind wir ausgelaufen, den langen Golfo durch, nach Mytileni, Tenedos, an den Dardanellen herum, nach Stalimene, den herrlichen Posten Skyros und von hier ferner in jeden guten Hafen der Cykladen. Jetzt sind wir an den Küsten von Asien und werden bis Rhodos, in den Golfo von Makri segeln und von dort nach Ägypten. Die Arbeit wird mir leicht; denn er hat von seinem Alten die trefflichsten Karten, woran wir wenig verbessern können.

Überall weiß mein edler Führer, wo die neuern Helenen, Aspasien und Phrynen stecken, und hat mit mancher schon in KorsareneheIst in den griechischen Häfen so im Gebrauch, wie bei den Engländern die Soldatenehe. gelebt; Liebesgötter umgaukeln uns, sooft wir einlaufen.

Demetri hat einen glücklichen Geburtsort gehabt. Scio ist die schönste Stadt aller griechischen Inseln; und die Rebenhügel und Täler und Gärten zwischen den Gebirgen im Innern des Landes mit ihren Pomeranzen-, Zitronen- und Granatenhainen, von klaren herabstürzenden Bächen erfrischt und belebt, sind entzückend und bezaubernd.

Jedoch so schön ist alles, wie Du längst weißt, unter diesem seligen Himmel; fast immerwährender Frühling, und für die Sommerhitze kühle Nächte; dichte Schatten, spielende Seelüfte, Menge von Quellen und Überfluß an gesunden und erquickenden Früchten.

Paradies der Welt, Archipelagus, Morea, Karien und Ionien, o daß ich würdig werde, eurer ganz zu genießen!

Die Griechen sind noch immer an Gehalt und Schönheit die ersten Menschen auf dem Erdboden, ihre Liebe zur Freiheit und ihr Haß gegen alle Art von Unterdrückung noch ebenso wie bei den Alten. Sobald sie nur ein wenig Luft bekommen von der ungeheuern Masse des Schicksals, die sie drückt, wie regt sich alles und ist Leben und Feuer! und wie halten sie an, wie blitzschnell durchdringt ihr Verstand bei Gefahr, übersieht das Ganze und schlägt den rechten Weg ein! Die Mainotten auf den Gebirgen von Sparta sind noch nie bezwungen worden, sie und Montenegriner, Illyrier und Karier Helden wie ihre Urväter bei Plataia.

Kunst und mildere Sitten sind nur Ausbildung und machen weder eigentlichen Kern noch Genuß aus.

Und der Hang zur Freude, zur Lust, zu Gesang und Tanz, wie klopft er dennoch ebenso in ihren Adern! und wie mächtig das Gefühl für Schönheit!

O Du und Cäcilia, Ihr meine Geliebten, eilt hervor aus Euern Sümpfen!

Ardinghello
 

Im Herbste schrieb er mir von Sizilien aus, in dessen Gewässern er herumkreuzte und reiche Beute machte, »am Fuß der Säule des Himmels, des stürmigen Ätna, aus dessen hohlen Eingeweiden die lautersten Quellen unergründlichen Feuers geworfen werden«.

Ulazal, der berühmte Kalabreser, das Schrecken der Mittelländischen See, welcher die türkische Flotte anführte und schon verschiedenemal die Spanier schlug, hatte ihn mit Freuden aufgenommen. Er tat sich bald hervor durch Verstand und Tapferkeit; bekam alsdenn eine Galeere unter seine Befehle, worin meistens italienische Renegaten und Griechen dienten; und es wurde durch Vermittelung des Diagoras, des Sohns vom Admiral, so unter der Decke getrieben, daß er nicht einmal seinen Glauben abschwören durfte und man dies für geschehen annahm. Er und dieser junge Held, sein Todesbundesfreund, streiften nun jeder mit einem kleinen Geschwader als raublüsterne Adler an den Küsten von Kalabrien, Sizilien und Spanien herum.

Den Winter darauf machten sie den Anfang mit Ausführung eines der kühnsten und feinsten Plane. Der alte Ulazal und besonders sein Sohn galten alles bei dem jungen Sultan Amurath. Diese begehrten die Inseln Paros und Naxos, um eine italienische Kolonie hier anzulegen. Beide waren durch Krieg schier unbewohnt geblieben. Die wenig übrigen Griechen wollte man reichlich wegen ihrer Besitzungen entschädigen und an andre Örter verpflanzen, und zwar deswegen, weil die Abkömmlinge ihre eigne Religion auszuüben verlangten und damit weder stören noch darin gestört sein wollten. Es wären in diesem Jahrhundert mancherlei Sekten unter den Christen entstanden, die sich einander bis aufs Blut haßten und verfolgten, unter andern eine, die sich Todesleugner nennten und glaubten, daß die Natur ein ewiger Quell von Leben und der Trieb alles Daseins Freude sei; deren Meinungen mit der Lehre Mahomeds in wesentlichen Punkten übereinkämen. Zu dieser hielten sich die edelsten und reichsten Jünglinge und Frauenzimmer und hofften am ersten unter seiner Herrschaft Schutz.

Ein Held aus ihnen, einer von ihren Anführern, habe flüchten müssen, diene bei ihnen und verrichte seinen Grundsätzen gemäß die tapfersten Taten. Eine Menge würde diesem nachfolgen, wenn sie Sicherheit für ihre Personen und ihr Eigentum wüßten. Der große Vorteil für sein Reich dabei wäre augenscheinlich; außerdem dürften wohl wenige Muselmänner an Feuer im Gefecht gegen die sogenannten Orthodoxen ihnen gleichkommen.

Amurath wollte den Ardinghello sehen.

Dieser trat auf in männlicher Jugend und Schönheit, kühn, als ob er selbst ein Sultan wäre, und gefällig wie vor einer Semiramis. Sie sprachen Neugriechisch miteinander, und Amurath blieb von ihm bezaubert; sie waren schier von gleichem Alter, und Ardinghello schmeichelte lieblich und mächtig seiner geheimsten Denkungsart.

Sie erhielten, was sie wollten.


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