Wilhelm Heinse
Ardinghello und die glückseligen Inseln
Wilhelm Heinse

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Man muß gewiß erstaunen über die große Anzahl seiner Werke bei so kurzem Leben und seinem Hange zur Wollust, besonders wenn man das meiste so gefühlt und ausempfunden sieht. Bei bloßer Manier und Fabrik läßt sich große Anzahl leicht begreifen, wo arme Sünder denselben Puppenkram, den kein Vernünftiger mehr erblicken mag, nur in andre Stellungen versetzen: aber alles Vollkommne, aus der Natur hergeholt, will reine volle Seele und kostet Anstrengung.

Raffael hat sich innig, von zarter Kindheit an, als einzig liebes Künstlersöhnchen voll frischer Kraft selbst zum Maler in der Einsamkeit und beim Leben in der Welt gebildet und früh sich angewöhnt, Gestalten und Bewegungen derselben sich in der Phantasie zu sammeln und vorzustellen; und diese Übung und Gewohnheit ist nach und nach bei ihm zur stärksten Fertigkeit geworden. Seine Hand hat er gleichfalls geübt wie Auge und Phantasie, und dabei seines Geistes Sphäre erweitert; und so ist der göttliche Jüngling zum Vorschein gekommen. Die Hauptsache, worin er alle übertrifft, bleibt eben die vollkommne Fertigkeit, sich Gestalten vorzustellen, die Grund in der Natur haben, mit Zweck und Absicht. Daher die wunderbare Menge seiner Gemälde. Das Höchste in der Malerei, Gestalt, wobei sich andre, zuweilen die scharfsinnigsten Köpfe, vergebens abmartern, war sein Leichtestes, ging von ihm aus wie Quelle. Aber doch sieht man bei seinen Kompositionen deutlich allemal die Figuren, wo er sich angestrengt und die wirkliche Natur nachgeahmt hat. Er besaß einen gar guten Volksverstand und dachte und empfand bei jeder Geschichte gleich das Natürlichste; und seine Gestaltenphantasie und sein kernhafter Stil, wo alles bestimmt ist, machte das Ganze gleich lebendig.

Nach diesem allen seh ich mich doch genötigt, ein Gegenlied von dem Lob anzustimmen, was ich dem Papst Julius gab. Es war ein Glück für Raffaelen, daß dieser seiner Kunst Arbeit verschaffte, und vielleicht auch keins und das Gegenteil; denn dadurch ist er fast zum bloßen Kirchenmaler geworden. Das einzige große Werk außer seinen theologischen Gemälden und Porträten ist die Geschichte der Psyche in der Farnesina; und diese gehört, einzelne vortreffliche Figuren ausgenommen, nicht unter sein Bestes. Die Götter und Göttinnen darin machen einen großen Abstand gegen die Antiken.Vielleicht sprach Poussin bei dieser Gelegenheit das folglich höchst einseitige Urteil aus, daß Raffael gegen die Antiken ein Esel wäre; denn was möchte er sonst selbst sein? Jedoch muß man zu seiner Entschuldigung sagen, daß er das vom Apulejus so kostbar erzählte Märchen schier lukianisch behandelte; das Ganze ist ein Malerscherz und stellt ein kokettes Weib vor, welches keine reizende Schwiegertochter haben will und sie endlich haben muß.

Er und seine Schüler scheinen überdies sich auf Kosten des reichen Kaufmanns Chigi von Siena, der aus verschwenderischer Pracht bei einer Mahlzeit für Kardinäle und Prälaten die silbernen Gefäße, sowie sie abgetragen wurden, in den vorbeifließenden Tiberstrom werfen ließ, sich mehr nur einen Zeitvertreib gemacht zu haben, als daß ihnen, von der vatikanischen Strenge her, die Arbeit Ernst gewesen wäre; und der welsche Amsterdamer mußte ihm dabei noch ein Zimmer für seine Geliebte einräumen, damit er sie allemal gleich bei der Hand hätte, sooft ihm die Lust unter den wollüstigen Zeichnungen der nackenden weiblichen Gestalten zu ihr ankäme.

Die Allegorie mit den Liebesgöttern ist das Sinnreichste, Venus und Psyche übrigens einigemal bezaubernd, Zeus und Amor beisammen griechisch empfunden, Merkur und die Grazie vom Rücken Meisterwerk. Und Johann von Udine hat bei seinen Blumen einen himmlischen Frühling genossen.

Raffael: Die Nymphe Galatea In seiner Galatee neben diesem Saal ist die Zärtlichkeit und Empfindung der ersten Liebe ausgedrückt; sie hat viel Unschuld im Blick, aber noch etwas Unreifes in der Gestalt, und ihr Gesicht ist noch nicht so klar und rein wie zum Exempel die Köpfe in der Verklärung. Die drei fliegenden Bübchen schweben reizend in schönen Umrissen.

In den Stanzen sind zwar einige Gemälde, die nicht zur Kirchengeschichte gehören, allein er mußte die Personen darin doch dem Orte nach so fromm behandeln, daß sogar Vasari seinen Plato und Aristoteles in der Schule von Athen für die Apostel Petrus und Paulus ansah und ein andrer Unwissender dieselben mit dem heiligen Schein in Kupfer stach. Sein Parnaß würde vermutlich in einem Saale von Ariosts Gartenhause ein ander und besser Werk geworden sein.

Und wie sind die Zimmer alle an und für sich schon schlecht beleuchtet und angeordnet, mit Malerei überladen! Man sollte fast denken, der Halbgott habe den größten Teil seines Lebens mit seinen Schülern hier gefangen gesessen und einem theologischen Tyrannen zu gefallen alle Wände vollgepinselt, um ihn zur Erlösung zu bewegen.

Raffael hat durch diesen Druck äußerst wenig und vielleicht nichts gemacht, wo sein ganzes Wesen mit allen seinen Gefühlen und Neigungen und Erfahrungen ins Spiel gekommen wäre, wo die Sonne seines himmlischen Genius ganz auf einen Brennpunkt gezündet hätte.

Es ist zwar wahr, aus der freisten oder schlüpfrigsten Szene der Welt kann der Künstler eine Gestalt in das frömmste Gemälde übertragen; allein es geschieht doch allemal mit Zwang, der, anstatt daß eine Begebenheit aus der profanen Geschichte oder Fabel die Phantasie erhöbe und begeisterte, die eigentlich lebendigen Züge verwirrt und verunstaltet, so daß sie ihre beste Kraft verlieren. Wie würden Raffaels Weiber, zum Exempel, dieselben Gestalten zu seinem Kindermorde, zu seinen vortrefflichen Sibyllen in der Kirche alla Pace, zu verschiednen seiner Madonnen noch andre Wirkung in den Vorstellungen aus dem Leben einer Sophonisbe, Kleopatra, Cornelia, der Geschichte des Coriolan hervorbringen?

Es bleibt ausgemacht: Das Element der großen Geister ist die Freiheit; und wer sie unterstützen will, muß diese ihnen erst gewähren. Aller Zwang hemmt und drückt die Natur, und sie kann ihre Schönheit nicht in vollem Reize zeigen. Deswegen die Athenienser unter ihrer Demokratie und Anarchie der höchste Gipfel der Menschheit.

 
Rom, November.

Ich freue mich, daß Du mit mir auf gleichen Lebenspfaden gehst und also leichter an meinen Schicksalen teilnehmen kannst; nur ist Deine Chiara von ganz andrer Art als meine Fiordimona; sie hat mich nicht so lange schmachten lassen, ihrer Macht und Herrlichkeit bewußt. Das hab ich noch nicht erfahren, in der Liebe so von einem Weibe überflogen zu werden. Ich habe Nebenbuhler, und vielleicht glückliche Nebenbuhler: nur schein ich der glücklichste zu sein; und dies fesselt mich an ihren Triumphwagen, worauf die stolze junge Römerin einherzieht wie ein alter Sylla nach den Siegen über die größten Könige der Erden und die ersten Helden seines Vaterlandes. Und ich fühl es, ach ich fühl es, daß sie mich so ganz unaussprechlich liebt! Was das für eine Empfindung ist und wie es mein Wesen in vollen Schlägen durchkreuzt, kann niemand fassen, als wer selbst in Feuer und Flammen unter einem solchen schrecklichen Gewitter gestanden hat.

Das erste Mal, als wir unsre Seelen vereinigten, geschah in der Nacht auf den Raub, zwischen Gebüsch und Gesträuch, unter den ewigen Lichtern des Himmels, auf dem Gipfel des Monte Mario. O Gott, wie war ich da in Reiz versunken und verloren! Ach, wenn es ein Leben gibt, das so unaufhörlich fortdauert, in welcher Tiefe von Elend winden wir uns herum! Sie riß sich allzubald mit heißen Küssen los, damit ihre Abwesenheit vom Ball, den ein Prinz ihretwegen auf der Villa Melini gab, nicht bemerkt würde; und ich wandelte außer mir, nicht mehr derselbe, noch lange zwischen den Bäumen herum, tat Freudensprünge wie ein Knabe und jauchzte vor unfaßbarem Entzücken hinab in die Täler des Tiberstroms, daß alle Hügel widerhallten.

Du solltest sie sehen! Eine erhabne Gestalt, die das Auslesen hat; bei Lüsternheit sprödes Wesen. Ein froh und edel wollüstiger Gesicht gibt's nicht. Mit Adleraugen schaut sie umher und bezauberndem, doch nicht lockendem Munde. Das stolze Gewächs ihres schlanken Leibes schwillt unterm Gewand so reizend hinab, daß man dieses vor Wut gleich wegreißen möchte; und die Brüste drängen sich heiß und üppig hervor wie aufgehende Frühlingssonnen. Wangen und Kinn sind in frischer Blüte und bilden das entzückendste Oval, woraus das Licht der Liebe glänzt. O wie die braunen Locken im Tanze bacchantisch wallten, der himmlische Blick nach der Musik und Bewegung in Süßigkeit schwamm, die netten Beine in jugendlicher Kraft sich hoben, wie schnelle Blitze verschwanden und wiederkamen! Doch warum beginn ich ein unmögliches Unternehmen! Der genießt das höchste Los des Daseins, den ihre zarten Arme wie Reben umflechten; mehr hat kein König und kein Gott.

Ach, und sie ist mehr Wunder der Natur noch am Geiste! eine Kreatur, worüber ich zum ersten Mal mit geheimen Ingrimm rase, daß sie so vortrefflich ist. »O laß mich!« ruf ich zuweilen für mich in Verzweiflung aus; doch muß ich dem unbändigen Zuge folgen und unterliegen. Ich habe nie geglaubt, daß eine Dirne derart mich in Ketten und Banden legen würde, und tobe über mich selbst; aber niemand weiß, was ihm bevorsteht.

Ich will Dir gleich den falschen Wahn benehmen, der bei Dir aufsteigen wird. Sie ist reich, besitzt ein unmäßiges Vermögen und hat weder Vater, Mutter noch Geschwister. Ihr Vater war der Sohn eines päpstlichen Neffen, und sie ist nun allein geblieben. Wie um sie geworben wird, kannst Du Dir leicht vorstellen; aber sie will ihre Freiheit behaupten und sich platterdings nicht vermählen.

Kurz darauf bracht ich bequemer und freier eine ganze Nacht mit ihr zu in ihrem Schlafgemach, bis Morgenrot und Sonne die Blumen ihrer Schönheit bestrahlten und ich so ganz in ungestörtem Genusse mein Dasein mit allen Sinnen darinnen wiegte. Welche Reden! welche Gefühle! wie schwand die Zeit dahin; welcher süße Scherz, was für Mutwill, was für Spiel, kindlich und himmlisch! Trunken und lechzend taumelt ich von dannen. Wohl recht hatte jener Weise: wenn man die Wollust dem Leben abzieht, so bleibt nichts als der Tod übrig. Sie hat so ganz das, was Sappho bei Weibern allein Grazie nennt, das Liebreizende, was so oft den schönsten und verständigsten fehlt. Diese versteht die Kunst, zu lieben, und kennt die Wirklichkeit der Sache mit allen ihren Mannigfaltigkeiten; sie ist eine Virtuosin darin, und andre wissen dagegen kaum die Anfangsgründe. Bei ihr könnte Sokrates mit allem seinem unendlichen Verstande noch in die Schule gehen; Natur selbst übersteigt alle Einbildung. O wie sie so bloß als erquickende Frucht an einem hängt, als volle süße Traube, woran man mit durstigen Zügen saugt: und dann wieder bezaubernde unüberwindliche Tyrannin ist des Herzens und des Geistes! Sicher bei ihrer Vollkommenheit, bedarf sie die Zierereien der andern nicht. Die Grausame begnügt sich, gleich der Spinne, nicht an einer Seele und verlangt nicht, wie sie sagt, gegen die Unmöglichkeit zu streben; o ich möchte töricht werden!

»Laß uns aufrichtig sein!« sprach sie an einem andern Abend im Spazierengehen nach Saitenspiel und Gesang bei meinen Liebkosungen und Klagen der Eifersucht.

»Jedes muß sich selbst am besten der Kräfte zu seiner Glückseligkeit bedienen, womit es auf diese Welt ausgesteuert worden ist, und der Lage und Sphäre, wohinein es bei seiner Geburt gesetzt wurde. Dies hebt den Menschen über Menschen und macht einen weit größern Unterschied zwischen den Graden ihres Genusses, als zum Exempel zwischen den verschiednen Weinen und ihrem Geschmack ist, wo man nicht glauben sollte, daß sie alle von derselben Rebe herkämen. So wären die Könige Halbgötter und Löwen unter Rindern, wenn sie ihre Stelle zu gebrauchen wüßten.Hieron beim Xenophon spricht darüber anders aus Erfahrung.

Ein Frauenzimmer ist unklug, das mit einer Gestalt, die gefällt, erwuchs und Vermögen besitzt, wenn es sich das unauflösliche Joch der Ehe aufbinden läßt. Eine Göttin bleibt es unverheuratet, Herr von sich selbst, und hat die Wahl von jedem wackern Manne, auf solange sie will. Es lebt in Gesellschaft mit den verständigsten, schönsten, witzigsten und sinnreichsten; erzieht seine Kinder mit Lust, als freiwillige Kinder der Liebe; erhöht sich zum Manne: da es hingegen im Ehestande wie eine Sklavin weggefangen worden wäre, nichts mehr vermöchte nach Gesetz und Gewohnheit, und sich endlich von dem kleinen Sultan selbst, welchem es sich aufgeopfert hätte, verachtet sehen müßte, ohn einem andern Vortrefflichen seine Hochachtung wirklich auf eine seelenhafte Art, nicht bloß mit Tand und Worten, erkennen geben zu dürfen.

Ich werde dies einem Prospero nicht weiter auseinanderzusetzen brauchen, und ferner nicht, ob das Wohl des Staats oder Ganzen dadurch gewinnt oder verliert. Die etwanige Sünde kann man sich ja vergeben lassen! und eigentlich ist es bei uns nicht einmal eine gegen das sechste Gebot, sonst würden diese Lebensart fromme Regierungen nicht gestatten.


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