Wilhelm Heinse
Ardinghello und die glückseligen Inseln
Wilhelm Heinse

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Hierauf gab ich dem Ardinghello keine Antwort und erhielt im März wieder folgenden Brief von ihm.

 
Genua, März.

Sie hat mich zum ersten Mal geküßt, freiwillig; und meine Lippen schmachten in einem fort nach ihrem süßen Munde. Schüchtern, jungfräulich und doch naturnotwendig, wie der Magnet sich zieht, flog unerwartet plötzlich der himmlische Kuß auf mich. Wie selbst darein verwandelt schlief ich die Nacht, ein wollüstig stechend Feuer, und bin nun erwacht wie ein seliger Engel. O ein glücklicher Tag der gestrige! wie der neue Frühling ging die Sonne auf und unter. Wir saßen gegen Abend oben allein im Garten, unten hatte Fulvia und ihr Gemahl Gesellschaft; und die See spielte in kleinen Wellen, um, wie zärtliches Leben, sich in die Lüfte zu verbreiten.

Ich zeigte Lucinden erst einige Griffe auf der Laute, alsdenn sangen wir zusammen, und unsre Herzen ergossen sich endlich ineinander durch Gespräch und Blicke. »Ein Weib ist doch das armseligste Ding auf Erden!« seufzte sie auf die Letzt wehmütig, nach mancherlei Reden über Welt und Dasein und Bestimmung, und kehrte die Augen von mir ab gen Himmel; »gefesselt auf allen Seiten, dürfen wir keinen freien Schritt tun, wo uns der Geist hinleitet, ohne Schmach und Schande. Nicht über die Straße können wir gehn allein und sonder Mama und Base, wenn man uns für wohlgebildet hält, ohne daß die Lästerzungen auf uns stechen. Natur und Leben und Sitten und Gebräuche in andern Gegenden zu sehen und zu hören ist uns gänzlich versagt: wir müssen auf einer Stelle bleiben, wie die Pflanzen, und glauben, was man uns vorlügt, ohne sinnlichen Begriff; Wahn und Traum und Gehorsam unser Eigentum: kein Tropfen Wahrheit, die Seele zu erquicken.

Wenn eine schön ist, so legt man ihr überall Schlingen; und derjenige selbst, welchem sie in einer gewitterhaften Stunde gefällig war, verleumdet sie oft hernach am ärgsten und tritt zum schimpfenden Pöbel über, wenn er einen andern vorgezogen glaubt; oder sie wird von unvernünftiger Eifersucht noch fester eingekerkert.

Sind wir nicht schön, so erwerben wir keine Liebe mit aller Weisheit und allen Künsten der Musen und der Minerva; und außerdem heißt's immer noch: sie ist doch nur ein Weib und kann und darf nichts recht sehen, wie es ist; Pedanterei und Ziererei ohne Zweck und Nutzen! Ein Weib hat weder Stärke noch Überlegung, etwas Großes in irgendwo zu erlangen und zu fassen; die Guten und Verständigen haben Mitleiden mit dessen Schwäche, und die Boshaften verspotten es und suchen es mit ihrem Lobe vollends zur Närrin zu machen. So geht man mit uns um.

Am besten wär es, nie geboren worden zu sein; denn was wir wollen und lieben, dürfen wir doch nicht haben! oder, sobald diese Neigungen in unserm Herzen aufgehn, geschwind von der Erde weggenommen zu werden. Unser Los ist Traurigkeit und Leiden und wenig heitre Augenblicke; ein vergnügter sichrer Zustand ist uns nicht beschieden: unser Leben ein schwacher Kahn im stürmischen Meer, oft von Wellen überschlagen.«

Aber warum schreib ich Dir den toten Sinn und Buchstaben von dem, was sie so göttlich in bezaubernden Worten, Tönen und Gebärden sagte!

Ich hielt ihre Linke in meinen beiden Händen, und sie überließ die entzückenden Wallungen ihrer innern Schönheit ruhig meinem heißen Gefühl.

»O Lucinde«, antwortet ich ihr darauf, »du hast viel Wahres gesagt, wir sind ungerecht gegen euch! aber auch unser Los ist hart. Uns liegt die Arbeit ob, und ihr wirkt still wie die Sonne und macht schon glücklich bloß durch eure Schönheit. Wir müssen alles erringen und erkämpfen; und ihr strahlt nur um euch: so liegt man euch zu Füßen.

Hohe Schönheit ist freilich äußerst selten; aber auch eine Jungfrau, die sie besitzt und zu gebrauchen weiß, ist, was bei uns Alexander und Cäsar mit Heeren von Helden; es kömmt nur auf sie an, was sie erobern will! Das ewige Schicksal hat ihr alle Herzen unterworfen.

Liebe und Geist ist eins und dasselbe unter verschiednen Namen, nur daß man Überfluß von Geist Liebe nennt: hohe Schönheit beherrscht alle Geister. Sie vereinigt sich deswegen gern mit großer Gewalt oder großem Verstande, weil da die Liebe am mächtigsten ist. Der Mensch für sich allein, überhaupt jedes Wesen, abgesondert, ist unglücklich. Was kümmert den Vortrefflichen im Grunde Wahn und bürgerliches Vorurteil? Das Gesetz ist toll und töricht, das ihm Eigentum und freien Gebrauch seiner Person abspricht; und er tritt es mit Füßen, sobald er kann.«

»Ich möchte lieber Ardinghello sein«, versetzte sie schnell in leisem Nachtigallenton, ganz auf mich geheftet, »als Semiramis und Laura, so jung und schön mit soviel Tapferkeit und Talent!« und hier neigte sie ihre Lippen nach den meinigen, ich ward von einem süßen Blitz durchschlängelt, und meine Seele schwebte in der Herrlichkeit des Entzückens wie aufgelöst von allen Banden. So hielten wir uns lang umschlungen, bis unsre Blicke in Wollusttränen untergingen und sie ausrief, rosenrot und lilienblaß, und sich losriß: »O du, mein Abgott, was wird noch aus mir werden!« ohne mir mehr zuzugestehen.

Fulvia kam bald darauf, als ich noch an einen Baum gelehnt stand und mit den Armen die Augen zuhielt, um nichts Irdisches zu betrachten. Die Schlaue merkt alles und erkennt die Momente wie ein edles Raubtier.

So schiff ich denn zwischen einer Scylla und Charybdis im Wonnemeere der Liebe; und lasse mich von ihren Strudeln herumwälzen in Gefahren, damit mein Mut nicht müßig liege. Doch erschreck ich zuweilen vor Lucinden; sie hat in manchen Punkten nicht die Biegsamkeit ihres Geschlechts, und in ihrer Gestalt entdeck ich Züge von fürchterlicher Heftigkeit; und eben diese sind es, was mich so gewaltsam ergreift und an sie fesselt. Ich fühle durch und durch, was das himmlische Geschöpf verlangt, und dies foltert mich, da es unmöglich geschehen kann: und doch ist der Engel zu schön für die Welt, die ihn mit ihren Sitten angesteckt hat, als daß ein Natursohn ihr ihn so ungenossen sein Leben lang überlassen sollte.

Übrigens studier ich hier immer mehr die Schiffahrt und streiche öfters an der Küste herum. Zu Korsika bin ich auch schon gewesen, und das rauhe Volk gefällt mir: es liegt Stoff darin. Es kömmt kein Schiff an und geht keins ab, das ich nicht ausforsche. Und so beschäftigt sich auch noch meine bildende Kunst mit der See; ich habe die eine Skizze, wo ich den Biondello niederstoße, im großen angelegt.

Den Helden Doria besuch ich fleißig und lerne viel aus seinen Gesprächen; er will mir wohl, das seh ich aus seinen Mienen und Gebärden und seiner Offenherzigkeit. Er weiß, wer ich bin, und Fulvia und ihr Gemahl wissen es mit Lucinden; ich bin gleich anfangs von einem meiner Landesleute verraten worden, der mich erkannte. In Venedig blieb ich eher verborgen, während des Kriegs mit den Türken und weil es dort viel Maler gibt, worunter man sich leicht verstecken kann; hier sind deren kaum ein paar. Auch kam ich bei Euch in keine so vornehme öffentliche Gesellschaften. Inzwischen hab ich keinen Schaden davon, sondern Vorteile; man schätzt mich desto mehr, und ich habe, wo ich will, freien Zutritt.

Vor dem Tyrannen von Toskana fürcht ich mich nun wenig mehr; meine Tante meldet mir, daß es übel mit ihm aussieht. Er hat durch seine Ausschweifungen schon längst seine Gesundheit zugrunde gerichtet und bei der Camilla Martella die Neige seiner Kräfte vollends so abgezapft, daß ihm die Zunge steif geworden ist und verdorrt und er nicht mehr sprechen kann. Alles dies ist buchstäblich wahr, und so unklug wirtschaftete kein Tiberius auf der Insel Capri und kein Nero in beiderlei Gestalt, die noch immer wußten, wenn sie für sich aufhören sollten. Ein neuer Hippokrates von Machiavell wird den jungen Tarquinen auch noch hierin die Anfangsgründe vorbuchstabieren müssen; denn von selbst wird selten einer so gescheit sein.

Der neue Herzog, sein Sohn, führt sich auf wie ein Blödsinniger, und Eure berühmte Bianca behandelt ihn auch so mit Fug und Recht.

O Cäcilia, Aphrodite des adriatischen Paphos, wie lebst Du und unsre Liebe? Du sollst gewiß noch dereinst voll Zärtlichkeit Lucinden und auch Fulvien als Deine Gespielinnen umarmen. Meine Seele schmachtet nach ihr und Dir; sei nicht so karg mit Deinen Worten.

Ardinghello
 

Zu Ausgang des März schrieb ich ihm, da ich aus dem Schluß seines Briefes sah, daß er ohngeachtet seiner Leidenschaft doch den Kopf noch nicht verlor und immer den Edelmut im Grunde seines Herzens hatte.

 
Venedig, März.

Ich möchte mich lieber mit Dir nur wenige Augenblicke mündlich unterhalten als in dem längsten triftigsten Buchstabenwechsel.

Ich habe Cäcilien schon zum zweitenmal gesprochen; das erstemal in Gesellschaft und darauf vor wenig Tagen allein. Sie ist hoch schwanger, gesund und bei Kräften; und Mutter und Brüder und Freunde und Gespielinnen geben sich alle Mühe, ihr neue Ergötzlichkeiten zu verschaffen. Es ist eine wahre Augenweide, eine so junge reizende Frau am Ziel ihrer Bestimmung zu sehn; und einem Fremden, der nichts von ihr hofft und erwartet, muß sie so selbst schöner und vollkommner sein, als sie als Mädchen war; geschweige dem glücklichen Geliebten, der die süße Frucht seiner Liebe so heranreifen sähe. Ardinghello, Du bist ein Göttersohn, zu hohem Wohl erkoren; nur verscherze Dein Heil nicht!

Das erstemal wagte sie nicht nach Dir zu fragen; aber das Spiel ihrer Blicke um mich, Deinetwegen, war mir ein Himmelreich. Sie errötete, wurde blaß, seufzte, suchte sich zu verbergen: doch die Natur triumphierte: ihr Busen wallte stärker, und sie kam endlich zu mir und ließ sich mit mir in ein Gespräch ein, lieblich und traulich. Ich faßte mich dabei so, als ob ich in diesen Augenblicken Deiner nicht gedächte; und sie ging froher von mir, sie mochte nun argwohnen oder nicht argwohnen: denn sie mußte fühlen, daß ich ihr wohlwollte, und dies schon vorher wissen.


 << zurück weiter >>