Wilhelm Heinse
Ardinghello und die glückseligen Inseln
Wilhelm Heinse

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Wer behaupten wollte, daß die bildende Kunst über Poesie, Beredsamkeit und Philosophie ginge, müßte behaupten: daß eine Statue oder Brustbild vom Homer, Pindar, Demosthenes, Aristoteles, oder nehmen wir Neuere, daß ein vollkommen, wie möglich auch, getroffnes Bild in Farbe oder Stein von Ariost, Machiavell über ihre Schriften ginge. Und gewiß möcht ein Gott mehr daran haben, wenn sie mit Haut und Haar so wären wie sie selbst; welches jedoch menschlicher Hand unmöglich: aber ein Sterblicher muß eine gigantische Einbildung von seinem physiognomischen Sinn haben, um dies zu wollen. Ein solcher versuch es einmal und ersetz uns aus dem übriggebliebnen Kopfe des Sophokles seine hundert verlorne Trauerspiele!

Man schaue einen Sokrates an, einen Plato, einen Euripides: wer wird ihre Marmorbüsten für ihre lebendigen Reden und Gedichte nicht gleich weggeben? Wir können an uns selbst nicht im Spiegel wahrnehmen, auch in dem nämlichen Moment, was wir denken und empfinden; und sogar verschiedne Leidenschaften zeigen sich bis auf ihre hohen Grade im Gesicht überein. Die ganze bildende Kunst ist ein vages unbestimmtes Wesen, das seinen Hauptwert eigentlich von der Schönheit der Formen und Umrisse enthält; und dann außerwesentlich ist sie eine große Zierde der Poesie und Geschichte, die aber ganz natürlich ohne sie bestehen können. Poesie ist das innre Leben selbst: Bild von Farbe oder Stein bloß das Zeichen; wer jenes nicht schon in sich hat, kann bei diesem wenig fühlen und erkennen.

Wo hat in aller Welt je ein Gemälde die Wirkung hervorgebracht, die die Ödipe und Iphigenien hervorbrachten? Und wo wird es je möglich sein, daß eins solche hervorbringen könne, wenn man auch den Raffael, Correggio und Tizian in ein Wunderwesen zusammenschmelzte? Es versteht sich wahrlich, daß hier nicht davon die Rede sei, was päpstliche Neffen und Mönchs- und Nonnenklöster teurer bezahlen.

Ich leugne übrigens gar nicht, daß eine erstaunliche Phantasie und Fülle von Leben dazu gehört, sich einen Alkibiades, Perikles oder die Aspasia so vorzustellen und ihre Bilder durch die spätere Kunst lange Zeit nach ihnen so wirklich zu machen, aus bloßen Geschichtbüchern, wie sie lebendig waren und handelten; denn in der Tat – hat es auch keiner noch getan. Allerlei Gestalten träumen mag man sich wohl, und wer sich an leerer Spreu satt ißt, mag darnach gaffen und hinlaufen: aber Wahrheit, physiognomische mit Leib und Leben wie Wirklichkeit, ohne Miene und Gebärde Punkt für Punkt von der Natur selbst abzukonterfeien, diese aus bloßen Erzählungen und selbst eignen Reden der Menschen zu erfinden: geht über des Menschen Kräfte; dazu haben wir noch keine Wissenschaft, keine Gründe und Regeln, weder Ja noch Nein. Unser Bestes sind noch die allgemeinen Züge der Leidenschaften und andern Empfindungen, die sich in Bewegungen besonders von außen zeigen, durch öftre Wiederholung bei wirklichen Menschen sich in die Gestalt prägen und nach und nach Charakter bilden; aber mit dem Allgemeinen wird man bald fertig, und es entsteht endlich ein rasendes Einerlei.

Kurz, ich habe von dem Menschen, außer der wirklichen Vermischung, hauptsächlich Genuß durch seine Reden und Handlungen, durch Worte und Bewegungen; beides kann mir die bildende Kunst nicht geben. Man stelle sich seinen Freund auch in dem interessantesten Moment der Freundschaft auf einmal wie zu einer Büste versteinert, unveränderlich mit seinen Mienen und Gebärden vor! Mit Erinnerung der Worte aller vor und nach dem Moment wird das Bild gewiß lieblich in die Seele leuchten und anfangs einen Freudenschauer erregen. Aber wie die Erinnerung sich schwächt, wird es nach und nach immer weniger bedeuten und bei den Gedanken an hundert andre Szenen endlich leer und sogar Spott werden: statt daß nur ein herzlicher Brief von demselben immer neu die Seele erquickt, sooft man ihn nötig hat wieder durchzulesen. Was soll nun so ein Bild auf andre für Wirkung machen, die sich dabei platterdings nichts Gewisses vorstellen können, die die Person nicht kennen, nicht gekannt haben, nichts von ihr aus der Geschichte wissen?

Geschieht dies bei wirklichen Menschen: was wollt Ihr mit Euren Idealen, wovon Ihr nicht eine Form als wahr beweisen könnt? Die schönsten Bilder sind weiter nichts als ein geistig Licht in die Seele, die sie aufheitern und allerlei unbestimmte süße Gefühle in ihr erregen, wie ein reiner, vollkommner Akkord auf einem wohlklingenden Instrumente. Und solche Schönheit ist das eigentliche Wesen der bildenden Kunst, und keine Handlung, die die Poesie weit wahrer und lebendiger vorstellt. Die Handlung kann höchstens nur dienen, der Schönheit den besondern Charakter zu geben; das ist, die Handlung ist des Körpers wegen und der Körper nicht der Handlung wegen da.

Es ist wahr, die Schönheit ist ein momental Gefühl und unterscheidet sich dadurch von bloßer Vollkommenheit, die für den Verstand, so wie jene für den Sinn, gehört. Wo sie aber in der Zeit folgt, wie bei Tanz und Melodie und Gedicht, ist sie hauptsächlich für die Seele, eigentliche Seelenschönheit, tiefe, lebendige; denn die Seele hat die Kraft, eine Folge sich wie ein Beisammen auf einmal vorzustellen und zu denken. Daraus die Regel: daß ein solches Ganzes nicht zu verwickelt sein müsse, damit man wie in einem Atem alle dessen Teile und ihre Verbindung im Geist übersehe. Dies erregt dann, was man Begeistrung nennt. Ein schönes Gedicht, eine schöne Musik, ein schöner Tanz muß diese allezeit auf die Letzt hervorbringen: so wie der Dichter, Tonkünstler, Tänzer sie vorher in der Seele haben muß, ehe er sie in einen Strom dahinwallt; eine volle Seele, die sich ausschüttet und eine andre wieder schwängert.

Alle bloß bildende Kunst macht auch den stärksten Liebhaber und Besitzer über kurz oder lang zum Tantalus. Das schönste Bild, sei's auch eine Venus vom Praxiteles, wird endlich ein Schatten ohne Saft und Kraft, es regt und bewegt sich nicht und verwandelt sich nach und nach wieder in den toten Stein oder Öl und Farbe, woraus es gemacht war; und für den lebendigsten Menschen am geschwindesten. Ich glaube, daß, wenn die goldnen Zeiten der Griechen länger gedauert hätten, sie endlich alle Statuen würden ins Meer geworfen haben, um des unerträglich Toten, Unbeweglichen einmal ledig zu werden. Und wir finden auch nicht, daß Themistokles, Plato und Euripides und die andern großen Griechen der ersten Zeiten sich schon viel darum bekümmert hätten: die Bildsäulen gingen immer die Religion und das gemeine Volk an. Alkibiades schlug sogar vor Überdruß einer Menge öffentlicher Hermen die Nasen entzwei; und hernach gehörten sie mit den Gemälden zum Luxus der Reichen, die vor ihrer gewöhnlichen Langenweile nicht wußten, was sie anfangen sollten. Plutarch fragt ehrlich in seinem Perikles: ›Welcher gutartige Jüngling wird Phidias oder Polyklet sein wollen wegen des Olympischen Jupiters oder der Juno zu Argos?‹, und so setzt der verständige Horaz eine Ode von Pindar über hundert Statuen; und die aufgeheitertsten Kaiser zu Rom, Antonin und Mark Aurel, waren wirklich schon des steinernen Volkes satt: und so ist das steinerne und gemalte Volk bei den heutigen Römern bloßer Prunk, und man sieht es den besten an, daß auch sie dessen von Herzen satt sind. Die Natur übt ihr Recht aus und zeigt ihnen mit Gewalt, daß es doch nur eitel Träumerei ist.

Die beste Kunst ist ein bloßes Denkmal verfloßnen Genusses oder Leidens für den Künstler selbst, das ihm lediglich Anlaß gibt, sich das Ganze wieder vorzustellen und in sein Gedächtnis zurückzurufen. Welch ein Abstand von Poesie und ihrer Gewalt über die Herzen! Überhaupt ist die bildende Kunst eine jugendliche Sache, wo der Mensch noch an der Hülle herumschwebt. Ein alter Maler, ein armer Sünder! Wenn einer innen ist, kann er nicht mehr außen sein. Es käme darauf an, ob Raffael nicht den Pinsel würde weggeworfen haben, wenn er älter geworden wäre! Wenigstens sind seine ersten Gemälde im Vatikan die besten, und er trachtete nicht umsonst nach dem Kardinalshut.«

Sein Mund glich einem vollen Springbrunnen, so goß er hervor. Mir riß endlich die Geduld, und ich ergrimmte. »Bist du noch nicht fertig, Barbar, Bilderstürmer?« zürnt ich ihm entgegen.

»Was du wahr gesagt hast, trifft alle menschliche Kunst. In der Natur haben wir freilich alles beisammen, und die verschiednen Künste teilen sich nur in sie. Jede muß dagegen ihre Mängel, ihre Schranken erkennen. Die Malerei hat keine wirkliche Bewegung, nur den Schein davon, Zeichen; die Poesie kann keine Gestalt, keine Schönheit für den Sinn darstellen, bleibt ewig unglückselig blind; und Musik an und für sich ist ohne bestimmten Ausdruck und nur eine Magd der Musen.

Der Dichter ahmt und stellt im Grunde nicht einmal etwas Wirkliches selbst dar, sondern nur Mittel, nämlich die Reden der Menschen; und wie weit liegt die erste Natur der Sprache in den Abgründen der Zeit verborgen! Für uns Schaumblasen auf ihren Tiefen ist sie meistens bloß willkürlicher Schall. Wir haben allen unsern Genuß durch Körper, und von diesen kann er nichts Individuelles darstellen; alles ist bei ihm allgemein, bis auf die Namen schier Peter, Paul, und Lukas und Johannes, wenn ihm gute Schauspieler nicht zu Hülfe kommen. Dafür hat er freilich ein weitschweifig Reich und flattert überall an, wo die Malerei und Bildhauerkunst wegen enger Schranken ihrer unbeweglichen Mittel nicht hin kann.

Das höchste Leben ist das schwerste in allen Künsten, sowohl in den bildenden als Poesie und Musik: Sturm in der Natur, Mord zwischen Mann und Mann, Seelenvereinigung zwischen Mann und Weib, und Trennung, Abgeschiedenheit verliebter Seelen. Das Tote kann auch der bloße Fleiß darstellen, aber das Leben nur der große Mensch. Wen beim Ursprung seiner Existenz nicht die Fackel der Gottheit entzündet, der wird weder ein hohes Kunstwerk noch eine erhabne Handlung hervorbringen. Schönheit ist Leben in Formen und jeder Regung, und nichts Totes ist schön, außer in einem Verhältnis von Leben.

Warum ist der Torso schön, warum die Kolossen auf dem Monte Cavallo, warum unsre Venus? Weil sie in höchster Vollkommenheit menschlicher Kraft im freudigen Genuß ihrer Existenz sich befinden. Warum Apollo, warum der Fechter? Weil ihr Leben in der Vollkommenheit seiner Kraft sich in hoher Wirkung zeigt. Warum Laokoon, Niobe? Weil auch ihr höchstes Leben einer stärkern Macht unterliegt. Der Dichter deutet's mit Worten an, der bildende Künstler stellt's mit dessen Oberfläche selbst dar.

Zu der Zeit, wo die Menschen am mehrsten lebten und genossen, war die Kunst am größten: zu der Zeit, wo sie am elendesten waren, am schlechtesten; dies ist die Geschichte derselben in wenig Worten.

Wie bis zum bloßen Tier herabgesunken, kalt und gefühllos muß der Mensch sein, den es nicht ergreift, dessen Herz es nicht erhebt, wenn er in die Hallen tritt, wo die Helden unsers Geschlechts, die Weisen, die Dichter von Phidiassen und Praxitelen aufgestellt wie lebendig atmen! Der Armselige wird erschrecken wie in einer Götterversammlung, der Edle-Schüchterne aber begeistert werden, die glorreiche Bahn zu verfolgen; welche Kunst kann ihr hohes Leben sinnlicher in die Seele blitzen? Und eine Fromme, die alle Morgen die schönen himmlischen Figuren an den Wänden im Tempel mit inniger Freude schaut, kann kein häßliches und böses Kind gebären.

Die Griechen mußten dann doch mehr Leben in der Malerei finden als Bildhauerkunst, weil sie dieselbe, wo sie am verständigsten waren, mehr als diese belohnten und beförderten. Ein Bild in Stein war ihnen nur Zeichen einzelner Wahrheit, nämlich der Form: die Malerei aber Zeichen aller Wahrheit und Wirklichkeit und von ungleich größerm Umfange; jenes gleichsam nur Dämmerung, Ding im Mondschein: Gemälde von Apelles, Gestalten wirklicher Welt in ihrem Tage; und Zeichen bleibt immer weiter nichts als Zeichen, sei's von Stein oder Farbe. Und eben dies ist es, warum die Bildhauerei sank, nachdem die Malerei emporstieg, und bei uns nun nie wird fortkommen können, solang es noch gleich gute Maler als Bildhauer gibt.

Welcher Bildhauer wollte zum Exempel die Waffenläufer des Parrhasius übertreffen, wo der eine im Lauf zu schwitzen schien, der andre aber die Waffen ablegte und keuchte? Freilich kannte dieser Wollüstling den höchsten Reiz des Eigentümlichen seiner Kunst.

Für Gestalt gibt es keine mathematische Wissenschaft, wo man alles und jedes mit Zirkeln und Linien und Zahlen beweisen könnte; das geläuterte Gefühl erfahrner hoher Menschen entscheidet hier allein endlich und hat zu aller Zeit jedem Kunstwerk seinen Rang angewiesen. Deswegen aber beruht Ideal nicht auf bloßen Hirngespinsten, sondern die Natur selbst ist die ewige Regel: und ein Künstler muß von ihren Quellen schöpfen, wenn er neue Schönheit und neuen unsterblichen Reiz hervorbringen will. Durch Übung gewinnt man nach und nach doch auch sichre wissenschaftliche Fertigkeit.

Was bildet den lebendigen Körper von innen hervor, vom ersten Stoff zum Dasein an, so wie er ist? die erste regende Kraft; hernach sein Leben in der Welt.

Kann ich von der äußern Bildung auf die Art des Geistes schließen?

Warum nicht? Vom Werk auf den Meister; nur gehört Erfahrung und Verstand genug dazu und Adlerheit über andre, es mit Gewißheit zu können und nicht eine Ursache für die andre zu halten. Jede Gestalt zeigt Ursprünglich-Innres, wenigstens was jung in Tätigkeit war, das Leben in der Welt und die Begriffe und Einbildungen darüber. Und wer das Innre nicht kennt, kennt gewiß auch schlecht das Äußere.

Warum soll der Künstler keine Handlungen darstellen dürfen? Körper und Handlungen machen hier eins aus, das ist: Leben; und beides ist dafür da; hohes edles Leben; dies ist sein letzter Endzweck. Bei einzelnen Figuren gibt dies Schönheit; bei mehrern zu Darstellung einer Begebenheit kann und muß er zuweilen gar die Häßlichkeit abbilden, wie zum Beispiel den Maxentius in einer Schlacht vom Konstantin, einen Attila, einen Heliodor. Vollkommenheit zeigt sich von außen durch Schönheit, Unvollkommenheit durch Häßlichkeit; und die mehrsten Begebenheiten in der Welt sind ein Kampf zwischen Tugend und Laster. Soll er das Laster schön darstellen? Und ist er deswegen ein Kotmaler, wenn er es häßlich darstellt? Häßlichkeit verändert hier seinen Namen und wird zu Schönheit der Kunst. Die Geschichte soll auch bei dem Maler nicht bloß Augenweide sein, sondern tiefer dringen. Der Kunst dieses nehmen wollen heißt sie zum schalsten Zeitvertreib machen. Außerdem sind immer diese dreierlei Gattungen getrieben worden, wie schon in Griechenland, wo, nach dem Aristoteles, Polygnot die Menschen besser malte, als sie waren, Pauson schlechter und Dionys nach der Wirklichkeit.

An Ausdruck und Bewegung von Leidenschaften wird die Natur hoffentlich immer ebenso unerschöpflich bleiben als an neuen Gesichtern und Gestalten.


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