Wilhelm Heinse
Ardinghello und die glückseligen Inseln
Wilhelm Heinse

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»Cäcilia«, sprach er zu ihr, wie sie im verborgensten Buschwerk an der Mauer beisammen waren, »ich bin verloren, wenn ich deinem Bräutigam nicht zuvorkomme«; und erzählte ihr die Begebenheit den Abend mit dem Banditen und alles in wenig Worten, was sie noch nicht wußte. »Morgen nachts, wo nur immer möglich, schaff ich ihn aus der Welt, und ich hoff, es soll bei dem festlichen Geräusche nicht an Gelegenheit fehlen, wenn du nicht lieber mich willst hingerichtet sehen.«

Jedes Wort war ihr ein Donnerschlag.

»O welch ein Sturm wälzt sich über mich her!« rief sie aus, entsetzt, nach langer Betäubung; »schon tauml' ich mitten in den erzürnten Wogen, von Abgründen zu Abgründen geworfen, und alle Winde rasen. Ach, wäre ich mit dir aus dem Schiffbruch auf einer wüsten unbewohnten Insel nur! Aber wir gehen unter in den wilden Fluten.«

»Mir sagt's mein Herz«, erwidert' er darauf, »daß wir glücklich der Gefahr entkommen. Habe Mut, himmlisch Wesen! Der Wellen Ungestüm verletzt kein Gestirn; es tritt desto glänzender bald wieder auf und strahlt in ewiger Klarheit.

Niemand weiß von unsrer Liebe (der Edle wollte seinen Freund auf alle Weise außer Gefahr setzen). Niemand weiß von dem schändlichen Vorhaben des Mark Anton gegen mich; sein Spion und Mörder meines Vaters modert schon zwischen Klippen und Dornen: solche Dinge vertraut man nicht, außer gegen wen man muß. Der Großherzog ist noch weit von hier, mich soll er so leicht nicht in die Schlinge bekommen. Schlage mich aus dem Sinn die kurze Zeit des Getümmels, und tu, als ob du von mir nichts wüßtest: und du bist sicher. Über mich waltet die Vorsicht: sonst wär ich dem Tod nicht entgangen, und sie hätte mir meinen Pfad nicht gezeigt.«

»O wie kann ich dich, Geliebter, einen Augenblick vergessen? Wie kannst du vergessen meine Seligkeit und mein Leiden?« fiel sie ihm mit Tränen an seine hochklopfende Brust; fuhr aber bald hastig auf und ergriff ihn, zurückstoßend, klammernd bei der Hand: »Fort von hier, über Berg und Tal, laß mich! O hätt ich dich nie gesehen, o ich Unglückselige! Ich beschwöre dich bei aller unsrer Wonne, bei deiner und meiner Liebe«, stürzte sie sich ihm zu Füßen und umwand seine Knie: »überwältige dich meinetwegen, der Ruhe meiner Familie wegen, verschiebe wenigstens die Rache! Mich fesselt das grausame Schicksal mit eisernen Ketten an mein Elend, und ich kann ihm nicht entrinnen: du aber geh in ein ander Land, sei glücklich bei allen deinen Vollkommenheiten, und laß mich. O Gott«, schluchzte sie, »wer weiß, wenn und wie und wo und ob wir je uns wiedersehen!«

Ardinghello umwand sie fest mit seinen Armen und träufelt' ihr mit der Stimme des lebendigsten Gefühls ins Ohr: »Welche sklavische Furcht hat sich deiner bemeistert! Komme wieder zu dir, und rede mit Besinnung. Es siege die Liebe, die in der Natur allen andern vorging, und die Gerechtigkeit! Hast du keinen Blick in die Tage der Zukunft? Einem solchen bösartigen Ungeheuer wolltest du an der Seite liegen und deine glänzende Wohlgestalt von ihm schänden lassen, in lauter Gram und Ekel, da die edelsten Jünglinge voll Eifer und Feuer vor dir schmachten? Hat dies so mächtig wallende Herz in deinem Busen so wenig eigne Kraft, daß es nichts für sich tut, sondern seine angebornsten Regungen nach andrer Willen umlenkt? O Cäcilia, erhabenes Wesen, erkenne deinen Wert! Zu deinem eignen Wohl und weil ich dich kannte, vertraut ich dir das Geheimnis.

Soll ich den Schlechten verklagen, ihn zu einem Zweikampf herausfordern? Wie albern! Warten in der äußersten Gefahr? Wie töricht! Ihn gehen lassen, dulden, leiden, schweigen und mich davonmachen? O ich wäre nicht wert, dich an meine Seele zu fassen, nicht wert, auf diesem Boden zu atmen; tief, tief unter der Erde, der armseligste halbzertretenste Wurm müßt ich sein.

Die Zeit ist edel, wir haben keine Worte zu verlieren; ich sage dir aus dem Buch des ewigen Verhängnisses: Mark Anton, der niederträchtige Meuchelmörder, muß sterben von meiner rächerischen Hand für alle seine Bosheiten; oder du mußt mich und dich dem Tod und der öffentlichen Schmach preisgeben. Es findet hier keine Wahl statt, und ich kenne dazu genug deinen hellen Geist und deine hohen Gefühle. Meinetwegen hab in jeder Rücksicht keine Sorge: für dich wird dein scharfsichtiges Auge leicht den Ausweg finden und deine Gewandtheit ohne Verletzung und Gefahr darüber weggleiten.«

»Nun, so fürchte denn alles, unerbittliches Felsenherz!« versetzte sie ihm aufgebracht; »und wenn du sicher sein willst, so zücke den Stahl zuerst auf mich. O herbeigeführt durch die Lüfte, steh ich an dem Kessel eines feuerspeienden Gebürgs, Verderben rund um mich, und mir vergehen die Sinnen. O könnt ich mein unabsehliches Elend aller Unschuld zur Schau aufstellen und sie damit vor dem ersten Fehltritt warnen!«

Ardinghello konnt ihr nicht mehr antworten, so schnell riß sie sich von ihm fort nach ihrem Zimmer; doch drehte sie sich unterwegs noch einigemal um, kam aber, außer sich, nicht wieder zurück.

Er sagte mir anfangs von dieser Unterredung nur so viel, daß sie ohngefähr den von ihm erwarteten Ausschlag genommen habe.

Den andern Morgen in aller Frühe geschah die Trauung. Cäcilia erschien am Nachmittage, wo das Gelag war, reizender als je; Schlaflosigkeit und die beständige Überlegung dessen, was vorgehen sollte, hatte ihre Lebensgeister erhitzt und überzog ihr Gesicht mit der lieblichsten Schamröte.

Ardinghello bereitete sich den Tag über auf die Tat: machte sich selbst auf den Notfall eine Maske, kämmte sein Haar anders, veränderte Hut und Kleidung, um einen Landmann der Gegend vorzustellen, und setzte sich in gute Verfassung zur Flucht auf jeden Fall. Meine Mutter und ich waren beim Feste.

Eine zahlreiche Gesellschaft hatte sich eingefunden. Pracht und Überfluß, mit feiner Kunst angeordnet, herrschten an der Tafel und in Sälen und Zimmern Glanz und Freude. Die Braut schien in neuen Empfindungen verloren, antwortete aber doch leicht jedem Schalk, und immer in jungfraulicher Bescheidenheit; jedermann schien den Glücklichen zu beneiden, dessen Beute sie ward, und den Wunsch im Herzen zu hegen, mit süßer Gier im Liebesbette, statt seiner, der zarten Schönheit Blume zu pflücken.

Gegen Abend erhob sich der Ball. Als die Kerzen brannten, vermißte man bald Braut und Bräutigam und lächelte darüber. Der Bräutigam kam nach langer Zeit zuerst wieder, und seine Unenthaltsamkeit und Enthaltsamkeit beklatschte ohne Scheu der Mutwill junger Männer. Doch hörte man zu seiner Entschuldigung von einer Stimme den frechen fescenninischen Scherz: der versuchte Ritter wird den Morgen schon bei hartem Sturm die Fahne auf die Festung gepflanzt haben. Er lachte, jedoch dünkte mich's nicht das Lächeln der Lust nach gepflogner Liebe, und winkte mit der Hand nach dem Fenster. Und sieh! Raketen stiegen auf in der Luft und kreuzten sich über dem See und zerknallten, in schönen Kreisen sinkend. Gleich hernach erschien auch die Braut wieder und wurde beglückwünscht von Müttern und Weibern, indes sie glühte wie eine Rose.

Man führte sie an den Erker zum besten Platz, das Schauspiel anzusehen: und auf einmal rauschte die Girandola gen Himmel wie ein ungeheurer brennender Palmbaum. Darauf folgten mancherlei neue Feuerwerkskünste. Der Ort dazu war auf einem hohen felsichten Ufer des Sees nicht weit vom Palaste; der Bräutigam, welcher dergleichen verstand und es angeordnet hatte, lief hernach selbst hinunter, um die Leute, die es abbrannten, zum Eifer zu treiben, weil einigemal starke Pausen vorgingen: und gerad am Ende der Stiege wurd er vom Ardinghello an der Kehle fest gepackt und empfing den schärfsten mörderlichsten Dolchstich von unten auf ins Herz. Derselbe sagt' ihm schleunig noch ins Ohr: »Bin der junge Frescobaldi! Deine Braut war meine Geliebte, die Frucht unsrer Liebe wird dein Vermögen erben statt dessen meines Vaters.«

Er lag da und regte sich nicht mehr: Ardinghello entwischte. Niemand bemerkte ihn, die Bedienten unten sperrten alle, weit von dem Palaste, Augen und Mäuler auf über das Feuerwerk und jubelten und lärmten; und oben plauderte man gleichfalls und betrachtete.

Er lag da, solange das Feuerwerk dauerte. Wie es vorbei war und die Bedienten wieder hereinsprangen, erscholl auf einmal ein Zetergeschrei. Man drängte sich zu den Türen heraus: »Der Bräutigam ist ermordet!« lief plötzlich von einem Mund zum andern. Cäcilia rennte mit Geheul hervor, und wie sie deutlich vernahm: »unten an der Stiege mit einem Stoß in die Brust ermordet!« sank sie auf der Stelle nieder in Ohnmacht, und Arm' und Beine welkten, ihr Antlitz entfärbte sich, und der Kopf hing im Nacken. Man hob sie auf und brachte sie auf Sitze und besprengte sie mit starken Wassern; es war ein allgemeines Gewühl und Lärmen.

Der Tote ward unten in ein Zimmer gebracht; man zog die Kleider weg und besichtigte die Wunde: sie ging nett ins Herz, und da war an keine Hülfe mehr zu denken. Cäcilia kam wieder zu sich. »Was ist mir? wo bin ich?« sprach sie stöhnend mit verirrten Blicken. »Ach, tot, tot! Wer hat ihn umgebracht! o ich Unglückselige!« und so zerraufte sie sich die schönen blonden Locken und riß die Kleidung vom Leibe und wütete wie eine Bacchantin.

Ich darf sagen, daß, bei Kummer und Sorge für Ardinghellon, mich doch dies entzückte. O ihr Weiber, welch ein Mann erreicht je eure Verstellung! Sie wollte mit Gewalt zu ihm, aber man hielt sie ab. »O Gott, welch ein Vermählungsfest!« schluchzte sie, und die Tränen stürzten ihr aus den Augen. Hätt ich aber alles gewußt, so würd ich tiefes Mitleiden mit ihr gehabt haben.

Die Verwandten des Mark Anton, worunter eine verheuratete Schwester von ihm war, verstummten und machten allerlei Gesichter und wußten nicht, wo sie angreifen sollten: die Brüder und Eltern der Cäcilia verloren aber den Kopf nicht; und der älteste, auch schon verheuratet, ergriff sie bei der Hand und sagte zu ihr: »Fasse dich, was geschehen ist, kann man nicht ändern, und sei vernünftig, für dich ist jetzt ein kritischer Zeitpunkt! Sprich, und rede laut: hat Mark Anton schon wirklich seinen Bund in der Tat mit dir vollzogen oder nicht? Das andre soll hernach, soviel menschmöglich ist, aufs schärfste untersucht werden.« Sie warf den Kopf in die Arme und bedeckte die Augen und sagte seufzend und weinend: »Ach, wär es nicht geschehen und ich noch, was ich war!«

Die Schwester antwortete hierauf: »Wir sind hier auf einmal in sonderbare Umstände geraten und werden schwerlich so friedlich auseinandergehen können, als wir zusammengekommen sind.«

»Damit Sie erkennen«, versetzte der Vater der Cäcilia, »daß wir nichts Unbilliges verlangen, soll meine Tochter gleich in sichre Verwahrung gebracht werden, und einige von Ihren Verwandten und meine Söhne mögen sie begleiten. Der Fall ist außerordentlich. Wir ergeben uns dann in den Ausspruch des hohen Rats. Inzwischen wollen wir alles aufs strengste ausfragen und untersuchen.«

Die Ältesten und Angesehensten von der Republik, die hier zugegen waren, versammelten sich gleich auf ein Zimmer allein und machten einen Kreis; die Verwandten blieben in der Nähe, die übrigen Gäste im Tanzsaal, und unten wurden die Türen gesperrt. Die Bedienten kamen erst einzeln nacheinander vor. Keiner wußt etwas, und man fand nirgendwo die geringste Spur. Der Gäste waren viel und mancherlei. Man hatte zwar auf ein paar derselben Argwohn, weil sie vor dem Ermordeten um Cäcilien warben und gegen denselben heimliche Feindschaft hegten, jedoch durfte man sie so bloß darauf öffentlich nicht antasten; man erkundigte sich nur sehr scharf unter der Hand, wo sie während der Tat sich befunden hätten. Sichre Personen legten gut Zeugnis für sie ab, daß sie in ihrer Gegenwart gewesen wären.

Insoweit war also die Untersuchung vergeblich. Man schickte darauf Leute in die Gegend aus, um jeden Verdächtigen festzuhalten, welches man freilich eher hätte tun sollen: allein im ersten Aufruhr dachte niemand daran; und Ardinghello, einer der schnellsten Fußgänger, befand sich zu dieser Zeit schon in Sicherheit.

Was Cäcilien betraf, konnte man nicht nach aller Strenge verfahren, da es der Wohlstand und das Ansehen ihrer Eltern und Brüder nicht zuließ, welche beide letztere bei dem Sieg über die türkische Flotte sich den Namen großer Helden erworben hatten; alle waren außerdem dem reizenden Geschöpf gewogen und keiner von Herzen dem Bräutigam. Mancher machte sich in Rücksicht ihrer Hoffnung, entweder sie ganz zu besitzen, nun eine der reichsten Partien von Venedig, noch unabgeweidet in frischer Blüte; oder doch auf irgendeine Gefälligkeit bei solcher Lage Rechnung. Wenn ein Mensch einmal tot ist, hört bald alle Gunst auf; und wer am Leben bleibt, hat immer das beste Spiel. Dies ist in der Natur der Dinge; einem Toten ist doch nicht mehr zu helfen, denken sie, und es kömmt dabei nichts heraus. So ging's zu Venedig, wohin Cäcilia sich noch dieselbe Nacht unter Begleitung ihrer Brüder und der Verwandten ihres Bräutigams, mit etlichen Personen vom Rat, auf den Weg machen mußte, bis ihre Schwangerschaft sich völlig offenbarte. Sie wurde zwar nach der Form gehörig bewacht und befragt: allein da man gar keine Angaben, nicht den geringsten Verdacht und sie einen Bartolus und Baldus in derselben Person zum Advokaten hatte, endlich freigesprochen; und sie selbst verstand meisterlich die Seelen zu fesseln und spielte durchaus ihre Rolle vortrefflich: in dem kurzen Umgange mit Ardinghellon hatten sich ihre seltne Naturgaben herrlich noch entwickelt und ausgebildet.

Zu Anfang des neunten Monats darauf wurde sie, in Beisein gerichtlicher Zeugen, von einem gesunden kräftigen Sohn entbunden, welcher in der Taufe die Namen S. Marco Giovanni e Paolo empfing; und niemand wußte die geheime Bedeutung. Sie gelangte damit zum rechtlichen Besitz aller Güter Mark Antons, dem ihre Brüder ein prächtiges Grabmal von dem berühmtesten Bildhauer mit einer sinnreichen Inschrift von dem besten lateinischen Poeten besorgten, und trauerte lange und hielt sich eingezogen von allen Lustbarkeiten.

Ardinghello hatte sich nach glücklich vollbrachter Tat durch Umwege schnell auf sein Zimmer gemacht und geschwind umgekleidet; er war sicher, von niemand bemerkt worden zu sein, und wollt im Freien unter der fremden Kleidung nicht länger bleiben. In unsre Wohnung konnt er nach Belieben herein und heraus, weil er den Schlüssel zu der einen Außentür von seinem Flügel hatte. Auch war ohnedies alles aus dem Palaste nach einem guten Platz zum Feuerwerk gelaufen, dem zauberischen Schauspiel über dem See. Inzwischen machte er sich doch behend auf jeden Fall gefaßt und lauerte nahe bei seinem Zimmer im Garten, bis ich mit meiner Mutter nach Hause kam und ihm das glückliche Zeichen gab; das Fest war gänzlich verstört, und ich hielt nur so lange aus, als es sich schickte, um nichts zu versäumen.

Auf ihn fiel nicht der mindeste Verdacht, weder hier noch in Venedig. Dort wurde bei einigen jungen Herren strenge Nachforschung gehalten, die mit heftiger Leidenschaft vorher um Cäcilien warben; aber es kam nichts heraus, und die Ermordung blieb ein Rätsel.


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