Wilhelm Heinse
Ardinghello und die glückseligen Inseln
Wilhelm Heinse

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Zweiter Band

Vierter Teil

Rom, Oktober.

Ich habe seit meiner letztern Begebenheit mit Lucinden gerungen und gekämpft, in keine solche Torheit wieder hineinzugeraten; aber alles muß seiner Natur folgen. Ich zittre und knirsche mit den Zähnen, daß es nicht anders ist: der Mensch hat keine Freiheit. Sieh die Inseln der Glückseligkeit vor Dir, mit vor Verlangen kochendem Herzen nach ihrer Lust, von üppigem Mut alle Nerven geschwellt: und widerstehe mit kalter Überlegung der Gefahren, die vielleicht auf Dich warten, indes der günstigste Wind über Dir in den Wipfeln hinsäuselt! Was ist das, daß der Mensch so nach Ruhe trachtet und sie hernach doch nicht leiden kann? Daß das Ziel keins mehr für ihn ist, sobald er es erreicht hat, und er immer ein neues haben muß? Ach, unser Wesen hat keinen Frieden, und Brand und Glut in und über alles ist dessen erste Urkraft!

Wo ich gehe und stehe, schwebt sie mir vor Augen; ich strecke meine Arme nach ihr aus, und meine Füße bewegen sich von selbst nach dem Ort ihres Aufenthalts. In diesen Kreis bin ich wie gebannt, und mir scheint kein ander Licht. O sie ist so ganz, was ich wünsche! und alles andre, was ich schon genossen habe, dünkt mir nur ein Vorschmack von der Fülle ihrer Seligkeit. Fiordimona, o Fiordimona, mit dir möcht ich ewig leben und unauflöslich mich mit dir verflechten! Du allein kannst bei allen Reizen der Schönheit meine Freundin sein; einen so hohen kräftigen Geist hab ich bei deinem Geschlechte noch nicht gefunden.

Glaub indessen nicht, Benedikt, daß ich mich aus Muße und Langerweile verliebe; ich beschäftige mich gerade mit den ersten Werken der bildenden Kunst, der alten und der neuern: allein das Leben selbst triumphiert über alles und gewinnt im Gegenteil dadurch noch mehr Stärke.

Der Oktober ist hier wie Wetter aus dem Paradiese, jeder Tag heiter und Fest schon an und für sich. Ich habe mich auf eine Woche in das Vatikan eingesperrt und genösse Götterlust, wenn mein Herz ruhiger wäre. Ich wohne oben im Belvedere bei dem Manne, der die Antiken in seiner Verwahrung hat, und die Aussicht von meinem Zimmer ist bezaubernd. Rom liegt still da, wie ein friedlich Überbleibsel von der Herrschaft der Welt; wie ein junger Sproß steigt es hervor aus dem uralten hohlen Stamme der ehemals erhabnen ungeheuern Eiche. Voran grünt das fruchtbare lange und breite Tal, wodurch der Tiber strömt, zwischen reizenden Hügeln, die schöne Villen bekränzen; und in grauem Duft und blauer Ferne lagern sich die Gebirge von Sabina, Tivoli und Frascati majestätisch herum. Man sieht so den Aufenthalt von süßen Geschöpfen vor sich, mit denen man auf allen Seiten, da und dort in die Höhen, um allein zu sein, hinaus flüchten könnte.

Die Nachwelt hat die größten Meisterstücke der Malerei dem wilden und kühnen Papst Julius zu verdanken; und es ist ein seltnes Glück, daß der Heftige einen so scharfen und sichern Blick für das Wesentliche hatte und sich durch kein Gepränge oder Höflingsgeschwätz täuschen und irreführen ließ. Er erkannte das wahre Talent und verachtete dagegen allen Modekram. Die berühmtesten Künstler damaliger Zeit hatten schon in den Stanzen die Wände mit allerlei Larven bemalt, woran vielleicht nach ihren Regeln nichts auszusetzen war, als Bramante den Raffael von siebzehn Jahren herbeibrachte, daß auch er in einem Zimmer sich versuchen möchte. Die alten Meister lächelten höhnisch und spotteten unter sich über die Unerfahrenheit des Knaben. Der hohe Jüngling ließ sich nicht stören und entwarf in seiner Phantasie, dem Schauplatz angemessen, vier Bilder: von der Theologie, der Philosophie, Poesie und Gerechtigkeit, und legte gleich im ersten Feuer Hand an die Theologie.

Die Philosophie war noch nicht ganz vollendet, als Julius von der Wahrheit und dem Reiz der Gemälde so entzückt wurde, daß er auf der Stelle befahl, alles, was die andern gemacht hatten, wieder herunterzuschlagen: dieser junge Mensch sollte die Zimmer allein ausmalen. Die alten Herrn schrien über Tyrannei und Unverstand, aber Welt und Nachwelt hat diesen harten Ausspruch gerechtfertigt.

Ein solcher Schutz der Kunst macht Ehre, und keine Millionen, die man an Stümper und ein buntes Gemisch von Kunstsachen verschwendet, indes der eigentliche Mann bei seiner Bescheidenheit entweder verborgen bleibt und darbt oder doch nur als ein gewöhnlicher Taglöhner sein Stück Arbeit nebenher durch irgendeines Vernünftigen Empfehlung von ohngefähr bekömmt.

Die Theologie ist ein geistig Bild der Religion; die vornehmsten Personen des Alten und Neuen Testaments sind hier beisammen, jede nach ihrem Charakter. Das Ganze stellt gleichsam die christliche Kirche vor im Werden.

Gott der Vater schwebt obenan als Architekt mit freundlichem Ernst, daß alles so ist, wie er's haben wollte. Christus ruht selig auf einem Wolkenthron in der Glorie der Ausführung, die Mutter voll Zärtlichkeit neben ihm. Patriarchen, Jünger und Apostel umgeben ihn als ihren Mittelpunkt, auf Wolken von Engeln getragen. Und unten auf dem Erdboden handeln noch die ersten Kirchenlehrer und Christen in der Grundlage des Gebäudes.

Die Hauptgestalten zeugen von der lebhaftesten jugendlichen Einbildungskraft und haben wunderbare Bestimmtheit in den Umrissen. Die vier großen Kirchenlehrer gehen mit ihrer Kraft allen andern hervor. Wenn irgend ein Sterblicher zum Maler geboren war, so ist es gewiß Raffael. Seine Figuren sind mit einer Quelle von Leben hervorgefühlt und voneinander unterschieden bis auf eine eigne Art von Reiz im Ausdruck.

Raffael: Die Schule von Athen Die Schule von Athen ist ebenso ein geistig Bild der Philosophen beisammen. Pythagoras fängt an, Sokrates folgt, alsdenn kömmt Plato mit dem Aristoteles und weiter Archimed. Die Gruppe des letztern mit den vier Jünglingen ist wirklich unaussprechlich schön und reizend, ein entzückend Bild von einem Meister mit seinen Schülern; die Aufmerksamkeit zweier, die Verwunderung und Begeisterung des Aufblickenden besonders göttlich hingezaubert, gerad im Momente, wo er die Erklärung des schweren Problems findet. Gesicht mitsamt dem Haar ist von hoher Schönheit und Wahrheit. Archimed selbst voll Schärfe des Verstandes und Überlegung. Zeichnung und Malerei überall spricht den großen Meister von heiterm Sinn. Der eine studiert; der andre begreift; der dritte hat's begriffen und verwundert sich; und der vierte frohlockt und möchte jemand, der's auch lernte.

Für ein Gymnasium von Philosophen wäre das Ganze ein wahrer Zauber und würde jederzeit die Seele zur Empfänglichkeit stimmen. In verschiednen Köpfen von Raffael herrscht eine Wirklichkeit, wobei man über die frische Kraft seiner Phantasie erstaunen muß. Sein heiliger Gregorius muß ein Theolog sein, sein Pythagoras ein Philosoph und keine andre Menschen.

Der Parnaß ist wieder so ein geistig Bild der Poesie. Homer improvisiert, von Begeisterung hingerissen; Apollo ist mit seinen schönen Augen verzückt in himmlische Phantasien; Musen, Laura, Sappho und die besten Dichter, die theatralischen ausgenommen, sind dabei zugegen.

Die Gerechtigkeit besteht aus drei vortrefflichen allegorischen Figuren: Klugheit, Stärke zur Rechten, Mäßigkeit zur Linken.

Dieses Zimmer war seine erste Arbeit zu Rom; es bleibt aber doch das vorzüglichste wegen Menge und Adel von Gestalten. Seele und Auge jedes verständigen und in der Welt erfahrnen Menschen müssen sich so recht daran wie an süßem Kern weiden. Überall blickt da und dort eine himmlische Blume hervor, und je tiefer man sich mit seinem Stachel hineingräbt, desto nahrhafter Honig findet man. So hat mich spät noch erfreut sein Evangelist Johannes in der Theologie, neben dem David, welcher vor der Menge größerer Figuren einem erst nach und nach mit seinem süßen Lächeln und halb zugedrückten innigseligen Blick aus seiner Engelsschönheit ins Herz blitzt. Das blonde Haar wallt ihm reizend nieder auf die Schultern, und er scheint einen Liebesbrief zu schreiben.

Die Schule von Athen ist mir das angenehmste von allen seinen Werken: eine solche Fülle von Heiterkeit und Ruhe kömmt mir daraus entgegen; ob das Ganze im Grunde gleich einen Streit vorstellt, nämlich den Sieg der Aristotelischen Philosophie über die Platonische, wie die triumphierenden und widerlegten Gesichter zeigen. Alles neben den beiden großen Helden scheint sich darauf zu beziehen. Plato hat zur Seite den Sokrates mit dem Alkibiades und den Pythagoras, Aristoteles den Kardinal BemboPlatonici artifices disserendi, non interpretes naturae aut doctores sapientiae, war damals die Meinung. und Archimed. Wahrscheinlich fehlen deswegen Epikur und Zeno mit ihrem Anhange. Welche vollkommne Meisterstücke sind darin Pythagoras, Sokrates, Plato, Aristoteles, Archimed oder Bramante mit dem jungen Herzoge von Mantua! Alles ist hier so Natur, daß man die Kunst vergißt und nicht an sie denkt: so voll und verliebt darein und fertig war der Meister. Die Gruppen sind schön zusammengehalten, und jede richtet sich nach dem Philosophen, der Unterricht erteilt. In die antiken Gewänder hat er sich gut hineingedacht, und man merkt nichts Gezwungnes.

Zusammengedrängte Jahrhunderte machen in jedem von den drei Gemälden ein einzig Bild für die Phantasie.

In dem Zimmer darauf tut der Genius Raffaels, wenn ich mich so ausdrücken darf, pittoreskere Flüge, ist aber nicht mehr so reich an hoher individueller Gestalt.

Sein Heliodor ist vielleicht die schönste Allegorie neuerer Zeiten. Das Ganze teilt sich in drei Gruppen und tut große Wirkung. Die Gruppe der Engel mit dem niedergeworfnen Heliodor gehört unter Raffaels Höchstes; sie sind durchaus Natur in Gestalt, Gebärde und Bewegung; er hat sie vermutlich von feurigen römischen Buben in Zorn und Sprung abgesehn. Der Engel zu Pferde in der Kirche ist etwas ungereimt, aber er macht ein herrlich Bild von Schnelligkeit und unwiderstehlicher Gewalt. Heliodor und seine Gefährten schreien; und es gehört zur Schönheit des Ganzen, ob sie gleich gegen die Theorie einiger Antiquaren dazu den Mund auftun müssen.

Die Gruppe von Weibern neben dem Papste, der von Schweizern, nach der Natur kopiert, hereingetragen wird, macht einen reizenden Kontrast; die Köpfe der beiden Frauen, die mit den Händen zeigen, sind die schönsten, und der dritte daneben hat einen wunderbaren Ausdruck. Julius schaut voll Majestät, als ob seine Befehle gut ausgeführt würden.

Der Hohepriester in der Mitte am Altar bittet in Zuversicht und Ergebung. Der Bube, welcher auf den Säulenfuß steigt, um recht zuzuschauen, ist sehr pittoresk, wie überhaupt alles samt der Beleuchtung.

Dies Gemälde gehört gewiß zu dem Vortrefflichsten, was Raffael hervorgebracht hat; und zu der Zeit, wo soeben erst die Franzosen von Italien hinausgetrieben waren, muß es jedermann innig ergötzt haben. Man sieht inzwischen deutlich, daß ihm seine Schüler an den Nebensachen halfen. Es ist ein ungeheurer Unterschied, wenn man Raffaelen nach den meisten gegenwärtigen Malern sieht; bei ihm lebt alles und bedeutet, und greift ein ins Ganze. Man kömmt bei ihm einmal wieder zu einem verständigen Menschen.

Damit Du aber siehst, daß ich doch nicht schwärme, so meld ich Dir daneben, daß der bewunderte Attila gegenüber auf mich wenig Wirkung macht. Ich finde darin kein recht zusammenhängend Ganzes in der wirklichen Malerei und den Charaktern, obgleich die Anlage trefflich ist, und zuviel Kompliment auf Leo den Zehnten, dessen Kopf sich wahrlich zu keiner solchen Szene schickt. Attila sieht viel zu gütig aus für einen Hunnenkönig, ohnerachtet der ungefühlten Worte von Griechenheit darüber, und Leo zu feist für einen Heiligen. Die Apostel sind zu schwer, zu groß und zu nah in der Luft für schwebende Figuren, haben wenig Gestalt, bitten eher, als daß sie drohen sollten, und halten ihre Schwerter wie die Weiber.

Nichtsdestoweniger bleibt das Gemälde mit den Porträten, Pferden und verschiednen Gewändern eine reizende Wandverzierung für einen geistlichen Fürsten, und es ist darin immer mehr natürliche Gestalt für Verstand und Auge als vielleicht in hundert neuern.


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