Wilhelm Heinse
Ardinghello und die glückseligen Inseln
Wilhelm Heinse

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Ich sahe wohl, mit was für einem Feind ich's hier zu tun hatte; ein Federmesserstich von ihm verwundete tödlicher als der Schlag von einer Keule; doch wollt ich ihn erst ganz herauslocken und bat: er möchte die Grenzen jeder Kunst näher bestimmen, und insbesondere von Bildhauerei und Malerei, und alsdenn uns seine Begriffe von der Schönheit entdecken. Und freute mich unaussprechlich, einen solchen Meister so unvermutet plötzlich anzutreffen. Er wollte abbrechen: allein wir ließen ihn nicht. Ich setzte mich ihm gegenüber, und wir stutzten die Gläser an, die von dem besten Monte Giove schäumten.

»Die Bildhauerei ist eigentlich für einzelne Figuren«, fing er vom neuen an; »die Malerei hat die Not emporgebracht, mehrere vorzustellen. Sie hat dies den Siegen der Griechen zu verdanken, besonders nach der Schlacht bei Marathon. Der Bruder des Phidias, Panäos, malte dieselbe, da dieser selbst sie in Stein nicht vorstellen konnte, weil kleine Figuren darin nicht wirken und die Materie fürs Weitläuftige zu unbehülflich ist.

Es ist wohl keine Frage, welche von beiden Künsten die Formen des Menschen besser darstellen kann. Die Malerei ist eine beständige Lüge und ihre Erhobenheit und Tiefe erkünstelt. Wir lassen uns täuschen, weil völlige Wahrheit und Wirklichkeit wie bei Bildhauerei unmöglich ist, und geben uns zu unserm eignen Vergnügen alle Mühe, die Köpfe und überhaupt das Nackende zum Beispiel vom Tizian rund und hervorgehend und die Fernen und Mittelgründe seiner Landschaften im gehörigen Abstand zu sehen. Ihre eigentlichen Gegenstände sind, wo die Farbe, leichte Bewegung und zarter Stoff einen vorzüglichen Teil ausmacht. Die Neuheit hauptsächlich und dann die überwundne Schwierigkeit machten sie unter dem Zeuxis und Apelles so reizend; und gewiß ist's, daß die Farbe viel zur Täuschung, im ganzen genommen, beiträgt. Auf den ersten Blick wirkt ein gemaltes Bild auch auf den Verständigen mehr als eine ebenso vortreffliche Statue in ihrer Art; aber wenig Zeit und Besinnung macht die Malerei dagegen ganz verschwinden. Unter tausend Gesichtern findet man ferner in einem guten Klima nur äußerst wenige für den Marmor, aber weit mehrere für die Farbe. Die Bildhauerkunst ist die echte Probe schöner Form und geht ins Wesentlichre und das Erhabne: die Malerei gibt sich mit allem ab, wo sie nur ein wenig Reiz findet.

Die letztere muß sich also vor allem hüten, was schon die Bildhauerei vollkommen darstellen kann; und beide müssen sich davor hüten, das Reich der Poesie zu beschreiten: denn jede bleibt überwunden, sobald sich nur ein gewöhnlich guter Meister der andern Kunst an den Kampf macht. Poesie enthält sich der Formen und Farben; Bildhauerei enthält sich der Farben und Geschichten von vielen Figuren; Malerei enthält sich alles dessen, was sich bloß durch Form zeigt, und so wie die Bildhauerei noch der Geschichten, wo man das Ganze nicht mit einem Blicke herausnehmen kann. Dienste und Gefälligkeiten mögen sie sich übrigens gern erzeigen. Rom allein ist voll von Beispielen, wie gute und wackre Meister verunglückt sind, indem sie über diese Regeln hinauswollten, und den schönsten Teil ihres Lebens umsonst dagegen kämpften.

Apelles nahm sich wohl in acht, kein bloßes Porträt vom Alexander zu machen; hierin mußt er allezeit dem Lysipp wegen seiner Formen nachstehen. Er bildete ihn also mit dem Blitz in der Hand; mit dem Kastor und Pollux und der Victoria; auf einem Triumphwagen mit dem Krieg hinterdrein, diesem die Hände auf den Rücken gebunden. Dies mußte Lysipp so natürlich wohl bleiben lassen. Aber Bildhauerei behält doch immer den Rang; denn sie zeigt das Edelste der bildenden Kunst, nämlich die Form, am vollkommensten. Bei Weibern, es ist wahr, und bei Knaben ist die Farbe auch sehr reizend; allein sie ist doch bloß ein seichter Augengenuß, der nicht in den ganzen Menschen so eindringt wie die Form.

Das Klassische überall ist das gedrängt Volle, wenn einer alles Wesentliche und Bezeichnende von einem Gegenstande herausfühlt und nachahmt; und in diesem Verstande kann man gewiß schon aus einer Hand oder irgendeinem Teil am menschlichen Körper bei einem Künstler den großen Mann erkennen, wie aus der Klaue den Löwen. Phantasie, die aus Tausenden zusammenträgt, aber nicht das Rechte, sondern Außerwesentliche, ist das Gegenteil und Bettlerarmut; Lumpen und Lappen und kein ganz Stück. Ein Ding recht fassen, zeigt den trefflichen Menschen und macht den Virtuosen.

Der schöne Mensch im bloßen Gefühl seiner Existenz ohne Leidenschaft in Ruhe ist der eigentlichste Gegenstand der Nachahmung des bildenden Künstlers und seine Nummer eins; in dieser Verfassung ohne alle Bekleidung liegt die reinste Harmonie der Schönheit, und sie paßt am allerbesten zu dem gänzlichen Mangel an Bewegung seiner Werke. Alle Leidenschaft, alle Handlung zieht, leitet unsre Betrachtung von ihren schönen körperlichen Formen ab. Zur Schönheit selbst gehört der Charakter oder das, wodurch sich eine Person von der andern unterscheidet. Schönheit mit lebendigem Charakter ist das Schwerste der Kunst.

Bei Gruppen von Figuren sind Spiele, Scherze, die wenig bedeuten, die besten Handlungen, weil sie von der Schönheit und den angenehmen Stellungen der Formen am wenigsten abziehen. Die entzückendste Handlung für den Betrachtenden hierbei ist freilich, wo gerad ein Körper den andern genießt: Kuß, Umarmung -

Nach diesen Grundsätzen arbeiteten die Alten: nicht, wie einige Antiquaren sagen, weil die Stille der eigentlichste Zustand der Schönheit wäre, wie bei der See, und die schönsten Menschen überhaupt von gesittetem Wesen zu sein pflegten. Das Meer ist im Gegenteil natürlich immer in Bewegung, und gewiß schöner im Sturm als in der Stille; und Alkibiades, und Phryne, und Thais, welche Persepolis in Brand steckte, die schönsten Menschen unter den Griechen, sind wahrlich nicht berühmt wegen ihres stillen gesitteten Wesens; und Clodius nicht, und die Faustinen, und die größten Schönheiten. Es sind die Schranken der Kunst! Sie kann das hohe Leben, schnelle Bewegung selten darstellen; und es ist wunderlich, dies deswegen mit Verachtung in der Wirklichkeit selbst ansehen wollen.

Wenn das Kunstwerk eine Geschichte darstellen soll: so muß der Ausdruck herrschen; denn dieser ist alsdenn der Hauptzweck, und Schönheit in Stellung und Formen und Gestalten muß hier der Wahrheit aufgeopfert werden. Allein Geschichte, Szenen aus Dichtern bleiben immer die letzten Vorwürfe der bildenden Kunst; weil sie dieselben nie ganz und nie so mit dem ergreifenden Leben darstellen kann wie ein Herodot und Homer. Der bildende Künstler begibt sich außerdem von selbst schon hierbei ganz unter den Geschichtschreiber und Dichter und schafft als Gehülfe zu dessen Leben und Bewegung nur die Körper alsdenn; augenscheinlich hat dieser das Ganze und er nur den Teil.

Die alten Künstler wagten es außerdem nicht, den Kern von manchen tragischen Geschichten darzustellen, weil sie bloß das Grausame würden dargestellt haben, und das andre nicht konnten, was die Tat mildert; zum Beispiel Medeen im Morden ihrer Kinder: die vereinzelte Szene hätte durch ihre Gegenwart alle Geschichte überblendet. Nur Agesander und Michelangelo unter den Neuern sind darüber hinausgegangen: der eine der Kunst, der andre der Religion wegen. Ähnliche Bewandtnis hat es bei wahrer Darstellung einer alten Hekuba; man denkt sich bei der gerunzelten Haut ihr ganzes Leben nicht, um davon gerührt zu werden. Und eine junge oder noch schöne Hekuba ist Widerspruch und Unsinn.

Kurz, eine lebendige Gestalt von einem Charakter sich vorzustellen, in aller Vollkommenheit und Schönheit, ist das Meisterstück des bildenden Künstlers; welches wenige noch bis dato geleistet haben.

Schönheit überhaupt in allen Künsten ist, wie mich dünkt, leichtfaßliche Vollkommenheit für Sinn und Einbildungskraft. Wer damit nicht zufrieden sein will, kann sich an die Erklärung des Erzbischofs della Casa halten, welcher das weltberühmte Kapitel über den Backofen geschrieben hat; dieser sagt: Schönheit ist eins, soviel nur immer möglich; und Häßlichkeit im Gegenteil ist viel. Allein der Künstler bedarf solcher tiefen Philosophie nicht bei seiner Arbeit. Vergebt übrigens, lieben Brüder und Freunde, wenn ich an dem Ziele vorbeigeschossen habe, und macht es besser.«

Der Mann zog mich doch an sich, trotz aller seiner hämischen Blicke auf bildende Kunst und besonders Malerei, und ich verlangte genauere Bekanntschaft mit ihm zu machen. »Schade«, rief ich aus, »daß ich kein junges Lorbeerreis habe, Euer weises Haupt zu bekränzen! ob ich gleich in manchem nicht Eurer Meinung sein kann. Um Kopf und Schweif gleich zusammen zu paaren: so glaub ich nicht, daß ein Künstler etwas Gutes hervorbringen werde, der ohne deutlichen Begriff, ohne klares Gefühl von Schönheit zu Werke schreitet.

Nach Platons Erklärung, den Ihr mir wohl zu kennen scheint, ist die Schönheit die ursprüngliche Idee der Dinge in Gott. Und die Seelen, die sein Anschauen genossen und diese Ideen erkannten, schaudern, wenn sie in diesem Leben die Bilder davon mit den Augen erblicken, erinnern sich dunkel ihres vorigen Zustandes, erschrecken und werden entzückt. Ihre Schwingen regen sich, gehen vom warmen Einfluß auf, der Federstock keimt und so weiter.

Es ist gewiß eine erhabne Hymne auf die Liebe und liegt tiefe Wahrheit zugrunde.

Was sich selbst bewegt, ist Seele, ewig, ohne Anfang: davon alles Werden und alle Körper, die sich bewegen. Schönheit ist die vollkommenste Harmonie der Bewegung, und die Seele erkennt darin ihren reinsten Zustand. Schönheit gibt der Seele das lauterste Gefühl ihres Daseins. Schönheit ist die freieste Wohnung der Seele. Schönheit erinnert die Seele an ihre Gottheit, an ihre Schöpfungskraft, und daß sie über alle die Körperwelt, die sie umgibt, ewig erhaben ist. Im Anfang macht ihr dies Freude, aber endlich Pein; sie sieht sich gefangen, und daß sie nicht mehr ist, was sie war: und die Tränen rinnen über ihren nichtigen gegenwärtigen Zustand. Doch stärkt sie wieder ihre ewige Natur, und die süße himmlische Hoffnung regt ihre Fittiche, daß sie doch bald aus dieser Dunkelheit, aus diesem Wahne von Irrgestalten sich erheben werde in das Licht zu den Scharen der seligen Geister, wo weder Frost noch Hitze abwechseln, und alles ist in seiner mannigfaltigen Wahrheit und ursprünglichen Schönheit.

Nicht geboren werden übertrifft alle irdische Glückseligkeit; und wenn du da sein wirst, so ist, je geschwinder, je besser, wieder dahin zu kehren, wo du herkömmst. Sobald die Jugend sich einstellt mit ihren tollen Streichen, wer windet sich mit aller Arbeit daraus? wer steckt nicht in Plagen und Leiden? Morde, Parteien, Streitigkeiten, Gefechte und Neid. Auf die Letzt überschleicht uns das unzufriedene, schwache, menschenscheue, verhaßte Alter, wo alle Übel haufenweis zusammen wohnen.

So seufzte selbst der bewunderte Sophokles am Ende seiner glücklichen und glänzenden Laufbahn.

Ihr sagt: Schönheit nackender Gestalt sei viel für Auge und den ganzen körperlichen Menschen, wenig für den innern? Sie allein ergriff das Unsterbliche nicht?

Wenn wahr ist, was Ihr selbst behauptet, daß, wer ein Ganzes täuschend am geschwindesten in die Seele bringt, den Vorzug erhalte: so steht wohl bildende Kunst aller andern voran; die Seele genießt vor ihren Werken, der mühseligen Zeitlichkeit entrückt. Ihre Zeichen, wodurch sie darstellt, scheinen die Sache selbst zu sein, so leicht verschwinden sie; sie sind die natürlichsten und sichersten und gelten überall einerlei ohne Mißverstand. Ich habe hier volle Gewißheit, da ich bei Poesie immer träumen muß und nach Wirklichkeit hasche. Bei ihr hab ich alles zusammen mit einem Blick, und dies ergreift den Niedrigsten bis zum Höchsten. Mit einem Wort: ihr ist allein die Schönheit im strengsten Verstand eigen; denn diese muß mit einem Blick aufgewogen werden können.«

Hier wurd er erbittert und schüttete auf einmal das Kind mitsamt dem Bad aus; und fiel in meine Rede.

»Alle bildende Kunst«, behauptete er streng, »ist am Ende bloß Oberfläche. Und dies ist die Ursache, warum wahrhaftig große Menschen unter den Künstlern mit ihren Werken so selten zufrieden waren. Sie konnten nur wenig von dem hineinbringen, was sie fühlten; und dies nicht einmal so rein bestimmt, daß es gerade dasselbe Leben wieder erregte. Ein gen Himmel gekehrtes Auge, nehmen wir das edelste Glied, das am deutlichsten vom Innern spricht, was kann dies zum Exempel nicht für vielerlei ausdrücken? Ich brauch es nur obenhin; denn ich weiß wohl, daß alle Professoren im Grunde der Natur keins nachmachen. Bei einem Volke von Stummen, da möchten die bildenden Künste in der Tat viel vermögen; denn sie hätten da mehr Natur für sich nachzuahmen; bei uns andern Menschen aber, die wir den größten Teil unsrer Empfindungen und Gedanken mit der Sprache ausdrücken, wo sich besonders bei den Vortrefflichen am wenigsten die Gebärden ändern, die, wie man sogar bei Gelegenheit des Laokoon bemerkt hat, auch bei den heftigsten Gefühlen sich selten von außen regen, läßt sie ihnen vielleicht gerade das Schlechteste übrig; und der größte Künstler kann oft so wenig von einem Sokrates, Lykurg und Epaminondas darstellen als von einem unvergleichlichen Sänger oder Geiger.

Nehmen wir vollends, wie sauer, und selbst nach dem Ausspruch des alten Michelangelo, kinder- und weibermäßig auch dies Schlechteste muß nachgeahmt werden, und welch eine unerträglich mechanische Übung auch für Menschen von der höchsten Fähigkeit dazu gehört, ehe sie es zur Vollkommenheit bringen; und daß das meiste Wirkliche der bildenden Kunst in den Sälen der Großen jämmerlicher Wust und Unsinn ist: so gehört wahrlich ein starker Entschluß dazu, sich in ihr Feld zu wagen. Ihre besten Gegenstände bleiben gewiß die andern Tiere und Pflanzen, Gras und Bäume; diese können sie darstellen, die Künstler! den Menschen sollen sie dem Dichter überlassen. Die Landschaftsmalerei wird auch endlich alle andre verdrängen. Und also können wir gewissermaßen die Griechen übertreffen, weil wir uns gerad an die wahren Gegenstände machen, die sie verfehlt haben.

Nichts wirkt recht auf den Menschen, was stillesteht; aller Stillstand wird bald Tod.

Es bleibt gewiß eine Kleinigkeit, einen Cäsar, einen Brutus von außen auch vertrefflich zu malen und zu bildhauen, gegen das herauszuholen, was in ihnen steckt. Auf der Oberfläche kann man den Menschen leicht kennenlernen: aber im Innern, in der Tiefe? Da gehört ganz andrer Gehalt und Stand dazu.


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