Wilhelm Heinse
Ardinghello und die glückseligen Inseln
Wilhelm Heinse

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Ich lernte nun seine Tochter kennen, eine erzgute frohe junge Hausmutter; und ihren Mann, einen muntern trefflichen Wirtschafter; und einen kleinen Engel von Söhnchen: so daß ein schönes Ganzes in lebendiger Ordnung war. Das alte mit Efeu bewachsne Gemäuer der kleinen Landburg fand ich innen bequem eingerichtet. Ich nahm gegen Mittag bei ihnen ein gesundes köstliches einfaches Mahl ein. Nach Tische schlummerten wir alle ein paar Stunden; und dann fuhren wir ab, und mich ergötzten unendlich die Seewellen, so grünlicht klar und weich und furchtbar lieblich schroff über den Abgründen, wo jede auch in ihrer Kleinheit sich majestätisch als Tochter des unermeßlichen Ozeans zeigte.

Wir langten gerad auf den Rennplatz an, als die Pferde schon vorgeführt wurden. Die Sitze waren lauter Licht und Glanz von schönen und prächtig gekleideten Herren und Damen, mit einer Menge Volks überall. Der Pferde waren nur drei; aber alle drei mutschnaubende königliche Tiere, so daß es schwer war, vorauszubestimmen, welches den Preis davontragen würde. Man hatte deswegen große Wetten angestellt; die mehrsten waren für einen göttlich schönen Rappen, der sich an den Schranken gar nicht wollte halten lassen. Ein Falk stand dagegen still da: doch brach der Blick seines Augs in die Bahn wie ein Sonnenstrahl, und sein Fuß hob sich leicht wie lauter volle Nerve. Wie das Seil fiel, tat auch der Rapp einen Vorschuß; in der Mitte der Bahn aber zog der Falk so aus und überholte die andern, daß sein Gang schneller war als die Geschwindigkeit eines Sturmwinds über gelbe Saaten; er flog dahin, und seine Bewegung war das Entzücken aller Augen, selbst derer, die gegen ihn gewettet hatten. Kurz, er gewann den Preis, jedoch mit Not, und ward hernach erst unbändig.

Nach dem Wettrennen war Komödie und nach der Komödie der nächtliche Schmaus. Gegen Ende desselben, als Wein und Gespräch die Lebensgeister in stärkre Wallung gebracht hatten, fing Boccadoro an sein Saitenspiel zu rühren. Es entstand eine allgemeine Stille: und die Töne seiner Griffe waren wie ein leises Flüstern am heißen Mittag in kühlen Wäldern von den Seelüften. Sein Geist taumelte darauf durch die alten Zeiten der griechischen Heroen; und er sang die Hochzeit des Peleus und der Thetis, schmückte die Fabel aus mit lieblichen Worten und ging davon auf die Gegenwart über, schilderte den Bräutigam als einen neuen Peleus, ebenso von den Göttern beglückt, und seine Braut als die jüngre Thetis.

Auf einmal wendete sich dann der alte Schalk an mich, der ich hinter ihm unter den andern Spielleuten in der Ecke stand, und zog mich hervor als einen andern Apollo, wenn ich seine Worte wiederholen darf, der plötzlich den Apennin herabgekommen sei, dies Fest noch zu verherrlichen: und überreichte mir die Zithar.

Ich ward überrascht und glühte vor Scham auf in der fremden glänzenden Gesellschaft. Ein freudiges Murmeln lief durch den ganzen Saal, und aller Blicke flogen auf mich. Es half hier keine Weigerung, wenn ich nicht wollte zum Gespött und zuschanden werden. Ich entschloß mich also kurz, die Sache so gut abzumachen, als mir möglich war, und wählte die mir leichteste Versart, nach der Melodie, die den immer stärker einschlagenden anapästischen Rhythmus hat und Dich so oft ergötzte.

Nach wenig einfachen Akkorden sang ich geradeso, wie es war, meine Überraschung und Verwirrung, und daß ich Boccadoren hieher folgte, die Pracht und Schönheit des Festes zu sehen, ganz fremd und unbekannt, ein bloßer Wandrer hier, seit wenig Stunden. Doch Euer Ruhm, fuhr ich fort, geht über Meer und Alpen; und wer ist der kalte neidische Mensch, den Eure glückliche Liebe nicht begeistern sollte? Nehmt gefällig die wenigen Blumen an, die ich mit geschwindem Raub über Eure Tafel streue.

Der Sohn der Thetis strahlt nun durch alle Nachwelt, weil er einen Homer zum Sänger hatte: wieviel größer aber waren Kolumb und Doria? und wie weit kann die Frucht Eurer Liebe an edlern Taten über ihn hervorragen, als wegen eines verblühten durchgegangnen Weibes von einem Manne, den die Natur zum Hahnrei bestimmte und der weder in Bund noch Freundschaft mit ihm stand, dreimal um die Mauren von Troja herumzulaufen und alsdenn den ermüdeten Feind in den Hals zu stechen! Als wegen eines abgewiesenen Pfaffen einen greulichen Lärm anzufangen, und dann seine Geliebte darüber geduldig hergeben und sich ans Meer setzen und weinen!Man erinnere sich hier, daß Poesie in Italien so gemein war und noch ist, daß Handwerksleute Homerische Fabel und Mythologie kennen.

Verzeihe mir diese Lästerungen, bester Freund; Du weißt, daß ich die Homerische Natur tiefer fühle als das vornehme Weltvolk auf der Oberfläche, die nicht zu ihren Moden paßt. Aber Du kennst das Sprichwort: unter den Wölfen muß man mitheulen.

Ich beschrieb darauf die Gegend von Genua und ihre Bewohner; pries dieser Heldenmut von den fernsten Zeiten an; und daß es besser läge als selbst das alte Rom, die Inseln des Tyrrhenischen Meers und Küsten von Afrika zu beherrschen. Erzog nun im Gesang den jungen Themistokles, die Seligkeit der Mutter und des Vaters über denselben und die goldnen Zeiten seiner Bürger, und machte allen Gästen nach den süßen Gütern das Maul wässerig; jeder schien im Herzen zu schwören, sich dabei anders aufzuführen als ihre Vorfahren beim Kolumb, von dessen hohem erfindrischen Geist sie mehr Schimpf und Verachtung als Ehre haben.

Ich wurde während des Liedes bei einigen glücklichen Stanzen von lautem Jubel unterbrochen und erhielt, wie ich aufhörte, großen Beifall, der mir nur insofern wohlgefiel, weil ich mich aus der Verlegenheit gezogen hatte.

Man stand nun vom Tisch auf, und es ging zum Ball. Als die Braut vor mir vorbeigeführt wurde, begrüßte sie mich mit einem festen lüsternen Blick und wollüstigem Lächeln und rief mir zu: »Bravo!« Sie hielt noch den Kopf zurück, als sie vorbei war, und Mienen und Gebärden gestatteten Kuß und Umarmung, wenn wir allein wären; ganz die Gestalt einer Bacchantin in Glut und Üppigkeit, voll Körperreiz mit frecher Seele: welche Weiber mir nur in gewissen Momenten gefallen können. Ich fühlte wenig Neigung, nähere Bekanntschaft mit ihr zu machen; wohl aber mit einem andern Frauenzimmer, dessen Mutter, was die Formen des Gesichts betrifft, sich an dem Vatikanischen Apollo versehen zu haben scheint, nur ohne Stolz und Zorn, vielmehr alles heilige Güte; ein wunderbares Geschöpf!

Ich erfuhr von Boccadoren, es sei eine Freundin der Braut und hielte sich bei ihr auf. Die Eltern wären verunglückte Kaufleute aus Nizza in der Provence gewesen und vor einigen Jahren gestorben. Die Braut heißt Fulvia und die Freundin Lucinde; ich verlangte die letztere tanzen zu sehen, aber sie tanzte nicht.

Etwa zwei Stunden nach Mitternacht darauf, als der Ball am lebendigsten war, hörte man einige Schüsse fallen, und bei der plötzlichen Stille darüber ein ängstlich Schreien und wieder Schüsse, und Getümmel die Treppe herauf nach dem Saal. Und in einem Augenblick, ehe man eine Hand umwendet, brachen gräßliche Männer mit Säbeln und Gewehr in den Händen zur vordern Tür herein. Man stand wie versteinert, und wollte fliehen und konnte nicht, und wußte nicht, wohin. Alles drängte sich auf die Seiten nach den Fenstern und wo nur eine Öffnung war; und heulte und jammerte, und alle Gesichter färbte die Todesblässe.

Wir wurden von Seeräubern überfallen, nach den gelben afrikanischen Gestalten; und an Gegenwehr war wenig zu denken. Ein Teil von denselben besetzte die Tür, wo sie hereinkamen, andre faßten gleich die Braut und griffen zuerst nach den Frauenzimmern und schleppten sie fort. Ich stand zu Ende des Saals an den Fenstern nach dem Garten; die ersten von Adel sprangen mit Gefahr hinaus. Ich wurde fast vom Getümmel erdrückt und konnte kaum eine Pistole losreißen, die ich sogleich nach dem stärksten Kerl an der Tür abbrannte. Die Kugel traf so glücklich ihn zum linken Ohr hinein, daß er auf der Stelle stürzte. Der Knall verschaffte mir einigen Raum, so daß ich die andre zog und zugleich meinen Degen. Während der Zeit hatten sich noch andre Genueser und Bedienten mit Gewehr versehen und schlugen im Mangel desselben mit Stühlen drein. Die Räuber hieben mit ihren Säbeln um sich und spalteten etlichen die Köpfe und verwundeten diejenigen, welche voran waren. Doch brachten wir sie endlich zur Tür hinaus, die sie aber von außen besetzt hielten, so lange, bis ihre Gefährten mit der Beute bis ans Meer kamen und sie einschifften. Alsdenn wichen sie, und wir hatten das Nachsehen, ohne ihnen viel Schaden zufügen zu können, weil sie ihren Angriff zu gut angeordnet hatten.

Der Bräutigam selbst bekam eine starke Wunde; und ein paar von den vornehmsten Gästen lagen ohne Hülfe niedergestreckt. Die Wackersten machten sich mit dem Johann Andreas Doria, welcher, wie Du weißt, die türkische Flotte mit besiegen half, von dem Geschlecht des großen alten, gleich auf nach Genua, um den Räubern nachzusetzen: und ich wollte mit dabeisein. Es war eine Frechheit seit undenklichen Jahren ohne Beispiel.

Wir langten dort gegen Morgen an. Fünf Dreiruderige wurden ausgerüstet, und wir stachen eine Stunde am Tag in die See, als noch die Sonne mit einem eingefallnen Nebel kämpfte; der Wind hatte sich die Nacht geändert, und ein Scirocco blies von Südosten! Wir wußten nicht, wohin unsre Fahrt zu halten, und machten uns auf die Höhe zwischen beide Küsten. Endlich nach und nach, obgleich langsam, erweiterte sich der Gesichtskreis: und die Gebirge fingen an sich zu zeigen unter der grauen Hülle; und erst gegen Mittag lag die Wasserwelt uns einigermaßen vor Augen, jedoch von allen Seiten so mit Dunst umfangen, daß wir nichts entdecken konnten.

Doria beschloß nun, zwei Schiffe abzusondern und dieselben auf Sizilien zu streichen zu lassen: er selbst wollte mit den andern über Korsika hinaus in die provenzalischen Gewässer. Noch ehe wir ausliefen, wurden auf beide Seiten Jagdboote ausgesendet; keines aber war zurückgekommen. Ich blieb auf dem Schiffe, wo er selbst war. Es ging nun in vollem Zuge. Noch kannten wir die Stärke der Feinde nicht; bei Nacht und Nebel hatten wir die Anzahl ihrer Barken nicht unterscheiden können.

Am Abend kam das Jagdboot wieder und verkündigte, daß es den Feind bei Monaco im Gesicht erreicht hätte; die Räuber seien vier große Galeeren stark. Wir ruderten die ganze Nacht; und den andern Morgen, als sich das Wetter aufheiterte, erblickten wir ihre Segel. O wie klopfte mir das Herz, bald im Schlachtgetümmel zu sein! Der Tod ist dabei doch nichts anders als eine freie Bahn auf die edelste Art in die Geisterwelt aus diesem Chaos von Unwissenheit.

Sie entdeckten uns gleichfalls und verdoppelten ihre Ruderschläge. So strebten wir den ganzen Tag.

Eben als die Sonne, nach dem Stesichoros, aus den Lüften in den goldnen Becher trat und den Ozean hinabschwamm zu den finstern Tiefen der heiligen Nacht, taten wir die ersten Kanonenschüsse nach ihnen; wir hatten den Vorteil des Windes über sie, und sie machten darauf halt, weil sie nicht weiter flüchten konnten. Wir griffen sie schier in gerader Linie an und dehnten uns etwas aus, damit sie uns nicht von den Seiten ankonnten. Wir brachten ihnen einige herrliche Lagen bei und waren weit besser als sie mit grobem Geschütz versehen. Nach mancherlei Wendungen kamen wir, als schon die Dämmerung sich einsenkte, mit zwei Schiffen aneinander zum Handgemenge, und unser drittes suchte die zwei andern Galeeren abzuhalten, die es entern wollten.

Ich befand mich auf dem erstern und kämpfte mit aller Gewalt und Besonnenheit, deren ich fähig war. Noch hatt ich zum Glück keine Wunde, aber die Kugeln vom kleinen Gewehr und Säbelhiebe streckten manchen an mir nieder. Endlich drangen wir ein in ihre größte Galeere, und ich war unter den erstern, mit einem starken Dolch in der Linken, und in der Rechten den Degen, und im Gurt noch eine geladne Pistole. Bevor ich übersprang, stieß ich einen ihrer Kecksten darnieder, der schon im Zuge war, dem Doria mit seinem sichelförmigen Damaszenersäbel den Unterleib durchzuschneiden, und rettete diesem so das Leben. Mit einem andern auf der feindlichen Barke, der auf mich einhieb, wurd ich hernach bald fertig; doch konnt ich mit dem Dolch seinen Streich aus beiden Fäusten nicht so ganz abhalten, daß er mir nicht ein wenig im Herunterschellern den linken Arm streifte: ich traf ihm darüber gerade die Kehle, daß er die Zunge herausstreckte.

Sie wichen und ergaben sich; nur der, welcher der Anführer schien, sprang unters Verdeck: und ich ihm nach. Und sieh! hier steckte die Braut mit der andern Beute. Er holte mit dem Säbel weit nach ihr aus, um ihr den Kopf vom Rumpfe zu hauen: ich aber kam ihm zuvor und stach ihm die Klinge mit ganzem Leibe unter dem aufgehobnen Arm ins Haarwachs, daß er auf die Seite stürzte, zog sie heraus und gab ihm dann vollends den Rest.

Die Hauptgaleere war nun übermannt, allein die andre wehrte sich desto fürchterlicher. Ein junger Mann, noch ohne Bart, focht wie ein Verzweifelter und hatte neben sich viele Toten liegen; und er würde sich frei gemacht haben, wenn wir andern nicht den Unsern zu Hülfe gekommen wären. Auch diese mußte sich dann ergeben. Inzwischen flüchteten die zwei andern, nachdem sie unser drittes Fahrzeug eroberten, mit diesem. Wir setzten ihnen nach, verloren sie aber in der Dunkelheit: und den Morgen darauf waren sie uns aus dem Gesichte, und wir konnten ihren Weg nicht entdecken.

Doria kehrte ärgerlich nach Hause, daß die Sache nicht besser abgelaufen war. Vielleicht hätt er gar nicht angegriffen, wenn nicht einer seiner Verwandten aus dem Tanzsaal mit wäre weggeschleppt worden, den er nun doch wieder frei machte. Es ging hier Not an Mann, und die äußerste Gefahr war in der Säumnis. Die zwei andern Schiffe hätt er freilich nicht nach Sizilien ausschicken sollen; aber wer kann alles vorhersehen? Wer wußte, daß die Räuber so stark waren? Nach geschehener Tat ist jeder Tropf klüger als Hannibal und Cäsar.

Ich hingegen war glücklich wie ein Gott; mich dünkte, daß ich erst das wahre Leben recht geschmeckt hätte. Doria, der Strenge, machte bei allem seinem Verdruß mir große Lobsprüche und sagte öffentlich: »Du hast einen schönen Anfang gemacht, Junge; wenn du länger lebst und so fortfährst, wird ein berühmter Held aus dir werden.« Fulvia, deren Schutzengel ich gewesen war, dankte mir mit Tränen voller Zärtlichkeit. Aber mehr als alles, auch die schöne Provenzalin Lucinde befand sich unter den Geretteten; die nur noch jämmerlich an der Seekrankheit litt und bis aufs Blut von sich gab. Ich hatte nicht die geringste Anwandlung davon gespürt; und es erquickt mich durch Mark und Bein, daß ich dieses Element und dessen lebendige Bewegung noch immer von meinem Knabenalter an so wohl vertrage.


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