Hermann Heiberg
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Hermann Heiberg

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Vornehme Menschen.

Lange hatte er sinnend dagesessen vor seinem großen, hellpolierten Schreibtisch. Nun erhob er sich mit einem tiefen Seufzer und rückte sich mit der Miene eines Menschen, der einen harten inneren Kampf zu bestehen hat. Und dann verharrte er für Augenblicke unbeweglich, überschaute das, was er sein Eigentum nannte, und ließ, weil die Erinnerungen gekommen waren an ganz andere vergangene, glückliche Zeiten, einen schwermütigen Ausdruck in seinen Zügen erscheinen. Eben warf die Sonne einen breiten, glänzenden Strahl in das Gemach, verschönte die Gegenstände auf dem Schreibtisch und verlieh selbst den bisher unsichtbar in der Luft schwebenden Staubpünktchen einen goldschimmernden Kern. Aber sie umfing auch mit ihrem funkelnden Licht das große, hellgelbe Bücherregal mit den vielen farbenreichen Bücher-Einbänden, den in der Mitte stehenden, mit Schriften und Papieren bedeckten Tisch und hob die anmutigen Farben eines kleinen, grünen Sophateppichs und die von den Fenstern herabfallenden, dunkelroten Kattungardinen. Aber obschon jegliches wohlerhalten war und eine durch sorgsames Behüten geförderte, blanke Altersglätte besaß, sah man doch dem Ganzen eine gewisse Kargheit an; der Eindruck drängte sich dem Auge auf, daß die Schubladen der Möbel keine Schätze verbargen, daß vielmehr die Sorge hier ein häufiger Gast sei.

Und so war es auch!

Nebenan saßen zwei blasse Frauen in tief herabgebückter Haltung und stickten für Geld. Auch drinnen hatte alles ein sauberes, aber schwermütiges Gesicht. In manchen Wohnungen ist's, als ob sich den toten Dingen mit der Zeit der Charakter seiner Bewohner aufgedrängt hat, als zwar des Willens ermangelnde, aber doch bewußt schauende und empfindende Gegenstände können sie dem Blick erscheinen.

Der ernste Mann mit dem durchgeistigten Gesicht, dem grauhaarigen Kopf und dem ebenso gefärbten Bart war einst ein vielgelesener Schriftsteller gewesen. Keine Zeitschrift gab's, die nicht sein Bild gebracht und von seinem Lebensgang erzählt hätte; keine Woche, oft kein Tag war auch vergangen, an dem nicht die Post Briefe gebracht hatte, in denen ihm Bewunderer seines Schaffens ihre Huldigung ausgedrückt. Seit einer Reihe von Jahren war das nur noch eine Erinnerung. Neuer Geschmack überliefert sogar das der Lächerlichkeit, wozu sich einst die ganze Welt bekannt, auf dessen Wert und Berechtigung sie geschworen.

Der Doktor Emanuel Wulpius bediente sich eines zu feinen Handwerkzeuges, um noch zu gefallen.

Es war die Zeit, in der man lieber sich beweisen ließ, daß jeder Mensch im Grunde ein Schuft sei, als daß man dem Zauber einer Stifter'schen Naturschilderung sich hingab.

Mit dem fliehenden Ruhm hatte die Tagesnot ihren Einzug bei ihm gehalten, und sie war geblieben. Sie und die Sorge hatten sich in der letzten Zeit in den kleinen Gemächern bei Wulpius so breit gemacht, daß die Bewohner schier darunter erstickten.

Hilfe mußte der Mann, der die ganze Daseins-Verantwortung für die Familie trug, schaffen. So wollte er denn, da er in vorderster Linie für's tägliche Brot zu sorgen hatte, zum ersten Mal in seinem Leben, das stets ein musterhaftes gewesen durch Ordnung, weise Beschränkung und Sparsamkeit, zu einem reichen Bekannten gehen und ihn um ein Darlehn bitten.

Entsetzlich war ihm dieser Gang! Hätte er ihn abkaufen können durch körperliche Schmerzen oder ein Quantum Seelenqual, er würde willig dazu bereit gewesen sein.

Geld erbitten, das fast ohne Ausnahme jeder liebt wie seinen zärtlichsten Schatz, auf dasjenige einen Anspruch erheben wollen, von dem sich keiner ohne Ueberwindung trennen mag, es sei denn, daß die Hergabe der Befriedigung des Genusses, oder Eitelkeit dient, war für Wulpius gleichbedeutend mit tiefster Beschämung. Und mit dem Nehmen war's ja nicht abgethan. Er wußte, ihn würde täglich die Pein foltern, wie er es zurückzugeben vermöge.

So gering das Ehrgefühl ausgeprägt ist bei den Durchschnittsmenschen, so stark bei vornehmen Naturen.

Der Mann, zu dem sich Wulpius begeben wollte, war ein reicher Industrieller. Wulpius hatte seit langen Jahren sein gastliches Haus besucht; jene Freundschaft verband die Familie, auf die selbst völlig verschiedene Lebensverhältnisse keinen störenden Einfluß auszuüben vermögen. Aber freilich, Wulpius war einer der wenigen, die den Freund und hilfsbereiten Mann niemals in Anspruch genommen. Er hatte es sogar ängstlich vermieden, je von Geld und Sorgen zu reden. Er wußte, sein Freund hatte deren auch, oder es bliesen ihm die Menschen, die ihn brauchten, täglich davon in die Ohren!

Als Wulpius über den etwas dunklen Flur der Wohnung schritt, um sich hinabzubegeben, kam ihm seine Frau, eine Dame mit einem stillen, sanften Gesicht, in dem die Spuren einstiger Schönheit noch nicht durch die Falten des Grams verwischt waren, nachgegangen, schmiegte sich zärtlich an ihn und flüsterte zaghaft: »Gehst Du jetzt zu Encke wegen des Geldes?«

Er nickte kurz.

»Möge es Dir gelingen, mein guter Mann! Es ist höchste Zeit. Ich will Dir nur sagen, daß ich schon seit den letzten Tagen kein –«

Aber er konnte es nicht hören, was sie noch sagen wollte. Er entwand sich ihr, den Kopf in tiefer Bedrückung bewegend und stieg die Treppe hinab.

Draußen schwamm die Welt in flammendem Gold. Einer jener Tage war's, an denen sich die Sonne mit ihren strahlendsten Gürteln geschmückt hatte. Das grüne Laub der Bäume und Gebüsche des Parkes, den Wulpius zu durchschreiten hatte, um in die innere Stadt zu der Wohnung des Geheimrats Encke zu gelangen, war durchglänzt von funkelndem Licht, und zwischen dem hochgewölbten blauen Himmel und der sonnenumfluteten Erde flimmerte eine sanft abgeklärte, reine, kühl durchhauchte Luft, durch welche die Brust sich freier hob, die den Menschen ein Gefühl froher Daseinswonne verlieh. Not und Sorge schienen plötzlich verweht, der einfachste Arbeiter zeigte ein fröhliches Gesicht, und wohin das Auge blickte, sah man vergnügte Menschen.

Aber es giebt doch solche, die im Sonnenschein frieren. Und frierenden Herzens, fast unempfänglich für das ringsumher, was seine Feder so oft unnachahmlich beschrieben, durchwanderte der Mann den Park und wand sich durch das lärmend-hastige Straßengewühl. Nun stand er, einem vorüberfliegenden Gefährt kaum ohne Gefahr ausweichend, vor dem großen, villenartigen Steinbau seines Freundes.

Wie immer schob sich das Gesicht des Portiers mit forschender Miene hervor. Als er aber den Herrn Doktor erblickte, verneigte er sich rasch und mit ehrerbietig zuvorkommender Miene. Im Nu sprang die Thür zurück, und der Fuß des Bittstellers betrat die über den schneeigen Marmorstufen ausgebreiteten roten Läufer.

»Du würdest mir nicht so devot begegnet sein, wenn Du wüßtest, was ich heute hier will,« flüsterte Wulpius, des Portiers gedenkend, vor sich hin während er emporstieg. Und als er nun eine Treppe hoch, die Klingel zog, krallte sich etwas um sein Herz, das ihm schier den Atem nahm. Und der Diener erschien, und der mit den Hausverhältnissen genau Vertraute erklärte, daß die Herrschaften gerade ausgehen wollten, aber für den Herrn Doktor sicher noch zu sprechen sein werden. Er bitte, geneigtest näher treten zu wollen.

Wulpius sah bereits das beschäftigte Gesicht des Geheimrats vor sich; er war wie immer voll herzlicher Artigkeit, aber der Ausdruck verriet, daß er Eile habe. Zum behaglichen Plaudern, was er sonst sehr liebte, fehlte die Zeit. So war denn – da für das Gelingen von Bittvorstellungen als erste Bedingung gilt, daß man den Geber in rechter Stunde und Stimmung zu treffen weiß – das Darlehnsgesuch zur Hälfte schon dem Mißerfolg preisgegeben, und da Wulpius sich das klar machte, trat er nun in nur noch größerer Befangenheit seinem Freunde gegenüber.

Es vollzog sich auch alles fast so, wie er vorausgesetzt hatte. Er sah beim Durchschreiten des Flurs links im Korridor die Geheimrätin in Hut und Mantel, und sie entwich, als sie Geräusch an der Thür vernahm. Der Geheimrat aber hatte, als Cornelius das Wohnzimmer betrat, den glänzenden Cylinderhut und die tadellosen Handschuhe bereits in der Hand und ein: »Verzeihen Sie freundlichst, daß meine Gattin nicht erscheint. Sie ist bei der Toilette. Wir müssen nämlich einen unaufschiebbaren Besuch machen – –« drängte sich, während er dem Freunde die Rechte entgegenreichte, sogleich über seine Lippen.

So war es denn sicher nichts mit dem Reden. Ungelegener konnte ein Gespräch für beide Teile nicht sein. Aber der Gedanke, unverrichteter Sache zurückzukehren, auf die Frage seiner Frau zu erwidern, daß er kein Geld bringe und auch keins in Aussicht habe, ferner noch die nämliche Qual der Ungewißheit durchkosten zu sollen, die jetzt seit Tagen ihn gemartert hatte, ließ Wulpius alles zurückgedrängen und nach knapper Einleitung sagen:

»Es ist mir sehr leid, in diesem Augenblick Sie gerade zu stören, Sie mit einer Angelegenheit zu belästigen, die Ihnen vorzutragen, ich seit acht Tagen in Aengsten und Unruhe geschwankt habe. Aber es geht eben nicht mehr, keinen Tag so mehr! Ich muß auf die Gefahr hin reden, Ihren Unwillen zu erregen, hochverehrter Herr Geheimrat. Und um kurz zu sein – –« Wulpius stockte – stockte, weil er sah, daß sich in dem Ausdruck teilnahmsvoller Spannung, der die Mienen seines Freundes verändert hatte, plötzlich etwas von unbequemer Ueberraschung mischte. Und dann fuhr er, mit aller Gewalt sich aufraffend, fort: »Also, ich wollte Sie herzlich bitten, mir auf monatlichen Abtrag 800 Mark leihen zu wollen. Einbußen, die ich durch unverkäuflich gebliebene litterarische Arbeiten in der letzten Zeit erlitten, haben mich gänzlich zurück und sogar in eine schwere Notlage gebracht. Es ist das erste Mal in meinem Leben, daß ich jemanden um Geld anspreche, es wird mir namenlos schwer, aber ich weiß mir nicht mehr.« –

Und dann stockte er wieder, und dann sagte der Geheimrat, dessen Angesicht den Wulpius entmutigenden Ausdruck zwar abgestreift hatte, in dessen Wesen aber eine gewisse gezwungene Zuvorkommenheit zum Ausdruck gelangte:

»Die Summe ist sehr hoch, lieber Herr Doktor. Sie ahnen nicht, welche Ansprüche an mich herantreten, wie ich selbst oft Mühe habe, bei den starken Kreditansprüchen zu disponiren. Ich kann Ihnen deshalb nicht gleich Antwort erteilen; ich muß mir mit Ihrer Erlaubnis erst überlegen, ob und in wie weit ich Ihnen dienen kann. Ich betone aufrichtig das Wort können, denn ich habe ungezählte Tausende, ja, ein ganzes Vermögen repräsentierende Summen von unberichtigten Darlehen in meinen Büchern, und zudem liegt das Geschäft momentan so darnieder, daß ich gar nicht sehe, wo das herausgeht. Sie sollen aber noch heute schriftliche Mitteilung haben, und seien Sie überzeugt, daß ich thun werde was ich vermag.« Und dann kurz abbrechend: »Nun aber, mein lieber Herr Doktor, verzeihen Sie gütigst, wenn ich Sie wegen unserer Visite – –«

»O ich –«

»Bitte, bitte, nichts zu entschuldigen, grüßen Sie herzlich Ihre Damen, ich hoffe, wir sehen uns bald einmal!«

Wenige Minuten später stand Wulpius auf der Straße. Obschon er das wirkliche Leben so oft wahrheitsüberzeugend geschildert, auch solche Scenen in der Nachempfindung bei anderen zur Darstellung gebracht hatte, glich er selbst jetzt in seiner Fassungslosigkeit einem hilflosen Kinde.

Ihm war zu Mute, als habe er ein Verbrechen begangen und als ob ihm die Verurteilung auf dem Fuße folge. Er hoffte auch nichts, Verzweiflung saß in seinem Herzen. Aber er grollte dem Freunde nicht. Seine edle Seele erging sich sogar in Sorgen um den, der ihm seine eigenen schweren Nöte nicht vorenthalten hatte – –

* * *

Am Spätabend dieses Tages, nach Stunden schwerer Spannung ward ein Brief gebracht. Er trug die bekannte Handschrift des Geheimrats und lautete:

»Lieber Herr Doktor!

Wenn Ihnen mit vierhundert Mark gedient ist, bitte ich, dieselben morgen vormittag an meiner Kasse im Hinterhause gefälligst abholen zu wollen.

Mit der Rückzahlung hat es durchaus keine Eile.

Ihr treu ergebener
Encke.«

Das erste Gefühl, das Wulpius ergriff, war das der Befreiung von einer ungeheueren Last. Die entsetzliche Ungewißheit war von ihm genommen, und zudem hatte er den Freund, den man in der Regel durch dergleichen Geldansprüche verliert, nicht verloren. Die Fassung, zwar nach Art der Geschäftsleute kurz und bündig, bewies es. Seine vornehme Gesinnung, von der Wulpius so oft Proben gehabt, kam zum Ausdruck. Er forderte keinen Darlehnsschein und sprach nicht von Zahlungsterminen. Aber gerade dadurch verschärfte sich in Wulpius das Gefühl schrankenlosen Dankes, gerade dieses Entgegenkommen, diese Form erhöhte den Drang, nicht einer der vielen zu sein, die wohl nehmen, aber an Rückerstattung nicht denken, vielmehr ihm, dem hochherzigen Geber das Darlehn so bald wie irgend möglich zurückzugeben. Und in einem überquellenden Gefühle gab er solchen Empfindungen auch Ausdruck und schrieb dem Freunde noch am selbigen Tage.

* * *

Nach diesem Geschehnissen waren fast drei Jahre verstrichen, und zu den tausendfältigen Veränderungen, welche die Zeit mit sich geführt, gehörte auch die Thatsache, daß der Verkehr zwischen Encke's und Cornelius völlig aufgehört hatte. Von der Seite des Gebers war gleich im Beginn des Herbstes die gewohnte Einladung an die Familie erfolgt, aber Wulpius, der noch nichts hatte zurückgeben können, hielt die Scham zurück, sich seinem Freunde zu nähern.

Als er sich später rüsten wollte, Ecke einen Besuch zu machen, seine Verzeihung einzuholen, warf ihn eine lange, schwere Krankheit darnieder, und sie verschlang alle Gedanken an die Vergangenheit,

Zunächst galt es, nach Wiederkehr von Gesundheit und Arbeitskraft die täglich drängenden, bis dahin kreditgewährenden Lieferanten zu befriedigen; Geld für sonstige Zwecke herbeizuschaffen, lag außer dem Bereich der Möglichkeit. Und nun ergriff Wulpius abermals solche Scham, ein Säumiger, gar Wortbrüchiger gewesen zu sein, daß er sogar, um der Seelenpein zu entgehen, die Gedanken an den Freund von sich abwies, zu einem Besuch aber erst recht sich nicht aufraffte.

Wiederum leitete Encke sein Zartgefühl, in dem Freunde nicht durch abermalige Einladung den Eindruck einer damit beabsichtigten Mahnung hervorzurufen, und so schlief der Verkehr gänzlich ein, und sie sahen sich in Jahr und Tag nicht mehr. Und als es dennoch einmal im Park, vor der Stadt, geschah da wichen sie sich beide aus, jeder von seinen Gründen geleitet, Drei Wochen später verlor Wulpius seine Tochter an einem Nervenfieber; Überarbeit hatte sie niedergeworfen. Die Sorge wich gleich fressendem Schwamm nicht von der Schwelle der Geprüften, und mit dem Ende des dritten Jahres pochte die Armut mit so grausam harten Schlägen an die Thüren der Wulpius'schen Wohnung, daß der Mann verzweifelt auf die Kniee sank und den Himmel um Rettung anflehte.

Die Kenntnis dieser furchtbaren Not gelangte an das Ohr des Geheimrats, und da er eben in seinem Kontor überrechnete, welche Summen er für das Weihnachtsfest an Arme und Bedürftige austeilen wollte, notirte er auch Wulpius' Namen. Am kommenden Tage schloß er 200 Mark in ein Kouvert und überschrieb es mit verstellter Handschrift an den alten Freund, hinzufügend:

»Bei nachträglicher Honorar-Kalkulation ergiebt sich, daß Ihnen noch 200 Mark auf eine mir vor Jahren gelieferte litterarische Arbeit zukommen; sie folgen unter größter Entschuldigung für das Versehen anbei.

N. N.«

Und am Morgen des Weihnachtsfeierabends lief unter den vielen Briefen, die Encke erreichten, ein rekommandiertes Schreiben ein, das folgendermaßen lautete:

Hochverehrter Herr Geheimrat!

Wenn Sie in mein Herz blicken könnten, so würden Sie finden, daß neben der Sorge, die mich in den letzten Jahren wahrhaft erbarmungslos verfolgt hat, zwei Empfindungen darin Raum haben: das Gefühl schrankenlosen Dankes für Ihre Freundschaft und die Scham, Ihnen Ihr Vertrauen so schlecht belohnt zu haben.

Ich habe weder Ihnen etwas zurückgezahlt, noch jemals mich wieder bei Ihnen sehen lassen. Ich bitte, glauben Sie es, daß tiefe Bedrückung mich so handeln ließ, nicht Mangel an Dankbarkeit, die nie aus meinem Innern zu weichen vermag. Heute kann ich – zu meiner unbeschreiblichen Freude unverhofft in den Besitz eines rückständigen Honorars gelangt – Ihnen wenigstens die Hälfte des Kapitals zurückgeben, und feiere, ich sag' es hochbeglückt, ein Fest sondergleichen!

In herzlicher Verehrung und in der Hoffnung, daß Sie mir nicht allzusehr zürnen – ich bitte Sie darum – bin ihr alter Freund

Wulpius.«

Encke verharrte nach der Lektüre dieser Zeilen eine Zeit lang in starker innerer Bewegung. Selten, fast nie, wo er gegeben, hatte er Dank geerntet. Er hatte auch seine Hand nicht um Dank aufgethan, er handelte, weil ihn ein tiefes Mitleid für das Leid seiner Mitmenschen erfüllte, weil er – ein selten guter Mann – so handeln mußte.

Wenn aber einmal etwas aufsprang, wie an diesem Tage, wenn er wieder glauben lernte an Rechtschaffenheit und wahrhaft vornehme Gesinnung, dann regte sich das Menschentum in seinem Innern zwiefach.

Ein Mensch, der, er wußte es, fast hungerte, obschon er täglich bis in die Nacht arbeitete und jeglichem Überflüssigen entsagte, einer, der für sein Schaffenskönnen und seine Schaffensfreudigkeit schon deshalb heitere Bilder und frohe Eindrücke gebrauchte, weil sie die Nahrung für seinen Geist bilden sollten, bei der Entbehrung alles dessen also geistig und körperlich darbte, hatte nichts eiligeres zu thun, als das, was für ihn im Augenblick mit Luft, Licht und Speise gleichbedeutend war, zurückzugeben!

Ja, diejenigen die selbst unsaubere Seelen haben, wie können sie glauben, daß es solche mit reinen Herzen giebt? Sie schreien auf die Gassen, jeder Mensch sei eine Art Bestie, nur die Grade seien verschieden. – –

* * *

Der heilige Abend war erschienen. In dem Wohnzimmer von Wulpius brannte die kleine Lampe trübe, wie sonst. Die Frau saß zeitweilig durch Thränen, die von ihrem blassen Wangen herabrieselten, am klaren Sehen gehindert, an Weißwäsche, die sie für ein Geschäft einzurichten hatte. Drinnen arbeitete Wulpius, der noch an einer Neujahrsgeschichte für eine Zeitschrift zu schreiben hatte. Er schilderte das Glück von Menschen, die lange danach ausgeschaut. Des Jahres Ende hatte es gebracht! Die Leser wollten einmal einen guten Abschluß. Sie mochten nicht gern an des Lebens Elend erinnert werden.

Aber mitten in der Arbeit ließ er den Körper zurückfallen, weil plötzlich ihm so viele Thränen die Augen verdunkelten.

Die sorgenvollen Gedanken stellten sich ein und nahmen ganz von ihm Besitz.

Wenn er das Honorar für die Arbeit nicht unmittelbar nach den Feiertagen erhielt, war's aus mit allem.

Er fühlte auch, es saß abermals etwas in ihm, etwas Krankes, Schweres, das ihn niederwerfen würde,

Nichts zerrüttet den Körper mehr, als Sorge. Und was dann? Wenn er sich wiederum hinlegte, wie in dem vergangenen und vorhergehenden Jahre?

Nun öffnete sich die Thür, Frau Wulpius erschien, Ein Bote sei da.

Der Mann nickte, stand mit müder Bewegung auf und trat ins Wohnzimmer.

»Blos abzugeben an Sie selbst!« Nun verschwand der Fremde wieder.

Wulpius ließ sich neben seiner Frau auf einen Stuhl nieder und öffnete zerstreut. Er war bei seiner Geschichte; was dieses Kouvert enthielt, war ihm schon bekannt. Es kam zweifellos von demselben Zeitschriftenverleger, für den er noch eine zweite kleine Arbeit anfertigen sollte.

Aber etwas anderes enthüllte sich. Eine Quittung über 800 Mark. Auch lagen 400 Mark in Scheinen dabei, und auf einer Karte stand:

»Ich kann Ihnen, mein lieber Wulpius, heute den Rest der damals gewünschten Darlehnssumme übermachen, nämlich 400 Mark. Was Sie aber hoffentlich noch mehr freuen wird, ist die Mitteilung, daß es mir gelungen ist, Ihnen eine feste einträgliche Stellung bei der Montagszeitung zu verschaffen, Ich hörte zufällig von einer Vakanz und besuchte den mir befreundeten Verleger sogleich. Er erwartet Sie zu einer Rücksprache!

Und nun wieder den Kopf oben – bitte – dann feiert ein doppeltes fröhliches Weihnachtsfest Ihr alter treuer Freund

Paul Encke.

N.S. Allernächstes werden wir Ihnen auch unsern Besuch machen. Verzeihen Sie, daß es nicht schon lange geschah!«

Der Mann, der das las, schluchzte so laut, daß das kleine Hündchen, daß sonst so still unter dem Tisch lag, in ein wimmerndes Gebell ausbrach. Was seinem lieben Herrn wohl fehlte? – Hatte er wieder Sorgen – –?

 


 


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