Hermann Heiberg
Aus allen Winkeln
Hermann Heiberg

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Die Raupe.

In der flachen Landschaft, an der Biegung der großen Fahrstraße lag das Pastorenhaus, aber doch ganz einsam für sich. Zehn Minuten brauchte man, um ins Dorf zu gelangen. Und drinnen hockte der Herr Pastor in seinem Bücherzimmer mit der ewig dampfenden Pfeife, und im Haufe wirtschaftete die zierliche, aber durchsichtig blasse Frau Pastorin. Lene Merzius hatte sie früher gehießen, und mit diesem Namen verband sich der Begriff junger, blühender Schönheit und jener Lebensfreudigkeit, die jauchzend den Tag genießt und sich von dem Kommenden noch viel Herrlicheres verspricht.

Aber wer erst zwanzig Jahre verheiratet war, auf dem Lande einsiedlerisch lebte, und zudem bei winziger Einnahme mit täglichen Sorgen zu kämpfen hatte, der streifte wohl die Illusionen ab! Die Pastorin Lene Joost besaß nur noch eine Hoffnung, und zwar die, daß ihrer blonden Lene, ihrem einzigen Kind, diejenige, an der sie täglich hing mit den Augen stiller Liebe, in deren süßem Kinderlachen sie Trost gefunden, und bei deren angstvollem Weinen ihr Herz gezittert, in deren Pflege, Erziehung und Umgang ihr später das geworden, was sonst ihre hungernde Seele hatte entbehren müssen, – ein anderes, besseres Los möge beschieden sein. –

Am kommenden Tage war Lene schon neunzehn Jahr geworden, und diesen Tag sollte sie zum erstenmal in der Stadt bei ihrer Tante feiern.

Das junge Mädchen hatte sich schon einigemale früher dort aufgehalten, aber die inzwischen verstorbene Mutter ihres Vaters, bei der sie gewesen, hatte zu denen gehört, die verdrießlich hinter den Blumentöpfen hocken, keine rechte Menschenliebe in der Brust tragen und sich in die Bedürfnisse der Jugend nicht mehr hineinzusetzen wissen. Den ganzen Tag hatte sie an Lene herumerzogen, es gab viel Thränen, aber kein Lachen und fast niemals ein Vergnügen.

Die Tante jedoch, die kinderlose, verwitwete Amtsrichter Burg, zu der sie sich diesmal begab, war aus völlig anderem Holz geschnitten.

Die holte sich den Sonnenschein, wenn er von draußen einmal nicht hereinscheinen wollte, aus allen Ecken und Winkeln hervor. Sie machte sich jeden Tag zu einem fröhlichen Festtag, dadurch nämlich, daß sie alles Brüten über unabänderliche Dinge mit kurzem, energischem Kopfschütteln von sich abstieß, dagegen allem lebhaft die Hände entgegenstreckte, was gut, schön, anregend, erquicklich und wahrhaft wertvoll war.

Und dazu war sie weltklug, wie wenige, und Lene sollte eine Probe davon werden.

»So, nun ist alles gepackt!« erklärte die kleine Frau Pastorin Joost und überreichte Lene den Schlüssel zum übervollen Koffer. Schwer war's gewesen, ihn zuzumachen, aber sie hatte sich mit beiden Knieen kräftig draufgestemmt und dann rasch den Schlüssel umgedreht. So war's geglückt!

Und der Pastor trat hinaus aus dem vollbepackten, tabakdurchräucherten Gartenzimmer und küßte Lene auf die Stirn, und ihre liebe Mutter nahm sie draußen auf dem Flur noch einmal in ihre Arme und liebkoste sie, indem sie ihren Mund auf deren frischen Lippe drückte.

Ein wenig altfränkisch sah Lene aus, kaum besser als ein kleines Handwerkermädel im Sonntagsstaat. Aber das rosige Gesicht, die treuen, blauen, tiefen Augen, die zarten Farben, die schlanke Fülle entzückten.

Um dieser Reize willen wußte sich die Frau Pastorin ihre Bedenken wegzureden. Als Lene sich auf den vom Dorf beorderten, ihrer harrenden offenen kleinen Wagen hinaufgeschwungen hatte, fand die kleine blasse Frau Pastorin sogar, daß vorhin ihre Augen falsch geblickt! Lene sah »sehr« nett aus.

Und dann noch einmal ein freundliches Zuwinken von den beiden Zurückbleibenden, das Lene gerührt erwiderte, und die dicken beiden Schwarzen flogen mit einer Vehemenz davon, als ob es sich um Ringfahren und Preisbewerben handele.

Das Haus der Frau Amtsrichter lag am Stadtteich umgeben von Gebüsch und Bäumen. Alle die Gebäude dort besaßen ein reizvolles Ansehen. Dieses aber war besonders anziehend, man hätte es verkörperte Poesie nennen können. Rosen, weiße, rote, gelbe zwischen Epheu und grünen Schlinggewächsen! Dazu das Stück einer weißem Mauer.

Und in der Thür stand bei Lenes Ankunft die korpulente kleine Frau Amtsrichter Burg, die zwar nur mit dem einen Auge sehen konnte, in welchem aber wahre Raketenfeuer der Lebendigkeit sprühten. Und sie hatte ein bezwingendes Lachen an sich, und schon während sie über den Flur schritten, erzählte sie eine eben passierte, allzu drollige Geschichte von Petra, der Hauskatze, nicht zu verwechseln mit Minka, der Hofkatze!

Und sofort berichtete sie auch, daß Lene zu einer Waldfête bei dem Justizrat Harms eingeladen sei, und bat, daß sie gleich nach Tisch ihre Garderobe auskramen solle, damit im Fall noch etwas daran verbessert werden könne.

Und so geschah's. Aber so recht wollte Frau Burg nicht gefallen, was zum Vorschein kam. Der Schnitt der Kleider war so schrecklich unmodern, das in Frage kommende Kleid besaß so viele, Lenes hübsche Figur beeinträchtigende Volants und Garnierungen, und Art und Farbe des Stoffes verrieten einen wenig geläuterten Geschmack,

Aber so viel auch Frau Burg überlegte, es war nicht recht etwas zu machen; schon die Zeit war zu kurz, gründliche Aenderungen vorzunehmen. Lene mußte so gehen, und um ihr Mut zu machen, erklärte die Tante: »Sehr niedlich siehst Du aus, mein Lenchen. Die Hauptsache aber ist: Du bist mädchenhaft und bescheiden! Das ist, selbst mit Laternen in der Hand, heutzutage wenig zu finden.« – –

* * *

»Gut amüsiert, Lene –?«

»Ja, sehr schön, Tante – Nur zuletzt –«

»Na, das ist ja herrlich – Und nur zuletzt?«

In Lenes frohbewegte Züge trat ein Ausdruck schmerzvoller Bedrückung, und erst auf abermaliges Zureden berichtete sie zögernd:

»Ganz zuletzt hörte ich, daß sich zwei von den Herren unterhielten. Von der dicken Christa Dorn mit dem roten Gesicht sagten sie, sie gliche einem gekochten Hochzeitskrebs – und von mir –« Lene stockte. Sie stockte, weil allzu starkes Schluchzen sie am Weitersprechen verhinderte.

»Nun, mein süßes Kind – Weine nicht – Sag' mir alles! Es wird Dich erleichtern –«

»Ich gliche einem Speiselokal zu 30 Pfennig – Sehe ich denn so häßlich, so schrecklich, so ärmlich aus?« schloß sie bitterlich weinend und warf sich in tiefer Verzagtheit an die Brust der Älteren.

»Wer war der Flegel?« stieß die erregte kleine Frau Amtsrichter mit starkgerötetem Gesicht heraus. »Wer erlaubte sich diese lotterigen Reden –?«

»Ich – ich – weiß nicht – ich habe seinen Namen nicht verstanden. – Es war, glaube ich, ein Fremder –« gab Lene zurück.

Freilich hatte Lene hier eine fromme Lüge gesprochen. Der, welcher so gespöttelt hatte, war der junge Advokat von Amberg.

Und gerade in den hatte sich Lene beim ersten Sehen verliebt.

Er war ein intelligenter, lebensstrotzender junger Mann. Man sah, er hatte sich nicht nur etwas Nordseewind, sondern noch andere stählende Luft um die Nase wehen lassen –

Und deshalb hatte sie ihn auch nicht preisgeben wollen, um alles nicht. Sie haßte ihn, aber sie liebte ihn noch tausendmal mehr.

Die kleine, resolute Frau Amtsrichter aber faßte nach ihrem Geständnis einen doppelten Entschluß.

Sie wollte einen Ball geben, zu dem sie alle Welt einlud, und sie wollte Lene eine Garderobe dazu anschaffen, wie sie die Leute in Wisborg noch nicht gesehen hatten!

Sie konnte es, ihre Mittel gestatteten ihr das durchaus. Ihr Mann war wohlhabend gewesen, er hatte ihr sein ganzes Vermögen hinterlassen.

Und wie geplant, so geschah es.

Eben hatte Frau Burg die letzte Hand angelegt. Die Gemächer strahlten. Im großen Saal oben waren die langen Tische gedeckt, und Leinen, Silber und Kristall blitzten. In der Küche dampften die Schüsseln verführerisch, und im Anbau standen in den Kübeln die Weißweine und der innerlich kochende Champagner.

Von diesem Feste sollten die Wisborger noch Monate sprechen.

Und nun schlüpfte die behende Frau zu Lene hinein, die sich noch beim Ankleiden befand.

Eine zu solchem Zweck beorderte Friseurin steckte ihr eben das prachtvolle blonde Haar auf.

Und dann wurde das ausgeschnittene Ballkleid in rosa Seide angelegt. Ah! Wie Lene Joost schön war! Der Hals, die Büste glänzten verführerisch. Solche Farben und eine solche Rundung der Arme sah man nie.

Und als dann das junge Geschöpf, selbst hingerissen von ihrem eigenen Anblick, vor dem Spiegel sich emporrichtete und ein: »Nun, wie find'st Du mich, beste Tante, liebe, gute Tante, die Du mir alles so liebevoll gespendet hast?« hervorstieß, da schien's der Geberin fast ein Geschenk, daß sie dieses vollständig verwandelte, wundervolle Gebilde an ihre Brust drücken durfte. –

* * *

»Wie, was – Lene – Kind! Nein, es ist nicht möglich! Dieser nette, allbegehrte Mensch! – Wie kommt's, Mädel? Berichte! – Und wirklich bereits verlobt? – Er will morgen herkommen? –

Ja, gewiß, eine sehr gute, höchst angesehene Familie, die von Ambergs.

Der Vater war Präsident in Lauenburg, eine Schwester ist mit dem Gutsbesitzer von Laudien in Stecksee verheiratet – Nun, nun erzähle doch – Ich sah wohl, daß Ihr viel zusammen tanztet. Aber das –!«

Und Lene berichtete. Sie wußte jedoch eigentlich nur zu sagen, daß das von ihr beobachtete, stark sarkarstische Wesen des jungen Doktors sie damals bei Harms schon so sehr angezogen, er aber sie so gut wie garnicht beachtet habe. Um so glückseliger sei sie gewesen, daß er sie diesmal gleich von vornherein außerordentlich ausgezeichnet, fortwährend mit ihr getanzt, und sogar zu Tisch geführt habe.

Und beim Schluß des Kotillons hätte er gesagt:

»Werden Sie um Gotteswillen. meine kleine Frau, Fräulein Helene, sonst muß ich mich dreimal hintereinander totschießen!«

Und da habe sie ihm die Hand gedrückt, und er habe ihr nach dem letzten Galopp nebenan im Kabinett einen langen, zärtlichen Kuß gegeben und geflüstert:

»So, nun bist Du meine kleine, süße Braut, und wer was dagegen sagt, den denunziere ich beim Landgericht, und morgen trete ich bei Deiner Tante an!« –

* * *

»Ja, mein verehrter Herr Doktor! –

Bitte, Lene sieh' mal nach, wer da draußen herumkramt – und bringe auch etwas Kuchen und Wein mit – ich freue mich von ganzem Herzen, daß Sie das liebe Mädel heiraten wollen! Aber Sie sind auch nicht betrogen! Sie erhalten wirklich eine Perle!

Und damit Sie es wissen, es wird Sie interessieren:

Als Lene vor vierzehn Tagen von dem Waldfest bei Harms zurückkam, da fiel sie mir um den Hals und schluchzte ganz zerknirscht: Alles sei ihr verdorben durch eine herzlose, sie herabsetzende Bemerkung von seiten einer der hochmütigen Gesellen, die dort im Frack umherstolziert seien. So einer von diesen hohlen Neuzeit-Monsieurs, die allezeit nach dem gleißenden Kupfer greifen, die für echtes Gold nicht einmal ein Auge besitzen.

Also dieser unerzogene Flachkopf hatte über Lene spöttisch lachend geäußert: sie gliche in ihrer Erscheinung einem Speiselokal zu 30 Pfennig – He – He! War sie nicht süß gestern, wahrhaft reizend, nicht schön wie eine frische Pfirsichblüte? –«

»Ja, ich will's meinen, verehrte Frau Tante – gestatten Sie, daß ich Sie so nenne – und wenn ich den frivolen Burschen, der so über meine Braut gesprochen, herausfinde, so soll er nachträglich eine Lektion haben, an die er bis an das jüngste Gericht zu denken hat – Daß ich ihm eine Kugel in die Breitseite schieße, steht schon unter allen Umständen fest. Ich denke aber, ihm auch noch fünf Spitzmäuse extra in den Schädel zu brennen« – hauchte Amberg mit solch wildfunkelnden Augen und zugleich mit einem solchen sarkastischen Lächeln – einem Lächeln, das zum Glück der Frau Amtsrichter völlig entging – daß die kleine Dame aufs ängstlichste zusammenschrak, ihre Offenherzigkeit schon bitter bereute und auch gleich auf Amberg ablenkend einsprach.

»Um Gotteswillen! Um Gotteswillen, bester Herr Doktor. Nur nicht so erregt! Nein. nein! Lassen Sie die Sache ruhen. Es hat ja der unverschämte Geselle gewissermaßen schon seine gerechte Antwort. Dadurch hat er sie, daß ein Mann wie Sie unser Lenchen zu seinem Eigentum machen will!«

»Ja – freilich – das ist richtig – das ist richtig!« bestätigte Amberg –»wennschon ich das für mich in Ihren Worten liegende Kompliment nicht annehmen darf. An sich aber ist es sehr zutreffend –«

Amberg sprach's mit einem Ausdruck in den Mienen, als ob er von dieser Auffassung der Lösungsmöglichkeit der fürchterlichen Angelegenheit ganz überwältigt werde.

Und als dann nun eben Lene wieder ins Zimmer trat, sprang er empor und umfaßte sein Bräutchen nach Befreiung von Wein und Kuchen mit einer solchen stürmischen Zärtlichkeit, daß im alten Landpastorenhaus, wenn's dort geschehen, sicher Wände und Schornstein ins Schwanken geraten wären. Und die Weinflasche auf dem Tisch wackelte im lustigen Mitvergnügen auch hier im Stadthaus, und mit einem glückseligen Lächeln schaute die kleine Frau Amtsrichter auf diejenige, die sich aus einer Raupe in einen Schmetterling verwandelt, »dadurch jenem elenden Witzreißer bei Harms bewiesen hatte, wie andere, wie der allbegehrte Herr Doktor von Amberg über die von ihm verspottete Nichte, Lenchen Joost dachten! –«

Und diesen Gedanken gab sie auch Ausdruck, nachdem die beiden sich aus ihrer Umarmung gelöst hatten, aber sie fügte noch hinzu, und Amberg pflichtete mit einem Gesichtsausdruck bei, der abermals bewies, wie furchtbar erregt er im Grunde über den erbärmlichen Monsieur war.

»Aber nicht wahr!? Sie lassen die Sache von der ich Ihnen erzählte, ruhen, bestimmt ruhen. Er ist bestraft, und der Lohn genügt!«

Und Amberg nickte ernsthaft, und was dann an Lachen sich nicht zurückdrängen ließ, das verwischte er durch einen Kuß, den er Lenchen, die neugierig nachfragte, was denn eigentlich vorliege, auf den rosigen Mund drückte.

»Ich erzähle Dir alles nachher ausführlich, Lenchen –« erklärte er besänftigend – »Jetzt wollen wir erst einmal an die Eltern schreiben, ihnen mitteilen, daß Du Dich allernächstens schon Frau Doktor von Amberg nennen willst – Gelt Lenchen?«

Ah! Welch' ein strahlender, glückseliger Ansdruck über das Antlitz der »Raupe« – über das Antlitz »des Speiselokals zu 30 Pfennig« flog.

 


 


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