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Solche Gegengründe waren zuvörderst, daß der Detektiv die Staatsobligation nicht wirklich gesehen hatte, und dieselbe, auch wenn sie vorhanden war, nicht gestohlen zu sein brauchte. Zudem war das vermeintliche Bankzirkular vielleicht ein ganz anderes Papier, und daß Mr. Smith 1000 Dollars statt 500 bezahlt hatte, ließ sich möglicherweise damit erklären, daß noch ein Posten von einem früheren Handel her zu berichtigen war, von welchem der Polizist nichts wußte.
Gegen eine Verhaftung lagen gleichfalls triftige Bedenken vor. Sie war nur zu rechtfertigen, wenn die Durchsuchung von Mr. Smiths Taschen ergab, daß die Obligation wirklich zu den gestohlenen Stücken gehörte. Im entgegengesetzten Falle wuchs die Schwierigkeit für die Behörden. Ließ sich Mr. Smiths Schuld nicht erweisen, so kam er entschieden in Vorteil, er war gewarnt und konnte sich mit Aufbietung seines ganzen Scharfsinns vor ferneren Angriffen schützen. Ihn verhaften hieß demnach, alles auf einen Wurf setzen, ohne die Wahrscheinlichkeit eines günstigen Erfolgs. Wartete man dagegen die Sache ab, so war der Verlust gering und der mögliche Gewinn groß. Deshalb beschlossen die Geheimpolizisten nach reiflicher Ueberlegung, für jetzt von einer Festnahme abzustehen.
Doch war ihnen noch ein anderer Weg offen, sich Gewißheit zu verschaffen. Sie konnten, ohne die Hilfe des Gesetzes anzurufen, Mr. Smiths Reisesack und Taschen untersuchen; das war jedoch ein mißliches Verfahren und nur im äußersten Falle anwendbar. Ob ein solcher hier vorliege, mußten sie rasch und nach eigenem Urteil entscheiden, denn es blieb ihnen keine Zeit, auf Anweisung aus dem Hauptquartier zu warten. Vor allem galt es aber, Mr. Smiths Spur zu folgen, um zu erfahren, was er mit dem Staatspapier beabsichtige und sonst für Geschäfte in Chicago habe.
Sein Aufenthalt in dieser Stadt war jedoch schon zu Ende. Der Portier des Hotels teilte den Polizisten mit, die Rechnung des Herrn sei bezahlt, und er wolle den Nachtzug zur Rückkehr nach New-York benutzen. Bis zur Abfahrt des Zuges fehlte nur noch eine halbe Stunde; die Detektivs sprangen in eine Droschke, die sie noch rechtzeitig zum Bahnhof beförderte. Beim Einsteigen in den Zug sahen sie zu ihrer Befriedigung Mr. Smith bequem in einer Ecke des Rauchcoupés sitzen. Seine Miene war heiter wie die eines Mannes, der glücklich an das Ziel seiner Wünsche gelangt ist. Einer der Geheimpolizisten nahm neben ihm Platz, und es entspann sich ein Gespräch, bei welchem Mr. Smith durchaus nicht zurückhaltend war. Bald wußte der Polizist, daß ihre Betten im Schlafwagen sich in gegenüberliegenden Abteilungen befanden, und eben wollte er die Rede auf ein ihm noch interessanteres Thema bringen, als sein Mitreisender das Zigarrenende fortwarf und höflich bemerkte, er sei die ganze vorige Nacht gereist und zu schläfrig, um noch länger aufzusitzen. Der Detektiv erklärte darauf, daß auch er der Ruhe bedürfe, und begleitete den andern nach dem Schlafwagen, bei welcher Gelegenheit er sich überzeugte, daß Mr. Smith außer seinem Handkoffer kein Gepäck bei sich führte.
Der Polizist entledigte sich nur seines Rocks und seiner Schuhe; er warf sich auf das Lager, ungewiß, wie er nun verfahren sollte. Mr. Smith dagegen machte sich's zur Nacht bequem und setzte seine hochelegante, rotseidene Schlafkappe auf; Stiefel und Handkoffer schob er unter das Bett, wickelte sich in die Decke, zog die Vorhänge zu, wünschte seinem Nachbar gute Nacht – und wenige Minuten später verriet sein regelmäßiges Schnarchen, daß er fest eingeschlafen war.
Auf dem Rücken liegend wälzte der Detektiv unterdessen die Frage in seinem Haupte, ob das gestohlene Staatspapier in dem Koffer oder in einer Rocktasche stecke.
Die übrigen Reisenden kamen nun einer nach dem andern herein, bis endlich alle in ruhigem Schlafe lagen, und die Vorhänge sämtlich zugezogen waren. Nur in einem Winkel des Wagens saß der Neger, welcher die Wache hatte, zusammengekauert und in einen Leihbibliothekband, Jules Vernes ›Reise nach dem Mond‹ vertieft. Der Detektiv legte sich auf die Seite und sah durch einen Ritz seines Vorhangs den ledernen Griff von Mr. Smiths Koffer unter dem Bett hervorragen.
Plötzlich warf ihn ein heftiges Stoßen des Wagens fast aus seiner Koje. Dann folgte eine Anzahl wilder Sprünge, ein Schütteln und Rütteln, als sei der ganze Wagen auf einmal aus Rand und Band geraten. Dazu erscholl das wirre Angstgeschrei der jäh aus dem Schlummer geschreckten Reisenden. Nun schien der Boden des Wagens zur Decke zu werden, das unterste kehrte sich zu oberst, klirrend zerbrachen die Fenster, die Balken krachten, der Wagen rollte auf die Seite und blieb unbeweglich liegen.
Wahrhaftig, ein Eisenbahnunglück! sagte der Detektiv für sich. Das Zetergeschrei, das Heulen und Stöhnen, welches einen Augenblick geschwiegen hatte, während der Wagen den Damm hinuntergeschleudert wurde, begann jetzt mit erneuter Kraft. Dazwischen tönte hysterisches Gelächter, das, wie man später erfuhr, von dem schwarzen Wächter herrührte. Aus seinem Buch aufschreckend, hatte er geglaubt, er sei mit dem Mond zusammengestoßen und fliege nun kopfüber durch den Raum – eine Vorstellung, bei welcher ihm die Sinne vergingen.
Der Detektiv war inzwischen behend wieder aufgesprungen und konstatierte, daß er mit heiler Haut davongekommen war. Mit den Füßen stand er auf der Seitenwand des Wagens oder vielmehr an der Stelle des früheren Fensters, mitten unter Bettstücken und allerhand Gerät, vor ihm erhob sich der Boden, hinter ihm die Decke des Wagens wie eine Mauer, während die Coupéabteilungen ihn rechts und links einschlossen.
Wüßte ich nur, ob ich in meiner Koje bin oder in einer fremden! sagte er.
Er fühlte in seiner Westentasche nach einem Wachsstreichhölzchen und zündete es an. Das brannte doch wenigstens zwei Minuten!
Schnell blickte er nach der Nummer der Abteilung – nein, es war nicht die seinige, sie war ungerade und mußte daher an der gegenüberliegenden Seite des Schlafwagens sein.
Richtig, sagte er, jetzt erinnere ich mich; es ist Mr. Smiths Nummer, ich bin in seine Koje geflogen.
Vor ihm hing ein Rock am Nagel. Mit der Hand in die innere Brusttasche fahrend, zog er eine Brieftasche und eine Anzahl Papiere heraus, die er rasch überflog. Auf einigen stand Mr. Smiths Name, die Staatsobligation war nicht darunter, auch in der Brieftasche fand er sie nicht. Enttäuscht tat er die Sachen wieder an ihren Platz.
Das Wachslicht war ihm inzwischen bis auf die Finger heruntergebrannt; er blies es aus und suchte sein Auge an die Dunkelheit zu gewöhnen. Alles umher war in Aufruhr und Verwirrung, aber von Mr. Smith keine Spur zu sehen. Der Gedanke, daß der Herr verunglückt sein könne, war ihm höchst unwillkommen, sowohl vom rein menschlichen Standpunkt aus, als vom fachmännischen. Er war ihm ein angenehmer Gesellschafter gewesen und wußte wahrscheinlich mancherlei, was der Polizist gern erfahren hätte.
Beim Schein eines zweiten Wachszündholzes sah er jetzt vor sich, unter dem Bett eingekeilt, den Handkoffer, welcher merkwürdigerweise bei dem allgemeinen Umsturz seine Stelle behauptet hatte. Mit gewaltigem Ruck brachte er ihn glücklich heraus. Der Schlüssel steckte noch im Loch, wo Mr. Smith ihn gelassen, als er sich zur Nacht umzog. Außer Beinkleidern, Pantoffeln, Wäsche und anderen Artikeln, die zur Reiseausrüstung seines Herrn gehören, enthielt der Koffer jedoch nichts – keinen Schnitzel Papier irgendwelcher Art. Seufzend schloß der Polizist den Koffer wieder ab. Was nutzte nun das Eisenbahnunglück, was nutzte es, daß er geradeswegs in Mr. Smiths Koje gefallen war, wenn er die Staatsobligation doch nicht fand?! –
Eben wollte er sich daran begeben, Mr. Smith selbst aufzusuchen, als ihm die Stimme des Vermißten zu Ohren drang, und ein Kopf an der Oeffnung der nächsten Abteilung erschien.
Wissen Sie vielleicht, fragte die Stimme, wo sich Nummer neun befindet?
Dies ist Nummer neun. Gehören Sie hierher?
Ich glaube wohl, doch ist mir etwas wirr zu Sinne. Beim Herausfallen habe ich mir eine große Beule am Kopf geholt. Sind meine Kleider da?
Es hängen welche am Nagel, auch steht hier ein Handkoffer.
Mit Händen und Füßen arbeitete sich Mr. Smith nun heraus und kam endlich in ganzer Figur zum Vorschein; noch etwas schwindelig und unsicher auf den Füßen, ließ er sich sogleich auf die am Boden liegenden Betten niederfallen. Seine rotseidene Schlafkappe war fort, und eine dicke Beule auf der kahlen Stirn sichtbar.
Warum sie nur kein Licht bringen! seufzte er trübselig, in dem schwarzen Loch läßt sich ja gar nichts finden!
Ich habe Wachskerzen hier, versetzte der Detektiv höflich. Suchen Sie etwas Besonderes?
In diesem Wirrwarr ist doch alles vergebens, auch ist mir noch zu übel zumute. Nun zündete der Polizist sein drittes Wachslichtchen an, von dessen Schein geblendet Mr. Smith sich hilflos umsah. Ich hatte ein Papier, sagte er, würden Sie wohl so gut sein, dort in meiner Rocktasche danach zu sehen.
Der Polizist zitterte fast vor Erregung. Vielleicht ein Wertpapier? fragte er.
Ganz recht, es repräsentiert einen beträchtlichen Wert, lautete die Antwort, bei welchem dem andern alles Blut zu Kopfe stieg. Ich habe gestern eine Obligation gekauft, fuhr Mr. Smith langsam fort, einen 5-20-Staatsschuldschein, für tausend – ich will sagen fünfhundert Dollars.
Er scheint nicht darunter zu sein, entgegnete der Detektiv, jenem die Papiere einhändigend, kann ich vielleicht anderswo suchen! So etwas verliert sich nicht ohne weiteres.
Es ist nur ein kleiner Papierstreifen, etwa drei oder vier Zoll lang. Ach, jetzt besinne ich mich: ich habe ihn in die Westentasche gesteckt. Bitte, sehen Sie einmal nach!
Das ist kaum möglich, eine 5-20-Obligation in der Westentasche! –
Es war ja nicht das Stück selbst, nur der Schein! –
Der Schein? Was denn für ein Schein? rief der Detektiv, dessen Horizont sich plötzlich verfinsterte wie das heruntergebrannte Wachslicht in seiner Hand.
Der Postschein, entgegnete Mr. Smith und erhob sich mit leisem Schmerzgestöhn, um nach seinen Kleidern zu tasten. Die Obligation selbst bei mir zu behalten, war mir zu ängstlich; ich gab sie daher vor der Abreise in einem Geldcouvert zur Post. –
Als der Geheimpolizist tags darauf in New-York anlangte, berichtete er sein Abenteuer und Mißgeschick im Hauptquartier. Es blieb nichts übrig, als in Mr. Smiths Hause selbst weiter nach der Obligation zu forschen. Da er so großen Wert auf das Papier legte, hatte er es schwerlich aus den Händen gegeben, auch ließ sich nicht annehmen, daß er die Absicht hegte, es zu vernichten, sonst hätte er es nicht erst noch in Chicago an seine New-Yorker Adresse auf die Post gegeben. Wie sollte die Haussuchung aber ohne sein Wissen ins Werk gesetzt werden?
Während man noch beschäftigt war, die verschiedensten Pläne zu fassen und wieder zu verwerfen, erschien eines Tages eine Anzeige in der Zeitung, die ebensogut als Schicksalsfügung betrachtet werden konnte wie das Eisenbahnunglück. Es wurde ein Privatsekretär gesucht, und als Adresse für etwaige Lusttragende Mr. Smiths Straße und Nummer angegeben. Ein zu dem Zweck abgeordneter Geheimpolizist begab sich sofort dahin, stellte sich dem Herrn vor und hatte nach Ablauf einer bestimmten Frist die Ehre, unter einer größeren Anzahl von Bewerbern gewählt zu werden.
Der neue Sekretär übernahm ohne Zeitverlust die doppelten Pflichten, denen er sich teils in Mr. Smiths Dienst, teils im Auftrag des Hauptpolizeiamtes zu unterziehen hatte. Erstere waren höchst seltsamer Art. Der Herr, wie sich herausstellte, ein leidenschaftlicher Sammler, war Liebhaber von wunderlichen Raritäten. Ein Teil derselben, mit dem der neue Sekretär sich besonders beschäftigen sollte, bestand in etwa dreißig Sammelbüchern von Ausschnitten aus den verschiedensten Zeitungen, die ausschließlich Beschreibungen von Verbrechen enthielten, welche in den letzten zehn Jahren in New-York verübt worden waren, nebst Angabe aller damit verbundenen Umstände und Folgen. Missetaten jeglicher Art waren vertreten, aufs sorgfältigste eingetragen und die Bände mit genauem Inhaltsverzeichnis versehen. Mit Hilfe derselben wollte Mr. Smith seine Absicht ausführen, unter dem Titel: »Großstädtische Verbrechen im Zeitraum von zehn Jahren«, ein Buch herauszugeben, das einen Auszug aus dem gesammelten Material, mit seinen eigenen Anmerkungen und Erklärungen versehen, enthalten sollte. Er hatte schon eine lange Einleitung dazu geschrieben und vierzig bis fünfzig Seiten des Werkes selber verfaßt, war dabei jedoch zu der Einsicht gekommen, daß die mechanische Arbeit des Schreibens ihm zu lästig sei. Diese sollte nun der neue Privatsekretär übernehmen, die passenden Stellen der Zeitungsausschnitte ordnen und das Buch selbst nach Mr. Smiths Diktat schreiben.
Einem fleißigen Arbeiter eröffnete sich hier Aussicht auf jahrelange Arbeit, und bei dem freigebigen Gehalt des Herrn Smith, auf eine wahre Lebensstellung. Dem Hauptpolizeiamt kam es allerdings vielmehr auf schnelle Erreichung seines Zweckes an, und demgemäß stürzte sich der Sekretär mit wahrem Feuereifer in die Arbeit und war auf alle Weise bedacht, das Wohlwollen und Vertrauen seines Herrn zu erwerben. Zwar litt Mr. Smith keinen Mangel an Schriftstellereitelkeit, aber der Sekretär hütete sich, in den bekannten Irrtum des Gil Blas zu verfallen, und war bald mit seinem Prinzipal auf dem besten Fuße. Dieser besaß eine wahrhaft erstaunliche Kenntnis von allen Verbrechen und Spitzbuben New-Yorks und gab seinem Untergebenen schon nach einigen Tagen ein Zeichen seiner Gunst, indem er ihn mit einer ganz neuen Abteilung seiner Sammlung bekannt machte.
Dieselbe befand sich in mehreren riesigen Schränken, wie sie die Naturforscher zum Aufbewahren ihrer Exemplare benutzen. Die flachen Schubladen waren in zahlreiche Quadrate abgeteilt, von denen jedes ein Objekt mit daran befestigtem, erläuterndem Zettel enthielt. Es war eine Mustersammlung von Verbrecher-Reliquien; neben dem Werkzeug des Mordes: Revolver oder Messer, ein Stück des Strickes, mit welchem der Mörder gehangen worden, ein Paar Handschellen, die bei der Verhaftung eines gefährlichen Räubers gedient hatten; ein Wechsel mit gefälschter Unterschrift; das Fläschchen, aus dem der Selbstmörder die Blausäure getrunken; die Uhr, welche dem Oberrichter aus der Tasche gestohlen worden; eine Diamantbrosche, die selbst am Busen einer bekannten New-Yorker Schönheit nicht vor diebischen Fingern sicher gewesen; die Höllenmaschine eines Anarchisten (ohne die Explosionsmasse), ein falscher Zehndollarschein und tausenderlei andere Dinge. Bei jedem Exemplar war das Verbrechen, in dem es eine Rolle gespielt hatte, genau angegeben. Mr. Smith hatte vor, Holzschnitte nach diesen Reliquien anfertigen zu lassen, um sie als Illustrationen für die »Großstädtischen Verbrechen« zu benutzen.
Bei Besichtigung der merkwürdigen Sammlung fragte der Sekretär voll Erstaunen, wie Mr. Smith denn in Besitz dieser Gegenstände gekommen sei, da doch manche, wie die gestohlene Uhr und Brosche, auf rechtmäßigem Wege nicht zu erlangen gewesen.
Man will behaupten, entgegnete jener Herr lächelnd, daß leidenschaftliche Sammler kein Gewissen haben; auch ich bin darin vielleicht nicht besser als andere. Mit der Zeit habe ich unter den Verbrechern von Profession eine sehr ausgedehnte Bekanntschaft erworben. In New-York kenne ich sie alle, glaube ich, vom ärmsten Taschendieb bis zum vornehmsten Einbrecher, und sie wissen, wonach ich trachte. Ich bin mit vielen auf dem besten Fuße und bekomme von Zeit zu Zeit durch diesen oder jenen einen Zuwachs zu meiner Sammlung. Wer ein Stück erlangt, von dem er meint, daß ich's gern hätte, setzt mich in Kenntnis; ich besehe mir's, und wenn mir's gefällt, kaufe ich's zu dem verlangten Preise, – meine Mittel erlauben mir das. – Meine Geschäftsfreunde sind eine ganz interessante Gesellschaft, und da sie wissen, daß ich sie nicht angebe, so legen sie sich vor mir keinen Zwang auf, so daß ich gelegentlich manches mit anhöre, was alte oder zukünftige Pläne und Unternehmungen betrifft. Dieser Umgang und diese Liebhaberei sind mir lieber als Theater, Konzerte, Klubs und die gewöhnlichen Zerstreuungen anderer Leute. Im übrigen gehen mich die Geschäfte dieser Leute nichts an, und außer der Befriedigung meiner Liebhaberei habe ich keine Gemeinschaft mit ihnen. So kommen wir gut miteinander aus, und niemand wird dadurch geschädigt.
Außer den Eigentümern der Uhr, der Brosche und ähnlicher Dinge, warf der Sekretär ein, die sie vielleicht zurückerhalten würden, hätten Sie sie nicht gekauft.
Auch dafür ist gesorgt, entgegnete Mr. Smith mit wohlgefälligem Lächeln. Erstens mache ich es mir zur Pflicht, nichts zu kaufen, was Affektionswert besitzt und deshalb unersetzlich ist; gerät mir zufällig dergleichen in die Hände, so gebe ich es zurück. Im übrigen erstatte ich den Eigentümern, wenn mir solche bekannt werden, sofort den Geldwert des Gegenstandes, so daß durch meine kleine Liebhaberei keinem ein Verlust erwächst. Jedes Stück, das Sie hier sehen – jeder gestohlene Artikel – ist von mir doppelt und dreifach bezahlt worden, denn ich markte nie um den Preis. Wer nicht über bedeutende Mittel verfügt, kann überhaupt eine derartige Sammlung nicht anlegen.
Haben Sie denn in der letzten Zeit auch noch neue Erwerbungen gemacht? fragte der Sekretär, welcher der Rede nicht ohne wachsendes Staunen zugehört hatte.
Jawohl, entgegnete der Sammler, und es hat mir ein schönes Stück Geld gekostet. Aber das schadet nichts; der Artikel ist es wert, er stammt aus dem größten Bankdiebstahl, der je in New-York verübt worden – gegen drei Millionen Dollars, wie man sagt, meist in Schuldverschreibungen und Staatspapieren. Ich schrieb mir die Liste ab, es waren sechsundzwanzig Stück 5-20-Obligationen der Vereinigten Staaten darunter, von denen ich gern eins gehabt hätte. Nun traf sich's glücklich, daß mir bald darauf eines dieser Papiere zum Kauf angeboten wurde; ein Mensch, den ich kenne, schrieb deswegen an mich. Ich reiste hin – er war in Chicago – traf mit ihm zusammen, sah die Obligation und kaufte sie – wofür glauben Sie wohl? Für tausend Dollars, so wahr ich hier stehe! Aber er meinte, das sei nicht zu viel, solch ein Diebstahl wäre noch nicht dagewesen. Nachdem ich nun noch 500 Dollars, den eigentlichen Wert des Papiers, an die Bank geschickt, fügte Mr. Smith hinzu und nahm aus einem Schubfach die identische Schuldverschreibung, so kostet mich das Ding hier alles in allem fünfzehnhundert Dollars.
Mit scheinbarer Ruhe betrachtete der Sekretär das Papier, entfaltete es und las die Nummer 97 934. Bei seinem ausgezeichneten Gedächtnis hatte er es sich besonders angelegen sein lassen, sich alle Zahlen und Kennzeichen der in der Manhattan-Bank gestohlenen Wertpapiere genau einzuprägen; um jedoch möglichen Irrtum zu vermeiden, trug er zum Ueberfluß das Verzeichnis der Stücke bei sich. Er glaubte zu wissen, daß die Nummer 97 934 nicht darunter war.
Der Diebstahl, von dem Sie sprechen, sagte er, ist vermutlich die Beraubung der Manhattan-Bank im vergangenen Oktober.
Ganz recht, bekannte Mr. Smith, doch braucht dies nicht gerade jedermann zu wissen. Es ist natürlich, setzte er lachend hinzu, daß ich bei Verfolgung meines Ziels nicht streng im Sinne von Gesetz und Moral handeln kann und in dieser Beziehung oft ein Auge zudrücke, – obgleich ich, wie ich Ihnen schon auseinandersetzte, streng alles zu tun vermeide, was wirklich unrecht wäre. Um meine Sammlung jedoch vor den Nachforschungen der Polizei zu schützen, die ihr leicht gefährlich werden könnten, habe ich nur wenige treue Freunde mit derselben bekannt gemacht. Ich sage Ihnen das alles, weil sie bei mir eine Vertrauensstellung einnehmen, die Sie sich gewiß erhalten möchten.
Es scheint mir, warf der Sekretär ein, ohne auf die letzteren Worte zu erwidern, als ob die Obligation, die Sie mir gezeigt, keine von den aus jener Bank gestohlenen sei. Ich habe die Nummern zufällig durchgesehen und glaube mich zu erinnern, daß nicht 97 934, sondern 97 933 darunter war.
Das ist wirklich höchst merkwürdig, rief der Sammler erstaunt, in ganz demselben Irrtum war auch ich befangen! Ich hatte sogar die falsche Nummer in mein Notizbuch eingetragen. Wie man sich doch täuschen kann! – Mein Bekannter in Chicago zeigte mir aber die von der Bank selbst veröffentlichte, gedruckte Liste und bewies mir dadurch mein Versehen. Daß Sie nun ganz denselben Fehler machen, ist ein sonderbares Zusammentreffen!
Unterdessen hatte der Sekretär sein eigenes gedrucktes Verzeichnis aus der Tasche geholt und sich überzeugt, daß sein Gedächtnis ihn nicht betrogen.
Ich fürchte, Mr. Smith, sagte er, Ihr Bekannter in Chicago hat Ihnen einen Streich gespielt. Entweder besaß er gar keines der gestohlenen Papiere oder war zu vorsichtig, um eines derselben an Sie zu verkaufen. Er verschaffte sich die nächstfolgende Obligation, und für den Fall, daß Sie etwas merken sollten (wie auch geschah), ein gefälschtes Verzeichnis, das mit dem echten vollständig übereinstimmte bis auf die eine Nummer. Ein solches Zirkular ist ja leicht nachzuahmen.– Sie haben also fünfzehnhundert Dollars bezahlt, für etwas, das nur den dritten Teil wert ist, und woran sich gar keine Geschichte knüpft, außer die, daß Sie damit betrogen worden sind.
Mr. Smith starrte zuerst schweigend und mit schmerzlicher Miene auf das gedruckte Verzeichnis; dann aber rief er in zorniger Aufwallung: Wie können Sie sich unterstehen, so mit mir zu reden? Wer weiß, ob Ihre eigene Liste nicht gefälscht ist! Wer weiß, ob – Sie –
Ich war eben im Begriff, Ihnen zu sagen, wer ich bin, Mr. Smith, entgegnete der andere, seine Visitenkarte herausziehend. Ich stehe als Geheimpolizist im Dienst des Inspektor Byrnes, und Ihre Liebhaberei hat uns viel Mühe und Kosten verursacht. Zu Ihrem Glück habe ich mich überzeugt, daß Sie nur aus Leichtsinn und Unverstand handeln – nicht aus böser Absicht, doch gebe ich Ihnen den freundschaftlichen Rat: begnügen Sie sich bei Ihrer Sammlung mit dem, was sie jetzt enthält, und versuchen Sie nicht, neue Erwerbungen zu machen! Es wird sicherer für Sie sein, wenn Sie Ihren Verkehr mit den Verbrechern aufgeben – Sie sind nicht der Mann dazu! Wäre dies Papier wirklich eine der gestohlenen Obligationen, wie Sie vermuteten, so hätte ich jetzt die Pflicht, Sie zu verhaften, und es würde Ihnen nicht leicht werden, Ihre Unschuld zu beweisen. Beherzigen Sie meine Warnung – ein andermal kommen Sie vielleicht nicht so gut davon! Den Gehalt, welchen ich von Ihnen bezogen habe, könnten wir beanspruchen, um die Unkosten zu decken, die Sie veranlaßt haben; da wir aber geneigt sind, für diesmal noch ein Auge zuzudrücken, so soll Ihnen das Geld zurückgezahlt werden, sobald Sie sich bei dem Polizeiamt melden. –
Bis auf den heutigen Tag ist jedoch der Gehalt des Sekretärs nicht zurückgefordert worden.