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4. Kapitel.

Auf dem Nachhausewege überlegte ich bei mir, wie gut sich die Abenteuer dieser Mrs. Nelson zu einem Roman benutzen ließen und beschloß, bei nächster Gelegenheit auf das Hauptpolizeiamt zu gehen, um mich bei Inspektor Byrnes nach der großen Diebstahlsgeschichte zu erkundigen. Es war mir schon allein interessant, den dunklen Andeutungen meines Freundes, des Journalisten, näher nachzuspüren und herauszubringen, in welchem geheimen Zusammenhange die schöne Frau eigentlich zu dem Raube gestanden. Ihr Anteil daran mußte ein derartiger gewesen sein, daß er sie nicht mit dem Gericht in Berührung brachte. Hätten Beweise gegen sie vorgelegen, oder wäre es ratsam erschienen, etwaige Beweise ans Tageslicht zu ziehen, dann wäre ihre gesellschaftliche Stellung jedenfalls dadurch erschüttert worden. – Bei allen großen Verbrechen werden gewöhnlich nur die Täter selbst von der Gerechtigkeit ereilt. Die moralische Schuld der Anstifter, welche sich im Hintergrund halten, ist oft weit größer, wenn sie sich auch nicht aktenmäßig vor den Geschworenen nachweisen läßt.

Zufolge unvorhergesehener Umstände vergingen mehrere Monate, bis ich eines schönen Tages das behagliche Bureau in der Mulberrystraße betrat. Der Fuß schreitet geräuschlos über den dicken, weichen Teppich, der den Boden bedeckt; die untern Scheiben des Fensters, das auf den inneren Hof geht, sind weiß angestrichen, um sie undurchsichtig zu machen. An den Wänden des Zimmers hängen Bilder, es hat mehrere Türen und enthält außer einigen bequemen Stühlen einen großen Schreibtisch vor dem Fenster, an welchem der Inspektor gewöhnlich sitzt, den Rücken nach dem Licht gekehrt. Er ist ein starker, wohlgebauter Mann, schnell und entschieden in seinen Bewegungen, unerschütterlich in seiner Ruhe. Wunderbare Selbstbeherrschung, scharfe Beobachtungsgabe, klarer Verstand, stehen ihm im Gesicht geschrieben. Er erfreut sich augenscheinlich der trefflichsten Gesundheit und macht seinem ganzen Wesen nach einen überaus gewinnenden und heiteren Eindruck.

Freilich, wäre ich ein geheimer Missetäter gewesen, statt eines harmlosen Menschen, der eine Erkundigung einziehen will, so hätte mich dieses freundliche Wesen mit lebhaftem Mißtrauen erfüllt. Ein Polizeichef ist für den Verbrecher bei weitem nicht so schrecklich, wenn er die Stirne runzelt, als wenn ihm ein wohlgefälliges Lächeln um die Lippen spielt. Ich hatte aber ein gutes Gewissen und beeilte mich, den Zweck meines Besuches im allgemeinen darzulegen, um daran die Frage zu knüpfen, welches wohl der größte Einbruchsdiebstahl sei, der je in New-York vorgekommen.

Der Inspektor überlegte eine Weile; nicht wie jemand, der sein Gedächtnis anzustrengen braucht, sondern offenbar um zu entscheiden, ob es ratsam sei, überhaupt eine derartige Mitteilung zu machen. Sein Entschluß mußte wohl zu meinen Gunsten ausgefallen sein, denn er vertraute mir an, das größte Verbrechen der Art, welches überhaupt in der Neuzeit mit Erfolg ins Werk gesetzt worden, sei die Beraubung eines gewissen, wohlbekannten Bankhauses auf dem unteren Broadway (er nannte den Namen). Der Vorfall sei anfänglich in so undurchdringliches Geheimnis gehüllt gewesen, daß alle Bemühungen, die Verbrecher zu entlarven und dem Gericht zu überliefern, vollständig hoffnungslos erschienen. – Im allgemeinen, fügte der Inspektor hinzu, ist es überhaupt ein höchst seltenes Vorkommnis, daß bei einem großen Bankdiebstahl die Täter entdeckt werden. Die Schwierigkeiten, mit denen man zu kämpfen hat, sind fast unüberwindlich. Schon der Plan wird meist mit der größten Sorgfalt entworfen, und es dauert oft jahrelang, bis ein geeigneter Moment erscheint, um ihn zur Ausführung zu bringen. Die Spuren, welche zurückbleiben, sind meist zu geringfügig, um zur Entdeckung der Schuldigen zu führen, und selbst wenn ein Verdacht vorliegt, ist es schwer, ihn überzeugend zu begründen. Inzwischen bleibt das Geld im Besitz der Diebe, und am Ende entschließt sich die Bank, einen Vergleich einzugehen, um nur nicht alles zu verlieren.

Was sollte denn aber die Spitzbuben veranlassen, einen solchen Vergleich vorzuschlagen? fragte ich.

Hierauf erklärte mir der Inspektor, daß das Gestohlene selten oder nie ganz aus barem Gelde bestände, vielmehr meist zum größeren Teil aus Wertpapieren, die man nach den vorhandenen Eintragungen und Listen leicht identifizieren könne, so daß deren Verwertung mit erheblicher Gefahr verbunden sei. Aus diesem Grunde, fuhr er fort, ziehen die Diebe vor, die Papiere um die Hälfte ihres Wertes an die Bank selbst zu verkaufen, statt sie auf andere Weise in den Handel zu bringen, was ihnen leicht eine Zuchthausstrafe von zehn bis fünfzehn Jahren eintragen kann. Die Schurken haben dabei den Vorteil ganz auf ihrer Seite, da sie, wenn sie es für zweckmäßig halten, die Wertpapiere verbergen oder vernichten können, während die Bank durch den Verlust derselben geradezu in ihrer Existenz bedroht wird. Vom höchsten, moralischen Standpunkt aus läßt es sich zwar nicht verteidigen, daß man überhaupt mit den Spitzbuben in Unterhandlung tritt, aber die menschliche Natur ist schwach, und wenn es zum äußersten kommt, entschließt sich die Bank lieber zu einer Kapitulation unter mehr oder weniger günstigen Bedingungen, statt ihre Zahlungen einzustellen.

Da ich hauptsächlich erfahren wollte, ob das von dem Inspektor erwähnte Verbrechen dasselbe sei, von welchem der Journalist gesprochen, warf ich aufs Geratewohl die Frage hin, ob nicht ein Diamantenhändler bei der Sache beteiligt gewesen. Der Polizeichef sah mich groß an, und da er wohl merkte, daß ich irgendwie von anderer Seite unterrichtet worden, erwiderte er, eine solche Persönlichkeit sei allerdings der Teilnahme verdächtig gewesen, jedoch niemals in Haft genommen worden. Es sei eben eine alte Erfahrung, daß das Gericht um mancherlei wisse, aber nicht immer die Beweise beizubringen vermöge.

Hiernach schien es mir zwar schon so gut wie gewiß, daß ich auf keiner falschen Fährte war, um aber jeden Zweifel abzuschneiden, erwähnte ich noch eines Gerüchts, nach welchem eine Person weiblichen Geschlechts ganz besonders in die Angelegenheit verwickelt sein sollte.

Diese Andeutung schien dem Inspektor nicht sonderlich zu gefallen. Er meinte, daß dergleichen in Umlauf gesetzte Geschichten meist auf Erfindung beruhten. Die Menschen hätten ein eigenes Vergnügen daran, solche Ereignisse aufs fabelhafteste auszuschmücken, während doch die Tatsachen an sich schon merkwürdig genug seien, wenn man sie nur im rechten Lichte betrachte. Dabei stellte der Polizeichef jedoch durchaus nicht in Abrede, daß verschiedene Umstände bei jenem berühmten Falle noch keineswegs ganz aufgeklärt wären, ja, er gab sogar zu, der erwähnte Diamantenhändler habe mit Leuten aus der besten New-Yorker Gesellschaft in Verbindung gestanden, natürlich meist weiblichen Geschlechts. Wenn aber auch manche schöne Frau es nicht verschmähte, sich bei Gelegenheit einen von ihr begehrten Schmuck um die Hälfte seines Wertes zu verschaffen, so sei damit noch lange nicht gesagt, daß sie unredliche Mittel gutheißen oder gar mit den Spitzbuben gemeinschaftliche Sache machen würde.

Ich merkte wohl, in betreff dieses Punktes war nichts Näheres von dem Inspektor zu erfahren, doch ließ ich mich dadurch nicht abschrecken, sondern erklärte ihm meine Absicht, die Geschichte des großen Bankdiebstahls für das Publikum zu bearbeiten, falls er nichts dagegen einzuwenden habe. Ja, ich fragte ihn geradezu, ob er mir zu diesem Zweck vielleicht darauf bezügliche Schriftstücke und Notizen zur Verfügung stellen könne.

Zu meiner Freude trug er nicht nur keine Bedenken, meinem Verlangen zu willfahren, sondern ließ auch sogleich die betreffenden Akten nebst seinen eigenen den Fall behandelnden Aufzeichnungen herbeiholen und übergab mir das ziemlich umfangreiche Paket. Zugleich erteilte er mir den Rat, die Geschichte zu erzählen, wie sie sich wirklich zugetragen, ohne allzuviele romanhafte Zusätze. Das hatte ich mir so wie so vorgenommen, und ich verabschiedete mich mit dem befriedigenden Bewußtsein, daß mein Besuch über alles Erwarten erfolgreich ausgefallen sei.

Ohne Zögern begab ich mich an die Durchsicht der mir anvertrauten Papiere. Die Geschichte, die sie enthielten, war aus dem Leben gegriffen, spannend und seltsam genug. Natürlich kann ich sie meinen Lesern nicht in der Form des Polizeiberichts erzählen, bei dem weder auf Entwicklung der Charaktere, noch dramatischen Effekt die geringste Rücksicht genommen ist; aber mehr oder weniger sind dem Schriftsteller die Hände dabei doch gebunden, da es sich um wirkliche Begebenheiten handelt und um Menschen, die zum großen Teil noch heutigen Tages leben. Er kann die Handlungen und Schicksale seiner Personen nicht nach Belieben umformen – sie beruhen auf Tatsachen, die sich wirklich zugetragen haben und unwiderruflich sind. Wenn nun aber trotzdem die Einbildungskraft freien Raum haben muß, um alle Einzelheiten ergänzend und verbindend zu einem Ganzen zu fügen, so verläßt sie deshalb nicht notwendigerweise den Boden der Wirklichkeit, sondern kann im Gegenteil der Wahrheit häufig ebenso nahe kommen, als dies einer genauen Beobachtung möglich ist.

Hier folgt nun die Geschichte des größten Einbruchdiebstahls der Neuzeit. Sie wird jedem Interesse abgewinnen, der für die Rätsel in der Menschennatur und die Vorkommnisse des wirklichen Lebens Sinn und Verständnis hat.


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