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11. Kapitel.

Wenige Tage nach dem Diebstahl saß Inspektor Byrnes in seinem Bureau, vertieft in die soeben eingelaufenen Berichte seiner Untergebenen. Da wurde ihm ein Herr gemeldet, mit welchem er schon seit Jahren verkehrte, und der auch dem Leser nicht fremd ist. Von Beruf war er Journalist.

Nach den ersten Begrüßungen kamen sie auf den Einbruch zu sprechen.

Könnten Sie mir vielleicht etwas mitteilen, was für die Zeitung paßt? fragte der Besucher.

Nichts von Belang, war die Antwort; im Gegenteil, Sie täten mir einen Gefallen, wenn Sie, als kluger Kopf, mir Ihre Ansichten über die Sache auseinandersetzen wollten, die mir vielleicht höchst schätzbar sind.

Der Journalist fühlte sich äußerst geschmeichelt. Es war ihm stets ein Hauptvergnügen, verwickelten Rechtsfällen nachzugrübeln, sich in Gedanken in die Lage der Beteiligten zu versetzen und Vermutungen über deren Beweggründe und wahrscheinliche Handlungsweise anzustellen. Auch mit dem Manhattan-Diebstahl hatte er sich eingehend beschäftigt und war dabei zu gewissen Schlüssen gelangt, die ihm nicht ohne Bedeutung erschienen.

Freilich hat so jeder seine eigenen Theorien, Herr Inspektor, entgegnete er mit sichtlicher Befriedigung; ob die meinigen Ihnen etwas nützen können, weiß ich nicht, aber ist Ihnen nicht vielleicht schon selbst der Gedanke gekommen, daß die Diebe ihre Arbeit nicht ganz allein verrichtet haben?

Wie meinen Sie das? fragte der Inspektor, eine aufmerksame Miene annehmend.

Ich dachte es mir so, fuhr der andere fort: Ein Mitglied der guten Gesellschaft, das es mit der Moral nicht sehr streng nimmt, befindet sich plötzlich in Geldverlegenheit und sinnt auf Mittel, um sich aus dieser unangenehmen Lage zu befreien. Der gewöhnliche Geschäftsgang beim Gelderwerb ist für den Betreffenden zu langsam; ein Griff in eine fremde Tasche, eine Wechselfälschung oder ähnliche Maßregel zur Verbesserung seiner Umstände zu gefährlich. – Zwar sind rings um ihn her Reichtümer aufgehäuft, die Leute, mit denen er täglich verkehrt, und deren Vertrauen er besitzt, sind Millionäre – aber, so verlockend die Gelegenheit für ihn ist, das Geld nützt ihm nur, wenn seine gesellschaftliche Stellung unangetastet bleibt – sie muß er vor allem wahren; so verfährt er denn auf heimlichere Weise: er sucht sich einen Zwischenhändler! –

Das läßt sich hören! murmelte der Inspektor mit wohlgefälligem Lächeln.

Für die Verbrecher, das brauche ich Ihnen nicht zu sagen, fuhr der Journalist fort, besteht das größte Hindernis bei ihren Unternehmungen darin, daß die Polizei sie kennt und ihnen aufpaßt. Sie könnten bei ihrer Geschicklichkeit im Handwerk Wunder verrichten, wenn ein ganz unverdächtiger Mensch aus den besseren Ständen ihr Helfershelfer würde. Ein Mann, wie der, von welchem ich rede, wäre wie geschaffen dazu.

Das wohl, aber müßte er nicht fortwährend besorgen, von ihnen verraten zu werden?

Davor schützt ihn eben der Zwischenhändler, der alle Unterhandlungen leiten muß, während er selbst sich im Hintergrund hält. Es kommt nur darauf an, die geeignete Person zu finden. Diese muß vor allem verschwiegen sein, einerseits in gewissem Verhältnis zu der Verbrecherklasse stehen, andererseits aber auch womöglich in Geschäftsverbindung mit Leuten aus angesehenem, wohlhabendem Stande. Findet der vorhin erwähnte Mann einen solchen Vermittler, so ist sein Glück gemacht – er gibt ihm Mittel und Wege an, wie die Pläne der Verbrecher auszuführen sind und empfängt durch ihn seinen ausbedungenen Anteil an der Beute.

Ganz recht. Haben Sie jemanden im Auge, der sich zu solchem Zwischenhändler eignen würde?

Gerade in Bezug auf den Manhattan-Diebstahl habe ich einen Einfall gehabt, aber es ist natürlich die reinste Vermutung. Sie kennen wohl den Diamantenhändler Grady, der seinen Laden eine Treppe hoch an der Broadwayecke hat? Mich sollte es nicht wundern, wenn der etwas von dem Raub zu erzählen wüßte.

Wieso denn das? fragte der Inspektor.

Denken Sie nur, wie bequem er's hätte; von seinen Ladenfenstern aus kann er alles beobachten, was in der Bank vorgeht. Er macht mir auch gerade den Eindruck, als wäre er der Mann dazu. – Seine Steine sind übrigens alle echt; er verkauft zu merkwürdig billigen Preisen.

Der Inspektor lehnte sich in seinen Stuhl zurück und betrachtete den Sprecher mit etwas zweideutigem Lächeln.

Es ist wirklich schade, sagte er, daß Sie Journalist sind. Sie hätten Anlage zum Geheimpolizisten! – Würden Sie mir wohl eine Frage beantworten? Wieviel haben Sie für die Diamantnadel in Ihrer Krawatte bezahlt? Wann und wo Sie sie gekauft haben, weiß ich, aber Ihr Freund Grady wollte mir nicht verraten, wieviel er dafür gefordert hat – hoffentlich nicht zu viel! –

Ueberrascht und verwirrt blickte der Journalist auf; es war ihm sehr peinlich, daß der Inspektor von dem Handel Kenntnis hatte, den er beflissen war, geheim zu halten.

Nun, sagte er nach einer Weile, ich bin wenigstens nicht der einzige; auch andere Personen aus den höheren Ständen machen Geschäfte mit ihm. Erst neulich sah ich eine Dame – ich kenne sie nur flüchtig – die Treppe bei ihm herunterkommen.

Wer war es denn? fragte der Polizeichef in gleichgültigem Ton.

Es war Mrs. ... aber warum wollen Sie es wissen?

Wenn Grady verdächtig ist, so könnte sie als seine Kundin etwas gesehen oder gehört haben, was mir nützlich wäre.

Ich glaube nicht, daß Mrs. Nelson – ja so! ich meine die Dame – sich zur Zeugin eignen würde; eine zerstreutere Frau ist mir nie vorgekommen. Nur wenn man mit ihr über Kunst, Literatur oder Philosophie spricht, vermag man ihre Aufmerksamkeit zu fesseln.

Ja, dann mögen Sie recht haben, sagte der Inspektor gleichgültig. Er hatte sich inzwischen eine Notiz auf einen Papierstreifen gemacht, den er in ein Schubfach des Schreibtisches gleiten ließ. Man kann nicht wissen, fuhr er fort, ob Ihre Winke in Betreff Gradys nicht noch zu etwas dienen können; ein Zeugnis, das an sich zuerst unbedeutend erscheint, wird oft zum Schlüssel des Ganzen. Nur möchte es schwer sein, Beweise gegen ihn beizubringen.

Der Vorgang ist wirklich höchst geheimnisvoll, sagte der Journalist sich erhebend, man spricht ja auch von einem Loch, das unter der Kombinationsplatte gebohrt worden ist, und daß einer der Bankgehilfen oder Deponenten den Dieben die richtige Stelle bezeichnet haben müsse.

Soviel ich gehört habe, entgegnete der Inspektor, hegen die Direktoren keinen Verdacht.

Nun, wir werden ja sehen, Herr Inspektor; – ich wünsche Ihnen viel Glück! Der Journalist war aufgestanden, um sich zu entfernen.

Der Polizeichef zuckte die Achseln, dann sagte er lachend:

Wenn Sie einmal wieder Diamanten kaufen wollen, seien Sie doch recht vorsichtig. Es ist schon vorgekommen, daß Edelsteine identifiziert worden sind.

Ich verstehe schon, was Sie meinen, entgegnete der Journalist mit verlegenem Gesicht, und empfahl sich.

Als der Inspektor allein war, klingelte er, und einer seiner vertrautesten Beamten trat ins Zimmer. – Sie werden gut daran tun, sagte der Polizeichef, den Herrn von der Presse, der eben von mir geht, nicht aus den Augen zu verlieren. Er hat sich offenbar eingehender mit unserer Angelegenheit beschäftigt, und ich möchte nicht, daß von der Spur, die wir jetzt haben, irgend etwas an die Oeffentlichkeit kommt. Sorgen Sie, daß er nicht auf unsere Fährte gerät.

Liegt denn wirklich etwas Neues vor?

Ja! Hier in der Stadt lebt ein reicher, angesehener Mann – nennen wir ihn Mr. Smith. Sein Vater war einer unserer großen Kohlengrubenbesitzer; der Sohn ist etwa vierzig Jahre alt, man schätzt ihn auf vier bis fünf Millionen Dollars; er ist unverheiratet und wohnt in einem schönen Hause bei der Fünften Avenue; man sieht ihn manchmal mit seinem prachtvollen Gespann im Park spazieren fahren, auch ist er Mitglied eines der größten Klubs, geht aber selten hin. Er könnte in den ersten Häusern der Stadt verkehren, besucht aber keine Gesellschaft. Er ist weder Gelehrter, noch Büchersammler, noch Kunstkenner oder dergleichen. Bei sich empfängt er niemand, und womit er sich die Zeit vertreibt, läßt sich nicht ermitteln. Er ist ein richtiger Sonderling, der sich nicht an die Sitten und Gebräuche der Welt kehrt, sondern ganz nach eigenem Gutdünken lebt. Mitten in der Saison geht er oft auf Reisen, und wenn jedermann in den Bädern zu Saratoga oder Newport ist, sieht man ihn ganz unerwartet die fünfte Avenue hinaufspazieren oder in anderen Teilen der Stadt auftauchen. Er ist leicht zu erkennen, fast sechs Fuß hoch, wiegt etwa 180 Pfund, hat eine hohe, kahle Stirn, langen, dunklen Schnurrbart, Adlernase, schmales Kinn; er geht stets sorgfältig gekleidet, trägt eine schwere Uhrkette und einen Amethystring an der linken Hand.

Sein Vermögen ist fast ausschließlich in Staatspapieren angelegt; nach dem zu urteilen, was ihm sein Vater hinterlassen hat, und nach seiner eigenen Lebensweise muß ihm völlig gleichgültig sein, wieviel er ausgibt. Er hat nie ein Geschäft betrieben, noch sich in politische Angelegenheiten gemischt.

Ein sonderbarer Mensch, das muß ich sagen, bemerkte der Geheimpolizist.

Ja, aber es ist Grund, anzunehmen, daß wir durch ihn der Lösung des Geheimnisses näherkommen werden, welches den Bankdiebstahl umgibt.

Wirklich? Das scheint kaum glaublich! Ein Besitzer von fünf Millionen! rief der andere.

Bis jetzt ist alles nur Vermutung; aber man kommt zu seltsamen Schlüssen. Zuvörderst: Mr. Smith ist am Tage, nachdem das Loch gebohrt worden, in die Bank gekommen, um Geld zu wechseln, hat dem Mechaniker zugesehen, der das Schloß öffnete, und sich lang mit den Gehilfen unterhalten. An sich wäre das nicht auffällig, aber man erinnerte sich später, daß er unter diesem oder jenem Vorwand öfter auf der Bank einzusprechen pflegt, dabei hat er sich auch erkundigt, wie die Gelder angelegt werden, ja sogar nach Stärke und Festigkeit des Gewölbes gefragt.

Hat er denn selbst sein Vermögen in der Bank?

Nein, er hat eigentlich dort nichts zu suchen, scheint sich aber öfters in der Nähe aufzuhalten! Auch am Morgen des Einbruchs kam er zufällig um halb zehn Uhr an der Bank vorbei, gerade als Werkle in Kohlmanns Barbierstube flüchtete. – Ich würde hierauf nicht viel Wert legen, wenn nicht noch andere Umstände dazukämen.

Und die sind?

Sie stehen im Zusammenhang mit einigen sonderbaren Gewohnheiten des Herrn Smith, die wir noch näher ergründen müssen, weshalb sich zur Zeit noch nichts darüber sagen läßt. Natürlich handelt er aus andern Beweggründen als gewöhnliche Verbrecher; dadurch wird unsere Aufgabe weit schwieriger; denn wenn man solchem Original auf die Sprünge kommen will, muß man zu ganz neuen Maßregeln greifen. Es wird lange dauern, bis wir zu dem eigentlichen Kern der Angelegenheit durchdringen! Geht ein Mann wie Smith erst auf krummen Wegen, so fehlt es ihm weder an Mitteln noch an Verstand, um seine Taten spurlos zu verbergen.

Wäre es denn nicht geraten, ihn erst zu verhaften und seine Schuld nachher zu beweisen?

Die Frage mögen Sie als Geheimpolizist sich selber beantworten, versetzte der Inspektor. Wenn Sie einen Mann festnehmen, spielen Sie Ihre letzte Karte aus; Sie können nur noch hoffen, ihm ein Geständnis auszupressen, und die meisten Schurken sind viel zu schlau, um etwas auszusagen, was sie vor Gericht bringt. Beobachten sie ihn dagegen Wochen, ja Monate lang, ohne daß er eine Ahnung davon hat, so liefert er ihnen selbst früher oder später die Beweise seiner Schuld: er sucht seine früheren Genossen wieder auf, ist bemüht, das gestohlene Gut zu veräußern, macht Pläne zu neuen Unternehmungen, oder verrät sich sonst auf irgend eine Weise. Das ist der Augenblick, ihn zu verhaften; man braucht ihn dann nicht wieder loszulassen, sondern kann ihn leicht überführen. Aber dies Verfahren erfordert Zeit, und vor allem darf die Presse nicht Wind davon bekommen, sonst hat sie keine Ruhe, bis sie dem Publikum das Ende von der Geschichte auftischen kann, ehe es das Interesse daran verliert. – So, jetzt habe ich Ihnen über unsern Mann vorläufig mitgeteilt, was Sie bedürfen.

Und wir sollen mit seiner Ueberwachung sofort beginnen? –

Sofort! Sparen Sie keine Mühe, und begehen Sie vor allem keinen Irrtum! Das ist Ihr Auftrag.

Der Polizist steckte sein Notizbuch ein, verneigte sich und zog sich zurück.

Nachdem er gegangen, überblickte der Inspektor rasch die auf seinem Pulte befindlichen Papiere, ordnete sie, griff dann nach seinem Hut und verließ das Bureau.

In der Bleeckerstraße angekommen, betrat er die Manhattan-Bank und fragte nach dem Kassierer. Als dieser erschien, bat er um Erlaubnis, die Listen der Deponenten einzusehen. Er schlug sie beim N. auf und fuhr mit dem Finger bis zur Hälfte der Reihe hinunter, dann schrieb er eine Notiz in sein Taschenbuch und gab dem Kassierer das Verzeichnis dankend zurück.

Nun fuhr er eine Strecke weit mit der Trambahn, machte mehreren bekannten Geschäftsleuten seinen Besuch und richtete an sie im Lauf der Unterhaltung gelegentlich einige scheinbar unwichtige Fragen. Noch vor drei Uhr kehrte er wieder in sein Bureau zurück.

Die Sache läßt sich wirklich ganz romantisch an, bemerkte er nachdenklich, seinen gewohnten Platz am Schreibtisch einnehmend.


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