Adolf Hausrath
Elfriede
Adolf Hausrath

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Vierzehntes Kapitel.

Der Herbst begann sich zu melden. Die Morgen wurden frisch, und die inneren Aeste der Linden zeigten bereits gelbe Blätter, während die Beeren der Ebereschen, die die Landstraße einfaßten, wie rothe Korallen an den gefiederten Zweigen hingen. Hatte gegen Mittag dann der Nebel sich verzogen, so glänzte ein tiefblauer Herbsthimmel über dem Flußthale, das in goldenen Duft getaucht war, und man schaute zwischen den Baumstämmen über das frische Grün der Wiesen mit Entzücken auf die klaren Wellen des Stromes, der um diese Jahreszeit besonders rein und hell dahinrauschte. Nik freilich, der von einem Gange in die Stadt müde und schlaff zurückkehrte, hatte heute kein Auge für die bunte Pracht des sich färbenden Waldes und den wechselnden Schimmer des majestätisch dahinrauschenden Stromes; starr vor sich sehend trat er wie ein Träumender durch das Gartenthor des Schlosses. Hier erst schaute er verstört um sich, ob Johann Müller nicht in der Nähe beschäftigt sei. Die letzte Frist, die dieser ihm gegeben, um die Forderungen seiner würdigen Familie zu befriedigen, war abgelaufen, und der Rothe hatte gedroht, das Verhältniß, das Nik mit seiner Schwester unterhalten, den Eltern anzuzeigen und diese für die angeblichen Folgen desselben verantwortlich zu machen. Vergeblich hatte Nik Alles aufgeboten, um das Geld, das sein Peiniger verlangte, irgendwie aufzutreiben. Bei allen Wucherern der Umgegend hatte er vorgesprochen, keiner aber wollte ihm eine so große Summe ohne jede Sicherheit vorstrecken. »Ihr Herr Vater ist ja noch nicht fünfzig Jahre alt, wie sollten wir Ihnen auf Ihr Erbe etwas borgen«, so hatte ihm einer dieser Geschäftsleute nach dem Andern erwidert. Als er sah, daß nach dieser Seite kein Ausweg sich aufthue, war ihm der Gedanke gekommen, sich persönlich mit der Schwester des Rothen auseinander zu setzen. Die leichtfertige Käthe schien ihm im Grunde ein gutmüthiges Ding zu sein, und war vielleicht persönlich williger zu einem Vergleiche als ihre Familie. Dabei konnte er sich dann auch überzeugen, ob denn die Angaben des Rothen überhaupt richtig seien, oder ob das Ganze sich am Ende nur als eine plumpe Schwindelei ihrer sauberen Familie herausstelle. Aber auf seine vorsichtigen Erkundigungen hatte er in der Schenke erfahren, daß die Person seit einiger Zeit sich nicht mehr auf der Landstraße sehen lasse, sondern sich in einen ehrbaren Dienst begeben habe. Vielleicht war das nur eine Veranstaltung ihres Bruders, um ihren Ansprüchen einen besseren Schein zu geben, doch wer konnte das wissen? Möglicher Weise waren des Rothen Aussagen dennoch richtig, und das Mädchen war besser, als Nik sie genommen hatte. Jedenfalls war er nun völlig rathlos, und so schaute er blaß und niedergeschlagen nach Johann Müller aus, um von diesem eine neue Frist zu erflehen. Aber als er ihn im Garten suchte, lief er auf dem breiten Gange dem Freiherrn in die Hände, der ihn sofort für ein Gespräch über seine Heirathsprojekte in Beschlag nahm.

Während Nik mit hängendem Kopfe seinem Vater folgte, der hastig und sprudelnd auf ihn hinein redete, saß Elfriede mit einer Handarbeit beschäftigt, die sie in der Blindenschule erlernt hatte, auf ihrem Lieblingsplätzchen im Walde. Sie war ernst gestimmt, denn Nik's Niedergeschlagenheit in den letzten Tagen war ihr nicht entgangen, und ebensowenig hatte man von Seiten der Ihren ihr ein Hehl daraus gemacht, daß der Freiherr mit dem Aufenthalte seiner Nichte im Schlosse sehr bestimmte Absichten verbinde. Während ihre geschickten Hände an der bunten Matte, die sie aus schmalen Tuchstreifen zusammenflocht, emsig weiter arbeiteten, beschäftigten sich ihre Gedanken viel mit Valentinen. »Ob sie wohl gut ist?« Diese Frage legte sie sich schon zum hundertsten Male vor, und das gute Kind war betrübt, sich kein fröhliches Ja zur Antwort geben zu können. Aus diesen Träumen wurde sie plötzlich durch die schnarrende Stimme des Barons aufgeschreckt, der jenseits der Rhododendronhecke mit Nik sich niederließ, weil er mit seinen gichtigen Beinen jeden Augenblick einer neuen kurzen Ruhe bedurfte.

»Wie unleidlich«, dachte die Blinde, »daß der Freiherr seine Bank gerade an der Linde anbringen mußte. Ich werde meine süße Traumbank künftig meiden müssen, wenn ich nicht wider Willen zur Lauscherin werden soll.« Gern hätte sie sich in der Stille entfernt, aber sie vermied es so viel als möglich, dem Freiherrn in seinem Garten zu begegnen. Zwar hatte er ihr wiederholt mit den stärksten Versicherungen den freiesten Besuch desselben gestattet, aber sie wußte wohl, daß er es dennoch ungern sah, wenn man seine Wege kreuzte. Vater und Sohn fuhren inzwischen in ihrem Gespräche fort, das sie sehr zu erregen schien, denn der Vater sprach mit großer Schärfe, und Nik antwortete mit unsicherer, trauriger Stimme. »So begreife doch«, hörte die Blinde den Freiherrn in seinem schnarrenden Tone sagen, »daß wir unter dem Zwange der Verhältnisse stehen. Ein Freiherr von Altenbrück kann nicht heirathen wie Gevatter Schuster und Handschuhmacher. Du würdest bei unserer Vermögenslage Dich unterwerfen müssen, auch wenn Valentine alt, unliebenswürdig und häßlich wäre. So sei froh, daß sie von all dem das Gegentheil ist. Du kannst Dir gratuliren, weiß der Himmel!«

Nik schwieg eine Weile, dann sagte er in mattem, traurigem Tone: »Das Alles ist wahr, lieber Vater, aber Elfriede hat mein Wort.«

»Der alte Unsinn«, brauste der Baron auf. »Du kannst nicht der Schwiegersohn meines Gärtners werden, das habe ich Dir hundertmal gesagt. Das kluge Mädchen kann auch keine solche tollen Pläne in ihrem Kopfe hegen. Wie kannst Du eine Blinde heirathen, Narrheiten, Du bist einfach unsinnig.«

»Wer als ich hat die Schuld, daß sie blind ist?« erwiderte Nik. »Ich habe mich in jenen traurigen Tagen mit ihr verlobt, und sie trägt noch heute meinen Ring am Finger. Du bist ein Edelmann, Vater, und mußt darum einsehen, daß ich unter solchen Umständen nicht den ersten Schritt thun kann, mit ihr zu brechen. Wäre ich frei, so hätte ich gegen eine Verbindung mit Valentinen nichts einzuwenden, da Ihr so sehr für sie seid. Die Mutter sagte mir, daß wir uns nicht halten können, ohne eine sogenannte gute Partie« ...

Die weiteren Worte verstand Elfriede nicht mehr, denn der Baron war ungeduldig sofort wieder aufgestanden, und beide Redende gingen nach unten. Es war wieder ganz still um sie her. Hie und da raschelte eine Amsel im Gebüsch oder eine Mücke summte um das Antlitz des blinden Mädchens. Elfriede war wie gelähmt. Die blinden Augen starrten in den blendenden Himmel und empfanden Schmerz, ohne daß ihre Finsterniß dadurch lichter geworden wäre, und ihre zarten Arme lagen in rührender Hülflosigkeit ihr im Schoße. Von der Landstraße unten hörte sie jetzt eine schöne Männerstimme singen: »Kann von dir nicht lassen, kann ohn' dich nicht sein.« Das schreckte sie auf, und sie fuhr mit der Hand über ihre kalte Stirne. »Ich wußte nicht, wie sehr ich ihn liebe« ... bebten ihre bleichen Lippen. »Er wird schlecht werden ... Sie ist nicht gut; nein, sie ist nicht gut ... Aber habe ich ein Recht, ihn zu hüten? .. Sagte er es nicht deutlich genug, daß es ihm leid ist, an mich gefesselt zu sein? Ein Freiherr von Altenbrück kann nicht heirathen wie Gevatter Schuster und Handschuhmacher! Oh, ihr armen, vornehmen Leute!« und sie stützte ihr blondes schönes Haupt in ihre Hände, und ein Ausdruck schmerzlicher Resignation gab ihren feinen Zügen etwas unendlich Rührendes. Nik hatte seinem Vater freilich nicht versprochen, daß er sein Wort brechen wolle, aber war das der liebeglühende Bräutigam, der ihr so oft in überschwänglichen Ausdrücken seine Treue betheuerte? Die matte Art, wie er sich vertheidigte, der verschleierte Ton seiner Stimme, schien ihr Alles zu sagen. War sie doch gewohnt, sogar an dem Schritte seiner Füße zu erkennen, ob er fest, in sich zufrieden und auf guten Wegen sei, oder ob er wieder schwächlich, jeder Versuchung zur Beute, sich müssig umhertreibe. Dennoch hatte sie heute falsch gehört, denn ihre reine Seele hatte keine ferne Ahnung von den schmutzigen Geheimnissen, die Nik's Gewissen bedrückten. Die Trauer, die seine Stimme umflorte, galt nicht dem Unbehagen, an sie gefesselt zu sein und des Vaters Willen nicht erfüllen zu können, es war Angst vor den Folgen seines Fehltrittes, die ihn bedrückte und die ihn hinderte, dem Vater so fest gegenüber zu treten, wie seine Ehre und seine Liebe zu Elfrieden es erfordert hätte. Brachte der Rothe heute seine Klage an, wie er gedroht hatte, so durfte er den Vater um keinen Preis schon vorher durch schroffe Zurückweisung seines Lieblingsprojectes erbittern. Das war es, was ihm die Kehle zuschnürte, und hätte Elfriede das bleiche, gelbliche Gesicht und die schwarzen Ringe um Nik's Augen sehen können, sie hätte sofort gewußt, daß ihn eine schwerere Kette drücke, als der kleine Kinderring an ihrem Finger. Aber sie sah diese Spuren schlafloser Nächte und geheimer Angst eben nicht, und so bezog sie seinen traurigen Ton auf das, was in ihrem reinen Herzen lebte, und in ihrer tiefen Seelengüte dachte sie darüber nach, wie sie Nik seinen Irrthum benehmen könne, ohne ihn an ihrer Freundschaft irre zu machen. »Er hat doch keinen Ring von mir an der Hand«, seufzte sie. »Er hat mich gebunden, nicht ich ihn.« Sie wollte ihm seinen Ring wiedergeben. Ihr Entschluß war gefaßt. »Aber was sollst Du thun, wenn er ihn Dir wiederbringt?« fragte sie dann. War es eine leise Hoffnung, die ihr diese Frage zuflüsterte? Da hörte sie Schritte. Sie fuhr auf, als ob man sie über bösen Gedanken erhascht hätte.

»Elfriede«, hörte sie Nik rufen. Noch ehe sie aus dem dichten Gebüsche sich hervorarbeiten konnte, stand Nik vor ihr und zog sie auf die kleine Bank zurück, indem er sich hart neben sie setzte. Elfriede fühlte die Aufregung, in der er sich befand, und sie dachte: »Der Vater hat ihn überzeugt; der Arme, wie ihm der Abschied schwer wird!« Das gab ihr ihre Ruhe wieder. »Warum zitterst Du, Nik? Was regt Dich auf?« fragte sie in mildem Tone. »Ich kann es Dir nicht sagen«, erwiderte der junge Mann. »Ich bin nun einmal nicht im Stande Ruhe und Glück zu finden.«

Elfriede lächelte. »Du bist wie Einer, der in der Stube umherrennt und etwas sucht, was er in der Hand hat. Du hast ja Glücks genug, öffne nur Deine Augen.«

»Ich habe sie offen«, sagte er, »und sehe in einen Abgrund. Mir kann Niemand helfen. Ich bin ein verlorener Mensch«, und er seufzte.

»Ich kenne Deinen Kummer«, erwiderte Elfriede fest indem sie ihre Augen ihm zuwendete, deren leerer Glanz ihn immer so sehr verwirrte.

»Du weißt es?« rief Nik erschrocken, und die Blinde fühlte, wie er von ihr zurückfuhr. »Freilich, Müller ist ja den ganzen Tag mit ihrem Vater zusammen«, dachte er. »Er wird die Sache in einem schönen Zusammenhange erzählt haben.«

»Gräme Dich nicht darum, ich werde selbst mit Deinen Eltern reden«, sagte Elfriede schmerzlich lächelnd.

»Um Gottes Willen, Elfriede«, rief Nik, »Du kennst sie nicht, Du würdest mich völlig zu Grunde richten.«

»Ist es denn ein so schweres Verbrechen, das Du begangen hast?« sagte sie, indem sie schwesterlich ihre Hand auf seine Schulter legte.

Nik war einen Augenblick betroffen. Konnte Elfriede sein Vergehen wirklich so leicht nehmen, oder was meinte sie? Aber der Eindruck Ihrer süßen Nähe verdrängte für einen Augenblick seine Sorgen. Er ergriff ihre zarte weiße Hand und drückte einen glühenden Kuß auf dieselbe. Die Blinde zog die Hand zurück. »Laß das, Nik!« sagte sie abwehrend. »Du weißt ja, daß wir uns trennen müssen.«

»Uns trennen!« rief er, indem er ihr näher rückte. »Wer sagt das?« Sein Arm legte sich schmeichlerisch um ihren Nacken und zog ihren Kopf gegen den seinen. Elfriede fühlte eine süße Beklemmung und war für einen Moment regungslos. Sie vergaß den festen Entschluß der Entsagung. Er neigte seine Wange zu der ihrigen hinab, und im nächsten Augenblicke berührten sich ihre Lippen. Alle Vorsätze, die die arme Blinde noch eben gefaßt, schmolzen dahin in der Wonne des Moments, da Nik seine Lippen auf die ihren preßte. Plötzlich aber schrak Elfriede auf. Ihr Ohr hatte einen Schritt ganz in der Nähe vernommen. Aber ehe sie sich den Armen des Aufgeregten entwinden konnte, ertönte die scharfe kalte Stimme Valentinens: »Bitte, Fräulein, lassen Sie sich ja nicht stören. Ich dachte nicht in diesen Büschen ein Liebespaar zu finden. Recht viel Vergnügen«, und mit einem höhnischen Lachen kehrte das schöne Mädchen den Beiden den Rücken.

Nik fuhr zusammen wie ein Schulknabe, den der Lehrer über einem Fehltritte erwischt hat. »Auch das noch!« rief er. »Ich muß ihr nach und sie beschwichtigen. Ich darf die Eltern nicht erbittern, heute am allerwenigsten. Wenn Du alles weißt, so schweige. Verrathe mich nicht«, und er riß sich los, um der zürnenden Cousine nachzueilen. Die Blinde stand erstarrt. Nach einer Weile streifte sie den Ring von ihrem Finger und steckte ihn in ihre Tasche. Dann fühlte sie rings an den Büschen, wo sie sich eigentlich befinde. Sie hatte es völlig vergessen, so hatte der Schlag sie erschreckt, der sie getroffen. Unsicheren Schrittes schwankte sie dahin, bis sie am Rebberge das Geländer fand, an dem sie sich weiter tastete. Das Benehmen Nik's war ihr unerklärlich, verächtlich. Wenn er entschlossen war, Valentinen zu heirathen, wie durfte er ihre Schwäche benutzen, um eine Liebkosung zu erhaschen, die sie nie hätte dulden sollen. Mit einem Gefühle peinlicher Beschämung trat sie den Rückweg an. »Du mußt ein Ende machen, Elfriede, da Du Deiner selbst nicht sicher bist«, sagte sie. »Hast Du Dich so lang auf diese Stunde vorbereitet, um nun, da es ernst wird, so zu bestehen? Schäme Dich, altes Mädchen, schäme Dich!« Und leisen Schrittes schlich sie in ihr Kämmerlein, nachdem sie der Mutter im Vorbeigehen gesagt hatte, falls Fritz nach Hause komme, wünsche sie ihn zu sprechen.

Nik hatte die zürnende Cousine kurz vor dem Schlosse eingeholt, noch ehe sie die Brücke überschreiten konnte.

»Valentine«, rief er ihr nach.

Das schöne Mädchen wendete sich stolz um, und betrachtete ihn langsam vom Kopf bis zu den Füßen. »Bitte, Cousin«, sagte sie, »wie viele Blumenmädchen werde ich noch kennen lernen, für die Du Dich intim interessirst. Die Schwester Eueres Johann war ja wohl die Erste. Oh, oh, mache mir keine Flausen vor«, rief sie streng, als Nik Miene machte zu widersprechen. »Die Situation mit der rührenden Blinden ...«

»Ist harmloser als Du denkst«, unterbrach sie Nik, der sich mit dem Muthe eines Verzweifelten zusammenfaßte.

»Natürlich, ganz harmlos«, spottete Valentine. »Sich tief im Gebüsche mit einer schönen Gärtnerstochter zu küssen, was ist daran? Ich bin recht begierig, welche Ueberraschungen meiner noch weiter harren in diesem verwünschten Parke. Du hast die Geschichte mit der weißen Frau wohl erfunden, damit Du um so sicherer bist bei Deinen nächtlichen Abenteuern?«

»Aber Valentine«, sagte Nik zornig, »Du weißt doch, daß Elfriede und ich zusammen aufgewachsen sind, daß ich es war, der an dem Verluste ihrer Augen schuld ist.«

Die gereizte junge Dame war aber durchaus nicht in der Stimmung, sich eine so traurige Geschichte auf's neue erzählen zu lassen. Hartherzig erwiderte sie: »Fräulein Müller hast Du beim Reiten verletzt, Fräulein Glimm beim Schifffahren, man muß sich wirklich vor Dir hüten. Ich verbiete Dir ernstlich, mir den Hof zu machen. Du könntest mich am Ende überfahren oder auf der Jagd erschießen.«

»Ich begreife nicht, wie Du über solche Dinge scherzen kannst«, erwiderte Nik, den der unweibliche Spott über Elfriedens Unglück widrig berührte.

»Ich denke, daß ich ein Recht habe, eine Erklärung von Dir zu verlangen«, sagte Valentine schroff. »Ich finde diese Liebschaften mit den Dienstboten Deiner Eltern höchst geschmacklos.«

Nun verlor auch Nik die Ruhe. Ein zorniger Blick schoß aus seinen grauen Augen auf die üppige junge Dame, die so herausfordernd vor ihm stand. Wie unbewußt entfuhr ihm das Wort: »Elfriede gehört nicht unter die Dienstboten, sie ist meine Braut.«

»Ah« – sagte Valentine, »ich gratulire.« Sie war bleich geworden, dann schoß ihr das Blut purpurn in die Wangen, und mit einem gezwungenen Gelächter kehrte sie Nik den Rücken und ging nach der Brücke. »Diese Verlobung muß ich doch gleich Tante Klara berichten, sie ist gar so interessant«, sagte sie, und höhnisch auflachend verschwand sie durch die Thüre.

Nik blieb stumm bei dem Löwenbrunnen stehen, indem er von einer herabhängenden Schlingrose die halbreifen Hagebutten pflückte und in das Bassin warf. Lange stand er so vor dem halbrunden Becken. Der Löwenkopf spie ohne Aufhören mit gurgelnden Tönen sein Wasser, und Nik starrte nach den schwimmenden rothen Früchten, die der Strudel bald an das Ufer warf, bald wieder auf's neue in seine Kreise zog. »So werde auch ich von den Wellen umhergeworfen«, sagte er, »und muß schließlich versinken, wenn Elfriede mir nicht die Hand reicht. Nun, ihrer bin ich wenigstens sicher. Es ist am Ende gut so. Valentine ist schön, aber offenbar ein Drache. Ich werde vorerst freilich durch alle möglichen Widerwärtigkeiten gerüttelt und geschüttelt werden, aber schließlich werde ich mit der Blinden glücklich sein.« Eben wollte er die letzte zerpflückte Rose in den Teich werfen und in's Haus zurückkehren, als der Freiherr zornig über die Brücke kam.

»Was bedeutet dieser plötzliche Entschluß Valentinens?« fragte der Vater zornig, während die spitzen Enden seines gewichsten Schnurrbarts sich nach oben sträubten.

»Welcher Entschluß?« fragte Nik, ein wenig erblassend.

»Sie kündete soeben Tante Klara an, daß sie übermorgen abzureisen gedenke, ihre Mutter wünsche es.«

»Was weiß ich«, sagte Nik erleichtert, »ihre Mutter wird sie nöthig haben.«

»Ich bitte mir aus, daß Du mich nicht anlügst«, rief der Baron erbittert. »Sie hat Tante Klara gesagt, ihre Ehre erlaube ihr nicht länger mit Dir unter einem Dache zu wohnen.«

So sehr Nik sich fürchtete, Valentine möchte geplaudert haben, so entfuhr ihm doch bei diesen Worten des Vaters ein höhnisches Lachen, das den Baron völlig außer Fassung brachte. »Sie hat Elfrieden und mich belauscht«, sagte Nik nun mit etwas unsicherer Stimme, »und ich mußte um Elfriedens willen ihr sagen, daß wir verlobt sind. Ein weiteres Attentat auf ihre Ehre habe ich nicht gemacht.«

»Du bist nicht verlobt!« schrie der Baron wüthend. »Du kannst Dich nicht verloben ohne meine Einwilligung.«

Nik zuckle die Achseln. »Ich habe Valentinen nicht geheißen, Gespräche zu belauschen. Du weißt, daß ich mein Verhältniß mit Elfrieden nicht lösen kann, wenn sie es nicht löst, und sie denkt nicht daran. Nachdem ich sie um die Augen gebracht habe, kann ich ihr nicht auch noch das Herz brechen.«

»Larifari«, sagte der Baron. »Ich werde einmal mit dem alten Glimm sprechen, damit dieser Unsinn ein Ende hat. Komm herein zum Frühstück und sei gegen Deine Cousine manierlich. Nachher werden wir eine Ausfahrt machen, und Du wirst die Gelegenheit ergreifen, Valentinen wieder umzustimmen. Wir sind ruinirt, wenn ihre Mutter die Hand von uns zurückzieht. Ich wirthschafte schon seit drei Jahren mit ihrem Gelde. Erst heute hat sie mir wieder tausend Thaler geschickt, ohne die ich meine Schuldzinsen nicht bezahlen könnte.«

Nik zuckte die Schultern und folgte dem Vater schweigend nach dem Schlosse.

Das Gabelfrühstück wurde eingenommen, die Ausfahrt fand statt, aber Fräulein Valentine blieb frostig und hochmüthig. Die Liebschaft mit der Schwester eines Gärtnerburschen hätte sie ignorirt, aber die geheime Verlobung mit der Blinden, von der sie instinctiv fühlte, wie hoch sie geistig über ihr stehe, hatte sie gänzlich abgekühlt. Nach dem Plane ihrer Mutter wollte diese mit ihr nach dem Schlosse ziehen, während Onkel und Tante dafür abwechselnd ihr Haus in der Residenz bewohnen konnten. Hatte Nik aber an allen Ecken und Enden geheime Verpflichtungen, denn wer konnte wissen, wie viele solcher Geschichten er in der Umgegend noch angezettelt hatte, dann war ihr der Aufenthalt hier entleidet, so schön das Schloß war, und damit war das ganze Project für sie begraben, denn Nik selbst war ihr völlig gleichgültig. Bei sich dachte sie: »Es ist gut, daß ich rechtzeitig hinter alle diese Dinge gekommen bin. Tante Klara redete mir vor, Nik sei völlig harmlos und leicht zu beherrschen. Da irrt sie sich entweder, oder sie wollte mir absichtlich etwas vormachen. So knabenhaft er aussieht, er ist durch und durch ein Heuchler, und kein Verlaß auf seine Treue. Onkel und Tante thun mir leid, aber sie mögen nun sehen, wie sie ihre Schulden bezahlen. Hoffentlich hat Mama das Geld nicht schon geschickt, um das sie baten.«

Das waren die Gedanken, mit denen die junge Dame ihren Verwandten bei Tisch gegenübersaß, und da sie durchaus nicht gewöhnt war, ihre Stimmungen zu verbergen, so betheiligte sie sich mit keiner Silbe an der Unterhaltung, sondern ließ ihre Augen kühl durch die Stube gehen, als ob sie im Gasthofe zwischen Fremden speise. Auch Nik saß schweigend neben ihr, ohne ein Wort mit ihr zu wechseln. Beim Nachtische flüsterte ihm Johann, der servirte, etwas in das Ohr, worauf er sich sofort erhob und ohne eine Silbe zu sagen, hastig das Zimmer verließ. Valentine schaute ihm mit einem höhnischen Blicke nach. »Ich könnte mich doch noch bei der Blinden näher nach Fräulein Müller erkundigen«, dachte sie. »Ich möchte, ehe ich gehe, beide noch miteinander bekannt machen.«

Der Baron hatte kaum das Verschwinden seines Sohnes bemerkt, als er demselben sofort nachfolgte. Auf der Brücke holte er ihn ein. »Was läufst Du weg. Nik«, sagte er hastig, »habe ich Dir nicht gesagt, Du sollest Dich mit Valentinen versöhnen. Augenblicklich kehrst Du in den Saal zurück.« Aber Nik's Geduld war nun auch zu Ende.

»Nein«, sagte er entschieden. »Ich bin kein Kind mehr. So lasse ich mir meine Gefühle nicht abfordern.«

»Ein Narr bist Du, der uns alle zu Grunde richtet«, rief der Vater, ohne den rothen Johann zu beachten, der boshaft lächelnd den Beiden gefolgt war und nun in der Thüre stehen blieb, während einige Schritte seitwärts der alte Glimm die Geranien eines abgeblühten Beetes aus der Erde nahm, um sie für den Winter im Keller einzuschlagen. Nik war es ganz recht, daß Elfriedens Vater durch diesen Zufall Zeuge seines tapferen Widerstandes wurde.

»Ich werde dieses Mädchen nicht heirathen«, sagte er entschieden. »Sie ist herzlos und bösartig, davon habe ich mich heute überzeugt. Ich will nicht mit meinem Lebensglück Deine Schulden bezahlen.«

»Frecher Bube«, rief der Freiherr außer sich, indem er die Hand zum Schlage erhob.

»Herr Baron«, rief nun der alte Glimm mißbilligend, indem er sich von seinem Geranienbeete erhob, über das er sich bis dahin gebeugt hatte, um ruhig seine Blumen auszugraben, als ob ihn das Alles nichts angehe.

»Was ist gefällig«, schnarrte ihn nun der Freiherr wüthend an. »Ich hätte Sie auch für vernünftiger gehalten, als daß Sie die Liebelei dieses lüderlichen Menschen mit Ihrer Tochter dulden.«

Der alte Glimm legte den Bündel Geranien, den er in der Hand hatte, säuberlich bei Seite, wischte sich die Hand an seiner blauen Schürze ab und trat in aufrechter Haltung seinem Dienstherrn gegenüber.

»Herr Baron«, sagte er in ernstem Tone, »ich hoffe, Sie wissen, daß meine Tochter mit Niemandem liebelt. Wenn meine Kinder sich des jungen Herrn annahmen, so war es, weil sie Mitleid hatten mit dem elenden Leben, das er führte bei all seinem Reichthum, und weil er selbst bat, sie möchten mit ihm umgehen, indem er sonst ganz zu Grunde gehe. Verbieten Sie ihm nur, uns zu besuchen und mit meiner Tochter zu reden. Mir kann's recht sein. Meinem armen Kinde ist nicht viel Glück gekommen aus dieser Freundschaft.«

Nik stand vernichtet. »Vater«, wollte er beginnen. Aber der Baron fuhr ihn an: »Schweige! Und was Sie betrifft, Glimm, so gibt es ein einfaches Mittel, diesem verderblichen Umgange mit uns aus dem Wege zu gehen. Sie brauchen nur ihre Stelle zu kündigen, wenn es Ihnen hier nicht gefällt. Ich finde schon einen neuen Gärtner.«

Der alte Mann wurde bleich, aber er sagte ruhig: »Gut, Herr Baron, die Herbstarbeiten sind demnächst zu Ende. Sobald ich die Zwiebeln für das kommende Frühjahr gesteckt habe, ist hier nichts mehr zu thun, was der da« – er deutete auf Müller – »nicht auch besorgen könnte. Ich werde dann in die Stadt ziehen, bis ich eine andere Stelle finde.« Damit kehrte er den Dreien den Rücken, nahm seine Geranien und ging, als sei nichts geschehen, nach seinem Häuschen hinüber.

Der Baron zuckte zusammen vor Aerger. »Das Alles verdanke ich diesem nichtswürdigen Buben«, zischte er in sich hinein, denn er wußte, daß er nicht leicht einen Gärtner finden werde, der wie Vater Glimm aus eigenem Interesse an jedem Baume des Parkes, und an jedem Gemüsefelde und Blumenbeete sein Eigenthum pflegen werde. Seine blinde Wuth machte plötzlich einem Aerger auf seinen Sohn Platz, der an Haß grenzte. Er ballte die Faust und that einen Schritt auf Nik zu, als er aber das teuflische Lächeln sah, mit dem der rothe Johann seine Bewegung verfolgte, wendete sich seine Wuth gegen diesen. »Was stehst Du hier und horchst?« donnerte er ihn an. »Gehe an Deine Arbeit.« Verdutzt zog der Bursche sich zurück. Im nächsten Augenblicke hatte er die Livree abgeworfen und eine Gießkanne ergriffen, mit der er an den Brunnen ging, während der Baron mit einer wüthenden Geberde in das Haus zurückkehrte.

Nik sah gleichmüthig den Beiden nach. Es fiel ihm nicht ein, nach dem Familienzimmer zurückzukehren. Die Rede des alten Glimm hatte ihm plötzlich zum Bewußtsein gebracht, was er an Elfrieden besitze. Seine Lippen dürsteten nach dem süßen Munde, auf dem sie diesen Morgen geruht hatten, als die widrige Valentine den köstlichen Augenblick störte. Er wollte zu der Blinden, aber er fühlte, daß er nun offen mit ihren Eltern reden müsse. So suchte er seine Gedanken zu ordnen, denn die Erinnerung an Frau Glimms klare, blaue Augen hatte etwas Beklemmendes für ihn. Als er sich so mit zögernden Schritten gegen die Gärtnerwiese wendete, hörte er auf der englischen Treppe, an der er vorüber mußte, schlürfende Tritte, und im gleichen Augenblicke tauchte das rothe Gesicht und das graue, strähnige Haar der alten Großmutter Müller hart vor ihm auf.


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