Adolf Hausrath
Elfriede
Adolf Hausrath

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Zehntes Kapitel

Für Nik war es eine große Enttäuschung, daß Elfriede ihm verbot, an sie zu schreiben, während er doch so sehr das Bedürfniß fühlte, sich mit ihr von seiner Liebe zu unterhalten. Aber er mußte zugeben, daß seine Briefe sich nicht immer eignen würden, durch Dritte vorgelesen zu werden, und Antworten darauf zu diktiren – schreiben konnte die Blinde ja nicht – hatte doch auch etwas Mißliches. So erfuhr er schon an der Schwelle seines neuen Verhältnisses, was es heiße, eine blinde Braut zu haben. Doch tröstete er sich. »Vielleicht«, dachte er, »findet sie dort eine Freundin, der sie vertraut und die den Verkehr vermittelt.« Aber Elfriede schickte keine Briefe, denn sie hatte den Eltern versprochen, es nicht zu thun. Ein kurzer Gruß durch den Bruder, war Alles, was Nik von der Geliebten zukam. Um so mehr war er geneigt, mit Fritz, wenn sie nach der Arbeit im Garten lustwandelten, über seine Liebe zu reden. Aber Fritz brach dieses Gespräch immer schroff ab und gebot Nik, Alles der Zeit anheim zu geben. Dennoch konnte Fritz nicht hindern, daß Nik bereits den ganzen Park nach Elfriedens Bedürfnissen umgestalten wollte. Hier war der Weg nicht eben genug für die Blinde, dort sollte eine Treppe beseitigt werden, damit sie nicht falle; hier wollte er einen Ast absägen, um einem Sitze Sonne zu schaffen, der ihm für Elfrieden zu feucht schien, dort wollte er Rosen und Heliotrop pflanzen, damit die herrlichsten Düfte an ihrer Lieblingsbank sie umgäben. Es war kein Platz in dem ganzen Besitzthum, den er nicht in Beziehung zu der Blinden gesetzt hätte. Wenn er Müdigkeit empfand, so brauchte er nur an die Geliebte zu denken und sofort strömte ihm das Blut zum Herzen und seine Gedanken wurden wieder helle. An jeden Strauch, an jeden Busch im Garten knüpfte sich eine Erinnerung an Elfrieden. Für ihn war ein Theil ihres Selbst zurückgeblieben in der Luft, die mit ihren blonden Flechten gespielt, auf dem Rasen, den ihr kleiner Fuß betreten, in den zerfließenden Schatten, die der Abend über das Thal goß.

Im Herbste verließ ihn nun aber auch Fritz, der zur Universität abging. Fest schaute ihm der Freund beim Abschied in die Augen. »Sei fleißig, Nik«, sagte er, »sehr fleißig, es ist das beste Mittel gegen schlechte Gesellschaft.«

»Ich weiß ein besseres«, rief Nik lebhaft. »Ich denke an Elfrieden.«

Fritz schüttelte den Kopf. »Träume sind Schäume«, sagte er, »und sind die verschäumt, so wird der Mensch schal. Nur die Arbeit ist die Würze des Lebens. Sie ist das Einzige, was uns frisch erhält.«

Das Mißtrauen, das aus diesen Worten sprach, kränkte Nik, aber er unterdrückte seine Verstimmung, und unter herzlichen Dankesworten für Alles, was Fritz für ihn gethan, nahm er von dem Freunde Abschied.

Eine Weile gingen Nik's Gedanken auch in den alten Bahnen weiter. Er schnitt Elfriedens Namen in die Rinden der Bäume, und zeichnete ihn mit Flußkieseln in den Ufersand. Er machte Verse an die Geliebte, die er leeren Flaschen anvertraute, und den Strom hinabschwimmen ließ, damit die Wellen sie bei Elfriedens neuem Wohnsitze an das Land treiben sollten. Aber auf die Dauer hielten diese Spiele nicht vor, und Nik suchte vergeblich auf seinen Streifereien durch den Park die Stimmungen lebendig zu halten, die bis dahin sein inneres Leben gewesen waren. Da Fritz alle seine Anspielungen auf seine Liebe in seinen Briefen völlig ignorirte, und Elfriede gar nichts von sich hören ließ, mußte die Quelle seiner Gefühle für das blinde Mädchen aus Mangel an Zufluß sich erschöpfen und schließlich versiegen. Mit den alten Gärtnersleuten hatte er überhaupt noch nicht über ihre Tochter geredet. Sie übersahen sein Verhältniß zu ihrem unglücklichen Kinde völlig und behandelten Nik lediglich als den jungen Herrn, höflich, aber durchaus ablehnend. Der frühere vertrauliche Ton mit Frau Glimm stellte sich nicht wieder her. Er selbst war befangen, und auf ihr lastete der Kummer, dessen Quelle Nik war, zu deutlich, als daß es ihm wieder wohl hätte werden können in ihrer Nähe. Mit der Zeit schien es Nik doch auch sonderbar, daß der Gärtner seines Vaters einst sein Schwiegervater werden solle. »Die Alten werden ja bis dahin todt sein«, dachte er dann. »Kommt Zeit, kommt Rath.«

Fritzens Briefe verstimmten ihn aber je länger, je mehr. »Früher«, sagte er gereizt, »hat er mich geschulmeistert, seit er Theologe ist, fängt er nun auch noch zu predigen an. Der Henker hole den eindärmigen Gesellen.«

Aber dadurch, daß er die Correspondenz mit seinem einzigen Freunde vernachlässigte, wurde seine Lage nicht erquicklicher und seine Existenz nicht reicher. Diese Vereinsamung schien ihm mit der Zeit völlig unerträglich, und er sah sich in der Schule nach neuen Freunden um. Zu einem geistigen Verkehre wie mit Fritz eignete sich keiner, das sah er bald, aber während er hier und dort anzuknüpfen suchte, forderten ihn einige lustige Brüder auf, sich einer Gesellschaft anzuschließen, die sie in der Stille gegründet hätten. Sie schlugen ihm vor, er solle an zwei Abenden der Woche in einer wenig besuchten Gartenwirthschaft, wo man vor einem Ueberfalle der Lehrer sicher sei, mit ihnen zusammenkommen. Die Mama freilich war entsetzt, als Nik zum ersten Mal um Erlaubniß bat, nach dem Thee noch einmal ausgehen zu dürfen, aber der Vater entschied: »Nik ist nächstens neunzehn Jahre alt, du kannst den Jungen nicht unter der Glasglocke erziehen wie eine Gurke.« Die Baronin seufzte; auch diesen Gräuel mußte sie über sich ergehen lassen. Dieses Mal freilich war das Recht auf ihrer Seite.

Als Nik am Abende in die den Schülern vorbehaltene Stube der ihm bezeichneten Wirthschaft eintrat, sprangen sofort die zunächst sitzenden Kameraden auf, um ihn freudig zu begrüßen. Sein Platz wurde ihm unmittelbar neben dem Vorsitzenden angewiesen, der ein buntes Band um das nicht mehr ganz reine Hemd trug und eine blaue Sammtmütze aufhatte. »Prosit Fuchs«, rief es von allen Seiten, und man trank Nik aus allen Gläsern zu. Dann erhob sich der Präses und commandirte silentium. »Ich gebe hiermit bekannt«, sagte er, »daß Herr Nikolaus von Altenbrück hiermit feierlich in unseren Verein Lätitia aufgenommen ist, wir begrüßen ihn also als jüngsten Lätizen.«

So hatte nun allerdings Nik seinen Besuch nicht verstanden, da aber alle Anwesenden mit ihren Gläsern auf ihn eindrangen und mit ihm anstießen, mußte er gute Miene zu dem bösen Spiele machen. Schweigend und etwas verlegen saß er zwischen dem Vorsitzenden und dem Kameraden, der ihn zuerst eingeladen hatte, denn er wußte nicht, was er mit dieser Gesellschaft reden solle. Das Gespräch, das Nik nicht zu unterbrechen bat, worüber die Andern lächelten, drehte sich um die Lehrer in der Klasse, die hier ganz besondere Namen hatten. Der Direktor hieß das Rüsselschwein, der Naturgeschichtslehrer der Urmolch, der Religionslehrer der lahme Hiob, der Mathematiker das fröhliche Ungethüm, und es wurden die unglaublichsten Dinge von ihnen erzählt, wie ihre Frauen mit ihnen umsprängen und wie schlecht sie zu Hause zu essen bekämen. Nach den Lehrern kam die feindliche Schülerverbindung an die Reihe, die »Hercynia«, auf die Lätizen hoch herab sahen. Sie nannten sie »die schmutzigen Brüder« und versicherten, daß kein »Hercyne« sich öfters als am Sonntage zu waschen pflege. Nachdem auch dieses Thema sattsam durchgesprochen war, gab man sich interessante Räthsel auf. »Altenbrück«, rief der Vorsitzende, »wie unterscheidet sich ein Briefträger von einer Kuh?« Nik strengte sich vergeblich an, eine witzige Lösung zu finden.

»Die Kuh wird gemolken«, sprach der Präsident würdevoll, »der Briefträger aber braucht sich das nicht gefallen zu lassen.«

Ein allgemeines Hurrah und schallendes Gelächter belohnte diese geistreiche Lösung. Sofort stellte der junge Witzbold eine zweite Frage: »Altenbrück! Was ist Seife?«

Wiederum allgemeines Schweigen und Räuspern. »Seife«, sprach der Präsident endlich, »ist das, wo, wenn man's nicht hat, man Hercyne wird.« Dieses Mal war der Jubel grenzenlos und alle Lätizen stießen an auf den Untergang der Hercynia. »Möge sie in ihrem Schmutze ersticken!« rief der Präses, während Nik unwillkürlich die Bierflecken auf dem Hemde des Sprechers betrachtete. Die Begeisterung war jetzt zu groß geworden, um das Räthselaufgeben fortzusetzen, vielmehr ergötzte man sich an Reden in Küchenlatein. »Venio tibi aliquid!« rief einer der Kameraden, indem er das Glas erhob.

»Venio post«, sprach Nik und leerte seinen Schoppen. Als die Zahl der leeren Gläser sich mehrte, und einer der hoffnungsvollen Jünglinge nach dem Andern sein Geldtäschchen hervorholte, hineinschaute und es schweigend wieder einsteckte, flüsterte der Präses Nik ins Ohr, es sei Sitte, daß jeder neu Eintretende ein Fäßchen für die Gesellschaft auflegen lasse. Nik, der dank der vereinten Spenden der Eltern und der Tante Klara, stets bei Kasse war, fand diesen Gebrauch sehr löblich, und der Vorsitzende übernahm sofort die Bestellung. Sobald die Gläser wieder gefüllt waren, ließ er die gesammte Lätitia auf ihr neues Mitglied, Freiherrn Nikolaus von Altenbrück einen feierlichen Salamander reiben, wodurch Nik sich nicht wenig geehrt fühlte. Das Gespräch kam dann auf die Universität, und man stritt, in welche Couleur man am besten eintrete. Es ward von Duellen geredet, von Schmissen, von Aufzügen und Exkneipen. Dabei vergaß man nicht, mit dem Spender des edlen Nasses fleißig anzustoßen, so daß Nik bald der Kopf wirbelte und er eine unangenehme Spannung im Magen empfand. Auf eine ihm in der Stille vorgetragene Bitte verbot deshalb der Vorsitzende, dem Fuchs Altenbrück noch weiter vorzutrinken, und gab Nik die Erlaubniß, die Halben und Ganzen, mit denen er noch rückständig war, das nächste Mal zu absolviren. Zum Glück war das aufgelegte Faß in unglaublich kurzer Zeit geleert worden, und ein großer Theil der schlanken Jünglinge benutzte die Gläser nur noch als Perspektive, durch die sie sich gegenseitig bewunderten. Unter diesen Umständen beschloß man aufzubrechen, und der erste Chargirte begleitete auf schwankenden Füßen den schwankenden Nik bis an das Thor seines Vorgartens, wobei er fortwährend wiederholte, man könne schon viel trinken, man dürfe nur die Direction nicht verlieren. So kam Nik in leidlicher Verfassung wieder im Schlosse an, wo er jedoch vorzog, sich sofort in seine Gemächer zurückzuziehn.

Obgleich er am andern Morgen etwas leidend aussah, versicherte er der Mama mit großer Entschiedenheit, daß ihm das Zusammensein mit Freunden ein geistiges Bedürfniß sei und er aus demselben die reichsten wissenschaftlichen Anregungen schöpfe. So erhielt er denn die nicht ohne Seufzen ertheilte Erlaubniß, diese Zusammenkünfte fortzusetzen. Je länger um so mehr gewann Nik Geschmack an dem Commersiren und den darauf folgenden Nachtschwärmereien. Phantastische Naturen, wie die seine, rollen rasch, wenn es einmal bergab geht, und ihm vollends fehlte die Widerstandskraft, die die Andern in einem längeren Schulleben sich erworben hatten. Jeder Eindruck riß ihn mit sich, und war er einmal im Zuge, so vermochte er es nicht mehr, die Eingebungen des Augenblicks und seine eigene Aufregung zu zügeln. So übertraf der schwächliche Junge vom Schlosse bald alle Andern in Thorheiten. Wenn die Kameraden aufbrechen mußten, »weil der Alte sonst brummt«, begleitete Nik sie noch durch die Straßen der Stadt, wo allerlei Unfug getrieben wurde. Selten kehrte er ohne die abgehängte Tafel irgend eines Gewerbtreibenden, oder entführte Barbierschüsseln und abgedrehte Fensterriegel in sein Schloß zurück, wo er sich eine ganze Sammlung solcher Beutestücke anlegte. Er erklärte sich jetzt selbst für einen Raubritter und baute die auf solche Weise eingetragenen Kloben, Haken, Thürklinken und Tafeln als Trophäe in seinem Kleiderschranke auf. In Anerkennung dieser frischen Haltung rückte er bald zum Präses und Senior der Lätitia auf, wozu freilich das Meiste beitrug, daß man die Mittheilungen an auswärtige Verbindungen gern durch einen so schönen Namen wie den Nik's unterzeichnet sah. Diese hohe Stellung füllte mit der Zeit Nik's ganzes Denken aus. An Elfriede dachte er nur noch selten und der Briefwechsel mit Fritz schlief ein. Natürlich durfte er als Vorsitzender hinter keinem der Andern zurückbleiben, sodaß seine Gesundheit bereits unter dem angestrengten Dienste litt. Kam er dann spät in der Nacht oder angetrunken nach Hause, so war er auf den guten Willen und die Verschwiegenheit des Pförtners angewiesen. Dieser Pförtner aber war kein Anderer als Johann Müller, dem der Baron wegen seiner besonderen Zuverlässigkeit die kleine Wohnung neben dem Gartenthore angewiesen hatte. Anfangs begnügte sich Nik, dem Rothen nach solchen Diensten am Morgen vornehm ein Trinkgeld zu reichen. Bald aber fand er für nöthig, von Müllers Gruß etwas vertraulicher als früher Notiz zu nehmen. Ein bedeutungsvolles Lächeln wurde an manchem Morgen zwischen ihnen ausgetauscht, und bald waren auch gewisse Verabredungen nöthig, die Nik immer mehr zum Bundesgenossen Müllers machten und ihn schließlich ganz demselben in die Hand gaben.

Die Folgen dieses Treibens traten aber früher zu Tag als Nik sich träumen ließ. Eines Morgens, als er nach seinem Kaffee schellte, da er ein außerordentlich ödes Gefühl in seinem Magen empfand, trat statt des Dieners mit dem Frühstück, vielmehr sein Vater ein. Derselbe schien sehr aufgeregt und herrschte Nik zornig an über die Unordnung und die abscheuliche Luft, die in dem Zimmer herrsche. In der zitternden Hand hielt er einen Brief, den er Nik zornig hinwarf. Dieser kannte die Handschrift. »Was das Rüsselschwein dem Alten geschrieben haben mag?« dachte er gleichmüthig. Der Freiherr hatte inzwischen die Fensterflügel aufgerissen und schien sein kahles Haupt in der Morgenkühle zu baden, während er mit finstern Blicken Nik fixirte, aus dessen Antlitz beim Lesen des Briefes alles Blut gewichen war. Derselbe enthielt die Anzeige des Directors, daß man einer geheimen Schülerverbindung auf die Spur gekommen sei, bei der Nikolaus den Vorsitz führe. Würde der Director die Sache zur amtlichen Verhandlung bringen, so müßte die Ausweisung der Betheiligten die Folge sein. Um zahlreichen ehrenwerthen Familien Kummer zu ersparen, wolle man aber die Sache in der Stille abthun, falls Herr von Altenbrück seinen Sohn sofort aus der Anstalt nehme, was sich auch darum empfehle, weil die Leistungen desselben in der letzten Zeit wieder durchaus ungenügende gewesen seien und er trotz seines vorgerückten Alters auf Ostern nicht würde versetzt werden können.

Nik schaute noch lange, nachdem er zu Ende gelesen, wie geistesabwesend auf das Schreiben. »Was hast Du darauf zu sagen?« knurrte nun der Baron vom Fenster her, indem er seine Bartspitzen grimmig in die Höhe drehte.

Nik schwieg noch immer. Ihm war von dem plötzlichen Schreck so elend geworden, daß er fürchtete, er werde im nächsten Augenblicke dem Vater einen tatsächlichen Beweis von seinem tugendhaften Lebenswandel liefern. Sein Vater erschien ihm vor seinen schwimmenden Augen wie ein Engel des Gerichts. Der kahle Kopf des Barons spiegelte den Lichtschein des hellen Morgens, und Nik schien mit Interesse den Schatten zu betrachten, den sein ergrimmter Erzeuger auf dem bunten Smyrnaer Teppiche neben dem Fenster warf. »Ich will keine unnützen Worte verlieren«, sagte der Vater endlich. »Da Du, wie ich sehe, Dich nicht rechtfertigen kannst, so muß ich Dich natürlich aus der Anstalt nehmen.« Nik athmete erleichtert auf. Dieses Unglück ließ sich schließlich ertragen. »Mit dem Studium hat es nun natürlich ein Ende«, fuhr der Vater fort. »Dein Eifer ist ja ohnehin schon wieder verraucht. Zwingen kann ich Dich nicht, fleißig zu sein. Man kann einen Jagdhund nicht auf die Jagd tragen. Du gehst nach Neudorf auf die Ackerbauschule, damit Du wenigstens das Gut bewirthschaften lernst. Ich gestehe, daß ich etwas Besseres aus Dir zu machen gedachte, als einen Krautjunker, aber lieber ein Landwirth, als ein mißlungener Jurist oder ein leichtsinniger Offizier. Es ist ja auch ganz gleichgültig, in welchem Fache Du eine Null wirst. Dafür brauche ich kein Geld weiter auszugeben. Im April reisest Du. Den Verdruß wenigstens will ich mir sparen, einen Sohn wie Dich täglich vor Augen zu haben.«

Ruckweise hatte der Freiherr diese für ihn ungewöhnlich lange Rede hervorgestoßen, indem er mehrmals dazwischen vor Aufregung Athem holen mußte. Jetzt verließ er sofort das Zimmer, und Nik faßte sich an den schmerzenden Kopf, um darüber klar zu werden, ob ihm seine schlechte Führung seit Fritzens Abgang eigentlich eine Strafe oder eine Belohnung eingetragen habe, denn daß er der Schule quitt und ledig war, freute ihn von Herzen. Dennoch war ihm am folgenden Morgen etwas beklommen zu Muthe, als er zur gewöhnlichen Stunde die Schulkinder und älteren Kameraden den gewohnten Weg nach der Stadt nehmen sah, während er müssig am Fenster stand; aber daran gewöhnte er sich. Da der Vater sich lediglich nichts um ihn kümmerte, und die Mutter nur Seufzer für ihn hatte, schlenderte er in der Stadt und auf den Bergen umher, oder lag auf seiner Stube und las ohne Wahl gute Bücher und schlechte.

Vielleicht hätte dieses zwecklose Umhertreiben noch lange gedauert, aber in den Osterferien kam Fritz zum Besuche zu seinen Eltern und war wenig erbaut über den Zustand, in dem er Nik vorfand. Daß er wegen Betheiligung an einer verbotenen Verbindung aus der Schule habe austreten müssen, konnte Nik dem Freunde nicht verhehlen, sonst aber hütete er sich, ihm sein seitheriges Treiben allzugenau zu berichten. Da machte ein Zufall Fritz mit der Trophäensammlung bekannt, die Nik noch immer in seinem Schranke bewahrte. Diese entwendeten Schilde und abgebrochenen Riegel und Klinken erzählten deutlich genug Nik's Lebensgeschichte seit Fritzens Abgang.

Der junge Theologe glühte vor Entrüstung. »Du Heuchler«, sagte er zu dem betroffenen Nik, »wie hast Du gegen die Junker des vorigen Jahrhunderts gepredigt, die dem Bauer seine Saaten niederritten, um ihrer Jagdlust zu fröhnen! Sind diese Dinge hier nicht auch sauer erworbenes Eigenthum, das Du dem armen Handwerker ruinirst, um Dir ein junkerhaftes Vergnügen zu machen? Was ist denn der Unterschied zwischen den Kornfeldern, die jene, und den Thüren und Fenstern, die Du zerstörst? Für die Ausgaben, die Deine Büberei dem armen Manne auferlegte, hätte er den Seinen einen vergnügten Sonntag machen können, während er jetzt vielleicht seinen Aerger an Weib und Kind ausließ. Das also sind Deine Freuden! Nun will ich Dir aber Eines sagen! Uns lies keine Bürger'schen Balladen mehr vor! Ich weiß jetzt, was von Deiner Entrüstung gegen die adeligen Unterdrücker zu halten ist.«

»Amen, sagt der Pfaff, wenn er nichts mehr weiß«, spottete Nik. »Aber ereifere Dich nicht, Mann Gottes. Ich gebe ja zu, daß es Unsinn war. Langeweile ist die Mutter der Thorheiten. Lasse uns am Abende wieder etwas Vernünftiges treiben, dann hören die Possen von selbst auf.«

Der gutmüthige Fritz ließ sich leicht versöhnen. War es ihm doch Gewissenssache, den Jugendfreund wieder auf bessere Wege zu leiten. Er behielt Nik nun fest an der Hand, und als die kurzen Ferien vorüber waren, wurde beschlossen, die Reise nach der Universität gemeinsam anzutreten. Nach bewegtem Abschiede von der Mutter und ziemlich kühlem von dem Vater, rollte Nik mit Fritz in dem Schnellzuge dem Norden zu, Nik nach Neudorf, Fritz noch ein Stück weiter nach der Universitätsstadt, an die sein Stipendium ihn band.

Nik hatte dem Freunde die schönsten Zusicherungen gegeben. Er wollte durch eisernen Fleiß die Lücken ausfüllen, die das unvollendete Gymnasialstudium bei ihm gelassen hatte, er wollte sich gründlich für seinen Beruf als Landwirth vorbereiten, ohne doch über dem Fachstudium die allgemeine Bildung zu vernachlässigen, die ihn über das Niveau der gewöhnlichen Landwirthe emporheben sollte. Er wollte dies und wollte das, aber freilich machte er für sich auch den Vorbehalt, daß er einiges Verbindungsleben mitzumachen gedenke. Tages Arbeit, Abends Gäste, sollte sein künftiges Losungswort sein.

Von Elfrieden war zwischen beiden nicht die Rede. Fritz mied dieses Thema und Nik suchte es nicht mehr auf. Erst während der Reise ließ er sich von ihrem Leben in der Anstalt, von ihren Fortschritten und von der Methode des Unterrichts durch den Bruder erzählen. So waren die beiden Passagiere dem Ziele ganz nah gekommen, als kurz vor Neudorf der Zug noch einmal anhielt. Auf dem Perron der kleinen Station sahen sie etliche junge Menschen in blauen Mützen stehen. Ein Mitreisender, der Nik und Fritz für Studenten hielt, sagte spöttisch: »Sehen Sie diese Ackerbauschüler von Neudorf, nun fangen diese Stoppelhopser auch an, die Studenten zu spielen.« Im gleichen Augenblicke aber drängten die Blaumützen sich an den Zug, wobei sie in alle Wagen hineinschauten.

»Der Kleine, Blasse, muß es sein«, sagte dann der Aelteste der Schüler, ein Bursche mit breitem, gewöhnlichem Gesichte und werdendem Vollbarte. Er winkte dem Schaffner, damit er Nik's Coups aufschließe. Zu Fritzens lebhaftem Verdruß drängten sich die drei Jünglinge sehr ungeschlacht an ihm vorbei und besetzten die noch übrigen Plätze. Der Bärtige wendete sich darauf zu Nik, rührte an die blaue Mütze und sagte verbindlich: »Herr von Altenbrück!«

Nik verneigte sich und erwiderte rasch: »So ist mein Name.« Er war verlegen, denn er konnte sich gar nicht denken, wie er zu dieser Bekanntschaft komme.

»Sie sind an uns empfohlen«, erwiderte der Farbentragende. »Ihr Freund Louis hat uns die ganze Geschichte von der Auflösung der Lätitia berichtet und daß Sie das unschuldige Opfer geworden sind. Wir freuen uns sehr, daß Sie nach Neudorf kommen. Die Lätizen sind immer bei uns eingesprungen. Wir hoffen, daß Sie jedenfalls einmal die Neudorfer Blauen mit ihrem Besuche beehren und sich die Sache ansehen, Sie können ja dann immer noch thun, was Ihnen beliebt.«

»Mein Freund beabsichtigt überhaupt nicht, einer Verbindung beizutreten«, mengte nun Fritz sich ein. Aber der Bärtige sah ihn nur flüchtig von der Seite an und fragte dann, als ob er Fritz keiner Beachtung werth fände: »Haben Sie schon eine Wohnung, Herr von Altenbrück?«

Nik verneinte das, und da fand es sich, daß ganz in der Nähe des Bärtigen, der sich nun als Studiosus Naudigl vorstellte, eine vortreffliche Bude zu haben sei, die die Blauen für ihre Freunde vorläufig belegt hätten und die sich Nik jedenfalls besehen solle. Wieder schaltete Fritz ein, Herr von Altenbrück habe vor, die erste Nacht im Gasthofe zu bleiben, um am andern Tage mit Muße sich eine Wohnung zu suchen, aber der zweite Blaue, ein hochaufgeschossener Mensch mit weißblondem, wolligem Haare erwiderte in sehr herablassendem Tone: »Sie waren wohl der Hauslehrer des Herrn Baron, da Sie sich so besorgt zeigen?«

Fritz brauste auf: »Durchaus nicht. Wie kommen Sie zu dieser Frage? Ich bin Student.«

»Nun«, erwiderte der Andere gleichmüthig, »wenn man Sie zusammensieht, macht es den Eindruck. Sie sind so gesetzt, wohl Theologe? ...« fügte er in gedehntem Tone hinzu.

Fritz schoß wieder das Blut in's Gesicht, aber in diesem Augenblicke hielt der Zug. Die drei Blauen bemächtigten sich sofort des Gepäcks von Nik, während Fritz diesem zuflüsterte: »Um alles in der Welt, Nik, mache Dich los von diesen Menschen. Gehe um keinen Preis in diese Falle!« Aber Nik fragte rathlos: »Was soll ich thun?«

»Fahre sofort in den Gasthof.«

»Rasch, rasch, meine Herrn", rief jetzt der Schaffner, »der Zug hält nur drei Minuten.«

So konnten sich die beiden Freunde nur noch die Hand drücken. »Ich weiß gewiß, daß Du es bereuen wirst, wenn Du nicht fest bleibst«, sagte Fritz noch. Dieser aber zuckte wie hülflos mit den Schultern und ergab sich in sein Schicksal. Der Freund blickte ihm bekümmert nach. Sich weit aus dem Wagen beugend sah er noch, wie der eine Blaue dem unentschlossenen Neuling den Gepäckschein abnahm, um ihm seinen Koffer zu besorgen, während der Andere einen Wagen herbeiwinkte. Umgeben von den blauen Mützen wurde Nik in den Wagen gedrängt und gleichzeitig setzte sich der Bahnzug in Bewegung.

»Es ist ihm schwerer gemacht«, seufzte Fritz, »als uns Andern. Was hat der Gärtnersohn Glimm, der Studiosus der Theologie, für Versuchungen zu bestehen? Keine! Diese Leute wollten mich nicht einmal haben, wenn ich ihnen nachliefe. Aber freilich ein Reichsfreiherr von Altenbrück! Dem fahren ihre Schlepper schon eine Station weit entgegen, um ihn in's Garn zu treiben. Sie wußten sogar, mit welchem Zuge er ankomme! Solchen Veranstaltungen zu entrinnen ist Nik nicht der Mann. Woher sollte er auch die Widerstandskraft nehmen, wie er erzogen ist? Oh, ihr vornehmen Leute, wie arm seid ihr doch!«

Nik war inzwischen mit seinen drei neuen Freunden sofort vor der Wohnung vorgefahren, die die Blauen fürsorglich für ihn belegt hatten. Diese, freundlich und hell, wurde von einer redseligen dicken Wirthin, die mit den Blauen sehr vertraulich zu stehen schien, nach Gebühr angepriesen, und noch ehe Nik sich entschieden, wurde das Zimmer von einem hübschen aber dreist aussehenden Stubenmädchen in Stand gesetzt. »Der Herr behält die Stube«, entschied dann der Bärtige, und Nik erklärte mit etwas unsicherer Stimme, daß er mit den Bedingungen einverstanden sei.

»Sie werden es nicht bereuen«, versicherte sein Patron. Zeit sich umzukleiden wurde dem Ankömmling nicht gelassen. Die drei Blauen versicherten, er sei ganz patent, und Herr Naudigl schlug vor, zunächst die Umgegend zu besehen und dann auf das Jagdhaus zu gehen, wo man sich am besten orientire.

Am Abende saßen in einer Kneipe, deren rauchige Wände mit Trinkhörnern und vergilbten Bildern bedeckt waren, die älteren Leute aus der Verbindung der Blauen beisammen. Bei schäumenden Biergläsern, die eine dralle Kellnerin auftrug, tauschten sie die Erlebnisse des Tages aus.

»Wenn Naudigl nicht mehr Glück hat als ich«, sagte einer der Aeltern mißmuthig, indem er die Mütze aus dem von Schlägerhieben zerfetzten Gesichte rückwärts schob, »so bekommen wir nicht einen einzigen Fuchs, die Grünen haben uns alle weggefangen.«

Mit diesen verdrossenen Worten nahm der Karaibe, wie er in der Verbindung wegen seines tätowirten Gesichtes hieß, sein Glas und leerte es in zwei Zügen.

»Ruhig Blut, Karaibe«, sagte ein Anderer, »Du bist ganz am Platze, um eine Forderung zu bestellen; die Grünen bekommen das Zittern, wenn sie dein Gesicht sehen, aber wie eine Einladung zum Eintritt sieht es nicht aus. Die Fuchsjagd überlasse Du dem sanften Heinrich."

»Wahr gesprochen«, rief ein lang aufgeschossener Mensch, der wegen seiner Consumfähigkeit, die mit seinem schwindsüchtigen Aussehen in grellem Widerspruche stand, die Bierlatte genannt wurde. »Seht, hier kommt ja Naudigl! Nun, was habt Ihr ausgerichtet?«

»Einen famosen Fuchs bringen wir«, rief der Eintretende, den wir bereits kennen. »Ich sage euch, einen Freiherrn, der auf einem Normannenschloß haust, das eine eigene weiße Frau hat, einen jungen Kerl, der zwei Gärtner hält und mit einem blinden Mädchen verlobt ist. Er ist bereits eingekleidet, aber vertragen kann er nichts, er ist schon knüll. Heiliger Strohsack, was hat er uns alles vorgestammert von seinem Herrn Papa und dem blinden Mädchen und seinem Freund Fritz, mit dem der Brandfuchs im Waggon aneinander gerieth, daß sie fast contrahirt hätten. Er ist furchtbar grün, also nehmt Euch zusammen. Gleich wird er da sein.«

In der That wurde jetzt die Thüre des mit Rauch erfüllten Zimmers weit aufgerissen und von zwei neuen Freunden unter dem Arme geführt, trat Nik ein, der bereits eine blaue Mütze auf dem Kopfe trug. »Prosit, Fuchs«, rief die Bierlatte dem Eintretenden zu, der mit gläsernen Augen in den Nebel von Tabakswolken starrte und sich vergeblich zu orientiren suchte.

»Au! Ein deutscher Händedruck«, rief Nik dann, indem er seine kleine zarte Hand aus der knöchernen Umklammerung durch die Riesenfinger der Bierlatte zurückzog.

»Welch ein Damenpfötchen«, brummte der lange Student, »Dir wird der Fechtboden gut thun.«

»Trinken wir eins zur Versöhnung«, rief Nik. "Wein her! Ich habe meinen ganzen Wechsel in der Tasche!« Die Andern lachten, da dem zarten Männchen bei diesem Versuche, imposant aufzutreten, die Stimme in die Fistel umschlug. Die Kellnerin brachte die Weinkarte, und Nik wählte. Der Wein kam, und Nik hielt die Flasche in der Hand, konnte sich aber bereits nicht mehr besinnen, was er mit derselben thun wolle. Naudigl schenkte an seiner Stelle ein und bestellte sofort eine zweite. Inzwischen war der Senior der Blauen eingetreten, der schon in vorgerückten Semestern stand, ein Koloß von einem Menschen mit einem aufgedunsenen Gesichte und einem dünnen, durchsichtigen Bärtchen. Der neue Fuchs wurde ihm vorgestellt.

»Gib mir die Pfote«, sprach der Koloß mit mächtiger Baßstimme. Nik gehorchte mit einer Verbeugung, aber er seufzte auf's neue über den Händedruck des kräftigen jungen Oekonomen.

»Habt Ihr Euch gut amüsirt«, fragte der Senior.

»Famos«, erwiderte Naudigl. »Der Fuchs hat uns von seinem Schlosse erzählt und seiner Familie. Fidele Leute! Wir werden seinem Alten an Pfingsten die Ehre unseres Besuchs erweisen. Er wird sich gewiß freuen, uns kennen zu lernen. Prosit, Fuchs.«

Alle Blauen tranken Nik zu, und dieser leerte sofort sein Glas bis zur Neige. Der Senior setzte sich neben ihn, streckte vertraulich seinen Arm über Nik's Stuhllehne und legte ihm die Grundsätze der Blauen klar und lichtvoll dar, ihren Comment, ihre Statuten und wie es ihre Absicht sei, der verbauernden Thätigkeit der Landwirthschaft gegenüber das ritterliche Element zu pflegen, das den Gutsbesitzer von dem Bauern unterscheiden müsse. Nik war mit Allem sehr einverstanden und berichtete, daß er ursprünglich habe studiren wollen und lieber an eine Universität als an eine landwirthschaftliche Schule gegangen sein würde, und wie er um so entzückter sei, hier Alles wie an einer Universität zu finden. Der Senior schwieg und begnügte sich, gravitätisch an seiner langen Pfeife zu saugen. Dann erzählte Nik, wie er auf der Schule Präses der Lätitia gewesen sei und unter welchen erschwerenden Umständen er seinen Abgang vom Gymnasium genommen habe. Das interessirte den Senior schon mehr und er ergriff die neue Flasche, die die Kellnerin, ohne auf Nik's Bestellung zu warten, herbeibrachte, und stieß mit Nik an auf das Wiedererstehen der Lätitia.

»Gieß auch uns ein«, rief die Bierlatte, die selten Wein zu trinken bekam. »Wir wollen mit anstoßen auf unsern neuen Fuchs, Freiherrn Nikolaus von Altenbrück. Smollis, Du krasser Fuchs!«

Nik schwamm in Wonne. Man erzählte ihm nun von den neuesten Duellen, von den letzten Relegationen, von den Bällen auf dem Casino und den Familien, bei denen er Besuch machen müsse. Dann nahm die Unterhaltung eine speciellere Wendung. Streitfragen der Blauen mit den Grünen wurden berathen, die Nik nicht verstand. Die Ermüdung der langen Eisenbahnfahrt, der Einfluß der ungewohnten Getränke, zumal des gefälschten Weines, machte sich geltend; die blaue Mütze, die Nik zu klein war, fiel ihm vom Haupte, und er schlief ein.

»Führt ihn heim«, befahl nun der Senior würdevoll. »Den habt Ihr, seht, daß Ihr ihn haltet.«

Die beiden Blauen, die Nik auf der Eisenbahn dingfest gemacht hatten, ließen es sich nicht nehmen, ihn auch nach der Wohnung zu bringen, die sie ihm aufgenöthigt hatten. Die kühle Nachtluft draußen machte Nik rasch wieder munter. Taumelnden Schrittes ging er zwischen den beiden Blauen her, hielt Ansprachen an die Straßenlaternen und Brunnen, versuchte mit den Vorübergehenden Streit anzufangen, und lallte, wenn sie verächtlich weiter gingen: »Ganz dummer Kerl das, ganz dummer Kerl .. losgehn .. Natur .. contra–hiren.« Zum Glück war der Weg nicht weit, und als er mit seinen beiden Genossen die neue Wohnung erreicht hatte, nahmen diese ihm den Schlüssel aus der Tasche und schlossen auf. Das Stubenmädchen, an solche Scenen schon gewöhnt, sprang mit dem Lichte herzu und leuchtete nach der Stube. Dort angekommen, warfen die Freunde den betrunkenen Nik der Magd zu wie einen Ball: »Hier, Gretchen, tröste ihn«, riefen sie, »Du verstehst das ja am Besten.« Damit verließen sie polternd und lachend die Wohnung.

Als Nik am andern Morgen mit wüstem Kopfe erwachte, standen bereits wieder zwei Blaue vor seinem Bette, um ihn zu einem Katerfrühstück abzuholen, das er allerdings sehr nöthig hatte. Man ließ ihn überhaupt nicht zur Besinnung kommen, und noch ehe er eine einzige Vorlesung belegt hatte, war Nik bereits Fuchs bei den Blauen geworden.

Zu Anfang des Semesters wollte der junge Oekonom noch neben den Verpflichtungen gegen seine Verbindung auch denen seines Studiums gerecht werden. Das aber wurde ihm rasch abgewöhnt. Während er im Colleg saß, begaben sich etliche der Blauen auf seine Stube, ließen sich da auf seine Kosten ein feines Frühstück serviren und versprachen dem mit seiner Mappe zurückkehrenden Fuchse, sie würden diese Besuche so lange fortsetzen, bis er seinem Laster des Colleghörens entsagt habe. Unter diesen Umständen fand er es allerdings selbst angenehmer, auf der Kegelbahn in Gemeinschaft mit den Anderen zu frühstücken, als abwesend ihrer Diskretion überlassen zu sein. Am Mittage lag man dann auf den Bierdörfern der Nachbarschaft, bis die obligatorische Kneipe im »wilden Mann« begann. Ward Nik seitdem im Hörsaale nicht mehr gesehen, so lag er um so fleißiger auf der Kneipe; er fuhr spazieren und ward auf dem Fechtboden übel zugerichtet. Hatte er seine Wunden geheilt, so ging es dann wieder an's Trinken und an neue Duelle. Die gleiche Ordnung wiederholte sich Tag für Tag, denn diese Art, das Leben zu genießen, ist keiner Abwechselung fähig.

Eine Pause in diesen Genüssen drohte nur das Ausbleiben der Geldsendungen herbeizuführen, da der Freiherr auf Nik's Forderungen nur noch mit strafenden Episteln antwortete, und die Mutter und Tante Klara schließlich in ihren geheimen Sendungen gleichfalls ermüdeten, als sie sahen, daß Nik's Bitten kein Ende nahmen. Als dieser nicht mehr zu zahlen vermochte, klagten die Gläubiger ihre Forderungen ein, und eines Tages bekam der Freiherr eine ganz artige Sammlung von Rechnungen mit einem amtlichen Schreiben zugestellt, das ihn für die Schulden seines Sohnes haftbar machte. Bleich vor Zorn ging der Baron an diese angenehme Lectüre und mehr als einmal sträubten sich seine Bartspitzen zornig in die Höhe. Da waren Ausgaben für gemalte Wappenseidel, für Stöcke mit gravirten Ringen, für vergoldete Pfeifenköpfe und damascirte Schläger, Rechnungen von Delikatessenhändlern und Wirthen, – »ein Beefsteak für den Herrn Hund – zwei Mark«, – hieß ein ständiger Posten, der dem Baron immer wieder auf's neue das Blut in die Schläfen trieb. Schließlich raffte der empörte Vater den ganzen Bündel zusammen und befahl dem rothen Johann, seine Reiseeffekten zu packen und dabei sein spanisches Rohr ja nicht zu vergessen. Nachdem Johann dieses Geschäft mit gewohnter Pünktlichkeit besorgt hatte, reiste der Baron mit dem nächsten Zuge nach Neudorf ab.

Der Winter neigte sich seinem Ende zu, und wie im vorigen Jahre, wollte Fritz einige Wochen bei den Eltern verleben, zumal Elfriede aus dem Blindeninstitut entlassen und wieder im väterlichen Hause eingetroffen war. Es drängte den Bruder, zu sehen, welche Fähigkeiten die berühmte Schule in der unglücklichen Schwester entwickelt habe. Sein Weg führte auch dieses Mal über Neudorf. Als der Schaffner den Namen der Station ausrief, sah Fritz eifrig aus dem Fenster des Eisenbahnwagens, ob er nicht Nik erblicke, der in letzter Zeit alle seine Briefe unbeantwortet gelassen hatte. Statt seiner sah er einen der Blauen, der in seine Wagenabtheilung einstieg. Da die beiden jungen Leute allein waren, kamen sie bald in ein Gespräch, und Fritz fragte, ob der Blaue den jungen Altenbrück kenne. »Ja«, erwiderte dieser ziemlich verdrossen.

»Ist er noch in Neudorf?« fragte Fritz eifrig.

»Nein, sein Vater hat ihn schon vor Schluß des Studienjahres selbst nach Hause geholt, weil er zu viel Geld brauchte.«

»War er nicht in Ihrer Verbindung?« fuhr Fritz auf.

»Nein«, sagte der Blaue unwirsch. »Das heißt, wir haben ihn dimittirt.«

»Ausgestoßen?« fragte Fritz erschreckt, »und warum?«

»Er war ganz verkommen und bezahlte nicht einmal seine Ehrenschulden.«

»Wie kam er dazu, Schulden zu machen?« fragte Fritz anzüglich.

»Was wollen Sie«, erwiderte der Blaue, »er war den halben Tag betrunken, und ließ sich dann das Geld von jedem Bummler abnehmen. Dabei spielte er, so lange er etwas in der Tasche hatte, und länger. An mich verspielte er sogar sein Normannenschloß, die weiße Frau, die darin haust, und seine Braut, ein blindes Mädchen. Ich glaube, er hätte Vater und Mutter verspielt, wenn ich es ihm angeboten hätte. Als er dann sein Ehrenwort nicht hielt, haben wir ihn hinausgeworfen.«

Nun hatte Fritz genug, er fragte nicht weiter.


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