Adolf Hausrath
Elfriede
Adolf Hausrath

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Zweites Kapitel

Vier Wochen waren vergangen, da wurden vier Kinder, drei Knaben und ein Mägdlein, in der kleinen Kirche des Dorfes zur Taufe getragen. Der würdige Pfarrherr hatte darauf bestanden, daß die in gleicher Stunde Geborenen auch gemeinsam dem Herrn in der Taufe müßten dargebracht werden, und der Schloßherr, ein vor der Zeit gealterter Lebemann, wollte seinen braven Gärtner nicht kränken, da er wußte, wie stolz dieser auf seine Zwillinge, einen Knaben und ein Mädchen, war. So trat er etwas befangen an der Seite seines Untergebenen in die Dorfkirche ein, die er lange nicht von innen gesehen hatte. Zögernd und ungern entblößte er in dem kühlen Raume sein kahles, spiegelndes Haupt, und mit kleinen, unsichern Schritten, als ob Glatteis wäre, strebte er den vordern Bänken zu, während die Hünengestalt seines Gärtners fest und stampfend neben ihm einherschritt. Etwas verlegen betrachtete der Baron durch sein Augenglas die ärmlichen Veranstaltungen am Altare, denn er wußte nicht, ob er hier zu sitzen oder zu stehen habe, und wollte doch seinen Gärtner nicht danach fragen. Aus dieser unbehaglichen Lage befreite ihn der Pfarrer, der freundlich aus der Sakristei auf den Freiherrn zukam. Es war ein kleiner, grauköpfiger, geistlicher Herr, der mit in die Höhe gezogenen Brauen über seine silberne Brille hinweg den Baron mit klugen Augen anschaute und mit einem schlauen Lächeln seine Freude aussprach, den Freiherrn auch einmal hier zu sehen. Dieser machte gute Miene zu diesen Scherzen, denn der Prediger stand in hoher Achtung bei seiner Gemeinde. Er war vor Zeiten sogar königlicher Consistorialrath gewesen, aber er hatte seine Stelle im Consistorium bald wieder aufgegeben und war nach Brückenheim zurückgekehrt, indem er sagte, die Erziehung seiner Bauernkinder sei wichtiger als alle Berathungen über die Personalzulagen und Badgratialien der Herren Pastoren. Die Bauern hielten ihn darum hoch, und auch der Gutsherr mußte das respektiren. Im Verlaufe des Gesprächs lenkte der Pastor die Aufmerksamkeit des Freiherrn auf eine ärmlich gekleidete alte Frau, die gleichfalls ein Kind zur Taufe brachte. Es war ein armer Junge von der Dorfmauer, zu dem kein Vater sich bekennen wollte, der aber genau zu gleicher Stunde mit dem Sohne des Barons geboren worden war.

»Er wird wohl zu Grunde gehn«, sagte der Pfarrer, »wenn man sich seiner nicht annimmt«, und er setzte dem gnädigen Herrn die höchst bedauerlichen Verhältnisse des vierten Sonntagskindes auseinander, wobei er während seiner halblauten Mittheilungen den Kopf mitleidig hin und her wiegte und schließlich aus silberner Dose eine Prise nahm. Es folgte eine Pause. Der Geistliche richtete erwartungsvoll seine milden, grauen Augen über die silberne Brille hinweg auf das blasse, verlebte Gesicht des jungen Freiherrn, der verdrossen die gewichsten Spitzen seines Schnurrbarts nach vorn drehte, sodaß sie den Fühlfäden eines Insektes glichen. Er hatte ein unbehagliches Gefühl in seinem Beutel und dachte: »kaum ist man in diese Falle gegangen, so fängt der Bettel schon an.« Aber es war der Tauftag seines lang erhofften Erben, und er war gestimmt, alte eigene Sünden durch einen Akt der Wohlthätigkeit wieder gut zu machen. Er strich also die Spitzen seines Schnurrbarts wieder abwärts, was ihm ein milderes Ansehen gab, und erklärte sich bereit, die Kosten der Erziehung für den vaterlosen Jungen zu übernehmen. Die Alte könne monatlich in das Schloß kommen und seinen Beitrag in Empfang nehmen.

Auf der Orgel fing nun der Schulmeister an, langsam zu präludiren, während der Prediger sich in seine Sakristei zurückzog. Das Lied hatte schon begonnen, als die weiß gekleideten Pathinnen des kleinen Barons, gefolgt von behandschuhten Herren und sporenklirrenden Offizieren, in die Kirche rauschten, den Säugling in ihrer Mitte tragend, während die Gärtnerin und ihre Schwester mit den Zwillingen sich bescheiden anschlossen. Fast erdrückt von Bändern und Spitzen lag der bleiche, vornehme Knabe in den Kissen, auf denen die Wärterin den Stammhalter derer von Altenbrück nunmehr dem Pathen, einem Dragoneroffiziere mit hellblauer Uniform und gelben Aufschlägen, darreichte.

Auf einen Wink des Predigers, der jetzt im Ornate an den Altar getreten war, stellte sich der stämmige Gärtner Glimm und seine Frau neben die Herrschaften. Während der Offizier sein Pathenkind von sich abhielt wie ein Präsentirbrett, beugte sich die breitschultrige, hochgewachsene Gestalt des Mannes der Arbeit liebevoll hinab auf das Knäblein, das in süßem Traume auf seinem Arme lag. Der mächtige Recke war fast zu alt für solches Glück, denn sein Haar fiel schon ins Graue und sein gutes, verständiges Gesicht zeigte tiefe Falten. Auch seine Frau stand nicht mehr in der ersten Jugendblüthe. Man heirathet nicht zu früh, wenn man arm ist, aber man weiß dann auch, was zu einem Haushalte gehört, und bekommt gesunde Kinder. Dennoch war die Gärtnerin Glimm noch immer eine schöne Frau, und man mußte sie lieb haben, wenn man ihre freundlichen Augen sah, die heute voll mütterlicher Zärtlichkeit auf das Kind an ihrer Brust herabschauten. Hinter sie drückte sich das alte, dürftig aufgeputzte Weib mit ihrem Enkel. Die alte Müllerin von der Dorfmauer galt für eine Säuferin von Profession, und ihr Aussehen strafte diesen Ruf nicht Lügen. Der Junge, den sie in den Armen hielt, war eine verkümmerte, kleine, gelbe Kreatur, schon vor der Geburt verwünscht und mißhandelt. Darum schrie er denn jetzt auch in den Armen seiner Großmutter mit einem so boshaften Eifer, daß man kaum einen Satz aus der Rede des würdigen Pfarrherrn verstehen konnte. Nur der Baron, der zunächst stand, vermochte zu folgen, aber er schaute betroffen auf, als er den Geistlichen sagen hörte: »Wir erflehen für diese Kinder nicht Reichthum, sondern Gesundheit des Leibes und der Seele, und lieber einen frühen Tod als ein beschmutztes und unnütz verbrachtes Leben.« Die freundliche Gärtnerin vernahm die Worte nicht. Sie würde sie auch nicht vernommen haben, wenn der kleine Dorfteufel neben ihr weniger heftig gebrüllt hätte, so selig gingen ihre Blicke zwischen den beiden kleinen Häuptern hin und her, die ihr zu eigen waren. Was konnte man auch Schöneres sehen als diese blauen Augen, die ernst und groß aus dem zarten, weißen Gesichtchen ihres Mädchens verwundert in die Welt sahen, oder als das energische Näschen und die fein geschlossenen Lippen des Knaben, der schon einen ganzen Busch dunkler Haare mit auf die Welt gebracht hatte, die ein Sonnenstrahl, der sich durch den Epheu des Kirchenfensters stahl, jetzt mit lichtem Goldglanze säumte. Der Reihe nach traten die Pathen zum Taufstein. Der kleine Freiherr marschirte auf seinem Dragoneroffizier sporenklirrend voran und erhielt die Namen Nikolaus Götz Maria Joseph Kunz Maximilian; die Zwillinge wurden Elisabeth Friederike und Fritz getauft, der dritte Knabe Johann.

Als die heilige Handlung zu Ende war, verließen die vier jungen Christen die Kirche. Der Junker, den sein hellblauer Pathe so eilig zurückgab, daß die Wärterin ihn fast hätte fallen lassen, kehrte in den oberen Stock des Schlosses heim, wo alle Fenster noch dicht verhängt waren, denn die zarte Baronin erholte sich schwer und langsam, die Zwillinge in das Gärtnerhäuschen; den kleinen Johann aber trug seine Großmutter zunächst in das Wirthshaus.

In dem untern Geschosse des Schlosses blieb es noch lange lebendig. Gläser klangen, Toaste wurden ausgebracht, Wagen fuhren vor und rollten nach der Stadt zurück. Im Gärtnerhäuschen bereitete die Gärtnerin selbst den Kaffee, um ihre Gevattern, den stattlichen Kutscher des Herrn und eine Freundin aus ihrem Heimathsorte, zu bewirthen, der kleine Johann aber blieb in der Schenke, bis der Wirth die Alte wegwies, weil der Junge durch sein Schreien die Gäste störe, worauf die würdige Ahne taumelnden Schritts den Weg nach der Dorfmauer suchte.


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