Adolf Hausrath
Elfriede
Adolf Hausrath

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Siebentes Kapitel

Am folgenden Sonntage trat der Baron in seinen Garten hinaus und fand den Gärtner, obwohl die Sonne schon hoch am Himmel stand, noch immer mit dem Begießen der Pflanzen beschäftigt, während der neu eingetretene Lehrjunge ihm dabei müssig zusah.

»Warum hilfst Du nicht?« fragte der Freiherr den jungen Menschen, der überhöflich zur Seite trat.

»Er sagt, daß er am Sonntage keine Arbeit thun dürfe«, lachte der Gärtner gutmüthig.

»Dummes Zeug«, schnarrte der Baron, und seine gewichsten Bartspitzen sträubten sich in bedrohlicher Weise. »Du meinst wohl, es sei Gott wohlgefälliger, wenn bei dieser Trockenheit die schönsten Blumen zu Grunde gehn. Sogleich holst Du Deine Kanne!«

Der Knabe rührte sich nicht von der Stelle.

»Nun?« herrschte der Freiherr.

»Es ist gegen meine Religion«, sagte der neue Lehrling.

»So suche Dir einen andern Dienst!« erwiderte der Freiherr zornig. »Kopfhänger kann ich nicht brauchen.« Jetzt erst ging der rothhaarige Junge zu dem Hüttchen, wo die Gerätschaften lagen, aber er warf dem Herrn vorher noch einen so vorwurfsvollen Blick zu, daß dieser ihn beinahe zurückgerufen hätte. In diesem Augenblicke wurde die Glocke am Thore gezogen.

»Ach, Besuch!« rief der Freiherr ärgerlich. »Johann soll sagen, ich sei nicht zu Hause. Ja so!« verbesserte er sich dann, »das wird der auch nicht sagen dürfen. Dieses verwünschte Rettungshaus!«

»Doch, lügen dürfen sie«, erwiderte der Gärtner trocken. »Er hat mich schon zehnmal belogen, so kurz er hier ist.«

»Nun, dann will ich ihn wenigstens nicht dazu anleiten«, erwiderte der Baron, in das Lachen des Alten einstimmend, und eilte über die Brücke nach seinem Zimmer, um rasch noch Toilette zu machen. Drinnen fand er Nik bei einem Romane, und jagte ihn sofort in den Garten.

Als Nik, verstört von seiner wüsten Leserei, heraustrat, erblickte er der Brücke gerade gegenüber, wo man ihn von dem Zimmer des Barons am besten sehen konnte, einen hagern, rothhaarigen Knaben, der in schwarzen Kleidern, die Confirmandenmütze auf dem Kopfe, feierlich Blumen begoß, und über jede eine Art von Taufsegen zu murmeln schien. Als er näher heranging, trat derselbe ehrerbietig zur Seite und nahm seine Mütze ab. Nik war nicht wenig erstaunt, in dem salbungsvollen Blumenpfarrer seinen ehemaligen rothhaarigen Feind, den mehrfach zu Tod gemarterten und dann in Gnaden frei gegebenen Mohrenkönig wieder zu finden. »Wie kommen Sie hierher?« fragte er würdevoll.

»Wollen der gnädige Herr doch Du zu mir sagen. Ich bin ja nur der Lehrjunge des Herrn Glimm, also in Euer Gnaden Diensten.«

Nik fühlte sich nicht wenig geschmeichelt über diese unterwürfige Anrede. Dann kam ihm aber eine störende Erinnerung: »Du wolltest mich ja zwingen, alle Freiherren Mißgeburten zu nennen?« sagte er trotzig.

»Es war der leibhaftige Satan, der aus mir sprach«, erwiderte der Rothe in zerknirschtem Tone. »Wahrhaftig, ich war damals besessen. Sie wissen nicht, Herr Baron, wie der Böse über unsereinen Gewalt hat, so daß wir dann gerade das Gegentheil von dem sagen, was wir denken, und thun müssen, was wir am wenigsten wollen. Die ganze Stunde hatte der Teufel mir in die Ohren geflüstert: ›beleidige den Besten unter allen Knaben, beschimpfe den Schönsten, den Adeligsten‹. Nur, weil ich Sie so bewundert hatte an all' den vorangegangenen Tagen, hat der Satan mich auf Sie gehetzt. Aber ich sehe es ein, ich hätte am Sonntage den Herrn Baron noch besonders um Vergebung bitten müssen.«

Nik war nicht unempfindlich gegen so schöne Worte »Gut«, erwiderte er, »ich will hoffen, daß der Satan Dich nicht wieder plagt, und falls Du Deine Pflicht thust, erfahren die Eltern nichts von der Sache.« Damit ging er weiter, da ihm die Hausgenossenschaft des früheren Feindes, der ihn so schwach gesehen, eine unerfreuliche Ueberraschung war. Auch suchte er Elfrieden, nach der er schon die ganze Woche vergeblich ausgeschaut hatte.

Heute war das Glück ihm günstiger. Als er durch den Park gegangen, fand er die beiden Zwillinge, wie sie, zärtlich die Arme um einander schlingend, am Waldrande hin und wieder gingen. Elfriede schien geweint zu haben. »Sie geht morgen nach der Residenz«, rief Fritz. »Du kannst ihr Lebewohl sagen.« Nik wurde bleich. Man sah ihm an, daß er ganz zerschmettert war von dieser Nachricht.

»Ich soll mich in der Musik ausbilden«, sagte Elfriede ruhig. »Der gute Herr Pastor hat es den Eltern gerathen. Ich thue es auch gern, aber die Trennung wird mir schwer.«

»Wann wirst Du wiederkommen?« stammelte Nik mit niedergeschlagenen Augen.

»Wenn die Georginen blühn«, erwiderte die Gärtnerstochter, die nach den Blumen rechnete. Nik vermochte kein Wort hervorzubringen, aber es war ihm, als ob sein guter Engel von ihm weiche. »Lebe wohl«, sagte er leise zu Elfrieden, als sie an dem Wege zur Gärtnerswiese angekommen waren. Sie reichte ihm still die Hand und erröthete. Nik zögerte noch. Schon die ganze Woche trug er einen goldenen Ring mit schönem, rothen Steine in seiner Tasche, den er aus seinen zahlreichen Confirmationsgeschenken ausgewählt hatte, um ihn Elfrieden zu schenken. Er hatte sich ausgedacht, ihr zu sagen, sie solle ihn tragen zur Erinnerung an ihren gemeinsamen Geburtstag, Tauftag und Confirmationstag. Und in der Hoffnung, wollte er dann anzüglich hinzusetzen, auf einen gemeinsamen Hochzeitstag. Der Ring brannte ihn förmlich in seiner Westentasche, er fühlte sogar einen Druck in der Seite, aber in Fritzens Gegenwart vermochte er den Ring so wenig hervorzuziehen, wie früher die diebische Scheere. »Vergiß mich nicht«, waren die einzigen Worte, die er stammelnd herausbrachte, und noch ehe er sich besonnen, waren die Zwillinge schon gegangen, wie Leute, die sich noch viel zu sagen haben. Wenn sie nur wenigstens, wie seine Cousinen pflegten, ihm ihr Album gegeben hätte, um zur Erinnerung ein Blatt mit einem Verse auszufüllen, er hätte ihr sicherlich einen Heirathsantrag ins Album geschrieben. Nun aber stand er allein an der Weißdornhecke und zerpflückte die Blätter. Als er drüben auf der Wiese den Gärtner mit seiner Frau Waschseile aufspannen sah, erschrak er so, daß er sich an einem Dorne die Hand blutig stach. »Keine Rose ohne Blattläuse«, sagte er grimmig, »Wenn sie nur diese Verwandten nicht hätte!« Namentlich ein Gefühl des Hasses auf Fritz stieg in seinem Herzen auf, denn dieser trockene Schleicher war daran schuld, daß es mit seiner Liebe wieder nichts war.

Planlos schlenderte er nun im Garten umher, den Ring von einem Finger an den andern schiebend. So in Träumen verloren gerieth er auf den Hauptweg des Parks, einen schön mit Kies geebneten Gang, von dem man durch hohe Bogen, die im Sommer sich mit wildem Wein umzogen, nach dem Flusse hinabschaute. Am Ende desselben stand vor einer Gruppe von Flieder und Jasmin, deren zartes, junges Laub wie ein grüner Schleier die Mauer überdeckte, eine Statue der Psyche. Die liebliche, knospende Mädchengestalt senkte ihr nachdenkliches Köpfchen über einem Schmetterlinge, nach dem sie traumhaft griff. Die verschleierte Frühlingssonne gab dem Bilde eine warme Farbe, und die wehenden Zweige warfen wechselnde Lichter auf die aus gelbem Thon geformte Figur, so daß sie zu leben schien. So oft der Schatten wich, wollte der Falter sich erheben, und die schlanken Finger Psyche's folgten seinen Bewegungen. Für Nik nahm die zarte Gestalt Elfriedens seine Züge an. Eine Weile stand er wie träumend vor ihr, dann bestieg er die Bank vor dem Bilde und drückte einen langen heißen Kuß auf Psyche's Lippen, und nachdem er seinen Ring vom eigenen Finger gezogen, steckte er ihn an den nach innen gewendeten Ringfinger der Statue, und siehe da – er hielt. Nun wollte er täglich hierher kommen und nachsehen, ob Psyche seinen Ring noch habe; so lang, beschloß er bei sich, werde Elfriedens Herz auch in der Ferne ihm treu sein.

In der Nacht hatte er einen seltsamen Traum. Er sah Elfriedens zartes Psycheköpfchen und daneben Fritz, der wie ein fröhlicher Posaunenengel dareinschaute. Eine lichte Glorie schwebte um beide Zwillinge, und er streckte ihnen seine zwei Hände entgegen, aber Fritz zog Elfrieden zurück, und sie entschwebten immer weiter, bis sie in der Ferne nur noch wie zwei freundliche Sterne auf ihn herniederglänzten. Nik hatte im Traume das peinliche Gefühl, daß er sich abmühe, ihnen zu folgen, und doch keinen Schritt vorwärts komme. Plötzlich aber leuchtete ein brandrother Stern, wie die Flamme eines brennenden Hauses, jäh vor ihm auf. Derselbe kam näher, und näher, und er hörte eine bekannte Stimme sagen: »Dich fesselt die Erde, und nimmer erreichst Du die, die Du liebst. Ich aber habe Dir nachgesetzt, um Dich ihnen abzujagen; ich bin vom Himmel gefallen, weil ich sie hasse. Mein sollst Du werden, mein!« Und immer näher kam die rothe Scheibe Nik's Antlitz, jetzt konnte er die Züge eines menschlichen Angesichts unterscheiden. Es war der Junge aus dem Rettungshause. Er stand wieder wie damals vor ihm, und drängte ihn an die Wand, und wollte ihn schlagen. »Hilf, Elfriede«, schrie Nik im Schlafe. Darüber wachte er auf und hörte die Dorfuhr zwei Uhr schlagen. Er war ganz in Schweiß gebadet vor Angst, und sein Herz klopfte hörbar. Lange dauerte es, bis er sich beruhigt hatte, und es fiel schon ein heller Schein durch das Fenster, ehe er wieder einschlief.

Am folgenden Morgen drängte es ihn an die freie Luft, um seinen heißen Kopf zu kühlen. Auch fühlte er das Bedürfniß, nach den Schrecknissen der Nacht der holden Psyche seinen Besuch abzustatten. Von ferne schon leuchtete ihm die schlanke Gestalt in der Morgensonne entgegen. Ihr liebliches Antlitz beugte sich, wie vom Morgenthau gewaschen, über den Schmetterling, der von der Frühkälte erstarrt schien. Mit zärtlichem Lächeln trat Nik an das Bild heran und schaute nach seinem Ringe, aber wie erschrak er, der Ring war verschwunden. Eilig bückte er sich nieder und suchte, aber weder unter der Bank, noch unter den Fliederbüschen, noch im Rasen war der Goldreif zu entdecken. Jedes Stückchen der Buchseinfassung ließ Nik durch seine Hand gehen, er ward heiß und roth über der Anstrengung, aber es war alles vergebens.

»Suchen Sie etwas?« hörte er nun plötzlich die Stimme des rothen Johannes, der mit zwei leeren Gießkannen neben ihm stand.

»Ich habe einen goldenen Ring verloren«, erwiderte Nik ärgerlich.

»Wissen Sie, daß er Ihnen gerade hier fiel?« fragte der Gärtnerbursche. »Man hat oft das Gefühl, als ob man einen Ring noch am Finger habe, nachdem man ihn längst verloren hat.«

»Er muß hier sein«, erwiderte Nik. »Ich steckte ihn der Figur an den Finger.«

Der Rothe verzog seine plumpen Lippen zu einem spöttischen Lächeln. »Eben jetzt?« fragte er.

»Nein, gestern«, erwiderte Nik ungeduldig. »Sie hatte ihn am Abende noch.«

»Ah, da haben sich der Herr Baron wohl mit einem schönen Bilde verlobt, wie Ihr Vorfahr auf der Brückenburg?«

Nik wechselte die Farbe. Die Ähnlichkeit seines kindischen Spieles mit dem vermessenen Unterfangen seines übel berüchtigten Ahnherrn war ihm noch nicht in den Sinn gekommen.

Die spukende Müllerstochter war nicht das einzige Familiengespenst der Altenbrück. Während jene tragische Thatsache sich zu Anfang des vorigen Jahrhunderts zugetragen hatte, gab es von dem gleichen alten Brunnen, in dem das betrogene Mädchen sich ertränkt hatte, eine noch viel schauerlichere Sage aus der Zeit, in der Nik's Vorfahren noch auf der in den Bergen versteckten Brückenburg hausten. Ritter Götz von der Brückenburg war ein sinniger Träumer gewesen, der Tage lang im Walde streifte, ohne mit einem Menschen zu reden, sondern einsam seinen Gedanken nachhing. Das aber kam daher, daß ihm seine geliebte junge Gattin schon nach kurzer Ehe gestorben war. Der Schmerz darüber hatte ihn tiefsinnig gemacht, und er strich nachdenklich draußen umher, hörte nichts und sprach nichts, sondern sah zu Boden wie Einer, der den gestrigen Tag sucht. Am liebsten saß er bei einem Ziehbrunnen am Abhange des Flußthals, auf dem ein altes Steinbild aus heidnischer Zeit eingemauert war. Dasselbe stellte eine Frau dar, die über einem Kruge lehnte, und eine Hand gleichsam einladend über dem Brunnen ausstreckte. Die ganze Gegend hing an dem schönen Bilde, und so kam es, daß auch die wildesten Buben dasselbe nie beschädigt hatten. Ritter Götz aber war förmlich in dasselbe verliebt, und setzte sich oft Stunden lang der steinernen Frau gegenüber, um sie zu betrachten, und von seiner verstorbenen Gattin zu träumen. Eines Abends aber, als die sinkende Sonne die Gestalt mit ihrem rothen Lichte übergoß, so daß sie zu leben und sich zu bewegen schien, ging er in seiner Leidenschaft so weit, daß er ihr den Ring seiner seligen Frau in ihre Steinhand legte, und seufzend sprach: »Dir möchte ich am ehesten mich wieder vermählen.« Da hatte er einen großen Schreck, denn das Bild schloß langsam die Hand zu und hielt seine Beute fest. Jetzt erst fiel dem Ritter ein, daß dieses Weib eine der sündhaften heidnischen Göttinnen sei, und daß er sich einer Teufelin verlobt habe. In der Nacht hörte er die Stimme seiner seligen Frau: »Götz, rette Deine Seele.« Das konnte er schließlich nicht mehr ertragen. Als das Osterfest kam, ging er zur Beichte und bekannte, was er gethan habe. »Mein Sohn«, sagte ihm der Priester, »Du hast schwer gesündigt, denn der Hölle hast Du Dich verlobt. Nun gehe hin und säge dem Bilde die Hand ab, in der der Ring liegt, daß wir sie in das Tabernakel zum Allerheiligsten legen, so wird die Hand sich aufthun und den Ring herausgeben.« Der Ritter machte sich denn auch sofort auf nach dem Brunnen, aber bis er den Weg zurückgelegt hatte, fing es schon an zu dämmern, und als er nach dem einsamen Platze kam, stand ein schönes Weib bei der Quelle, um das ein Schleier wallte, wie von Mondschein gewebt. Zaghaft trat der Ritter näher und sank auf ein Knie, indem er sprach: »Habe Erbarmen und gib mir meinen Ring zurück, daß meine Frau aufhöre zu weinen.« Das bleiche Weib aber lächelte gar wundersam, und schüttelte anmuthig mit ihrem schönen Kopfe, so daß der Ritter heißer als je gegen sie entbrannte. Er streckte die Arme aus und wollte das Phantom an sich ziehn. Sie aber entzog sich ihm, und aus der Brombeerhecke hinter dem Brunnen ertönte ein so schadenfrohes Kichern, daß das Herz des braven Götz ergrimmte. Er sprang auf und erhob den Arm gegen die teuflische Erscheinung, und rief: »So beschwöre ich Dich im Namen des dreieinigen Gottes, daß Du herausgibst, was nicht Dein ist.« Bis dahin hatte die Frau ihn lieblich und süß angeschaut, als er aber den Namen der heiligen Dreieinigkeit aussprach, verzerrten sich ihre Züge, ihr Auge sprühte Feuer, und aus den Brombeerbüschen hinter dem Brunnen ertönte ein gelles Lachen und Pfeifen, und als der Ritter entsetzt den Kopf nach jener Seite wandte, war die Erscheinung verschwunden. Da nahm Götz wüthend den Knauf seines Schwertes, und wie der Priester ihn geheißen, ergriff er die Hand des Steinbilds und schlug sie ab, um sie in die Kirche zu tragen. Aber alsbald schoß aus dem verstümmelten Arme ein Blutstrom, und er hörte, wie das Blut unten in das Wasser des Brunnens platschte. Darüber erschrak er so, daß ihm die abgehauene Hand entwischte und polternd in den tiefen Brunnen hinabfiel. Eine Weile stand der fromme Mann nachdenklich über den Rand der Cisterne gebeugt, dann sagte er zornig: »Den Ring meines Weibes muß ich wieder haben, es koste, was es wolle.« Damit gürtete er das Schwert ab und lehnte es an den Rand des Brunnens. Vorsichtig kletterte er sodann in den Lücken der alten Brunnenmauer hinab, wie er die Hirten zuweilen hatte thun sehen, wenn die Schöpfeimer stockten. Kaum aber hatte er den Rand des Brunnens losgelassen, so hörte er das teuflische Lachen wieder, so daß er vor Schrecken ausglitt, hinabfiel, und elend ums Leben kam. Aus der Tiefe aber ertönte es wie Jauchzen der Hölle. Am Morgen entdeckten seine Diener, die ihn suchten, sein Schwert, von ihm selbst aber ward nie wieder eine Spur gefunden. Nur einsame Wanderer, die in später Abendstunde am Brunnen vorbeikamen, sahen seine Gestalt, wie er vor einem bleichen Weibe kniete, die Hände rang, und sie anflehte, sie möge seinen Ring ihm wiedergeben. Die Fischer aber, wenn sie drunten vom Strome her die weiße Gestalt über dem Brunnen weben sahen, bekreuzten sich und kehrten heim, denn sie wußten, daß sie an einem solchen Tage nichts fangen würden. Das war die Sage, die an den Brunnen sich knüpfte, wie sie in der ganzen Gegend bekannt war, und an die der Gärtnerbursche jetzt seinen jungen Herrn erinnerte.

Nik schaute den Rothhaarigen mit großen Augen an, während dieser sich ruhig mit seinem bunten Taschentuche den Schweiß von dem gesprenkelten Gesichte wischte.

»Ich glaube weder an die Brunnenfrau, noch an die Müllerstochter«, sagte Nik nach einer Weile, indem es ihn reizte, dem Diener gegenüber den Tapfern zu spielen. »Es ist derselbe Nebelstreif, den sie erst für die Brunnenfrau, dann für den Geist des ertrunkenen Mädchens hielten.«

»Wer weiß?« erwiderte der Rothe, indem seine bösen Rabenaugen listig funkelten, »ob es nicht dasselbe Gespenst ist, das sich bald als Brunnenfrau, bald als Müllerstochter zeigt. Solche Verwandlungen kommen vor. Warum hätte der Herr Baron den Brunnen zuwerfen lassen, wenn Alles geheuer wäre? Mit rechten Dingen geht es nicht zu, auch mit Ihrem Ringe nicht. Das Bild hier kann ja ein Abbild der Marmorbraut sein, die die Pfaffen zerschlagen haben. Wenn der Ring nicht hier ist, finden Sie ihn vielleicht dort oben«, und er wies mit dem Daumen nach der Parkecke, indem er listig mit den Augen zwinkerte. »Die Brunnenfrau oder Müllerstochter wird ihn über Nacht mit hinaufgenommen haben. Sie sind dann der Dritte der Familie, der sich mit ihr verlobt, und man sagt, daß mit dem Dritten das Geschlecht zu Ende gehe.«

Nik wurde bleich, dann aber sagte er ärgerlich: »Ich glaube, Du willst mich foppen. Uebrigens, wenn Du den Ring findest, so erhältst Du ein Trinkgeld.«

Damit kehrte der Knabe in seine Stube zurück, wo er lange in einer Sophaecke lauerte, und über Müllers Anspielungen nachbrütete, die ihm neue Phantastereien in den Kopf gesetzt hatten. War nicht am Ende doch bei dem räthselhaften Verschwinden seines Ringes eine höhere Macht im Spiele? Hatten die Unsichtbaren die Schwüre gehört, die er Psyche geleistet, und nahmen sie dieselben an durch das Zeichen, das sie ihm gaben? War es Elfriede, war es die Müllerstochter, war es die weiße Frau, an die sein Gelübde ihn band? Aber was ging das holde Bild die gespenstische Brunnenfrau an? Psyche, seiner Psyche, Elfrieden hatte er sich gelobt und Niemandem sonst, und wieder schwur er ihr tausend Eide.

Als am folgenden Sonntage die Glocken anzeigten, daß der Gottesdienst zu Ende sei, verließ Johannes Müller das Schloß und ging über die Brücke nach der Stadt, wo zu dieser Stunde die Wirthshäuser und die Kaufläden sich aufthaten, damit das am Sonntage nach der Stadt strömende Landvolk seine Einkäufe besorgen konnte. Der Rothe, ehrbar angethan in seinen schwarzen Kleidern, blieb vor einem Juwelierladen stehen, scheinbar die glänzenden und funkelnden Reife und Steine in der Auslage bewundernd. Dabei gingen aber seine Augen argwöhnisch die Straße hinauf und hinab, ob Niemand um den Weg sei, der ihn kenne. Als er sich in dieser Beziehung beruhigt hatte, trat er bescheiden in den Laden. Der Juwelier hatte das auffällige Benehmen des Knaben schon von seiner Stube aus beobachtet, und fragte mit einem ungnädigen Blicke auf den rothhaarigen langen Menschen, was er begehre? Dieser brachte aus der Westentasche ein Papier zum Vorscheine, wickelte es langsam auf, und reichte dem Juwelier einen Ring, an dem ein rother Stein glänzte.

»Könnten Sie mir sagen, was das werth ist«, sagte er, den Juwelier fest ansehend. Dieser prüfte den Stein und warf dabei einen argwöhnischen Blick auf den Verkäufer. »Ich habe ihn zur Confirmation erhalten«, sagte dieser, »ich habe aber andere Dinge nöthiger.«

»Der Werth mag dreißig Mark sein«, sagte der Juwelier. »Ich kaufe aber nur von Leuten, die ich kenne.«

»Nehmen Sie ihn auch nicht, wenn ich ihn um fünfzehn Mark gebe«, sagte Müller.

»Dann um so weniger«, erwiderte der Juwelier und kehrte ihm den Rücken, und als der Knabe noch immer zögerte zu gehn, wies er ihm barsch die Thüre. Verdutzt verließ derselbe den Laden und ging verdrießlich seiner Wege. Bald aber fiel ihm ein neuer Laden mit Goldwaaren in die Augen. Er war klein und unscheinbar, und gehörte einem Juden. »Hier werde ich ankommen«, sagte der Knabe, und trat ein. Ein alter Mann mit einer Hornbrille saß an einem Tische und putzte seine Waaren. Johannes reichte ihm den Ring. »Woher haben Sie ihn?« fragte der Jude gleichgültig.

»Gefunden«, gab Müller zur Antwort.

»So tragen Sie ihn auf die Polizei«, erwiderte der Alte gleichmüthig, indem er den Ring zurückschob und eine nicht mißzuverstehende Geberde nach der Thüre machte. In einem dritten Laden verlangte die Jungfer ein Zeugniß, von wem er den Ring habe. Kurz, es läutete die Mittagsstunde und der brave Johannes hatte keinen Käufer gefunden; nur die Erkenntniß fing an in ihm zu tagen, daß er nicht sehr vertrauenerweckend aussehe, und es vielleicht vorteilhafter sei, sich mit einem bescheidenen Finderlohn von Seiten Nik's zu begnügen. Aber was konnte der einfältige Junge viel geben? Verdrießlich stand er auf der Straße und war nahe daran, den Ring in den nächsten Gossenstein zu werfen, denn gestohlenes Gut aufzuheben, war doch immer gefährlich. »Man kann nie wissen, wie der Teufel sein Spiel hat«, dachte er. Dann aber kam ihm ein Einfall. Er steckte mit einem spöttischen Lächeln den Ring wieder ein und schritt fürbaß. Die Mittagszeit war schon vorüber, als der rothe Johannes verstimmt in der Höhle des Lasters eintraf, wie er die Wohnung seiner Großmutter nannte. Wohl oder übel mußte er mit der schmalen Kost der Alten und seiner Schwester vorlieb nehmen, und doch hatte er darauf gerechnet, heute sich und Käthchen einen guten Tag zu machen.

Nik war in der folgenden Woche durch den Besuch von Tante Tina in Anspruch genommen, die ihr hübsches aber grenzenlos verzogenes Töchterchen mitgebracht hatte. Die sechszehnjährige Valentine spielte schon ganz die junge Dame, und behandelte Nik mit einer Herablassung, die diesem sehr beleidigend war. »Elfriede ist zehnmal hübscher als sie«, dachte er, »und gibt sich lang kein solches Ansehen.« So war er froh, als die Tante bald wieder aufbrach und ihr anspruchvolles Dämchen mit sich nahm. »Adieu Bleichfisch«, knixte das junge Mädchen beim Abschied. »Adieu Backfisch!« erwiderte Nik unartig. Die Alten lachten, der Baron aber dachte für sich: »›Goldfisch ‹ würde auch passen; schade, daß sie für Nik zu alt ist.«

Aber so froh Nik war, des launischen Plagegeistes ledig zu sein, so gelangweilt war er durch seine völlige Einsamkeit. Fritz hatte Elfrieden nach der Stadt begleitet, und Nik wußte nicht, ob er schon wieder zurück sei; der Hauslehrer war in seine schwäbische Heimath abgereist, um sich ganz dem »An sich sein« und »Für sich sein« zu ergeben, und der arme Nik war nicht nur, wie seine Mama wünschte, nicht »präoccupirt«, sondern nicht einmal beschäftigt, und wußte kaum, wie er den Tag hinbringen solle. So schlich er verdrossen an den Taxusbüschen vorbei hinauf in den Wald. Die Mittagssonne brannte ziemlich warm, und Nik strebte deshalb den hohen Tannen am Ende des Parkes zu, die mehr Schatten boten als die sich eben erst begrünenden Ahorne und Traubenkirschen. Auf diese Weise gelangte er zu der Hecke der Brunnenfrau. Als er vorüberging, fiel ihm das Gerede des Rothen ein und dessen mysteriöse Andeutung, wenn sein verlorener Ring überhaupt wieder zum Vorschein komme, so werde es wohl hier sein. Müßig, wie er war, drängte er sich durch die Brombeerhecken, an denen das erste junge Grün des Frühlings hing. Um diese Jahreszeit machte es keine Mühe, bis zu der alten Cisterne und der in derselben versenkten Tonne vorzudringen. Er warf einen flüchtigen Blick in dieselbe, im nächsten Augenblicke aber beugte er sich tief über sie hinab. Auf dem Boden des Fasses glänzte ihm etwas entgegen. Kein Zweifel, es war sein Ring. Mit beiden Füßen schwang er sich rasch hinab, so daß die morsche Tonne in allen Fugen erkrachte. Dabei wäre es ihm fast ergangen, wie seinem Ahnherrn Götz von der Brückenburg, denn der morsche Boden des Fasses gab nach, die Bretter versanken in den vom Frühlingsregen versumpften Boden, und Nik gerieth bis an die Knöchel in das hervorquellende Wasser. »Maria und Joseph!« rief er, die alte Barbara nachahmend, als ihm das kalte Naß in die Stiefel drang. Der Ring lag hart am Rande des Faßbodens, und Nik tappte danach, allein in dem trüben Schlamme, der von allen Seiten hervordrang, war der Goldreif verschwunden, den er doch eben noch deutlich gesehen hatte. In unbequemer Lage tastete Nik herüber und hinüber, ohne sein Kleinod zu finden. Neue Bretter lösten unter seinen Füßen sich ab, und er sank tiefer und tiefer. Als er den Rand der Tonne erfassen wollte, um sich aufzuschwingen, fand er, daß er sich nur immer weiter in den weichen Grund einarbeite.

Zuerst hatte er nur gelacht, denn er dachte, ich werde doch in einer Regentonne nicht ertrinken, nun aber erinnerte er sich, gehört zu haben, wie tief der alte Brunnen gewesen sei, und hatte sich die aufgeweichte Erde unter ihm, mit der die Cisterne aufgefüllt war, in Sumpf und Morast verwandelt, so war die Sache durchaus nicht spaßhaft. Der Angstschweiß trat ihm auf die Stirne, und krampfhaft klammerte er sich an dem Rande der Tonne an. Die eine Hälfte des Faßbodens hielt noch, und es gelang ihm, sich auf dieselbe hinaufzuarbeiten, brach aber auch diese, so wußte er nicht, wie tief er sinken würde. Mit dem Aufgebot aller seiner Kräfte rief er deshalb um Hülfe, aber Niemand kam. Oft war es ihm, als ob er ganz in der Nähe mit der Hacke arbeiten höre, aber so laut er auch schrie, er erhielt keine Antwort. Allmählich fühlte er, daß seine Kraft nachlasse, und so machte er noch einen Versuch sich zum Rande der Tonne emporzuziehen, aber bei diesen Anstrengungen brach das Brett unter seinen Füßen; er fiel wieder hinab und versank dieses Mal bis an die Hüften. Dann blieb er stehen. Der Brunnen war zu seinem Glücke mit Bauschutt aufgefüllt worden, und so hatte er festen Grund unter den Füßen. Nun fing er auf's Neue an zu rufen, aber seine schwächer werdende Stimme versagte allmählich. Er wurde fast ohnmächtig vor Angst und Kälte. Also war es doch keine Fabel, daß hier ein boshaftes Wesen hause, das seinem Geschlechte Unheil spann! Lange konnte er es hier nicht aushalten. Nun stand er schon eine halbe Stunde im Wasser, er, den die Mutter vor jedem feuchten Fuße so sorglich behütete. Und nochmals nahm er alle Kräfte zusammen und rief: »Halloh! Hülfe! Hülfe!« Dieses Mal endlich schien man ihn zu vernehmen. Er hörte sich rufen. War das Fritzens Stimme? Aber der war ja verreist. Sollte er wieder zurück sein? Nik rief auf's Neue, und die Stimme antwortete ganz aus der Nähe. Nun brach der Retter bereits durch die Büsche. Nik nebelte es vor den Augen, und seine Ohren brausten. »Fritz!« rief er mit dem Aufgebote der letzten Kraft. »Ja, wohl, ich komme!« war die Antwort, und alsbald erschien das brave Gesicht des Gärtnerssohns über der Tonne.

Einen Augenblick schien er erschreckt, dann aber brach er in ein unbändiges Gelächter aus: »Potz Prima und Secunda!« rief der fröhliche Junge. »Machst Du mit der Brunnenfrau Hochzeit? Kakojoannes erzählte schon lange, Du hättest Dich mit ihr verlobt,«

Trotz der Angst, die er noch eben empfunden, ärgerte sich Nik über diese Verrätherei des Rothen. »So hat der schlechte Mensch auch noch geplaudert«, dachte er. »Ich will es Dir entgelten, Du ungläubiger Hund«, knirschte er, in seine Märchenphantasieen zurückfallend. »Reiche mir lieber die Hand, statt zu lachen«, sagte er dann weinerlich, »daß ich aus dieser Mördergrube entrinne.« Fritz versuchte es, Nik emporzuziehen, aber dieser stellte sich so ungeschickt an, daß sein Freund sich um Hülfe umsah. »Warum der Rothe ihn nur so ruhig schreien ließ«, dachte der Gärtnerssohn. »Er muß dort oben den Ruf doch eben so gut gehört haben wie ich auf der Wiese.«

»Müller!« rief er nach dem Weinberge hinüber, und alsbald tauchte ein rothes Haupt aus den Reben empor, und Johann Müller fragte, was los sei? Fritz gab ihm Bescheid und befahl, er solle mit der Leiter kommen, damit Nik aus der Cisterne heraufsteigen könne. Es dauerte lang bis der Rothe endlich mit dem Verlangten erschien, und Nik klapperte vor Kälte. Nachdem die beiden jungen Leute die Leiter vorsichtig hinabgelassen, stieg Nik schwach und zaghaft über den Rand der Cisterne empor, wo er Fritz halb ohnmächtig in die Arme sank. Dieser führte ihn zu der nächsten sonnigen Bank, damit er sich wärme und von seinem Schrecken erhole. Aber kläglich sah er aus mit seinen aneinander klebenden Kleidern, die von Schmutz starrten.

»Oh Fleisch, wie bist Du verfischt worden!« spottete Fritz. »Geh auf Dein Zimmer, schöne Nymphe, und hülle Dich in menschliche Gewänder.« Damit machte er sich von Nik und dem Rothen los, und es schien, als ob er sich so rasch verabschiede, weil er mit Müller nichts zu thun haben wolle.

»Hochmuth kommt vor dem Fall", sagte dieser, indem er Fritz nachschaute, und Nik erschrak über den teuflischen Blick, den der Rothe seinem Retter nachschickte. Unwillkürlich fiel ihm sein Traum ein und unmuthig fragte er: »Warum ließest Du mich eine Stunde rufen und kamst mir nicht zu Hülfe? Warte, ich will es Dir gedenken.«

»Ich dachte, der Herr Baron spielten Theater«, erwiderte Johann unterwürfig. »Ich hörte Sie schon oft so im Walde predigen und meinte darum nur, heute macht der gnädige Herr es besonders natürlich.«

Nik biß sich auf die Lippen. Er fühlte wohl, daß der Andere ihn verhöhne, aber er wußte nichts zu erwidern, da der Spott leider zutraf. Johann fuhr jedoch ganz treuherzig fort: »Kommen Sie rasch. Ich will Sie neu kleiden, Sie erkälten sich sonst. Wir wollen die hintere Treppe für das Gesinde hinaufgehn, damit Niemand Sie sieht. Es gäbe Gerede.« Dagegen war nun nichts einzuwenden, und rasch begab sich Nik mit seinem Begleiter auf seine Stube, wo dieser ihn dienstfertig von den nassen Stiefeln befreite, ihn geschickt warm rieb und neu bekleidete. Die schmutzigen Gewänder aber hing Johann bedächtig am offenen Fenster auf, so daß Nik froh war, keine weitere Hülfe in Anspruch nehmen zu müssen.

»Wie diese Leute doch geschickt sind«, dachte er dabei im Stillen, und gewahrte mit Behagen, wie auf das unfreiwillige Bad, das er genommen, sich nunmehr eine angenehme Lebenswärme durch alle seine Adern ergoß. Ueber seine Erlebnisse wollte er lieber schweigen. Aber der Rothe zog sein Geheimniß ruckweise aus ihm heraus wie ein Korkzieher.

»Nun ist der Ring wohl für immer verloren?« sagte Nik verdrießlich. »Er war am Rande der Bretter eingeklemmt, und ich dachte ihn ganz sicher zu haben, als ich plötzlich einbrach.«

»Das ist schlimm«, erwiderte Müller, indem er mit seiner knochigen Hand seine rothen Haare kraute. »Wir müssen den Ring haben, koste es, was es wolle. Die Müllerstochter würde sonst früher oder später Sie nachziehn.«

Nik, der den ausgestandenen Schrecken noch immer in den Gliedern hatte, fragte betroffen: »Wie meinst Du das?«

»Nun, Sie sahen es ja, wie ernst sie es nimmt mit Ihrer Verlobung und wie die Vermaledeite Sie in ihr Reich hinabziehen wollte. Vergessen Sie nicht, daß Sie der Dritte sind. Wir müssen den Ring wieder haben. Ich sage nichts weiter, aber wir müssen.«

»Ich hätte ihn auch gern wieder«, sagte Nik, dem seine ersten abergläubischen Empfindungen über Johanns Worten wiedergekehrt waren.

»Man muß den Schatz heben!« flüsterte der Rothe. »Aber sie gibt Gold nur für Gold. Wenn Sie heute um Mitternacht ein Goldstück hineinwerfen, so haben Sie den Ring morgen früh am Finger.«

Nik sah ihn mißtrauisch an. »Wie könnte ich um Mitternacht in den Wald kommen«, sagte er. »Das hörte ja der Diener, und des Vaters Hund würde bellen.«

»Dann will ich es für Sie thun«, sagte Johannes, scheinbar aufmerksam durch das Fenster nach dem Park hinüberschauend. »Schaffen Sie mir nur das Goldstück.«

»Er will mich betrügen«, dachte Nik für sich und zögerte mit der Antwort. Aber das Abenteuer reizte ihn doch auch. Vor Allem aber wollte er Psyche's Ring wieder zurück um jeden Preis. »Wann mußt Du das Geld haben?« fragte er verlegen.

»Vor Abend«, erwiderte der Rothe. »Je früher je besser.«

»Ich will es mir überlegen«, sagte Nik, und der Rothe entfernte sich zögernd. Nik schaute ihm beklommen nach. Er wußte nicht, wie es kam, daß ihm plötzlich einfiel, daß zwei Thüren neben ihm Mamas Wohnzimmer sei und wie leichtsinnig diese ihr Geldtäschchen auf dem Tische oder in ihrem Arbeitskorbe herumliegen lasse. »Wie gemein, wie abscheulich«, sagte Nik zu sich selbst, als dieser Gedanke ihm immer wieder kam. »Du wirst doch kein Dieb werden«, sprach er bei sich selbst. »Bitte Deinen Vater darum und sage ihm, daß Du nicht verrathen dürfest, wozu Du das Geld brauchest.« Dabei öffnete er die Thüre und trat in den anstoßenden Salon. »Sage der Mama offen, Du habest den Ring verloren und könnest ihn nur gegen zwanzig Mark von dem Finder wieder erhalten«, dachte er dann, und mit diesem Gedanken trat er durch die zweite Thüre in das Zimmer der Baronin. Sie war abwesend, aber der Arbeitskorb stand auf dem Tische und das Geldtäschchen lag richtig in demselben. Nik öffnete es. Er wollte nur sehen, ob überhaupt ein Goldstück in demselben zu finden sein würde? Richtig, es waren ihrer dreie. Noch immer war er ganz betäubt von den Aufregungen, die er soeben im Garten erlebt hatte. Er schaute um; Niemand sah ihn, und unversehens war eines der Goldstücke in seine Tasche verschwunden, er wußte nicht wie. Es war, als ob seine Hand von selbst die That begangen hätte. Mit Herzklopfen schob er dann das Geldtäschchen wieder in den Korb, und als er draußen Schritte hörte, floh er wie sinnlos in sein Zimmer zurück und huschte dann leise die Treppe hinab in den Garten. Mit einer richtigen Diebsphysiognomie stand er gleich darauf in dem Rebberge neben Johannes, scheu nach allen Seiten umschauend.

»Sie bringen das Geld«, sagte dieser lächelnd.

»Hier«, flüsterte Nik, »aber sage es Niemand.«

»Gewiß nicht«, antwortete der Rothe. »Es darf kein Wort darüber gesprochen werden, sonst rückt der Ring immer tiefer.« Gleichmüthig steckte er das Geld ein und griff wieder zu seiner Hacke, während Nik zögernd in das Haus zurückkehrte. Noch nie hatte ihm die Glocke, die zum Mittagstische rief, einen so widrigen Klang gehabt wie heute. Bleich und verstimmt setzte er sich neben seine Mutter und der Bissen quoll ihm im Munde. Die Erkältung von heute Morgen schien ihn jetzt erst heimzusuchen. Er fröstelte und seine Hand zitterte. Zu seiner Beruhigung sprachen die Eltern ganz unbefangen von allerlei Angelegenheiten, die ihn nicht angingen. »Weißt Du vielleicht«, sagte aber die Baronin plötzlich zu ihrem Gemahle, »wem ich gestern oder heute zwanzig Mark gegeben haben kann? Sie fehlen mir an meinem Gelde.«

Der Baron zuckte unmuthig die Schultern: »Lasse Dein Geld nicht immer herumliegen, so wird Dir nichts fehlen«, sagte er.

Nik wollte rasch Wasser trinken und bekam darüber einen Hustenanfall, daß ihm der Vater auf den Rücken klopfen mußte.

»Es ist möglich, daß ich das Goldstück einem Bettler gab, indem ich es mit einem Zehnpfennigstücke verwechselte«, fuhr die Baronin fort. Nik athmete auf. »Wenn sie nur bei dieser Meinung bleibt«, dachte er.

Der Baron murmelte unmuthig etwas zwischen den Zähnen. »Das sähe Dir ganz ähnlich«, verstand die Baronin und beeilte sich, auf ein anderes Thema überzugehn.

Am folgenden Morgen stand Nik an der hintern Seite des Schlosses. Er hatte schlecht geschlafen und war innerlich beklommen. Ein Fieberschauer hatte ihn geschüttelt und er fand sich sehr elend. Sein linkes Ohr tönte ihm fortwährend und eine Stimme hatte ihm im Traume zugerufen: »Dieb, Dieb«. Auch als am Morgen die Mutter aus dem Garten seinen Namen rief, verstand er nicht Nik, Nik, sondern Dieb, Dieb! So war er bleich und zitternd vor ihr erschienen und schämte sich tief, als sie ihn liebkoste und in Wehklagen über sein schlechtes Aussehen ausbrach. Der Ring war ihm plötzlich ganz gleichgültig geworden. Nur das Eine war ihm stets gegenwärtig, daß er seiner Mutter Geld gestohlen und sich zum Spießgesellen eines verächtlichen Menschen gemacht habe. Tief verstimmt lehnte er sich über die Brücke und schaute hinab in den Zwinger. Er hörte die Schritte des Gärtnerjungen hinter sich, aber er blickte nicht um. Da schob dieser ihm ein Papier in die Hand und ging schweigend weiter. Als Nik das Papier aufwickelte, glänzte ihm der Ring entgegen. Nik betrachtete ihn lang und argwöhnisch. Es war derselbe, den er verloren. Man sah an den Kritzern der innern Seite die Spuren von Psyche's Hand. In der Vertiefung zwischen dem rothen Steine und der Goldfassung klebte noch der grüne Schlamm der versumpften Quelle. Das Alles machte auf Nik einen geheimnißvollen Eindruck. Noch eben war er überzeugt gewesen, daß der Rothe ihn zum Besten habe und seine Leichtgläubigkeit ausbeute, jetzt erschien ihm das Ganze doch wieder höchst mysteriös. Es war kein Zweifel, der Ring hatte an der Statue gesteckt und dann in dem alten Brunnen gelegen. Wie aber in aller Welt war er von der Hand der Psyche in die Tonne gekommen, die so weit entfernt war? Sollte nicht doch eine unsichtbare Gewalt hier im Spiele sein? Die Spuren von Psyche's Hand und die aus der Wohnung der Brunnenfrau waren nicht abzustreiten, und Nik war nur allzu geneigt, beide in eine geheimnißvolle Verbindung zu bringen. Daß aber der Rothe das Geld in seine Tasche habe wandern lassen, schien ihm auf der andern Seite doch auch wieder wahrscheinlich. Mit so widerstreitenden Gefühlen kehrte er in seine Stube zurück. Er konnte sich des wieder erlangten Kleinods nicht freuen. Die Art, wie er wieder in Besitz seines Heiligthums gekommen, entleidete ihm dasselbe. Er wollte nicht stets an seinen Fehltritt erinnert sein und legte darum den Ring, statt ihn zu tragen, in die hinterste Ecke seines Schrankes.


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