Wilhelm Hauff
Mitteilungen aus den Memoiren des Satan
Wilhelm Hauff

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

3. Das Theater im Fegefeuer

Man wundert sich vielleicht über ein Theater im Fegefeuer? Freilich ist es weder Opera buffa noch seria, weder Trauer- noch Lustspiel; ich habe zwar Schauspieldichter, Sänger, Akteurs und Aktricen, Tänzer und Tänzerinnen genug; aber wie könnte man ein so gemischtes Publikum mit einem dieser Stücke unterhalten? Ließe ich von Zacharias Werner eine schauerlich-tragi-komisch-historisch-romantisch-heroische Komödie aufführen – wie würden sich Franzosen und Italiener langweilen, um von den Russen, die mehr das Trauerspiel und Mordszenen lieben, gar nicht zu sprechen. Wollte ich mir von Kotzebue ein Lustspiel schreiben lassen, etwa »Die Kleinstädter in der Hölle«, wie würde man über verdorbenen Geschmack schimpfen! Daher habe ich eine andere Einrichtung getroffen.

Mein Theater spielt große pantomimische Stücke; welche wunderbarerweise nicht die Vergangenheit, sondern die Zukunft zum Gegenstand haben; aber mit Recht. Die Vergangenheit, ihr ganzes Leben liegt abgeschlossen hinter diesen armen Seelen. Selten bekömmt eine einen Erlaubnisschein als revenant die Erde um Mitternacht besuchen zu dürfen. Denn was nützt es mir, was frommt es dem irren Geist einer eifersüchtigen Frau, zum Lager ihres Mannes zurückzukehren? was nützt es dem Mann, der sich schon um eine zweite umgetan, wenn durch die Gardine dringt –

»Eine kalte weiße Hand,
wen erblickt er? seine Wilhelmine,
die im Sterbekleide vor ihm stand?«

Was kann es dem Teufel, was einer ausgeleerten herzoglichen Kasse helfen, wenn der Finanzminister, der sich aus Verzweiflung mit dem Federmesser die Kehle abschnitt, allnächtlich ins Departement schleicht, angetan mit demselben Schlafrock, in welchem er zu arbeiten pflegte, schlurfend auf alten Pantoffeln und die Feder hinter dem Ohr; zu was dient es, wenn er seufzend vor die Akten sitzt, und mit glühendem Auge seinen Rest immer noch einmal wieder berechnet?

Was kann es dem fürstlichen Keller helfen, wenn der Schloßküfer, den ich in einer bösen Stunde abgeholt, durch einen Kellerhals herniederfährt, und mit krampfhaft gekrümmtem Finger an den Fässern anpocht, die er bestohlen? Zu welchem Zweck soll ich den General entlassen, wenn oben der Zapfenstreich ertönt und die Hörner zur Ruhe blasen? zu was den Stutzer, um zu sehen, ob sein bezahltes Liebchen auf frische Rechnung liebt? Zwar sie alle, ich gestehe es, sie alle würden sich unglücklicher fühlen, könnten sie sehen, wie schnell man sie vergessen hat, es wäre eine Schärfung der Strafe, wie etwa ein König, als ihm ein Urteil zu lebenslänglicher Zuchthausstrafe vorgelegt wurde, »noch sechs Jahre länger« unterschrieb, weil er den Mann haßte. Aber sie würden mir auf der andern Seite so viel verwirrtes Zeug mit herabbringen, würden mir manchen fromm zu machen suchen, wie der reiche Mann im Evangelium, der zu Lebzeiten so viel getrunken, daß er in der Hölle Wasser trinken wollte – ich habe darin zu viele Erfahrungen gemacht, und kann es in neuern Zeiten, wo ohnedies die Missionarien und andere Mystiker, genug tun, nicht mehr erlauben. Daher kommt es, daß es in diesen Tagen wenig mehr in den Häusern, desto mehr aber in den Köpfen spukt.

Um nun den Seelen im Fegefeuer dennoch Nachrichten über die Zukunft zu geben, lasse ich an Festtagen einige erhebliche Stücke von meiner höllischen Bande aufführen. Auf dem heutigen Zettel war angezeigt:

 
Mit allerhöchster Bewilligung.
Heute als am Geburtsfeste
Der Großmutter, diabolischen Hoheit.
»Einige Szenen aus dem Jahr 1826.«
Pantomimische Vorstellung
mit Begleitung des Orchesters.
Die Musik ist aus Mozarts, Haydns, Glucks
und anderen Meisterwerken zusammengesucht
von Rossini.
 

(Bemerkungen an das Publikum.) Da gegenwärtig sehr viele allerhöchste Personen und hoher Adel hier sind, so wird gebeten, die ersten Ranglogen den Hoheiten, Durchlauchten und Ministern bis zum Grafen abwärts inklusive, die zweite Galerie der Ritterschaft samt Frauen bis zum Lieutenant abwärts zu überlassen.

Die Direktion des infernal. Hof- und Nationaltheaters.

Das Publikum drängte sich mit Ungestüm nach dem Haus. Ich bot mich den drei jungen Herren als Cicerone an, und führte sie glücklich durch das Gedränge ins Parkett; obgleich der Lord ohne Anstand auf die erste, der Marquis und der deutsche Baron auf die zweite Loge hätten eintreten dürfen. Diese drei Subjekte fanden es aber amüsanter, von ihrem niederen Standpunkt aus Logen und Parterre zu lorgnettieren. Wie mancher Ausruf des freudigen Staunens entschlüpfte ihnen, wenn sie wieder auf ein bekanntes Gesicht trafen. Besonders Garnmacher schien vor Erstaunen nicht zu sich selbst kommen zu können. »Nein, ist es möglich!« rief er wiederholt aus; »ist es möglich? Sehen Sie, Marquis; jener Herr dort oben in der zweiten Galerie rechts, mit den roten Augen, er spricht mit einer bleichen jungen Dame; dieser starb in Berlin im Geruch der Heiligkeit, und soll auch hier sein an diesem unheiligen Ort? und jene Dame, mit welcher er spricht, wie oft habe ich sie gesehen und gesprochen! Sie war eine liebenswürdige fromme Schwärmerin, ging lieber in die Dreifaltigkeitskirche als auf den Ball – sie starb, und wir alle glaubten, sie werde sogleich in den dritten Himmel schweben, und jetzt sitzt sie hier im Fegefeuer! Zwar wollte man behaupten, sie sei in Töplitz an einem heimlichen Wochenbett verschieden, aber wer ihren frommen Lebenslauf gesehen, wer konnte das glauben?« –

»Ha! die Nase von Frankreich!« rief auf einmal der Baron mit Ekstase. »Heiliger Ludwig, auch Ihr, auch Ihr unter Euren verlorenen Kindern? Ha! und ihr, ihr verdammten Kutten, die ihr mein schönes Vaterland in die Kapuze stecken wollet. Sehen Sie, Mylord, jene häßlichen, kriechenden Menschen? Sehen Sie dort – das sind berühmte Missionäre, die uns glauben machen wollten, sie seien frömmer als wir. Dem Teufel sei es gedankt, daß er diese Schweine auch zu sich versammelt hat.«

»Oh, mein Herr«, sagte ich, »das hätten Sie nicht nötig gehabt bis ins Theater sich zu bemühen, um diese Leutchen zu sehen. Sie zeigen sich zwar nicht gerne auf den Promenaden, weil selbst in der Hölle nichts Erbärmlicheres zu sein pflegt, als ein entlarvter Heuchler; aber im Café de Congrégation wimmelt es von diesen Herren. Vorn Kardinal bis zum schlechten Pater; Sie können manche heilige Bekanntschaft dort machen.«

»Mein Herr, Sie scheinen bekannt hier«, erwiderte Mylord; »sagen Sie doch, wer sind diese ernsten Männer in Uniform nebenan? Sie unterhalten sich lebhaft, und doch sehe ich sie nicht lächeln. Sind es Engländer?«

»Verzeihen Sie«, antwortete ich, »es sind Soldaten und Offiziers von der alten Garde, die sich mit einigen Preußen über den letzten Feldzug besprechen.«

Alle drei schienen erstaunt über dieses Zusammentreffen, und wollten mehr fragen, aber der Kapellmeister hob den Stab, und die Trompeten und Pauken der Rossinischen Ouvertüre schmetterten in das volle Haus. Es war die herrliche Ouvertüre aus »Il maestro ladro«, die Rossini auf sich selbst gedichtet hat, und das Publikum war entzückt über die schönen Anklänge aus der Musik aller Länder und Zeiten, und jedes fand seinen Lieblingsmeister, seine Lieblingsarie in dem herrlich komponierten Stück. Ich halte auch außer der Gazza ladra den Maestro ladro für sein Bestes, weil er darin seine Tendenz und seine künstlerische Gewandtheit im Komponieren ganz ausgesprochen hat. Die Ouvertüre endete mit dem ergreifenden Schluß von Mozarts »Don Juan«, dem man zur Vermehrung der Rührung, einen Nachsatz von Pauken, Trommeln und Trompeten angehängt hatte und – der Vorhang flog auf.

Man sah einen Saal der Börsenhalle von London. Ängstlich drängten sich Juden und Christen durcheinander; in malerischen Gruppen standen Geldmäkler, große und kleine Kaufleute, und steigerten die Papiere. Nachdem diese Introduktion einige Zeitlang gedauert hatte, kamen in sonderbaren Sprüngen und Kapriolen zwei Kuriere hereingetanzt. Allgemeine Spannung; die Depeschen werden in einem Pas de deux entsiegelt, die Nachrichten mitgeteilt. In diesem Augenblick erscheint mein erster Solotänzer, das Haus Goldsmith vorstellend, in der Szene. Seine Mienen, seine Haltung drücken Verzweiflung aus; man sieht, seine Fonds sind erschöpft, sein Beutel leer, er muß seine Zahlungen einstellen. Ein Chor von Juden und Christen dringen auf ihn ein, um sich bezahlt zu machen. Er fleht, er bittet, seine Gebärdensprache ist bezaubernd – es hilft nichts. Da raffte er sich verzweiflungsvoll auf; er tanzte ein Solo voll Ernst und Majestät; wie ein gefallener König ist er noch im Unglück groß, seine Sprünge reichen zu einer immensen Höhe und mit einem prachtvollen Fußtriller fällt das Haus Goldsmith in London. Komisch war es nun anzusehen, wie das Chor der englischen, deutschen und französischen Häuser vorgestellt von den Herren vom Corps de Ballet diesen Fall weiter fortsetzten. Sie wankten künstlich und fielen noch künstlicher, besonders exzellierten hiebei einige Berliner Börsekünstler, die durch ihre ungemeine Kunst einen wahrhaft tragischen Effekt hervorbrachten, und allgemeine Sensation im Parterre erregten.

Plötzlich ging die lamentable Börsenmusik in einen Triumphmarsch über; die herrliche Passage aus der »Italienerin in Algier«: »Heil dem großen Kaimakan« ertönte; ein glänzender Zug von Christensklaven, Goldbarren und Schüsseln mit gemünztem Gold tragend, tanzten aufs Theater. Es war wie wenn in der Hungersnot ein Wagen mit Brot in eine ausgehungerte Stadt kommt. Man denkt nicht daran, daß der spekulative Kopf, der das Brot herbeischaffte, nichts als ein gemeiner Wucherer ist, der den Hunger benützt und sein Brot zu ungeheuren Preisen losschlägt; man denkt nicht daran, man verehrt ihn als den Retter, als den schützenden Schild in der Not. So auch hier. Die gefallenen Häuser richteten sich mit Grazie empor, sie schienen Hoffnung zu schöpfen, sie schienen den Messias der Börse zu erwarten. Er kam. Acht Finanzminister berühmter Könige und Kaiser trugen auf ihren Schultern eine Art von Triumphwagen, der die transparente Inschrift: »Seid umschlungen Millionen« trug. Ein Herr mit einer pikanten, morgenländischen Physiognomie, wohlbeleibt, und von etwas schwammigem Ansehen, saß in dem Wagen, und stellte den Triumphator vor.

Mit ungemeinem Applaus wurde er begrüßt, als er von den Schultern der Minister herab auf den Boden stieg. »Das ist Rothschild! es lebe Rothschild!« schrie man in den ersten Ranglogen und klatschte und rief Bravo, daß das Haus zitterte. Es war mein erster Grotesktänzer, der diese schwierige Rolle meisterhaft durchführte; besonders als er mit dem englischen, österreichischen, preußischen und französischen Ministerium einen Cosaque tanzte, übertraf er sich selbst. Rothschild gab in einer komischen Solopartie seinem Reich, der Börse, den Frieden, und der erste Akt der großen Pantomime endigte sich mit einem brillanten Schlußchor, in welchem er förmlich gekrönt und zu einem allerhöchsten cher Cousin gemacht wurde.

Als der Vorhang gefallen war, ließ sich Mylord ziemlich ungnädig über diese Szene aus. »Es war zu erwarten«, sagte er, »daß diese Menschen bedeutenden Einfluß auf die Kurse bekommen werden, aber daß auf der Börse von London ein solcher Skandal vorfallen werde, im Jahr 1826, das ist unglaublich!«

»Mein Herr!« erwiderte der Marquis lachend, »unglaublich finde ich es nicht. Bei den Menschen ist alles möglich, und warum sollte nicht einer, wenn er auch im Judenquartier zu Frankfurt das Licht der Welt erblickte, durch Kombination so weit kommen, daß er Kaiser und Könige in seinen Sack stecken kann?«

»Aber England, Alt-England! ich bitte Sie«, rief der Lord schmerzlich. »Ihr Frankreich, Ihr Deutschland hat von jeher nach jeder Pfeife tanzen müssen! Aber God damn! das englische Ministerium mit diesem Hephep einen Cosaque tanzen zu sehen; oh! es ist schmerzlich!«

»Ja, ja!« sprach Baron von Garnmacher, des Schneiders Sohn, sehr ruhig; »es wird und muß so kommen. Freilich, ein bedeutender Unterschied zwischen 1826 und der Zeit des Königs David.«

»Das finde ich nicht«, antwortete der Marquis, »im Gegenteil, Sie sehen ja, welch großen Einfluß die Juden auf die Zeit gewinnen!«

»Und dennoch finde ich einen bedeutenden Unterschied«, erwiderte der Deutsche. »Damals, mein Herr, hatten alle Juden nur einen König, jetzt aber haben alle Könige nur einen Juden.«

»Wenn Sie so wollen, ja. Aber neugierig bin ich doch, was für eine Szene uns der Teufel jetzt geben wird. Ich wollte wetten, Frankreich oder Italien kommt ans Brett.«

»Ich denke, Deutschland«, erwiderte Garnmacher; »ich wenigstens möchte wohl wissen, wie es im Jahr 1826 oder 1830 in Deutschland sein wird. Als ich die Erde verließ, war die Konstellation sonderbar. Es roch in meinem Vaterland wie in einer Pulverkammer, bevor sie in die Luft fliegt. Die Lunte glühte, und man roch sie allerorten. Die feinsten diplomatischen Nasen machten sich weit und lang, um diesen geheimnisvollen Duft einzuziehen und zu erraten, woher der Wind komme. Meinen Sie nicht auch, es müsse bedeutende Veränderungen geben?«

»Es wird heißen – ›auch in diesem Jahr, ist es geblieben wie es war‹«, antwortete ich dem guten Deutschen. »Um eine Lunte auszulöschen, bedarf es keine große Künste. Man wird bleiben wie man war, man wird höchstens um einige Prozente weiser vom Rathaus kommen. Sie wollen Ihr Vaterland in die Szene gesetzt sehen, um zu erfahren, wie es Anno 1826 dort aussieht? Armer Herr! da müßte ich ja zuvor noch fragen, was für ein Landsmann Sie sind.«

»Wie verstehen Sie das?« fragte der Baron unmutig.

»Nun? was könnte man Ihnen denn Allgemeines und Nationelles vorspielen, da Sie keine Nation sind? Sind Sie ein Bayer, so müßte man Ihnen zeigen, wie man dort noch immer das alte ehrliche Bier, nur nach neuen Rezepten braut; sind Sie Württemberger, so könnten Sie erfahren, wie man die Landstände wählte. Sind sie ein Rheinpreuße und drückt Sie der Schuh, so lassen Sie sich den eigenen Fuß operieren, denn an dem Normalschuh darf nichts geändert werden. Sind Sie ein Hesse, so trinken Sie ganz ruhig ihren Doppelkümmel zum Butterbrot, aber denken Sie nichts, nicht einmal ob es in der letzten Woche schön war und in der nächsten regnen wird; sind Sie ein Brandenburger, so machen Sie, daß Ihnen die Haare zu Berg stehen, und hungern Sie, bis Sie eine schöne Taille bekommen –«

»Herr, Sie sind des Teufels!« fuhr der Baron auf; »wollen Sie uns alles Nationalgefühl absprechen? Wollen Sie –«

»Stille! Sie sehen, der Vorhang geht wieder in die Höhe!« rief der Marquis; »wie, was sehe ich? das ist ja das Portal von Notre Dame! das finde ich sonderbar. Wenn man von Frankreich etwas in die Szene setzen will, warum gibt man uns kein Vaudeville, warum nicht den Kampf der Kammer.«

Die Glocken von Notre Dame ertönten in feierlichen Klängen. Chorgesang und das Murmeln kirchlicher Gebete näherte sich, und eine lange Prozession, angeführt von den Missionären, betrat die Bühne. Da sah man königliche Hoheiten und Fürsten mit den Mienen zerknirschter Sünder, den Rosenkranz in der Hand, einherschleichen; da sah man Damen des ersten Ranges, die schönen Augen gen Himmel gerichtet, die à la Madonna gekämmten Haare mit wohlriechender Asche bestreut, die niedlichen Füßchen bloß und bar in dem Staube wandelnd. Das Publikum staunte; man schien seinen Augen nicht zu trauen, wenn man die Herzogin D–s, die Comtesse de M–u, die Fürstin T–d im Kostüm einer Büßenden zur Kirche wandeln sah. Doch, als Offiziere der alten Armee, nicht mit Adlern, sondern mit heiligen Fahnen in der Hand, hereinwankten, als sogar ein Mann in der reichen Uniform der Marschälle, den Degen an der Seite, die Kerze in der Hand und Gebetbücher unter dem Arm, über die Szene ging, da wandte sich der Marquis ab, die Soldaten der alten Garde an unserer Seite, ballten die Fäuste und riefen Verwünschungen aus, und wer weiß, was meinen Acteurs geschehen wäre, hätte man faule Äpfel oder Steine in der Nähe gehabt. Das hohe Portal von Notre Dame hatte endlich die Prozession aufgenommen, und nur der Schluß ging noch über die Szene. Es war ein Affe, der eine Kerze in der Hand, und unter dem Arm eine Vulgata trug; man hatte ihm einen ungeheuren Rosenkranz als Zaum um den Hals gelegt, an welchem ihn zwei Missionäre wie ein Kalb führten. Sooft er aus dem ruhigen Prozessionsschritt in wunderliche Seitensprünge fallen wollte, wurde er mit einer Kapuzinergeißel gezüchtigt, und schrie dann, um seine Zuchtmeister zu versöhnen: »Vive le bon Dieu! vive la croix!« So brachten sie ihn endlich mit großer Mühe zur Kirche, Orgel und Chorgesang erscholl, und der Vorhang fiel.

»Haben Sie nun Genugtuung?« sagte der Marquis zu dem Lord; »was ist Ihr Skandal auf der Börse gegen diesen kirchlichen Unfug? o mein Frankreich, mein armes Frankreich!«

»Es ist wahr«, antwortete Mylord sehr ernst, indem er dem Franzosen die Hand drückte; »Sie sind zu beklagen. Aber ich glaube nicht an diese tollen Possen; Frankreich kann nicht so tief sinken, um sich so unter den Pantoffel zu begeben. Frankreich, das Land des guten Geschmacks, der fröhlichen Sitten, der feinen Lebensart, Frankreich sollte schon im Jahr 1826 vergessen haben, daß es einst der gesunden Vernunft Tempel erbaute, und den Jesuiten die Kutte ausklopfte? Nicht möglich, es ist ein Blendwerk der Hölle!«

»Das möchte doch nicht so sicher sein«, sagte ich. »Das Vaterland des Herrn Marquis gefiel sich von jeher in Kontrasten; wenn einmal der Jesuitismus dort zur Mode wird, möchte ich für nichts stehen.«

»Aber was wollten sie nur mit dem Affen in Notre Dame?« fragte der Baron, »was hat denn dieses Tier zu bedeuten.«

»Das ist, wie ich von der Theaterdirektion vernahm, der Affe Jocko, der sonst diese Leute im Theater belustigte. Jetzt ist er wohl auch von den Missionären bekehrt worden, und wenn er, wie man aus seinen Seitensprüngen schließen könnte, ein Protestant ist, so werden sie ihn wohl in der Kirche taufen.«

»God damn! was Sie sagen; doch Sie scheinen mit der Theaterdirektion bekannt; sagen Sie uns, was noch aufgeführt wird; wenn es nichts Interessantes ist, so denke ich, gehen wir weiter, denn ich finde diese Pantomimen etwas langweilig.«

»Es kommt nur noch ein Akt, der mehr allgemeines Interesse hat«, antwortete ich; »es wird nämlich ein diplomatisches Diner aufgeführt, das der Reis-Effendi den Gesandten hoher Mächte gibt. Das Siegesfest der Festung Missolunghi vorstellend. Es werden dabei Ragouts aus Griechenohren, Pastetchen von Philhellenennasen aufgetischt. Das Hauptstück der Tafel macht ein Rostbeuf von dem griechischen Patriarchen, den sie lebendig geröstet haben, und zum Beschluß wird ein kleiner Ball gegeben, den ein besternter Staatsmann, so alt er sein mag, mit der schönsten Griechensklavin aus dem Harem seiner muhamedanischen Majestät eröffnet.«

»Ei!« rief der Marquis; »was, wollen wir diese Schande der Menschheit sehen. Ihre Londner Börse war lächerlich, die Prozession gemein und dumm, aber diese ekelhafte Erbärmlichkeit, ich kann sie nicht ansehen! Kommet, meine Freunde; wir wollen lieber noch die Geschichte des Herrn von Garnmacher hören, so langweilig sie ist, als dieses diplomatische Diner betrachten!«

Der Lord und der deutsche Baron willigten ein. Sie standen auf, und verließen mein Theater, und der Lord sah, als er heraustrat, mit einem derben Fluche zurück, und rief:

»Wahrlich, es steht schlimm mit der Zukunft von 1826!«

 
Ende des zweiten Teils


 << zurück