Wilhelm Hauff
Mitteilungen aus den Memoiren des Satan
Wilhelm Hauff

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III
Satans Besuch bei Herrn von Goethe nebst einigen einleitenden Bemerkungen über das Diabolische in der deutschen Literatur

Von Zeit zu Zeit seh ich den Alten gern
Und hüte mich, mit ihm zu brechen,
Es ist gar hübsch von einem großen Herrn
So menschlich mit dem Teufel selbst zu sprechen.

Goethe

Sechzehntes Kapitel

Bemerkungen über das Diabolische in der deutschen Literatur

»Die Idee eines Teufels ist so alt als die Welt und nicht erst durch die Bibel unter die Menschen gekommen. Jede Religion hat ihre Dämonen und bösen Geister – natürlich weil die Menschen selbst von Anfang an gesündigt haben und nach ihrem gewöhnlichen Anthropomorphismus das Böse, das sie sahen, einem Geiste zuschrieben, dessen Geschäft es sei, überall Unheil anzurichten.« So würde ich ungefähr sprechen, wenn ich es bis zum Professor der Philosophie gebracht hätte, und nun über die »Idee eines Teufels« mich breitmachen müßte.

In meiner Stellung aber lache ich über solche Demonstrationen, die gewöhnlich darauf auslaufen, daß man mich mit zehnerlei Gründen hinwegzudisputieren sucht; ich lache darüber und behaupte, die Menschen, so dumm sie hie und da sein mögen, merken doch bald, wenn es nicht ganz geheuer um sie her ist, und mögen sie mich nun Ariman oder das böse Prinzip, Satan oder Herrn Urian nennen, sie kennen mich in allen Völkern und Sprachen. Es ist doch eine schöne Sache um das dicier hic est, darum behagt mir auch die deutsche Literatur so sehr. Haben sich nicht die größten Geister dieser Nation bemüht, mich zu verherrlichen, und, wenn ich's nicht schon wäre, mich ewig zu machen?

In meiner Dissertatio de rebus diabolicis sage ich unter anderm hierüber folgendes: »§ 8. Die Idee, das moralische Verderben in einer Person darzustellen, mußte sich daher den Dichtern bald aufdrängen; diese waren, wie es in Deutschland meistens der Fall war, philosophisch gebildet, doch war ihre Philosophie wie ihre Moral von jener breiten, dicken Sorte, die nicht mit Leichtigkeit über Gegenstände hinzugleiten weiß, daher kam es, daß auch die Gebilde ihrer Phantasie jenes philosophische Blei an den Füßen trugen, das sie nicht mit Gewandtheit auftreten ließ; sie stolperten auf die Bühne und von der Bühne, machten sich breit in Philosophemen, die der Zehendste nicht sogleich verstand, und drehten und wandten sich, als sollten sie auf einer engen Brücke ohne Geländer in Reifröcken einander ausweichen.

Daher kam es, daß auch die Teufel dieser Poeten gänzlich verzeichnet waren. Betrachten wir z. B. Klingers Satan. Wie vielen Bombast hat dieser arme Teufel zuerst in der Hölle und dann auf der Erde herzuleiern!

Klingemanns Teufel! glaubt man nicht, er habe ihn nur geschwind aus dem Puppenspiel von der Straße geholt, ihm die Glieder ausgereckt, bis er die rechte Größe hatte, und ihn dann in die Szene gesetzt? man begreift nicht, wie ein Mensch sich von einem solchen Ungetüm sollte verführen lassen!«

Es gibt noch mehrere solcher literarischen Ungetüme, die hier aufzuführen der Raum nicht erlaubt. Sie alle haben mir von jeher viel Spaß gemacht, und ich kam mir oft vor, wie der Polichinello des italienischen Lustspiels; ich war bei diesen Leuten eine stehende Figur, die, wenn auch etwas anders aufgeputzt, doch immer wieder die Hörner herausstreckte, und unter welche man zu besserer Kenntnis ein »Ecce homo«, sehet, das ist der Teufel, schrieb.

Doch auch dem Teufel muß man Gerechtigkeit widerfahren lassen, sagt ein Sprichwort, folglich muß der Teufel zur Revanche auch wieder gerecht sein. »Ein jeder gibt, wie er's kann«, fuhr ich in der Dissertation fort, »und wie sich in jenen Poeten das moralische Verderben bei jedem wieder in andern Reflexen abspiegelte, so gaben sie auch ihre Teufel. Daher kommt es, daß Herr Urian bei Klopstock wieder bei weitem anders aussieht.

Jener Abadonna ist ein gefallener Engel, dem das höllische Feuer die Flügel versengte, der sich aber auch jetzt noch nobel und würdig ausnehmen soll. Aber leider ist dieser Zweck doch ein wenig verfehlt, mir wenigstens kömmt dieser Klopstockische Gottseibeiuns vor, wie ein Elegant, der wegen Unarten aus den Salons verwiesen, sich in den Tabagien und spießbürgerlichen Klubs nicht recht zu finden weiß und darum unanständig jammert.«

So ungefähr sprach ich mich in jener gelehrten Dissertation aus, und ich gebe noch heute zu, daß die Auffassung wie jeder Idee, so auch der des Teufels sich nach den individuellen Ansichten des Dichters über das Böse richten muß; dies alles aber entschuldiget keineswegs jenen berühmten Mann, der, kraft seines umfassenden Genies, nicht den engen Grenzen seines Vaterlandes oder der Spanne Zeit, in welcher er lebt, sondern der Erde und künftigen Jahrhunderten angehören könnte, es entschuldigt ihn nicht darin, daß er einen so schlechten Teufel zur Welt gebracht hat.

Der Goethische Mephistopheles ist eigentlich nichts anders, als jener gehörnte und geschwänzte Popanz des Volkes. Den Schweif hat er aufgerollt und in die Hosen gesteckt, für die Bocksfüße hat er elegante Stiefel angezogen, die Hörner hat er unter dem Baret verborgen – siehe da den Teufel des großen Dichters! Man wird mir einwenden, das gerade ist ja die große Kunst des Mannes, daß er tausend Fäden zu spinnen weiß, durch die er seine kühnen Gedanken, seine hohen überschwenglichen Ideen an das Volksleben, an die Volkspoesie knüpft. – Halt Freund! ist es eines Mannes, der, wie sie sagen, so hoch über seinem Gegenstand steht, und sich nie von ihm beherrschen läßt, ist es eines solchen Dichters würdig, daß er sich in diese Fesseln der Popularität schmiegt; sollte nicht der königliche Adler dieses Volk bei seinem populären Schöpf fassen und mit sich in seine Sonnenhöhe tragen?

Verzeihe, Wertester, erhalte ich zur Antwort, du vergissest, daß unter diesem Volke mancher eine Perücke trägt, würde ein solcher nicht in Gefahr sein, daß ihm der Zopf breche und er aus halber Höhe wieder zur Erde stürzte? Siehe! der Meister hat dies besser bedacht; er hat aus jenen tausend Fäden, von welchen ich dir sagte, eine Strickleiter geflochten, auf welcher seine Jünger säuberlich und ohne Gefahr zu ihm hinaufklimmen. Der Meister aber setzet sie zu sich in seine Arche, gleich Noah schwebt er mit ihnen über der Sündflut jetziger Zeit und schaut ruhig wie ein Gott in den Regen hinaus, der aus den Federn der kleinen Poeten strömt.

Ein wässeriges Bild! entgegne ich, und zugleich eine Sottise; befand sich denn in jener Arche nicht mehr Vieh als Menschen? und will der Meister warten, bis die Flut sich verlaufe und dann seine Stierlein und Eselein, seine Pfauen und Kamele, Paar und Paar auf die Erde spazieren lassen?

Will er vielleicht wie jener Patriarch die Erfindung des Weines sich zuschreiben, sich ein Patent darüber ausstellen lassen und über seine Schenke schreiben, hier allein ist Echter zu haben, wie Maria Farina auf sein Kölnisches Wasser, so für alle Schäden gut ist?

Aber, um wieder auf Mephistopheles zu kommen; gerade dadurch, daß er einen so überaus populären und gemeinen Teufel gab, hat Goethe offenbar nichts für die Würde seines schönsten Gedichtes gewonnen. Er wird zwar viele Leser herbeiziehen, dieser Mephisto, viele Tausende werden ausrufen: »Wie herrlich! das ist der Teufel wie er leibt und lebt.« Um die übrigen Schönheiten des Gedichtes bekümmern sie sich wenig, sie sind vergnügt, daß es endlich einmal eine Figur in der Literatur gibt, die ihrer Sphäre angemessen ist.

»Aber erkennst du denn nicht«, wird man mir sagen »erkennst du nicht die herrliche, tiefe Ironie, die gerade in diesem Mephistopheles liegt?«

Ironie? und welche? ich sehe nichts in diesem meinem Konterfei, als den gemeinen »Ritter von dem Pferdefuß«, wie er in jeder Spinnstube beschrieben wird. Man erlaube mir, dieses Bild noch näher zu beleuchten. Ich werde nämlich vorgestellt als ein Geist, der beschworen werden kann, der sich nach magischen Gesetzen richten muß:

»Gesteh ich's nur, daß ich hinausspaziere,
verbietet mir ein kleines Hindernis
der Drudenfuß auf Eurer Schwelle«;

und dieser Schwelle Zauber zu zerspalten

»Bedarf ich eines Rattenzahns«,

daher befiehlt:

»der Herr der Ratten und der Mäuse,
der Fliegen, Frösche, Wanzen, Läuse«

in einer Zauberformel seinem dienstbaren Ungeziefer die Kante, welche ihn bannte, zu benagen. Auch kann ich nicht in das Studierzimmer treten, ohne daß der Doktor Faust dreimal »Herein!« ruft. In andere Zimmer, wie z. B. bei Frau Martha und in Gretchens Stübchen trete ich ohne diese Erlaubnis. Doch den Schlüssel zu diesen sonderbaren Zumutungen finden wir vielleicht in dem Vers:

»Gewöhnlich glaubt der Mensch, wenn er nur Worte hört,
Es müsse sich dabei auch etwas denken lassen!«

Doch weiter.

Ich stehe auf einem ganz besondern Fuß mit den Hexen. Die in der Hexenküche hätte mich gewiß liebevoller empfangen, aber sie sah keinen Pferdefuß, und um mich bei ihr durch mein Wappen zu legitimieren, mache ich eine unanständige Gebärde.

»Mein Freund, das lerne wohl verstehen,
Das ist die Art, mit Hexen umzugehen.«

Auf dem Brocken in der Walpurgisnacht bin ich noch viel besser bekannt. Das Gehen behagt mir nicht, ich sage daher zum Doktor:

»Verlangst du nicht nach einem Besenstiele?
Ich wünschte mir den allerderbsten Bock.«

Auch hier

»Zeichnet mich kein Knieband aus,
Doch ist der Pferdefuß hier ehrenvoll zu Haus.«

Um unter diesem gemeinen Gelichter mich recht zu zeigen, tanze ich mit einer alten Hexe und unterhalte mich mit ihr in Zoten, die man nur durch Gedankenstriche

»Der hatt ein – – – – –
So – es war, gefiel mir's doch«

anzudeuten wagt.

Ich bin, selbst in Fausts Augen, ein widerwärtiger, hämischer Geselle, der

»– kalt und frech
Ihn vor sich selbst erniedrigt –«

Ich bin ohne Zweifel von häßlicher, unangenehmer Gestalt und Gesicht, zurückstoßend, was man, mit mildem Ausdruck markiert, intrikant und im gemeinen Leben einen abgefeimten Spitzbuben zu nennen pflegt.

Daher sagt Gretchen von mir:

»Der Mensch, den du da bei dir hast,
Ist mir in tiefer innrer Seele verhaßt.
Es hat mir in meinem Leben
So nichts einen Stich ins Herz gegeben
Als des Menschen widrig Gesicht. –
Seine Gegenwart bewegt mir das Blut,
Ich hab vor dem Menschen ein heimlich Grauen. –
– Kommt er einmal zur Tür herein
Sieht er immer so spöttisch drein
Und halb ergrimmt. –
Es steht ihm an der Stirn geschrieben,
Daß er nicht mag eine Seele lieben« etc.

Daher sage ich auch nachher:

»Und die Physiognomie versteht sie meisterlich,
In meiner Gegenwart wird ihr, sie weiß nicht wie,
Mein Mäskchen da weissagt verborgnen Sinn,
Sie fühlt, daß ich ganz sicher ein Genie,
Vielleicht wohl gar der Teufel bin.«

Soll dies bei Gretchen Ahnung sein? Ist sie befangen in der Nähe eines Wesens, das, wie man sagt, ihren Gott verleugnet? Ist es etwa ein unangenehmer Geruch, eine schwüle Luft, die ihr meine Nähe ängstlich macht? Ist es kindlicher Sinn, der den Teufel früher ahnet, als der schon gefallene Mensch, wie Hunde und Pferde vor nächtlichem Spuk scheuen, wenn sie ihn auch nicht sehen? Nein – es ist nur allein mein Gesicht, mein Mäskchen, mein lauernder Blick, mein höhnisches Lächeln, das sie ängstlich macht, so ängstlich, daß sie sagt:

»– Wo er nur mag zu uns treten,
mein ich sogar, ich liebte dich nicht mehr –«

Wozu nun dies? warum soll der Teufel ein Gesicht schneiden, das jedermann Mißtrauen einflößt, das zurückschreckt, statt daß die Sünde, nach den gewöhnlichsten Begriffen, sich lockend, reizend sehen läßt?

Wer hat nicht die herrlichen Umrisse über Goethes Faust von dem genialen Retsch gesehen! Gewiß, selbst der Teufel muß an einem solchen Kunstwerk Freude haben. Ein paar Striche, ein paar Pünktchen bilden das liebliche, sinnige Gesicht des kindlichen, keuschen Gretchens, Faust in der vollendeten Blüte des Mannes steht neben ihr, welche Würde noch in dem gefallenen Göttersohn!

Aber der Maler folgt der Idee des Dichters, und siehe, ein Scheusal in Menschengestalt steht neben jenen lieblichen Bildern. Die unangenehmen Formen des dürren Körpers, das ausgedörrte Gesicht, die häßliche Nase, die tiefliegenden Augen, die verzerrten Mundwinkel – hinweg von diesem Bild, das mich schon so oft geärgert hat.Man erlaube mir hier eine kleine Anmerkung: Wenn ich nicht irre, so ertappt man hier den Satan auf einer größern Eitelkeit, als man ihm fast zutrauen sollte; gewiß hat ihn nichts anderes gegen jenen verehrten Dichter aufgebracht, als daß er ihn mit etwas lebhaften Farben als häßlich darstellt; diese Bemerkung wird um so wahrscheinlicher, wenn man sich erinnert, daß er oben in dem zweiten Abschnitt selbst gesteht, daß durch seine Inkarnation einige Eitelkeit in ihn gefahren sein; Meister Urian gibt sich übrigens durch den übertriebenen Eifer, mit welchem er seine Mißgestalt rügt, eine Blöße, die ihm nicht hätte beigehen sollen.

Und warum diese häßliche Gestalt? frage ich noch einmal. Darum, antworte ich, weil Goethe, der so hoch über seinem Werk schwebende Dichter, seinen Satan anthropomorphisiert; um den gefallenen Engel würdig genug darzustellen, kleidet er ihn in die Gestalt eines tief gefallenen Menschen. Die Sünde hat seinen Körper häßlich, mager, unangenehm gemacht. In seinem Gesicht haben alle Leidenschaften gewühlt und es zur Fratze entstellt, aus dem hohlen Auge sprüht die grünliche Flamme des Neides, der Gier; der Mund ist widrig, hämisch wie der eines Elenden, der alles Schöne der Erde schon gekostet hat und jetzt aus Übersättigung den Mund darüber rümpft; der Unschuld ist es nicht wohl in seiner befleckenden Nähe, weil ihr vor diesen Zügen schaudert.

So hat der Dichter, weil er einen schlechten Menschen vor Augen hatte, einen schlechten Teufel gemalt.

Oder steht etwa in der Mythologie des Herrn von Goethe, der Teufel könne nun einmal nicht anders aussehen, er könne sein Gesicht, seine Gestalt nicht verwandeln? Nein, man lese:

»Auch die Kultur, die alle Welt beleckt,
Hat auf den Teufel sich erstreckt;
Das nordische Phantom ist nun nicht mehr zu schauen,
Wo siehst du Hörner, Schweif und Klauen?
Du nennst mich Herr Baron, so ist die Sache gut,
Ich bin ein Kavalier, wie andre Kavaliere;«

Und an einem andern Ort läßt er mich mein Gesicht ein »Mäskchen« nennen; folglich kann er sich eine Maske geben, kann sich verwandeln; aber wie gesagt, der Dichter hat sich begnügt, das nordische Phantom dennoch beizubehalten, nur daß er mich von »Hörnern, Schweif und Klauen« dispensiert.

Dies ist das Bild des Mephistopheles, dies ist Goethes Teufel, jenes nordische Phantom soll mich vorstellen; darf nun ein vom Dichter so hoch gestellter Mensch durch eine so niedrige Kreatur, die sich schon durch ihre Maske verdächtig macht, ins Verderben geführt werden? darf jener große Geist, der noch in seinem Falle die übrigen hoch überragt, darf er durch einen gewöhnlichen »Bruder Lüderlich«, als welchen sich Mephisto ausweist, herabgezogen werden? Und – muß nicht diese Maske der Würde jener Tragödie Eintrag tun?

Doch ich schweige; an geschehenen Dingen ist nichts zu ändern, und meine verehrte Großmutter würde über diesen Gegenstand zu mir sagen:

»Söhnchen! Diabole! Bedenke, daß ein großer Dichter ein großes Publikum haben, und um ein großes Publikum zu bekommen, so populär als möglich sein muß.«


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