Wilhelm Hauff
Mitteilungen aus den Memoiren des Satan
Wilhelm Hauff

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IV
Der Festtag im Fegefeuer

Eine Skizze

Das größte Glück de rGeschichtsschreiber
ist, daß die Toten nicht gegen ihre An-
sichten protestieren können.

Welt und Zeit. I

Achtzehntes Kapitel

Beschreibung des Festes. Satan lernt drei merkwürdige Subjekte kennen

Ich teile hier einen Abschnitt aus meinen Memoiren mit, welcher zwar nicht mich selbst betrifft, den ich mir aber aufzeichnete, weil er mir sehr interessant war, und vielleicht auch anderen nicht ohne einiges Interesse sein möchte. Er führt die Aufschrift »Der Festtag im Fegefeuer«, und kam durch folgende Veranlassung zu diesem Titel. Es ist auf der Erde bei allen großen Herrn und Potentaten Sitte, ihre Freude und ihre Trauer recht laut und deutlich zu begehen. Wenn ein aus fürstlichem Blute stammender Leib dem Staube wiedergegeben wird, haben die Küster im Land schwere Arbeit, denn man läutet viele Tage lang alle Glocken. Wird eine Prinzeß oder gar ein Stammhalter geboren, so verkündet schrecklicher Kanonendonner diese Nachricht. Landesväterliche oder landesmütterliche Geburtstage werden mit allem möglichen Glanz begangen; die Bürgermilizen rücken aus, die Honoratioren halten einen Schmaus, abends ist Ball, oder doch wenigstens in den Landstädtchen bière dansante; kurz, alles lebt in dulci jubilo an solchen Tagen.

Um nun meiner guten Großmutter eine Ehre zu erweisen, hielt ich es auch schon seit mehreren Jahrhunderten so. Im Fegefeuer, wo sie sich gewöhnlich aufhält, ist immer an diesem Tage allgemeine Seelenfreiheit. Die Seelen bekommen diesen Tag über den Körper, den sie auf der Oberfläche hatten, ihre Kleider, ihre Gewohnheiten, ihre Sitten. Was von Adel da ist, muß Deputationen zum Handkuß der Alten schicken (in pleno können sie nicht vorgelassen werden, weil sonst die Prozession einige Tage lang dauerte). Ehemalige Hofmarschälle, Kammerherren usw. haben den großen Dienst, und schätzen es sich zur Ehre, die Honneurs zu machen, die Festlichkeiten zu leiten, die Touren bei den Bällen, welche abends gegeben werden, zu arrangieren usw.

Ich erfülle durch diese Festlichkeiten einen doppelten Zweck; einmal fühlt sich chère Grande-Mama ungemein geschmeichelt durch diese Aufmerksamkeit, zweitens gelte ich unter den Seelen für einen honetten Mann, der ihnen auch ein Vergnügen gönnt, drittens macht dieser einzige Tag, in Freude und alten Gewohnheiten zugebracht, daß die Seelen sich nachher um so unglücklicher fühlen; was ganz zu dem Zweck einer solchen Anstalt, wie das Fegefeuer ist, paßt.

An einem solchen Festtag gehe ich dann verkleidet durch die Menge; manchmal erkennt man mich zwar, ein tausendstimmiges: »Vivat der Herr Teufel! vive le diable!« erfreut dann mein landesväterliches Herz, doch weiß ich wohl, daß es nicht weniger erzwungen ist, als ein Hurra auf der Oberwelt, denn sie glauben, ich drücke sie noch mehr, wenn sie nicht schreien.

In meinem Inkognito besuche ich dann die verschiedenen Gruppen; tout comme chez vous, meine Herren, nur etwas grotesker, Kaffeegesellschaften, Tee von allen Sorten, diplomatische, militärische, theologische, staatswirtschaftliche, medizinische Klubs finden sich wie durch natürlichen Instinkt zusammen, machen sich einen guten Tag und führen ergötzliche Gespräche, die, wenn ich sie mitteilen wollte, auf manches Ereignis neuerer und älterer Zeit ein hübsches Licht werfen würden.

Einst trat ich in einen Saal des Café de Londres (denn, nebenbei gesagt, es ist an diesem Tag alles auf großem Fuß und höchst elegant eingerichtet) ich traf dort nur drei junge Männer, die aber durch ihr Äußeres gleich meine Neugierde erweckten und mir, wenn sie ins Gespräch miteinander kommen sollten, nicht wenig Unterhaltung zu versprechen schienen. Ich verwandelte daher meinen Anzug in das Kostüm eines flinken Kellners und stellte mich in den Saal, um die Herrschaften zu bedienen.

Zwei dieser jungen Leute beschäftigten sich mit einer Partie Billard; ich markierte ihnen und betrachtete mir indes den dritten. Er war nachlässig in einen geräumigen Fauteuil zurückgelehnt, seine Beine ruhten auf einem vor ihm stehenden kleineren Stuhl, seine linke Hand spielte nachlässig mit einer Reitgerte, sein rechter Arm unterstützte das Kinn. Ein schöner Kopf! das Gesicht länglich und sehr bleich; die Stirne hoch und frei, von hellbraunen, wohlfrisierten Haaren umgeben, die Nase gebogen und spitzig wie aus weißem Wachs geformt, die Lippen dünn und angenehm gezogen, das Auge blau und hell, aber gewöhnlich kalt und ohne alles Interesse langsam über die Gegenstände hingleitend; dies alles und ein feiner Hut enger oben als unten, nachlässig auf ein Ohr gedrückt, ließen mich einen Engländer vermuten. Sein sehr feines blendend weißes Linnenzeug, die gewählte, überaus einfache Kleidung konnte nur einem Gentleman, und zwar aus den höchsten Ständen gehören. Ich sah in meiner Liste nach, und fand, es sei Lord Robert Fotherhill. Er winkte, indem ich ihn so betrachtete, mit den Augen, weil es ihm wahrscheinlich zu unbequem war, zu rufen, ich eilte zu ihm, und stellte auf seinen Befehl ein großes Glas Rum, eine Havannazigarre und eine brennende Wachskerze vor ihn hin.

Die beiden andern Herren hatten indes ihr Spiel geendigt und nahten sich dem Tische, an welchem der Engländer saß; ich warf schnell einen Blick in meine Liste und erfuhr, der eine sei ein junger Franzose, Marquis de Lasulot, der andere ein Baron von Garnmacher, ein Deutscher.

Der Franzose war ein kleines untersetztes, gewandtes Männchen. Sein schwarzes Haar und der dichtgelockte schwarze Backenbart standen sehr hübsch zu einem etwas verbrannten Teint, hochroten Wangen und beweglichen, freundlichen schwarzen Augen; um die vollen roten Lippen und das wohlgenährte Kinn zog sich jenes schöne unnachahmliche Blau, welches den Damen so wohl gefallen soll, und in England und Deutschland bei weitem seltener, als in südlichern Ländern gefunden wird, weil hier der Bartwuchs dunkler, dichter und auch früher zu sein pflegt, als dort.

Offenbar ein Incroyable von der Chaussee d'Antin! Das elegante Negligé, wie es bis auf die geringste Kleinigkeit hinaus der eigensinnige Geschmack der Pariser vor vier Monaten (so lange mochte der junge Herr bereits verstorben sein) haben wollte. Von dem, mit zierlicher Nachlässigkeit umgebundenen ostindischen Halstuch, dem kleinen blaßroten Shawl mit einer Nadel à la Duc de Berry zusammengehalten, bis herab auf die Kamaschen, die man damals seit drei Tagen nach innen zuknöpfte, bis auf die Schuhe, die, um als modisch zu gelten, an den Spitzen nach dem großen Zehen sich hinneigen, und ganz ohne Absatz sein mußten, ich sage bis auf jene Kleinigkeiten, die einem Ungeweihten, geringfügig und miserabel, einem, der in die Mysterien hinlänglich eingeführt ist, wichtig und unumgänglich notwendig erscheinen, war er gewissenhaft nach dem neuesten »Geschmack für den Morgen« angezogen.

Er schien soeben erst seinem Jean die Zügel seines Cabriolets in die Hand gedrückt, die Peitsche von geglättetem Fischbein kaum in die Ecke des Wagens gelehnt zu haben und jetzt in meinen Kaffee hereingeflogen zu sein, um mehr gesehen zu werden, als zu sehen, mehr zu schwatzen, als zu hören.

Er lorgnettierte flüchtig den Gentleman im Fauteuil, schien sich an dem ungemeinen Rumglas und dem Rauchapparat, den jener vor sich hatte, ein wenig zu entsetzen, schmiegte sich aber nichtsdestoweniger an die Seite Seiner Lordschaft: und fing an zu sprechen:

»Werden Sie heute abend den Ball besuchen, mein Herr, den uns Monseigneur le diable gibt? Werden viel Damen dort sein, mein Herr? ich frage, ich bitte Sie, weil ich wenig Bekanntschaft hier habe.

Mein Herr, darf ich Ihnen vielleicht meinen Wagen anbieten, um uns beide hinzuführen; es ist ein ganz honettes Ding, dieser Wagen, habe ich die Ehre, Sie zu versichern, mein Herr; er hat mich bei Latonnier vor vier Monaten achtzehnhundert Franken gekostet. Mein Herr, Sie brauchen keinen Bedienten mitzunehmen, wenn ich die Ehre haben sollte, Sie zu begleiten, mein Jean ist ein Wunderkerl von einem Bedienten.«

So ging es im Galopp über die Zunge des Incroyable. Seine Lordschaft schien sich übrigens nicht sehr daran zu erbauen. Er sah bei den ersten Worten den Franzosen starr an, richtete dann den Kopf ein wenig auf, um seine rechte Hand frei zu machen, ergriff mit dieser – die erste Bewegung seit einer halben Stunde – das Kelchglas, nippte einige Züge Rum, rauchte behaglich seine Zigarre an, legte den Kopf wieder auf die rechte Hand, und schien dem Franzosen mehr mit dem Auge als mit dem Ohr zuzuhören und auch auf diese Art antworten zu wollen, denn er erwiderte auch nicht eine Silbe auf die Einladung des redseligen Franzosen und schien, wie sein Landsmann Shakespeare sagt:

»der Zähne doppelt Gatter«

vor seine Sprachorgane gelegt zu haben.

Der Deutsche hatte sich während dieses Gespräches dem Tische genähert, eine höfliche Verbeugung gemacht und einen Stuhl dem Lord gegenüber genommen. Man erlaube mir, auch ihn ein wenig zu betrachten. Er war, was man in Deutschland einen gewichsten jungen Mann zu nennen pflegt, ein Stutzer; er hatte blonde, in die Höhe strebende Haare, an die etwas niedere Stirne schloß sich ein »allerliebstes Stumpfnäschen«, über dem Mund hing ein Stutzbärtchen, dessen Enden hinaufgewirbelt waren, seine Miene war gutmütig, das Auge hatte einen Ausdruck von Klugheit, der wie gut angebrachtes Licht auf einem grobschattierten Holzschnitt keinen üblen Effekt hervorbrachte.

Seine Kleidung, wie seine Sitten schien er von verschiedenen Nationen entlehnt zu haben. Sein Rock mit vielen Knöpfen und Schnüren war polnischen Ursprungs; er war auf russische Weise auf der Brust vier Zoll hoch wattiert, schloß sich spannend über den Hüften an, und formierte die Taille so schlank, als die einer hübschen Altenburgerin; er hatte ferner enge Reithosen an, weil er aber nicht selbst ritt, so waren solche nur aus dünnem Nanking verfertigt, aus ebendiesem Grund mochten auch die Sporen mehr zur Zierde und zu einem wohltönenden, Aufmerksamkeit erregenden Gang, als zum Antreiben eines Pferdes dienen. Ein feiner italienischer Strohhut vollendete das gewählte Kostüm.

Ich sehe es einem gleich bei der Art, wie er den Stuhl nimmt und sich niedersetzt, an, ob er viel in Zirkeln lebte, wo auch die kleinste Bewegung von den Gesetzen des Anstandes und der feinen Sitte geleitet wird; der Stutzer setzte sich passabel, doch bei weitem nicht mit jener feinen Leichtigkeit, wie der Franzose, und der Engländer zeigte selbst in seiner nachlässigen, halb sitzenden, halb liegenden Stellung mehr Würde als jener, der sich so gut aufrecht hielt, als es nur immer ein Tanzmeister lehren kann.

Diese Bemerkungen, zu welchen ich vielleicht bei weitem mehr Worte verwendet habe, als es dem Leser dieser Memoiren nötig scheinen möchte, machte ich in einem Augenblick, denn man denke sich nicht, daß der junge Deutsche mir so lange gesessen sei, bis ich ihn gehörig abkonterfeit hatte.

Der Marquis wandte sich sogleich an seinen neuen Nachbar. »Mein Gott, Herr von Garnmacker«, sagte er, »ich möchte verzweifeln; der englische Herr da scheint mich nicht zu verstehen und ich bin seiner Sprache zu wenig mächtig, um die Konversation mit gehöriger Lebhaftigkeit zu führen; denn ich bitte Sie, mein Herr, gibt es etwas Langweiligeres, als wenn drei schöne junge Leute beieinander sitzen, und keiner den andern versteht?«

»Auf Ehre, Sie haben recht«, antwortete der Stutzer in besserem Französisch, als ich ihm zugetraut hätte; »man kann sich zur Not denken, daß ein Türke mit einem Spanier Billard spielt, aber ich sehe nicht ab, wie wir unter diesen Umständen mit dem Herrn plaudern können.«

»J'ai bien compris, Messieurs«, sagte der Lord ganz ruhig neben seiner Zigarre vorbei, und nahm wieder einigen Rum zu sich.

»Ist's möglich, Mylord?« rief der Franzose vergnügt, »das ist sehr gut, daß wir uns verstehen können! Marqueur, bringen Sie mir Zuckerwasser! O das ist vortrefflich, daß wir uns verstehen, welch schöne Sache ist es doch um die Mitteilung, selbst an einem Ort, wie dieser hier.«

»Wahrhaftig, Sie haben recht, Bester!« gab der Deutsche zu; »aber wollen wir nicht zusammen ein wenig umherschlendern, um die schöne Welt zu mustern? Ich nenne Ihnen schöne Damen von Berlin, Wien, von allen möglichen Städten meines Vaterlandes, die ich bereist habe; ich hatte oben große Bekanntschaften und Konnexionen, und darf hoffen, an diesem verfl . . . Ort manche zu treffen, die ich zu kennen das Glück hatte; Mylord nennt uns die Schönen von London, und Sie, teuerster Marquis, können uns hier Paris im kleinen zeigen.«

»Gott soll mich behüten!« entgegnete eifrig der Franzose, indem er nach der Uhr sah, »jetzt, um diese frühe Stunde wollen Sie die schöne Welt mustern?«

»Meinen Sie, mein Herr, ich habe in diesem détestable purgatoire so sehr allen guten Ton verlernt, daß ich jetzt auf die Promenade gehen sollte?«

»Nun, nun«, antwortete der Stutzer, »ich meine nur, im Fall wir nichts Besseres zu tun wüßten. Sind wir denn nicht hier wie die drei Männer im Feuerofen? Sollen wir wohl ein Loblied singen wie jene? Doch wenn es Ihnen gefällig ist, mein Herr, uns einen Zeitvertreib vorzuschlagen, so bleibe ich gerne hier.«

»Mein Gott«, entgegnete der Incroyable, »ist dies nicht ein so anständiger Kaffee, als Sie in ganz Deutschland keinen haben? Und fehlt es uns an Unterhaltung? Können wir nicht plaudern, soviel wir wollen? Sagen Sie selbst, Mylord, ist es nicht ein gutes Haus, kann man diesen Salon besser wünschen, nein! Monsieur le diable hat Geschmack in solchen Dingen, das muß man ihm lassen.«

»Une confortable maison!« murmelte Mylord, und winkte dem Franzosen Beifall zu. »Et ce salon confortable.«

»Gute Tafel, mein Herr?« fragte der Marquis, »nun die wird auch da sein, ich denke mir, man speist wohl nach der Charte? Aber meine Herren, was sagen Sie dazu, wenn wir uns zur Unterhaltung gegenseitig etwas aus unserem Leben erzählen wollten? Ich höre so gerne interessante Abenteuer, und Baron Garnmacker hat deren wohl so viele erlebt als Mylord?«

»God damn! das war ein vernünftiger Einfall, mein Herr«, sagte der Engländer, indem er mit der Reitgerte auf den Tisch schlug, die Füße von dem Stuhl herabzog, und sich mit vieler Würde in dem Fauteuil zurechtsetzte; »noch ein Glas Rum, Marqueur!«

»Ich stimme bei«, rief der Deutsche, »und mache Ihnen über Ihren glücklichen Gedanken mein Kompliment, Herr von Lasulot. – Eine Flasche Rheinwein, Kellner! – Wer soll beginnen, zu erzählen?«

»Ich denke, wir lassen dies das Los entscheiden«, antwortete Lord Fotherhill, »und ich wette fünf Pfund, der Marquis muß beginnen.«

»Angenommen, mein Herr«, sagte mit angenehmem Lächeln der Franzose; »machen Sie die Lose, Herr Baron, und lassen Sie uns ziehen, Nummer zwei soll beginnen.«

Baron Garnmacher stand auf und machte die Lose zurecht, ließ ziehen und die zweite Nummer fiel auf ihn selbst.

Ich sah den Franzosen dem Lord einen bedeutenden Wink zuwerfen, indem er das linke Auge zugedrückt, mit dem rechten auf den Deutschen hinüberdeutete; ich übersetzte mir diesen Wink so: »Geben Sie einmal acht, Mylord, was wohl unser ehrlicher Deutscher vorbringen mag. Denn wir beide sind schon durch den Rang unserer Nationen weit über ihn erhaben.«

Baron von Garnmacher schien aber den Wink nicht zu beachten; mit großer Selbstgefälligkeit trank er ein Glas seines Rheinweins, wischte in der Eile den Stutzbart mit dem Rockärmel ab und begann:


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