Wilhelm Hauff
Mitteilungen aus den Memoiren des Satan
Wilhelm Hauff

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Neuntes Kapitel

Satans Rache am Dr. Schnatterer

Als ich sah, wie weit die Philosophie und Theologie in ....en hinter meinen Vorstellungen, die ich mir zuvor gemacht hatte, zurückbleibe, legte ich mich mit Eifer auf Ästhetik, Rhetorik, namentlich aber auf die schöne Literatur. Man wende mir nicht ein, ich habe auf diese Art meine Zeit unnütz angewendet. Ich besuchte ja jene berühmte Schule nicht, um ein Brotstudium zu treiben, das einmal einen Mann mit Weib und Kind ernähren könnte, sondern das »dic-cur-hic« das ich recht oft in meine Seele zurückrief, sagte mir immer, ich solle suchen, von jeder Wissenschaft einen kleinen Hieb zu bekommen, mich aber so sehr als möglich in jenen Künsten zu vervollkommnen, die heutzutage einem Mann von Bildung unentbehrlich sind.

Bei Gelegenheit eine Stelle aus einem Dichter zu zitieren, über die Schönheit eines Gemäldes kunstgerecht mitzusprechen, eine Statue nach allen Regeln für erbärmlich zu erklären, für die Männer einige theologische Literatur, einige juridische Phrasen, einige neue medizinische Entdeckungen, einige exorbitante philosophische Behauptungen in petto zu haben, hielt ich für unumgänglich notwendig, um mich mit Anstand in der modernen Welt bewegen zu können, und ohne mir selbst ein Kompliment machen zu wollen, darf ich sagen, ich habe in den paar Monaten in ....en hinlänglich gelernt.

Ich habe mir nach dem Beispiel meiner großen Vorbilder im Memoirenschreiben vorgenommen, auch die geringfügigsten Ereignisse aufzuführen, wenn sie lehrreich oder merkwürdig sind, wenn sie Stoff zum Nachdenken oder zum Lachen enthalten. Ich darf daher nicht versäumen, meine Rache am Doktor Schnatterer zu erzählen.

Besagter Doktor hatte die löbliche Gewohnheit, Sonntag nachmittags mit noch mehreren andern Professoren in ein Wirtshaus ein halbes Stündchen vor der Stadt zu spazieren. Dort pflegte man, um die steifgesessenen Glieder wieder auszurenken, Kegel zu schieben und allerlei sonstigen Kurzweil zu treiben, wie es sich für ehrbare Männer geziemt; man spielte wohl auch bei verschlossenen Türen ein Whistchen oder Piquet, und trank manchmal ein Gläschen über Durst, was wenigstens die böse Welt daraus ersehen wollte, daß sich die Herren abends in der Chaise des Wirtes zur Stadt bringen ließen.

Der ehrwürdige Theologe aber pflegte immer lang vor Sonnenuntergang heimzukehren, man sagt, weil die Frau Doktorin ihm keine längere Frist erlaubt hatte; er ging dann bedächtlichen Schrittes seinen Weg, vermied aber die breite Chaussee und schlug den Wiesenpfad ein, der dreißig Schritte seitwärts neben jener hinlief; der Grund war, weil der breite Weg am schönen Sonntagabend mit Fußgängern besäet war, der Doktor aber die höhere Röte seines Gesichtes und den etwas unsichern Gang nicht den Augen der Welt zeigen wollte.

So erklärten sich die Bösen den einsamen Gang Schnatterers; die Frommen aber blieben stehen, schauten ihm nach und sprachen: »Siehe, er geht nicht auf dem breiten Weg der Gottlosen, der fromme Herr Doktor, sondern den schmalen Pfad, welcher zum Leben führt.«

Auf diese Gewohnheit des Doktors hatte ich meinen Racheplan gebaut. Ich paßte ihm an einem schönen Sonntagabend, der alle Welt ins Freie gelockt hatte, auf, und er trat noch bei guter Tageszeit aus dem Wirtshaus. Mit demütigem Bückling nahte ich mich ihm, und fragte, ob ich ihn auf seinem Heimweg begleiten dürfe, der Abend scheine mir in seiner gelehrten Nähe noch einmal so schön.

Der Herr Doktor schien einen kordialen Hieb zu haben; er legte zutraulich meinen Arm in den seinigen, und begann mit mir über die Tiefen der Wissenschaften zu perorieren. Aber ich schlug sein Auge mit Blindheit, und indem ich als ehrbarer Studiosus neben ihm zu gehen schien, verwandelte ich meine Gestalt und erschien den verwunderten Blicken der Spaziergänger als die »schöne Luisel«, die berüchtigste Dirne der Stadt. – Ach! daß Hogarth an jenem Abend unter den spazierengehenden Christen auf dem breiten Wege gewandelt wäre! Welch herrliche Originale für frommen Unwillen, starres Erstaunen, hämische Schadenfreude hätte er in sein Skizzenbuch niederlegen können.

Die Vordersten blieben stehen, als sie das seltsame Paar auf dem Wiesenpfad wandeln sahen, sie kehrten um, uns zu folgen, und rissen die Nachkommenden mit. Wie ein ungeheurer Strom wälzte sich uns die erstaunte Menge nach, wie ein Lauffeuer flog das unglaubliche Gerücht: »Der Doktor Schnatterer mit der schönen Luisel!« von Mund zu Mund der Stadt zu.

»Wehe dem, durch den Ärgernis kommet!« riefen die Frommen; »hat man das je erlebt von einem christlichen Prediger?«

»Ei, ei, wer hätte das hinter dem Ehrsamen gesucht?« sprachen mit Achselzucken die Halbfrommen, »wenn der Skandal nur nicht auf öffentlicher Promenade –!«

»Der Herr Doktor machen sich's bequem!« lachten die Weltkinder, »er predigt gegen das Unrecht, und geht mit der Sünde spazieren.«

So hallte es vom Felde bis in die Stadt, Bürger und Studenten, Mägde und Straßenjungen erzählten es in Kneipen, am Brunnen und an allen Ecken; und »Doktor Schnatterer« und »schön Luisel« war das Feldgeschrei und die Parole für diesen Abend und manchen folgenden Tag.

An einer Krümmung des Wegs machte ich mich unbemerkt aus dem Staube, und schloß mich als Studiosus meinen Kameraden an, die mir die Neuigkeit ganz warm auftischten. Der gute Doktor aber zog ruhig seines Weges, bemerkte, in seine tiefen Meditationen versenkt, nicht das Drängen der Menge, die sich um seinen Anblick schlug, nicht das wiehernde Gelächter, das seinen Schritten folgte. Es war zu erwarten, daß einige fromme Weiber seiner zärtlichen Ehehälfte die Geschichte beigebracht hatten, ehe noch der Theologe an der Hausglocke zog; denn auf der Straße hörte man deutlich die fürchterliche Stimme des Gerichtsengels, der ihn in Empfang nahm, und das Klatschen, welches man hie und da vernahm, war viel zu volltönend, als daß man hätte denken können, die Frau Doktorin habe die Wangen ihres Gemahls mit dem Munde berührt.

Wie ich mir aber dachte, so geschah es. Nach einer halben Stunde schickte die Frau Doktorin zu mir, und ließ mich holen. Ich traf den Doktor mit hoch aufgelaufenen Wangen, niedergeschlagen in einem Lehnstuhl sitzend. Die Frau schritt auf mich zu und schrie, indem sie die Augen auf den Doktor hinüberblitzen ließ: »Dieser Mensch dort behauptet, heute abend mit Ihnen vom Wirtshaus hereingegangen zu sein; sagen Sie, ob es wahr ist, sagen Sie!«

Ich bückte mich geziemend und versicherte, daß ich mir habe nie träumen lassen, die Ehre zu genießen; ich sei den ganzen Abend zu Haus gewesen.

Wie vom Donner gerührt, sprang der Doktor auf, der Schrecken schien seine Zunge gelähmt zu haben: »Zu Haus gewesen?« lallte er, »nicht mit mir gegangen, o mit wem soll ich denn gegangen sein, als mit Ihnen, Wertester?«

»Was weiß ich, mit wem der Herr Doktor gegangen sind?« gab ich lächelnd zur Antwort. »Mit mir auf keinen Fall!«

»Ach, Sie sind nur zu nobel, Herr Studiosus«, heulte die wütende Frau, »was sollten Sie nicht wissen, was die ganze Stadt weiß; der alte Sünder, der Schandenmensch! man weiß seine Schliche wohl; mit der schönen Luisel hat er scharmuziert!«

»Das hat mir der böse Feind angetan«, raste der Doktor und rannte im Zimmer umher; »der Böse, der Beelzebub, nach meiner Konjektur der Stinker.«

»Der Rausch hat dir's angetan, du Lump«, schrie die Zärtliche, riß ihren breitgetretenen Pantoffel ab und rannte ihm nach; ich aber schlich mich die Treppe hinab und zum Haus hinaus und dachte bei mir, dem Doktor ist ganz recht geschehen, man soll den Teufel nicht an die Wand malen, sonst kömmt er.

Der Doktor Schnatterer wurde von da an in seinen Kollegien ausgepocht, und konnte, selbst mit den kühnsten Konjekturen, den Eifer nicht mehr erwecken, der vor seiner Fatalität unter der studierenden Jugend geherrscht hatte. Die Kollegiengelder erreichten nicht mehr jene Summe, welche die Frau Professorin als allgemeinen Maßstab angenommen hatte, und der Professor lebte daher in ewigem Hader mit der Unversöhnlichen. Diesem hatte, sozusagen, der Teufel ein Ei in die Wirtschaft gelegt.


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