Wilhelm Hauff
Mitteilungen aus den Memoiren des Satan
Wilhelm Hauff

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Sechstes Kapitel

Wie der Satan die Universität bezieht, und welche Bekanntschaften er dort machte

Deutschland hat mir von jeher besonders wohl gefallen, und ich gestehe es, es liegt diesem Geständnis ein kleiner Egoismus zugrunde; man glaubt nämlich dort an mich wie an das Evangelium; jenen kühnen philosophischen Waghälsen, die auf die Gefahr hin, daß ich sie zu mir nehme, meine Existenz geleugnet und mich zu einem lächerlichen Phantom gemacht haben, ist es noch nicht gelungen, den glücklichen Kindersinn dieses Volkes zu zerstören, in dessen ungetrübter Phantasie ich noch immer schwarz wie ein Mohr, mit Hörnern und Klauen, mit Bocksfüßen und Schweif fortlebe, wie ihre Ahnen mich gekannt haben.

Wenn andere Nationen durch die sogenannte Aufklärung so weit hinaufgeschraubt sind, daß sie, ich schweige von einem Gott, sogar an keinen Teufel mehr glauben, so sorgen hier unter diesem Volke sogar meine Erbfeinde, die Theologen, dafür, daß ich im Ansehen bleibe. Hand in Hand mit dem Glauben an die Gottheit schreitet bei ihnen der Glaube an mich, und wie oft habe ich das mir so süße Wort aus ihrem Munde gehört: »Anathema sit, er glaubt an keinen Teufel

Ich kann mich daher recht ärgern, daß ich nicht schon früher auf den vernünftigen Gedanken gekommen bin, meine freie Zeit auf einer Universität zu verleben, um dort zu sehen, wie man mich von Semester zu Semester systematisch traktiert.

Ich konnte nebenbei noch manches profitieren. Alle Welt ist jetzt zivilisiert, fein, gesittet, belesen, gelehrt. Schon oft, wenn ich einen guten Schnitt zu machen gedachte, fand es sich, daß mir ein guter Schulsack, etwas Philosophie, alte Literatur, ja sogar etwas Medizin fehle; zwar, als das Magnetisieren aufkam, habe ich auch einen Kursus bei Meßmer genommen, und nachher manche glückliche Kur gemacht. Aber damit ist es heutzutage nicht getan; daher die elenden Sprichwörter, die in Deutschland kursieren: ein dummer Teufel, ein armer Teufel, ein unwissender Teufel, was offenbar auf meine vernachlässigte wissenschaftliche Bildung hindeuten soll.

Es ist noch kein Gelehrter vom Himmel gefallen, und ich bin vom Himmel gefallen, aber nicht als gelehrt; darum entschloß ich mich, zu studieren, und womöglich es in der Philosophie so weit zu bringen, daß ich ein ganz neues System erfände, wovon ich mir keinen geringen Erfolg versprach. Ich wählte ....en, und zog im Herbst des Jahres 1819 daselbst auf.

Ich hatte, wie man sich denken kann, nicht versäumt, mich meinem neuen Stande gemäß zu kostümieren. Mein Name war von Barbe, meine Verhältnisse glänzend, das heißt, ich brachte einen großen Wechsel mit, hatte viel bar Geld, gute Garderobe, und hütete mich wohl, als Neuling, oder wie man sagt, als Fuchs aufzutreten; sondern ich hatte schon allenthalben studiert, mich in der Welt umgesehen.

Kein Wunder, daß ich schon den ersten Abend höfliche Gesellschafter, den nächsten Morgen vertraute Freunde, und am zweiten Abend Brüder auf Leben und Tod am Arm hatte. Man denkt vielleicht, ich übertreibe? wäre ich Kavalier, so würde ich auf Ehre versichern und Holmichderteufel als Verstärkungspartikel dazusetzen (denn auf Ehre und Holmichderteufel verhalten sich zueinander wie der Spiritus lenis zum Spiritus asper), in meiner Lage kann ich bloß meine Parole als Satan geben.

Es waren gute Jungen, die ich da fand. Es begab sich dies aber folgendermaßen: man kann sich denken, daß ich nicht unvorbereitet kam; wer die deutschen Universitäten nur entfernt kennt, weiß, daß ein an Sprache, Sitte, Kleidung und Denkungsart von der übrigen Welt ganz verschiedenes Volk dort wohnt. Ich las des unsterblichen Herrn von Schmalz Werke über die Universitäten, Sands Aktenstücke, Haupt über Burschenschaften und Landsmannschaften etc., ward aber noch nicht recht klug daraus, und merkte, daß mir noch manches abging. Der Zufall half mir aus der Not. Ich nahm in F. einen Platz in einer Retourchaise; mein Gesellschafter war ein alter Student, der seit acht Jahren sich auf die Medizin legte. Er hatte das savoir vivre eines alten Burschen, und ich befliß mich in den sechs Stunden, die ich mit ihm der Musenstadt zufuhr, an ihm meine Rolle zu studieren.

Er war ein großer wohlgewachsener Mann von 24–25 Jahren, sein Haar war dunkel und mochte früher nach heutiger Mode zugeschnitten sein, hing aber, weil der Studiosus die Kosten scheute, es scheren zu lassen, unordentlich um den Kopf, doch bemühte er sich, solches oft mit fünf Fingern aus der Stirne zu frisieren. Sein Gesicht war schön, besonders Nase und Mund edel und fein geformt, das Auge hatte viel Ausdruck, aber welch sonderbaren Eindruck machte es; das Gesicht war von der Sonne rotbraun angelaufen; ein großer Bart wucherte von den Schläfen bis zum Kinn herab, und um die feinen Lippen hing ein vom Bier geröteter Henri quatre.

Sein Mienenspiel war schrecklich und lächerlich zugleich, die Augbrauen waren zusammengezogen und bildeten düstere Falten; das Auge blickte streng und stolz um sich her, und maß jeden Gegenstand mit einer Hoheit, einer Würde, die eines Königsohnes würdig gewesen wäre.

Über die unteren Partien des Gesichtes, namentlich über das Kinn konnte ich nicht recht klug werden, denn sie staken tief in der Krawatte. Diesem Kleidungsstück schien der junge Mann bei weitem mehr Sorgfalt gewidmet zu haben, als dem übrigen Anzug; diese beiläufig einen halben Schuh Höhe messende Binde von schwarzer Seide zog sich, ohne ein Fältchen zu werfen, von dem Kinn inklusive bis auf das Brustbein exklusive, und bildete auf diese Art ein feines Mauerwerk, auf welchem der Kopf ruhte; seine Kleidung bestand in einem weißgelben Rock, den er »Flaus«, in zärtlichen Augenblicken wohl auch »Gottfried« nannte, und welchem er von Speisen und Getränken mitteilte; dieser Gottfried Flaus reichte bis eine Spanne über das Knie und schloß sich eng um den ganzen Leib; auf der Brust war er offen und zeigte, soviel die Krawatte sehen ließ, daß der Herr Studiosus mit Wäsche nicht gut versehen sein müsse.

Weite, wellenschlagende Beinkleider von schwarzem Samt schlossen sich an das Oberkleid an; die Stiefel waren zierlich geformt und dienten ungeheuern Sporen von poliertem Eisen zur Folie.

Auf dem Kopfe hatte der Studiosus ein Stückchen rotes Tuch in Form eines umgekehrten Blumenscherben gehängt, das er mit vieler Kunst gegen den Wind zu balancieren wußte; es sah komisch aus, fast wie wenn man mit einem kleinen Trinkglas ein großes Kohlhaupt bedecken wollte.

Ich hatte Zachariäs unsterblichen Renommisten zu gut studiert, um nicht zu wissen, daß, sobald ich mir eine Blöße gegen den Herrn Bruder gebe, sein Respekt vor mir auf ewig verloren sei; ich merkte ihm daher seine Augenbrauenfalten, sein ernstes, abmessendes Auge, soviel es ging, ab, und hatte die Freude, daß er mich gleich nach der ersten Stunde auffallend vor dem »Philister und dem Florbesen«, auf deutsch einem alten Professor und seiner Tochter, welche unsere übrige Reisegesellschaft ausmachten, auszeichnete. In der zweiten Stunde hatte ich ihm schon gestanden, daß ich in Kiel studiert und mich schon einigemal mit Glück geschlagen habe, und ehe wir nach ......gen einfuhren, hatte er mir versprochen, eine »fixe Kneipe« das heißt eine anständige Wohnung auszumitteln, wie auch mich unter die Leute zu bringen.

Der Herr Studiosus Würger, so hieß mein Gesellschafter, ließ an einem Wirtshaus vor der Stadt anhalten, und lud mich ein, seinem Beispiele zu folgen, und hier auf die Beschwerden der Reise ein Glas zu trinken. Die ganze Fensterreihe des Wirtshauses war mit roten und schwarzen Mützen bedeckt, es war nämlich eine gute Anzahl der Herren Studiosi hier versammelt, um die neuen Ankömmlinge, die gewöhnlich am Anfang des Semesters einzutreffen pflegen, nach gewohnter Weise zu empfangen. Würger, der alte »längst bemooste« Bursche, hatte sich schon unterwegs mit dem Gedanken gekitzelt, daß seine Kameraden uns für »Füchse« halten werden, und wirklich traf seine Vermutung ein.

Ein Chorus von wenigstens 30 Bässen scholl von den Fenstern herab, sie sangen ein berühmtes Lied, das anfängt:

»Was kommt dort von der Höh!«

Während des Gesanges entstieg mein Gefährte majestätisch der Chaise, und kaum hatte er den Boden berührt, so erhob er sein furchtbares Haupt, und schrie zu den Fenstern empor:

»Was schlagt ihr für einen Randal auf, Kamele! Seht ihr nicht, daß zwei alte Häuser aus diesem Philisterkarren gestiegen kommen?« (auf deutsch: lärmt doch nicht so sehr, meine Herren, Sie sehen ja, daß zwei alte Studenten aus dem Wagen steigen.)

Der allgemeine Jubel unterbrach den erhitzten Redner: »Würger! du altes fideles Haus!« schrien die Musensöhne, und stürzten die Treppen herab in seine Arme; die Raucher vergaßen, ihre langen Pfeifen wegzulegen, die Billardspieler hielten noch ihre Queues in der Hand. Sie bildeten eine Leibwache von sonderbarer Bewaffnung um den Angekommenen.

Doch der Edelmütige vergaß in seiner Glorie auch meiner nicht, der ich bescheiden auf der Seite stand, er stellte mich den ältesten und angesehensten Männern der Gesellschaft vor, und ich wurde mit herzlichem Handschlag von ihnen begrüßt. Man führte uns in wildem Tumult die Treppe hinan, man setzte mich zwischen zwei bemooste Häuser an den Ehrenplatz, gab mir ein großes Paßglas voll Bier und ein Fuchs mußte dem neuen Ankömmling seine Pfeife abtreten.

So war ich denn in .....en als Student eingeführt, und ich gestehe, es gefiel mir so übel nicht unter diesem Völkchen. Es herrschte ein offener, zutraulicher Ton, man brauchte sich nicht in den Fesseln der Konvenienz, die gewiß dem Teufel am lästigsten sind, umherzuschleppen, man sprach und dachte, wie es einem gerade gefiel. Wenn man bedenkt, daß ich gerade im Herbst 1819 dorthin kam, so wird man sich nicht wundern, daß ich mich von Anfang gar nicht recht in die Konversation zu finden wußte. Denn einmal machten mir jene Kunstwörter (termini technici) von welchen ich oben schon eine kleine Probe gegeben habe, viel zu schaffen; ich verwechselte oft »Sau«, das Glück, mit »Pech«, was Unglück bedeutet, wie auch »holzen«, mit einem Stock schlagen, mit »pauken«, mit andern Waffen sich schlagen.

Aber auch etwas anderes fiel mir schwer; wenn nämlich nicht von Hunden, Paukereien, Besen oder dergleichen gesprochen wurde, so fiel man hinter dem Bierglas in ungemein transzendentale Untersuchungen, von welchen ich anfangs wenig oder gar nichts verstand, ich merkte mir aber die Hauptworte, welche vorkamen, und wenn ich auch in die Konversation gezogen wurde, so antwortete ich mit ernster Miene »Freiheit, Vaterland, Deutschtum, Volkstümlichkeit.«

Da ich nun überdies ein großer Turner war, und eigentlich »teufelmäßige« Sprünge machen konnte, da ich mir überdies nach und nach ein langes Haar wachsen ließ, solches fein scheitelte und kämmte, einen zierlich ausgeschnittenen Kragen über den deutschen Rock herauslegte, mich auch auf die Klinge nicht übel verstand, so war es kein Wunder, daß ich bald in großes Ansehen unter diesem Volke kam. Ich benutzte diesen Einfluß soviel als möglich, um die Leute nach meinen Ansichten zu leiten und zu erziehen, und sie »für die Welt zu gewinnen«.

Es hatte sich nämlich unter einem großen Teil meiner Kommilitonen ein gewisser frömmelnder Ton eingeschlichen, der mir nun gar nicht behagte und nach meiner Meinung sich auch nicht für junge Leute schickte. Wenn ich an die jungen Herrn in London und Paris, in Berlin, Wien, Frankfurt etc. dachte, an die vergnügten Stunden, die ich in ihrem Kreise zubrachte, wenn ich diese Leute dagegenhielt, die ich ihren schönen hohen Wuchs, ihre kräftigen Arme, ihren gesunden Verstand, ihre nicht geringen Kenntnisse nur auf dem Turnplatz, nicht im Tanzsaal, nur zu überschwenglichen Ideen und Idealen, nicht zu lebhaftem Witz, zu feinem Spott, der das Leben würzt und aufregt, anwenden sah, wenn ich sie, statt schönen Mädchen nachzufliegen, in die Kirche schleichen sah, um einen ihrer orthodoxen Professoren anzuhören, so konnte ich ein widriges Gefühl in mir nicht unterdrücken.

Sobald ich daher festen Fuß gefaßt hatte, zog ich einige lustige Brüder an mich, lehrte sie neue Kartenspiele, sang ihnen ergötzliche Lieder vor, wußte sie durch Witz und dergleichen so zu unterhalten, daß sich bald mehrere anschlossen. Jetzt machte ich kühnere Angriffe. Ich stellte mich sonntags mit meinen Gesellen vor die Kirchtüre, musterte mit geübtem Auge die vorübergehenden Damen, zog dann, wenn die Schäflein innen waren, und der Küster den Stall zumachte, mit den Meinigen in ein Wirtshaus der Kirche gegenüber, und bot alles auf, die Gäste besser zu unterhalten, als der Dr. N. oder der Professor N. in der Kirche seine Zuhörer.

Ehe drei Wochen vergingen, hatte ich die größere Partie auf meiner Seite. Die Frömmeren schrieen von Anfang über den rohen Geist, der einreiße; gaben zu bemerken, daß wir christliche Bursche seien; aber es half nichts, meine Persiflagen hatten so gute Wirkung getan, daß sie sich am Ende selbst schämten, in der Kirche gesehen zu werden, und es gehörte zum guten Ton, jeden Sonntag vor der Kirchtür zu sein, aber bis hieher und nicht weiter. Die Wirtshäuser waren gefüllter als je, es wurde viel getrunken, ja es riß die Sitte ein, Wettkämpfe im Trinken zu halten und, man wird es kaum glauben, es gab sogar eigentliche Kunsttrinker!

Es predigte zwar mancher gegen das einreißende Verderben, aber die Altdeutschen trösteten sich damit, daß ihre »Altvordern« auch durch Trinken exzelliert haben; die Frömmsten ließen sich große Humpen verfertigen und zwangen und mühten sich so lange, bis sie wie Götz von Berlichingen, oder gar wie Hermann der Cherusker schlucken konnten. Den Feineren, Gebildeteren war es natürlich vom Anfang auch ein Greuel, ich verwies sie aber auf eine Stelle bei Jean Paul. Er sagt nämlich in seinem unübertrefflichen »Quintus Fixlein«:

»Jerusalem bemerkt schön, daß die Barbarei, die oft hart hinter dem schönsten, buntesten Flor der Wissenschaften aufsteigt, eine Art von stärkendem Schlammbad sei, um die Überfeinerung abzuwenden, mit der jener Flor bedrohe; ich glaube, daß einer, der erwägt, wie weit die Wissenschaften bei einem Studierenden steigen, dem Musensohne ein gewisses barbarisches Mittelalter – das sogenannte Burschenleben – gönnen werde, das ihn wieder so stählt, daß die Verfeinerung nicht über die Grenze geht.«

Wenn ein Meister, wie Jean Paul, dem ich hiemit für diese Stelle meinen herzlichen Dank öffentlich sage, also sich ausspricht, was konnten die Kleinmeister und Jünger dagegen? Sie setzten sich auch in die schwarzgerauchte Kneipe, »verschlammten« sich recht tüchtig in dem »barbarischen Mittelalter«, und hatten kraft ihres inwohnenden Genies meine älteren Zöglinge bald überholt.


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