Wilhelm Hauff
Mitteilungen aus den Memoiren des Satan
Wilhelm Hauff

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Am Abend dieses Tages fuhr ich mit einigen griechischen Kaufleuten auf der Tiber. Wir hatten eine der größeren Barken bestiegen, und die freien Sitze des Vorderteils eingenommen, weil das Zelt in der Mitte, wie uns die Schiffer sagten, schon besetzt war. Der Abend war schwül und wirkte selbst mitten im Fluß so drückend und ermattend auf diese Menschen, daß unser Gespräch nach und nach verstummte. Ich vernahm jetzt ein halblautes Reden und Streiten im Innern des Zeltes, ich setzte mich ganz nahe hin und lauschte. Es waren zwei Männer und eine Frau, soviel ich aus ihren Stimmen schließen konnte. Sie sprachen aber etwas verwirrt und gebrochen; der eine hatte gutes, wohltönendes Italienisch, er sprach langsam und mit vieler Salbung, die Dame mischte unter sechs italienische Worte immer zwei spanische und ein französisches; der andere Mann, der wenig, aber schnell und mit Leidenschaft sprach, hatte jene murmelnde, undeutliche Aussprache, an welcher man in Italien sogleich den Deutschen oder Engländer erkennt.

Ein kleiner Riß in der Gardine des Zeltes ließ mich die kleine Gesellschaft überschauen; und o Wunder! jene salbungsvolle Rede entströmte dem Kardinal Rocco! Ihm gegenüber saß eine Dame, schon über die erste Blüte hinaus, aber noch immer schön zu nennen. Ihre beweglichen schwarzen Augen, ihre vollen roten Lippen, ihr etwas nachlässiges Kostüm, dessen Schuld der schwüle Abend tragen mußte, zeigten, daß sie mit den ersten Dreißig die Lust zum Leben noch nicht verloren habe. An ihrer Seite glaubte ich auf den ersten, flüchtigen Anblick Otto von S. zu erkennen. Doch die Züge des Mannes im Zelte waren düsterer, sein Auge blickte nicht so offen und frei, wie das des Berliners – ich war keinen Augenblick im Zweifel, es mußte sein verkörperter Doppelgänger, . . . . . . sein. Aber wie! Die Dame war nicht Luise von Palden; durfte dieser Mann so traulich neben einer andern sitzen, ohne dieselbe Schuld wirklich zu tragen, die er der Geliebten aufbürden wollte?

»Gilt dir denn meine Liebe, meine Zärtlichkeit gar nichts?« hörte ich die Dame sagen; »nichts meine Aufopferung, nichts meine Leiden, nichts meine Schande, der ich mich um deinetwillen aussetzte? Ein Wort, ein einziges Wort kann uns glücklich machen. Du sagst immer morgen, morgen! Es ist jetzt Abend, warum willst du morgen doch wieder nicht?«

»Mein Sohn!« sprach der Kardinal; »ich will nichts davon sagen, daß Euer langes Zögern, Eure fortwährende Weigerung, für unsere heilige Kirche Beleidigung ist. Ich weiß zwar wohl, nicht Ihr seid es, der diese Zögerungen verschuldet; der Teufel, der leibhaftige Satan spricht aus Euch; es ist das letzte Zucken Eurer ketzerischen Irrtümer, was Euch die Wahrheit nicht sehen läßt; aber beim heiligen Kreuz, den Nägeln und der heiligen Erde beschwöre ich Euch, folget mir; lasset Euch aufnehmen in den heiligen Schoß der Kirche, zur Verherrlichung Gottes.«

Ha! dachte ich, den haben sie gerade recht in den Krallen. Ein schönes Weib, ein Kardinal Rocco, und ein paar Gewissensbisse, wie der Herr im Zelte zu haben schien. – Da kann es nicht fehlen! – Er seufzte, er blickte bald die Dame, bald den Priester mit unmutigen Blicken an. »Ich will ja alles tun, ins Teufels Namen, alles tun«, sagte er, »mein Leben ist ohnedies schon verschuldet und vergiftet, aber wozu diese sonderbare Prozedur? Warum soll ich vor der Welt zum Narren werden, um die Ehre von Donna Ines wiederherzustellen?«

»Mein Sohn, mein Sohn! wie frevelt Ihr! zum Narren werden, sagt Ihr? oh! Ihr verstockter Ketzer, ihr alle seid von eurer Taufe an, wo der Satan zu Gevatter steht, Renegaten, Abtrünnige! Es ist also nur eine Rückkehr; kein Übertritt, keine Ableugnung eines früheren Glaubens. Ihr hattet ja vorher keinen Glauben; Ihr werdet doch nicht die Ketzerei so nennen wollen, die der Erzketzer in Wittenberg aus den Fetzen, die er dem Heiligtum gestohlen, zusammenstückelte?«

»Lasset mich, Eminenz! es ist einmal gegen meine Überzeugung; ich müßte mich ja vor ganz Deutschland schämen.«

»O verstockter Ketzer! Schämen, sagt Ihr? hat sich der liebe Mann, der Herr von Haller, auch geschämt? Schämen! wie ein Heiliger würdet Ihr dastehen, braucht sich ein Heiliger zu schämen? Hat sich der treffliche Hohenlohe geschämt, umgeben von Ketzern, seine Wunder zu verrichten? Es sei gegen Eure Überzeugung, saget Ihr? da sieht man wieder den Deutschen, nicht wahr Donna Ines, den ehrlichen Deutschen! Zu was denn immer Überzeugung? Das ist ja gerade das Wunderbare am Glauben, daß er von selbst wirkt ohne Überzeugung. Gesetzt Ihr wäret krank, mein lieber Freund; man schickt Euch den ersten Arzt der Christenheit; Ihr seid nicht überzeugt, daß er der alleinige, wahre Arzt ist, aber Ihr laßt Euch gefallen, seine Arzneien einzunehmen, und siehe, sie wirken auf Euren Körper ohne Überzeugung, gerade wie unser Glaube auf die Seele.«

»Otto!« sprach Dame Ines mit schmelzenden Tönen, »teurer Otto! Siehe, wenn mich der heilige Mann hier nicht absolviert und beruhigt hätte, ich müßte ja schon längst verzweifelt sein, einen Ketzer so innig zu lieben! Wie leicht wird es dir gemacht, einer der Unsrigen zu sein, und dann ein Weib auf ewig glücklich zu machen, das dir alles opferte! Und bedenke die schöne Villa an der Tiber, und das köstliche Haus neben dem Palast Seiner Eminenz; dies alles will uns der Heilige Vater zur Ausstattung schenken; bist du nicht gerührt von so vieler Liebe?«

»Nicht verhehlen kann ich es Euch, mein Sohn«, fuhr der beredte Mann mit dem roten Hute fort, »nicht verhehlen kann ich es Euch, daß man im Lateran noch heute von Euch sprach, daß es sogar Seiner Heiligkeit selbst auffällt, daß Ihr so lange zögert. Bis über acht Tage naht ein großes Fest heran, welch herrliche Gelegenheit, etwas zu Gottes Ehre zu tun bietet sich Euch dar!«

»Wozu doch diese Öffentlichkeit?« fragte . . . . ., »ich hasse dieses Rühmen und Ausschreien in alle Welt. Lasset mich still in einer Kapelle die Zeremonie verrichten; was nützt es Euch, ob ich laut und offen das Opfer bringe. O Luise, Luise. Es tötet sie, wenn sie es hört!«

»Elender!« rief die Dame, indem sie in Tränen ausbrach; »sind das deine Schwüre? Du falsches Herz; ich habe dir alles, alles geopfert, und so kannst du vergelten? O Barbar! gehe hin zu ihr, lege dich nieder in ihre Fesseln, aber wisse, daß ich mich in die Tiber stürze, über meine armen Würmer, meine unglücklichen Kinder mag sich Gott erbarmen!«

»Kinder, Kinder! Meine fromme Tochter, mein lieber, aber verblendeter Sohn; wozu dieser Skandal, diese Szene auf dem Schiffe; stillet Eure Tränen, schöne Frau; es wird noch alles gut werden; kommet, ich will einen väterlichen Kuß auf Eure Augen drücken, so. Und Ihr, wisset Ihr nicht, daß Ihr Euch versündiget gegen Donna Ines? Was wollet Ihr nur immer wieder mit der Ketzerin, die einst Eure Sinnen zu bestricken wußte? Haben wir Euch nicht Beweise genug gegeben, daß sie in einem strafwürdigen Verhältnis zu dem Teufel ist, der Eure Gestalt und Sprache angenommen hat?«

»Welch einfältiges Märchen!« rief der junge Mann; »was wollet Ihr auch den Teufel ins Spiel ziehen, ein ehrlicher Berliner ist er, ein Tropf, dem ich das Mädchen nicht gönnen mag, wenn sie mich auch zehnmal betrog?«

»Mein Sohn, die Heilige Jungfrau schütze uns, aber der Satan selbst ist es; hat es nicht letzthin meinem dienenden Frater Piccolo geträumt, der Teufel gehe hier in der heiligen Stadt spazieren? Alle seine Träume sind noch eingetroffen; der deutsche Baron ist der höllische Geist selbst. Wer es aber auch sei; sie hat Euch betrogen. Hat nicht die fromme Frau Maria Campoco Euch selbst dieses Geständnis über ihre Nichte gemacht? was wollet Ihr nur auf die treulose Ketzerin Rücksicht nehmen! – Und schaut, was ich Euch hier mitgebracht habe«, fuhr Seine Eminenz fort, indem sie ein großes Papier entfaltete; »sehet wie ich Wort halte; ich habe Euch versprochen, die Liste aller derer mitzubringen, welche in Eurem Deutschland öffentliche Ketzer, im geheim aber gute Christen der wahren Kirche sind; da, leset!«

Der junge Mann las und staunte; er sah den Kardinal fragend an, ob er denn wirklich dieser Schrift trauen dürfe? Donna Ines, welche bemerkte, welch günstigen Eindruck diese Liste mache, zog die Hand des heiligen Mannes an den Mund, und bedeckte sie mit feurigen Küssen der Andacht.

»Nicht wahr«, fuhr Rocco fort, »da stehen wohlklingende Namen? Professoren, Grafen, Fürsten sogar; freilich diese Leute können nicht so öffentlich sich erklären, Freundchen, die Politik, die Rücksicht auf ihre ketzerischen Untertanen erlaubt das nicht; aber im Herzen, im Herzen sind sie unser; da, dieser Nr. 8, ich kann Eure barbarischen Namen nicht aussprechen, der wird sich sogar öffentlich erklären und seine Irrtümer abschwören. Der da oben wird auch einen wichtigen Schritt vorwärts tun. Oh! und bedenket, was erst in Frankreich, selbst in England für uns getan wird, bald, vielleicht erlebe ich es noch, bald werdet ihr allesamt und sonders zu uns zurückgekehrt sein. Wie herrlich muß dann ein Name wie der Eurige leuchten, der nicht mit der Menge, sondern lang zuvor auf unsere heiligen Tafeln verzeichnet wurde!«

»Aber o Himmel, Kardinal! ich bin ja schlechter als die ganze Liste dieser Heimlichen. Ihr selbst wisset, daß, wenn ich zu Eurer Kirche abfalle, es nur geschieht, um den ewigen Klagen der Donna Ines zu entgehen. Diese Heimlichen haben keinen Vorteil bei ihrer Heimlichkeit. Sie gelten von außen als echte Lutheraner, und was haben sie davon, daß sie von innen römisch sind?«

»O Einfalt! es ist gut, daß Ihr nicht die ketzerische Theologie studiert habt; Ihr wäret durch das Examen gefallen! Was ist denn das Schöne an unserer Kirche? he? Nicht nur daß sie die Alleinseligmachende, daß sie gleichsam eine Brandversicherungsanstalt gegen die Hölle, eine Seelenassekuranz gegen den Tod ist! denn schon aus physischen Gründen kann man annehmen, daß keine Seele von den Unsrigen lange im Fegfeuer oder gar in der Hölle verweilt, wenn sie auch ohne Beichte abfährt. Antonio Montani hat berechnet, daß im Durchschnitt hundertundzwanzig Millionen Menschen in der Hölle und ebenso viele im Fegfeuer sind. Nun kann man annehmen, daß seit Eurer verfluchten Reformation neunzig Millionen Ketzer, zwanzig Millionen Türken und zehn Millionen Juden hinabgefahren sind; das macht zusammen hundertundzwanzig.«

»O wie gut haben wir es, hochwürdiger Herr!« sagte Ines mit zauberischem Lächeln. »Ach Otto! dich soll ich an jenem Ort wissen, in der Gesellschaft des Teufels und seiner Großmutter? O Gott! es ist nicht möglich!«

»Sodann weiter«, fuhr der Salbungsvolle fort, »euer Erzketzer in Berlin, der Schleiermacher, nimmt selbst an, daß alle Menschen prädestiniert sind, und zwar so beiläufig die Hälfte zum Bösen. Diese müssen nun eine Art von Seelenwanderung in verschiedenen Stationen des Elends machen, bis sie selig werden, und fangen mit der Hölle an; der Mann hat vernünftige Gedanken, und wäre wert einst nur ins Fegfeuer zu kommen; aber das weiß er doch nicht recht; wenn einer auch zehenmal prädestiniert, zur Hölle plombiert, zum Teufel rekommandiert ist, wir können ihn doch absolvieren und recta in den Himmel schicken. Nun, und wenn man annimmt, daß das Fegfeuer hundertundzwanzig Millionen faßt, und darunter hundert Millionen Türken, und zwanzig Millionen Ketzer, so ist, weiß Gott, auch dort wenig Raum für eine etwas lüderliche Seele.«

»Ihr wisset, Eminenz, was ich von solchen Berechnungen halte, machet mir doch Eure Sache nicht noch lächerlicher. Eure Seelenassekuranz kann mich nicht locken; doch ist sie gut fürs Volk, und ich begreife nicht, warum Ihr nicht schon lange ganze Regimenter, Divisionen, ja Armeen, Kavallerie, Infanterie, Artillerie, samt dem Generalstab öffentlich verassekuriert habt. Das wäre eine Anstalt à la Mahomed, die Kerls würden sich schlagen wie der Teufel, denn sie wüßten, wenn sie heute erschossen werden, wachen sie morgen im Paradiese auf. Lasset mich lieber noch einen Blick in die Liste werfen, sie ist mir tröstlicher, denn es stehen ganz vernünftige Männer dort.«

»O daß Ihr nur ein Jahr auf einer deutschen Universität zugebracht hättet! unsere Agenten geben uns herrliche Berichte, die ketzerische Jugend soll gegenwärtig ganz absonderlich fromm, heilig und mystisch sein; das Mittelalter, das gute, liebe Mittelalter versetzt sie in diesen liebenswürdigen Schwindel. Sie neigen sich schon ganz zu uns, und lasset nur erst die Jesuiten recht in Deutschland überhandnehmen, dann sollt Ihr erst Wunder sehen! Auch einige brave Männer, Professoren nehmen sich unserer Sache an: seht dieser da Nro. 172 Signor Crusado, der umhüllt sie mit einem so tiefen symbolischen Dunkel, daß sie bald unser sind. Wahrlich, der Hofmechanikus Seiner Heiligkeit, der berühmte Sgn. Carlo Fiorini hat vollkommen recht. Er hat berechnet, wenn Deutschland einige Grade südlicher läge, wenn ihr eine schönere Natur, ein wenig mehr Sinnlichkeit und Phantasie hättet – die Ketzerei hätte nie aufkommen können, oder ihr wäret wenigstens schon lange wieder zurückgekehrt.«

Die Barke stieß bei diesen Worten ans Land; wie gerne hätte ich diesem trefflichen Pfaffen noch länger zugehört, wie er diese deutsche Seele bearbeitete, es war ein schweres Stück Arbeit, ich gestehe es. Ein Mensch ohne Phantasie, der in den Zeremonien nur Zeremonien sieht, der die Tendenz dieser Römer durchschaut, der durch keinen weltlichen Vorteil zu blenden ist, wahrlich ein solcher ist schwer zu gewinnen. Doch für diesen war mir nicht bange. Ein Kardinal Rocco und ein schönes Weib haben schon andere geangelt als diesen.

Der heilige Mann stieg aus; mit Ehrfurcht empfingen die Schiffer seinen Segen, den er mit einer Würde, einem Anstand, würdig eines Fürsten der Kirche, erteilte. Donna Ines folgte. Ich bewunderte, während sie über das Brett ging, ihren feinen, zierlichen Wuchs, die Harmonien in ihren Bewegungen und die Glut, die aus ihren Augen strahlte, und den Abend schwül zu machen schien. Sie reichte dem geliebten Ketzer ihre schöne Hand mit so besorgter Zärtlichkeit, mit einem so bedeutungsvollen Lächeln, daß ich im Zweifel war, ob ich mehr seine transmontanische Kälte belächeln, oder den Mut bewundern sollte, mit welchem er den geistlichen Lockungen dieser in Liebe aufgelösten Circe widerstand. – Am Ufer hielt ein schöner Wagen; der dienende Bruder Piccolo, welchem ich im Traum, in Rom spazierengehend, erschienen war, stand am Schlag und erwartete Seine Eminenz. Es kostete einige Zeit, bis dieser sein Gewand zu gehöriger Wirkung drapiert hatte, dann erst folgte der Frater Piccolo; der Ketzer und seine Dame schlugen einen Fußpfad ein, und gingen der Stadt zu.

»Wer sind diese?« fragte ich den Schiffer.

»Kennt Ihr den heiligen Mann, den Kardinal Rocco nicht; o es ist einer der besten Füße des Heiligen Stuhles! Alle Abende fährt er in meiner Barke auf dem Fluß.«

»Und die Dame?«

»Ha! das ist eine gute Christin«, antwortete er mit Feuer. »Sie fährt beinahe immer mit dem Kardinal, zuweilen allein mit ihm, zuweilen mit dem Mann, den Ihr gesehen. Dem traue ich nicht ganz, es ist entweder ein Deutscher oder ein Engländer, und die sind doch Kinder des Teufels.«

»So? da sagt Ihr mir etwas Neues, und dieser Mann, ist er ihr Gemahl?«

»Bewahre uns die Heilige Jungfrau! Ihr Gemahl! wo denkt Ihr hin? da würde er nicht so zärtlich mit ihr spazierenfahren. Ich denke es ist ihr Geliebter.«

»So ist es«, sagte einer der griechischen Kaufleute, »die Dame wohnt nicht weit von mir. Sie lebt allein mit ihren Kindern. Sie sieht niemand bei sich, als einige fromme Geistliche und diesen jungen Mann; es ist ihr Geliebter. Aber sie führen ein Hundeleben zusammen. Man hört sie oft beide weinen und zanken und schreien. Der junge Mann flucht und donnert und jammert mit schrecklicher Stimme, und die Donna weint und klagt, und die Kinder erheben ein Zetergeschrei, daß die Nachbarn zusammenlaufen. Dann stürzt oft der junge Mann verzweifelnd aus dem Haus und will fliehen, aber die Donna setzt ihm mit fliegenden Haaren nach, und die Kinder laufen heulend hintendrein; sie faßt ihn unter der Türe am Gewand, sie achtet nicht auf die Menschen, die umherstehen; sie zieht ihn zurück ins Haus und besänftigt ihn, und dann ist es oft auf viele Tage stille, bis das Wetter von neuem losbricht.«

»Heilige Jungfrau«, rief der Schiffer, »und hat er sie noch nie totgestochen im Zorn?«

»Wie Ihr sehet, nein!« erwiderte der Grieche; »aber krank ist sie schon oft geworden, wenn er so greulich raste; dann lief er schnell zu drei, vier Doktoren, um sie wieder ins Leben zurückzurufen. Es sind doch gute Seelen, diese Deutschen!«

So sprachen diese Männer, und ich ging von ihnen in tiefen Gedanken, über das was ich gehört und gesehen hatte. Jenes Wort des jungen Berliners fiel mir wieder bei, der den Kardinal Rocco beschuldigte, ein schönes, gutes Herz gebrochen zu haben. Welches andere Herz konnte dies sein, als Luisens? Ich glaubte deutlich zu sehen, daß der Priester den Kapitän der Geliebten entzogen, indem er sie verleumdet, daß er ihn in die Fesseln dieser Donna Ines geschmiedet habe, um ihn für die Kirche zu gewinnen. Aber wie war alles dies geschehen? Wie hatte er diesen Mann aus den Armen seines Mädchens ziehen, von einem Herzen hinwegreißen können, das ihn mit so heißer Glut umfing; sollten jene Beschuldigungen von Untreue wahr sein, die der Kardinal dem Kapitän einflüsterte, hatte sie wirklich den jungen Mann, der ihm so ähnlich sah, vorgezogen? Doch ich wußte ja, wo ich mir Gewißheit verschaffen konnte; ich beschloß bei guter Zeit am nächsten Morgen den Berliner wieder aufzusuchen.

 

Herr von S . . . . . schien mich liebgewonnen zu haben, denn er empfing mich mit Herzlichkeit und einem Wohlwollen, das selbst den Teufel erfreut, wenn er auch schon an dergleichen gewöhnt ist. Ich hatte mir vorgenommen, von meiner gestrigen Fahrt und den Wunderdingen, die ich gehört hatte, noch nichts zu erwähnen, um den Verlauf seiner Geschichte zuvor desto ungestörter zu vernehmen.

»Von allem Unglück, das die Erde trägt«, fuhr er zu erzählen fort, »scheint mir keines größer, schmerzlicher und rührender als jener stille, tiefe Gram eines Mädchens, das unglücklich liebt, oder dessen zartes, glühendes Herz von einem Elenden zur Liebe hingerissen und dann betrogen wird. Der Mann hat Kraft, seinen Gram zu unterdrücken, den Verrat seiner Liebe zu rächen, die gepreßte Brust dem Freunde zu öffnen; das Leben bietet ihm tausend Wege, in Mühe und Arbeit, in weiter Ferne Vergessenheit zu erringen. Aber das Weib? – Der häusliche Kreis ist so enge, so leer. Jene täglich wiederkehrende Ordnung, jene stille Beschäftigung mit tausend kleinen Dingen, der sie sich in der Zeit glücklicher Liebe fröhlich, beinahe unbewußt hingab, wie drückend wird sie, wenn sich an jeden Gegenstand die Erinnerung an ein verlorenes Glück heftet. Wie träge schleicht der Kreislauf der Stunden, wenn nicht mehr die süßen Träume der Zukunft, nicht der Zauber der Hoffnung, nicht die Seligkeit der Erwartung den Minuten Flügel gibt, wenn nicht mehr das von glücklicher Liebe pochende Herz den Schlag der Glocke übertönt!

Doch, wozu Sie auf ein Unglück vorbereiten, das Sie nur zu bald erfahren werden? hören Sie weiter: Mein Wunsch, Luise von Palden im Hause des Gesandten zu sehen, gelang. Schon nach einigen Tagen wurde sie durch seine Schwester dort eingeführt. Sie errötete, als sie mich zum erstenmal dort sah, doch sie schien mich wie einen alten Bekannten dort zu nehmen, es schien sie zu freuen, unter so vielen fremden Männern einen zu wissen, der ihr näherstand. Denn so war es; sei es, daß die Erinnerung an unser sonderbares Abenteuer, mich aus einem Fremden zum Bekannten machte, sei es, daß sie gerne zu mir sprach, weil ich die Züge ihres Freundes trug, sie unterschied mich auffallend von allen übrigen Männern, die dieser seltenen Erscheinung huldigten. Sie lächeln, Freund? Ich errate Ihre Gedanken –«

»Ich finde, Sie sind zu bescheiden; könnte es nicht auch Ihre eigene Persönlichkeit gewesen sein, was das Fräulein anzog?«

»Nein, denken Sie nicht so von diesem himmlischen Geschöpf; ich gestehe, ich war ein Tor, ich machte mir Hoffnung, sie für mich gewinnen zu können; ja Freund, ich sagte ihr sogar, was ich fürchte –«

»Und Sie wurden nicht erhört? Das treue, ehrliche Kind! und ihr Kapitän lag vielleicht gerade in den Armen einer andern!«

Der Berliner stutzte; »Wie? was wissen Sie?« fragte er betroffen; »wer hat Ihnen gesagt, daß West noch eine andere liebe?«

»Nun, Sie selbst haben mich genug darauf vorbereitet«, erwiderte ich; »sagten Sie nicht, daß jener das Mädchen betrog?«

»Sie haben recht; – nun, ich wurde lächelnd abgewiesen, abgewiesen, auf eine Art, die mich dennoch glücklich, unaussprechlich glücklich machte. Sie war keinen Augenblick ungehalten, sie gestand mir, daß ich ihr als Freund willkommen sei, daß ihr Herz keinem andern mehr gehören könne. Sie sagte mir auch manches von ihren Verhältnissen, was ganz mit dem übereinstimmt, was uns die Schwester des Gesandten erzählte, sie gestand, daß sie nur darum nach Rom gezogen sei, weil den Kapitän seine Verhältnisse hieher riefen; sie gestand, daß er einen Rechtsstreit wegen einer Erbschaft hier habe, daß er, sobald die Sache entschieden sei, vielleicht schon in wenigen Wochen, sie zum Altar führen werde.

Etwa eine Woche nach diesem aufrichtigen Geständnis, rief mich eines Abends der Gesandte aus dem Salon, in welchem die Gesellschaft versammelt war, zu sich. Es war nichts Seltenes, daß er sich mir in Geschäftssachen mitteilte, weil ich sein Vertrauen auf eine ehrenvolle Art besaß; doch die Zeit war mir auffallend, und es mußte etwas von Wichtigkeit sein, weswegen er mich aus dem Kreis der Damen aufstörte.

›Kennen Sie einen gewissen Kapitän West?‹ fragte er, indem er mich mit forschenden Blicken ansah.

›Ich habe einen Kapitän West flüchtig kennengelernt‹, gab ich ihm zur Antwort.

Nun, so flüchtig müsse es doch nicht sein, entgegnete er mir, da ich ein Duell mit ihm gehabt.

Ich sagte ihm, daß ich Streit mit ihm gehabt, wegen einer ziemlich gleichgültigen Sache, es sei aber alles gütlich beigelegt worden. Dennoch war es mir auffallend, woher der Gesandte diesen Streit erfahren hatte, den ich so geheim als möglich hielt, und von welchem Luise in seinem Hause gewiß nichts erwähnt hatte.

›Wegen einer Dame haben Sie Streit gehabt‹, sagte er; ›doch möchte ich Ihnen raten, solche Händel wegen einer so zweideutigen Person zu vermeiden. Sie wissen selbst, wenn man einmal einen öffentlichen, besonders einen diplomatischen Charakter hat, ist dergleichen in einem fremden Lande wegen der Folgen für beide Teile fatal.‹

Der Ton, worin dies gesagt wurde, fiel mir auf. Er war sehr ernst, sehr warnend; noch schmerzlicher berührte mich, was er über jene Dame sagte, ›zweideutige Person!‹ Und doch saß gerade diese Person als Krone der Gesellschaft in seinem Salon, er selbst, ich hatte es deutlich gesehen, er selbst hatte noch vor einer halben Stunde mit ihr auf eine Art gesprochen, die mich in dem alten Herrn einen aufrichtigen Bewunderer ihrer Reize und ihres glänzenden Verstandes sehen ließ. Ich konnte eine Bemerkung hierüber nicht unterdrücken, ich bat ihn höflich, aber so fest als möglich, in meiner Gegenwart nicht mehr so von einer Dame zu sprechen, die ich achte, und die einen so entschiedenen Rang in der Gesellschaft einnehme. Ich wolle davon gar nicht reden, daß er selbst sein Haus beschimpfe, wenn er in solchen Ausdrücken von seinen Gästen spreche.

Er sah mich verwundert an; er sagte mir, er könne meine Reden nicht begreifen, denn weder behaupte die Dame einen Rang in der Gesellschaft, die er sehe, noch habe sie je einen Fuß über seine Schwelle gesetzt. Die Reihe zu erstaunen war jetzt an mir; ich sah, daß hier ein Irrtum vorwalte, und belehrte ihn, daß Fräulein von Palden die Dame sei, um die wir uns schlagen wollten. ›Verzeihen Sie‹, rief er, ›man sagt mir, Sie haben sich wegen der Geliebten dieses Kapitän West geschlagen, daher glaubte ich Ihnen dies sagen zu müssen.‹

›Und wenn dies nun dennoch wäre?‹ fragte ich; ›kennen Sie denn die Geliebte des Kapitän?‹

›Gott soll mich bewahren‹, entgegnete er. ›Nein, ich glaube er hat schon selbst genug an seiner Portugiesin.‹

Ich staunte von neuem; ›Von einer Portugiesin sprechen Sie? wie kommen Sie nur darauf? Ich weiß bestimmt, daß der Kapitän eine deutsche Dame liebt.‹

›Um so schlimmer für das arme Kind in Deutschland‹, war seine Antwort; ›wie die Sachen stehen, scheint man im Lateran ernstlich daran zu denken, den goldenen Quadrupeln der schönen Donna Gehör zu geben, und ihre frühere Ehe, weil sie nicht ganz gültig vollzogen war, für nichtig zu erklären. Der Kapitän macht eine gute Partie, aber – jeder Mann von Ehre wird diesen Schritt mißbilligen.‹

Ich stand wie vom Donner gerührt vor dem alten Mann; entweder lag hier eine Verwechslung der Namen und Personen zugrunde, oder es war ein schreckliches Geheimnis, und der Kapitän ein Betrüger, der Luisens Glück vielleicht auf ewig zerstört hatte.

Ich sagte dem Gesandten geradezu, daß er mit mir über Dinge spreche, die mir völlig unbekannt seien. Er staunte, doch glaubte er, da er schon so viel gesagt hatte, mir die weitere Erklärung dieser Rätsel schuldig zu sein. ›Dieser Kapitän West ist ein Sachse‹, erzählte er; ›er diente früher im Generalstab, und wurde dann zu einer diplomatischen Sendung nach Spanien verwandt; er soll ein Mann von vielen Talenten, aber etwas zweideutigem Charakter sein. Warum die Wahl gerade auf ihn fiel, da noch ältere Leute und aus guten Häusern im Departement waren, ist mir unbekannt; nur so viel erfuhr ich zufällig, daß man ihn damals von Dresden habe entfernen wollen. Man erzählt sich, er habe in Madrid in einem Verhältnis zu einer schönen, jungen Frau gelebt; sie war eine Spanierin, aber an einen alten Engländer verheiratet, der sie vielleicht nicht so strenge unter Schloß und Riegel hielt, wie man sonst in Spanien zu tun pflegt.

Als aber endlich dieses Verhältnis zu den Ohren des Engländers kam, bewirkte dieser, daß der Kapitän von seinem Posten abgerufen und sogar aus dem Dienst entlassen wurde. Doch sagen andere, er selbst habe aus Ärger über seine schnelle Abrufung quittiert. Doch das Beste kommt noch; einige Wochen nach seiner Abreise war die Frau des Engländers mit ihren beiden Kindern plötzlich verschwunden, man kann sagen, spurlos verschwunden, denn so viele Mühe sich ihr Gatte gab, ihrer habhaft zu werden, alles war vergeblich. Vielleicht scheiterten auch seine Bemühungen an den Unruhen, die gerade in jener Zeit ausbrachen und die Kommunikation mit Frankreich sehr erschwerten.

Der Verdacht dieses Engländers fiel, wie natürlich, vor allem auf den Kapitän West. Er wußte es zu machen, daß dieser in Paris angehalten und verhört wurde. Man sagt, er solle sehr betreten gewesen sein, als er die Nachricht von der Flucht dieser Dame hörte; er wies sich aber aus, daß er die Reise bis nach Paris allein gemacht habe, und bekräftigte mit einem Eid, daß er von diesem Schritt der Donna nichts wisse.

Etwa ein Vierteljahr nachher kam er nach Rom, und lebt seitdem hier sehr still und eingezogen, besucht keine Gesellschaft, hat keinen Freund, keinen Bekannten, vorzüglich vermeidet er es, mit Deutschen zusammenzutreffen.'

Um diese Zeit, fuhr der Gesandte fort, sei von seinem Hofe die Anfrage an ihn ergangen, ob dieser West sich in Rom befinde; wie er lebe, und ob er nicht in Verhältnis mit einer Spanierin sei, die sich ebenfalls hier aufhalten müsse. Man habe ihm dabei die Geschichte dieses Kapitän West mitgeteilt und bemerkt, daß der Engländer von neuem Spuren von seiner Frau entdeckt habe, die beinahe mit Gewißheit annehmen lassen, daß sie in Rom sich aufhalte. Man habe deswegen von Spanien aus sich an die päpstliche Kurie gewandt, es scheine aber, man wolle sich hier der Dame annehmen, denn die Antwort sei sehr zweifelhaft und unbefriedigend ausgefallen. Der Gesandte machte die nötigen Schritte und erfuhr wenigstens so viel, daß jener Verdacht bestätigt schien. Er wandte sich nun auch an Consalvi, um zu erfahren, ob der römische Hof in der Tat die Dame in seinen Schutz nehme und erhielt die, in eine sehr bestimmte Bitte gefaßte, Antwort, man möchte diese Sachen beruhen lassen, da die Ehe der Donna Ines mit dem Engländer wahrscheinlich für ungültig erklärt werde.

Dies erzählte mir der Gesandte; er sagte noch hinzu, daß er aus besonderem Interesse an diesem Fall dem Kapitän immer nachgespürt habe, und so sei ihm auch der Streit zu Ohren gekommen, den ich im Karneval mit jenem ›wegen einer Dame‹ gehabt habe.

Sie können sich denken, Freund, welche Qualen ich schon während seiner Erzählung empfand; und als ich das ganze Unglück erfahren hatte, stand ich wie vernichtet. Der Gesandte verließ mich, um zu der Gesellschaft zurückzukehren; ich hatte kaum noch so viel Fassung, ihn zu bitten, er möchte niemand etwas von diesen Verhältnissen wissen lassen, das Warum? versprach ich ihm auf ein andermal.

Ich konnte von dem Zimmer, wohin der Gesandte mich gerufen, den Salon übersehen, ich konnte Luisen sehen, und wie schmerzlich war mir ihr Anblick. Sie schien so ruhig, so glücklich. Der Friede ihrer schönen Seele lag wie der junge Tag freundlich auf ihrer Stirne; ihr sanftes blaues Auge glänzte, vielleicht von der Erwartung einer schönen Abendstunde, und das Lächeln, das ihren Mund umschwebte, schien der Nachklang einer freudigen Erinnerung hervorgelockt zu haben. Nein, es war mir nicht möglich, diesen Anblick länger zu ertragen, ich eilte ins Freie, um dieses Bild durch neue Bilder zu verdrängen; aber wie war es möglich? der Gedanke an sie kehrte schmerzlicher als je zurück, denn der Friede der Natur, der zauberische Schmelz der Landschaft, die süße Ruhe, die diese Fluren atmeten, erinnerten sie mich nicht immer wieder an jenes holde Wesen? und die Wolken, die sich am fernen Horizont schwärzlich auftürmten, und ein nächtliches Gewitter verkündeten, hingen sie nicht über der friedlichen Landschaft wie das Unglück, das Luisen drohte?

Ich ging nach Hause; ich dachte nach, ob nicht Rettung möglich sei, ob ich sie nicht losmachen könne von dieser schrecklichen Verbindung. Doch, war nicht zu befürchten, daß sie mir mißtrauen werde? Sie wußte, ich liebe sie, kannte sie mich hinlänglich, um nicht an der Reinheit meiner Absichten zu zweifeln? Ich konnte es nicht über mich gewinnen, ihr selbst ihr Unglück zu verkünden. Nur einen Ausweg glaubte ich offen zu sehen; ich wollte ihn selbst zur Rede stellen, den Elenden, ich wollte ihn bewegen, einen entscheidenden Schritt auf die eine oder die andere Seite zu tun. Ja, darin glaubte ich einen glücklichen Weg gefunden zu haben; er selbst mußte ihr sagen, daß er nicht mehr verdiene von ihr geliebt zu werden; und dann, dachte ich, dann wird sie zwar unglücklich sein, aber ich will versuchen, sie glücklich zu machen, durch ein langes Leben voll Treue und Liebe will ich ihr Unglück zu mildern suchen.«

»Aber wie konnten Sie glauben«, rief ich, über diese romantischen Ideen unwillkürlich lächelnd, »wie konnten Sie glauben, Freund, daß ein Kapitän West zu diesem sonderbaren Geständnisse sich hergeben werde? In Romanen mag dies der Fall sein, aber Herr! in der Wirklichkeit? Haben Sie je einen Narren der Art gekannt?«

»Ach, ich dachte zu gut von den Menschen«, antwortete er. »Ich dachte, wie ich muß jeder fühlen – Ich ging in die Wohnung des Kapitän West. Er wohnte schlecht, beinahe ärmlich. Ich traf ihn wie er einen schönen Knaben von acht Jahren auf den Knien hatte, welchen er lesen lehrte. Errötend setzte er den Knaben nieder, und stand auf, mich zu begrüßen. ›Ei Papa!‹ rief der Kleine, ›wie sieht dir dieser Herr so ähnlich.‹

Der Kapitän geriet in Verlegenheit und führte den Knaben aus dem Zimmer. ›Wie‹, sagte ich zu ihm; ›Sie haben schon einen Knaben von diesem Alter? waren Sie früher verheiratet?‹

Er suchte zu lachen, und die Sache in einen Scherz zu drehen; er behauptete, der Knabe gehöre in die Nachbarschaft, besuche ihn zuweilen und nenne ihn Papa, weil er sich seiner annehme.

›Er gehört wohl der Donna Ines?‹ fragte ich, indem ich ihn scharf ansah. Noch nie zuvor hatte ich gesehen, wie schrecklich das böse Gewissen sich kundtut; er erblaßte; seine Augen glänzten wie die einer Schlange, ich glaubte er wolle mich durchbohren. Noch ehe er sich hinlänglich gesammelt hatte, um mir zu antworten, sagte ich ihm gerade ins Gesicht, was ich von ihm wisse und was ich von ihm verlange, um das Fräulein nicht völlig unglücklich zu machen.

Er lief in Wut im Zimmer umher, er schimpfte auf Zwischenträger und Zudringliche; er behauptete, ich habe die ganze Geschichte aufgedeckt, um Luisen von ihm zu entfernen. Ich ließ ihn ausreden; dann sagte ich ihm mit kurzen Worten, wie ich sein Verhältnis zu der Spanierin erfahren habe, und bat ihn noch einmal mit den herzlichsten Tönen unserer Sprache, das Fräulein so schonend als möglich von sich zu entfernen.

Es gelang mir ihn zu rühren; aber nun hatte ich eine andere unangenehme Szene durchzukämpfen; er klagte sich an, er weinte, er verfluchte sich, das holde Geschöpf so schändlich betrogen zu haben; er schwor sich von der Spanierin zu trennen; er flehte mich an, ihn zu retten; er gestand mir, daß er sich von einem Netz umstrickt sehe, das er nicht gewaltsam durchbrechen könne, weil einige hohe Geistliche der Kirche kompromittiert würden. Er ging so weit, mich zu zwingen, seine Geschichte anzuhören, um vielleicht milder über ihn urteilen zu können. Es war die Geschichte eines – Leichtsinnigen. Dieses Wort möge entschuldigen, was vielleicht schlecht genannt werden könnte. Es lag in dem Wesen dieses Mannes ein Etwas, das ihn bei den Frauen sehr glücklich machen mußte. Es war der äußere Anschein von Kraft und Entschlossenheit, die ihm übrigens sein ganzes Leben hindurch gemangelt zu haben schienen. Er mußte eine für seinen Stand ausgezeichnete Bildung gehabt haben, denn er sprach sehr gut, seine Ausdrücke waren gewählt, seine Bilder oft wahrhaft poetisch, er konnte hinreißen, so daß ich oft glaubte, er spreche mit Eifer von einem Dritten, während er mir seinen eigenen beklagenswerten Zustand schilderte. Ich habe dies oft an Menschen bemerkt, die sonst ihrem Triebe folgen, in den Tag hinein leben, ohne sich selbst zu prüfen, und erst in dem Moment der Erzählung über sich selbst flüchtig nachdenken. Sie werden dann durch die Sprache selbst zu einem eigentümlichen Feuer gesteigert, sie sprechen mit Umsicht von sich selbst, doch eben weil diese ihnen sonst abging, ist man versucht zu glauben, sie sprechen von einem Dritten.

Es war Luise, die ihn zuerst liebte; er erkannte ihre Neigung; Eitelkeit, die herrliche aufblühende Schönheit, die Tochter eines der ersten Häuser der Stadt für sich gewonnen zu haben, riß ihn zu einem Gefühl hin, das er für Liebe hielt. Der Vater sah dies Verhältnis ungerne. Ich konnte mir denken, daß es vielleicht weniger Stolz auf seine Ahnen, als die Furcht vor dem schwankenden Charakter des Kapitäns war, was ihn zu einer Härte stimmte, die die Liebe eines Mädchens wie Luise immer mehr anfachen mußte. Er soll ihr, was ich jetzt erst erfuhr, auf seinem Sterbebette den Fluch gegeben haben, wenn sie je mit dem Kapitän sich verbinde.


 << zurück weiter >>