Moritz Hartmann
Der Krieg um den Wald / 1
Moritz Hartmann

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Zwölftes Kapitel.

Dorf und Umgegend blieben vom Schreck gelähmt und ruhig. Kein Widerstand, keine Widersetzlichkeit machte sich geltend, wenn nicht etwa das protestierende Schreien und Weinen der Schwestern und Mütter, wenn man ihre jungen Söhne und Brüder zusammenfing und sie truppweise von Panduren begleitet nach Prag abschickte, um sie von dort weiter an die preußische Grenze gegen die Feinde der Kaiserin zu jagen. Sonst sah man scheinbar ruhig zu, obwohl man im geheimen die Zähne knirschte und die Faust ballte, wenn man das Vieh aus dem Stalle jagte, um es teilweise an den großen Wachtfeuern mitten im Dorfe zu braten, oder als gute Beute den Kameraden in Prag zuzutreiben, wohin es dann mit den jungen Rekruten zugleich wanderte. Denn es ward als gutes Mittel zur Sicherung der Ruhe in diesen unruhigen Gegenden für alle künftige Zeit erachtet, wenn man alle waffenfähige Mannschaft und alles noch übrige Besitztum daraus entführte.

Graf Bombelles, auf dessen Anordnung all das geschehen und der seine Residenz im Schlosse aufgeschlagen hatte, war, trotzdem alles gut vonstatten ging, doch sehr verdrießlich. Die Expedition langweilte ihn gewaltig – er hätte sie – sein Befehl lautete danach – gern aufs schleunigste zu Ende gebracht, aber das war nicht möglich, solange Peter Buresch nicht mitten im Dorfe an einem Baume hing. Umsonst war das ganze Dorf, alle Häuser vom Keller bis zum Dache, war der ganze Wald, jedes Gesträuch durchwühlt und durchstöbert worden; umsonst zog sich eine ununterbrochene Kette von Husaren und Panduren in einem weiten Kreise rings durch die Wälder, über Hügel und Täler. Peter Buresch war nicht zu finden. Entkommen konnte er nicht sein, er mußte also in irgend einem Verstecke sicher geborgen liegen. Graf Bombelles ließ aufs Geratewohl einzelne aus den Bauern herausgreifen und nach guter herrschaftlicher Sitte über die Bank legen, um ihnen das Geheimnis des Versteckes mit Hilfe des Stockes zu entreißen. – Sie schrien, sie litten unsägliche Qualen, sie wurden halbtot oder als Krüppel von der Bank fortgetragen – aber das Geheimnis war nicht enthüllt. Wir wissen nicht, ob die Unglücklichen ihren Führer von vorgestern verraten hätten, wenn ihnen sein Versteck bekannt gewesen wäre – wir wissen nur, daß sie in der Tat nicht wußten, welcher Schlund der Erde ihn verschlungen hatte. – So litten, um alles treu zu berichten, was die Tradition an Namen und Tatsachen auf uns gebracht hat, der lange Wlach und der alte weiche Tomesch.

Da alles vergebens war, kam Graf Bombelles auf ein kluges Mittel. – Der Vater mußte es wissen, wo der Sohn versteckt war, also soll der Vater den Sohn verraten. – Der alte Buresch, der wieder verzweifelt heimgekehrt war, nachdem er den bayerischen Scherenschleifer umsonst gesucht hatte, wurde herbeigeschleppt und auf die Marterbank gelegt. Bevor ihn die Panduren hinstrecken konnten, riß er sich noch einmal los, richtete sich hoch auf und schrie dem Grafen Bombelles, der aus dem Schloßfenster den Exekutionen zusah, mit stolzer Stimme zu: Ich bin ein alter Soldat des Prinzen Eugen, des edlen Ritters!

Aber was kümmerte den Grafen Bombelles ein alter Soldat des Prinzen Eugen, des edlen Ritters? Er mußte leiden wie die andern und noch härter.

Der Alte vom Hammer knirschte die Zähne zusammen – aber über den zusammengeknirschten Zähnen lächelte er und lächelte und lächelte immer – murmelte zuweilen den Namen seines geliebten Sohnes – und lächelte wieder, bis er bewußtlos von der Bank hinabrollte wie totes Holz.

Der eine und einzige unter den Bauern, der Peter Bureschs Versteck kannte und es wohl auch verraten hätte, konnte von den Soldaten nicht gefaßt werden, denn er war schon gestern, bevor diese Maßregeln in Gang kamen, von ihnen gefaßt worden und residierte mit dem Grafen Bombelles unter demselben Dache. Freilich etwas schlechter, denn er schmachtete tief unten im Schlosse, in dem dunkeln feuchten Loche, wo sonst widerspenstige Bauern, die ihre Robbotpflichten nicht erfüllen wollten, zu sitzen pflegten. Der eine war Martin Kinnich. Ihm war, als dem Urheber des Bauernaufstandes, dasselbe Los zugedacht wie Peter Buresch, aber in Berücksichtigung des Fürwortes von seiten Mikas und der Väter Jesuiten für die guten Dienste, die er im Verlaufe der Begebenheiten geleistet, zu zehnjähriger Zuchthausstrafe und Schanzenarbeit begnadigt worden. Da saß er nun im Loche, die Zeit erwartend, bis ihn Graf Bombelles mit sich fortnehme nach Prag und ihn seiner Bestimmung in Ketten und Banden entgegenführte. Zeit genug hatte er, in seiner Einsamkeit darüber nachzudenken, wie er sich von dieser Bestimmung befreien könne, und er benutzte die Zeit.

Peter Buresch, im unterirdischen verfallenen Gemach des alten Schlosses, das von außen wie jeder andere unschuldige Hügel aussah, erfuhr von allem nur, was ihm Lunetta zu berichten für gut fand. So wußte er nichts von den Wunden seines Vaters, und ausgestreckt auf seine Hirschhaut, beleuchtet vom Flackerlichte des Kienspans in der Ecke, aß er vom Braten und trank vom Wein, die Lunetta den Soldaten im Dorfe, während sie tanzte, sang und prophezeite, vom Wachtfeuer wegstahl. Er lachte über die dummen Bauern, die nur zu dulden haben, was sie verdienen, und fühlte sich am wohlsten, wenn gerade ein Pandurenpikett, das nach ihm suchte, gerade über seinem Haupte auf dem einladenden Hügel Rast hielt und man unten im Gemache ihre Flüche und Verwünschungen über die vergebliche Mühe hören konnte. – Ihr armen Jungen oder Helden, sagte er dann, bald hoffe ich euch aus meinen Wäldern in einem höflichen Briefe anzuzeigen, daß eure Mühe vergebens ist, und ich glaube, ihr werdet dann davon überzeugt sein!

Es war nämlich abgemacht, daß noch diese Nacht Lunetta einem einquartierten Soldaten die ganze Kleidung vom Bette stehlen und Peter Buresch bringen solle. In dieser Verkleidung war es dann leicht, durch die Kette der ausgestellten und reitenden Posten in die Wälder zu entkommen.

Aber in dieser Nacht sollte noch etwas anderes geschehen.

Martin Kinnich hatte die Zeit zum Nachdenken gehörig benutzt. Als er das Geschrei der geprügelten Bauern hörte, kam er schnell mit seinem Nachdenken zum Ziele. Am Abend ließ er dem Grafen Bombelles sagen, er habe mit ihm in aller Untertänigkeit etwas sehr Wichtiges zu verhandeln. Es kam keine Antwort. Was sollte der Bauer mit dem Grafen Wichtiges zu verhandeln haben? Da ließ ihm Martin Kinnich sagen, er kenne den Aufenthalt Peter Bureschs, und nach wenigen Minuten stand er vor dem Grafen.

Wo ist er? – wo steckt er? – sprich, schnell! – rief ihm der Graf entgegen.

Verzeihung, allergnädigster Herr! – antwortete Kinnich, sich tief verneigend, das geht nicht so schnell – ich habe meine Bedingungen.

Bedingungen – rief der Graf – frecher Bauer, du wagst es, von Bedingungen zu sprechen? Ich lasse dir hundert Stockstreiche aufzählen, das wird dir die Bedingungen austreiben.

Hundert Stockstreiche mehr oder weniger – sagte Kinnich, indem er die Ohren zwischen die Schultern zog – man muß sich daran gewöhnen, wenn man sich auf zehn Jahre Zuchthaus vorzubereiten hat. Ich kann von meinen Bedingungen nichts nachlassen, gnädiger Herr. Einen Menschen, bei dem es sich um den Galgen handelt, zu verraten, das ist nichts Kleines und will gut verkauft sein.

Und wie teuer verkauft, Schurke? –

Um zehn Jahre Zuchthaus!

Ho ho!

Kinnich ließ sich nicht stören und fuhr mit ruhiger Frechheit fort: Ich kann nicht anders. Warum haben mir Euer Gnaden den Galgen nachgelassen? Weil ich offenbar Verdienste hatte, Verdienste um Thron und Altar, weil ich eine Konspiration mit dem Feinde Ihrer Majestät aufgedeckt habe und manches tat, was die Fortschritte der dummen, verführten Bauern aufhielt. Man hat aber noch nicht erkannt, daß ich, den man den Anstifter des Aufruhrs nennt, zu Anfang nur den Oberbefehl übernahm, um ungesetzliche Taten zu verhindern – warum hätte ich sonst so viele Tage lang in den Wäldern gefaulenzt?

Aus Feigheit, du Schurke! rief der Graf.

Feigheit, eine sehr lobenswerte Feigheit, die es nicht wagt, sich gegen die Gesetze Ihrer Majestät aufzulehnen, eine Feigheit, die man alleruntertänigste, rühmenswerte Untertanentreue nennen sollte – und das war es!

Kinnich hielt inne, um zu sehen, welche Wirkung seine wohlgesetzten und gut ausgedachten Worte auf den Grafen hervorbrachten. Da dieser schwieg, fuhr er fort: mag man mich feig nennen – ja, ich bin es dem Gesetz und Ihrer Majestät der Kaiserin gegenüber. Ich wollte nur sagen, daß, wenn ich durch die Gnade Ihrer Majestät meiner Verdienste wegen vom Galgen zum Zuchthaus begnadigt worden bin, ich wohl eines neuen Verdienstes wegen vom Zuchthaus zur vollkommenen Verzeihung begnadigt werden könnte.

Das kann nicht sein! – rief der Graf.

Doch, Eure Gnaden haben Vollmacht – rief Martin Kinnich dagegen und warf sich vor die Füße des auf und ab wandelnden Grafen – und ich habe Weib und Kind!

Der Graf blieb stehen und sah verächtlich auf den Knienden nieder. Was bietest du für deine Begnadigung?

Peter Buresch! – rief Kinnich laut – Peter Buresch, den unruhigsten und gefährlichsten Kopf, der das Land noch tausendmal aufwiegeln kann, der die Wälder entvölkert, ein Schreck aller Förster und forstbesitzenden Herrschaften.

Wann? fragte der Graf weiter.

In einer Stunde! rief Martin Kinnich eifrig.

Gut! – sagte der Graf nach einigem Nachdenken.

Martin Kinnich küßte die Hände des Grafen. – Aber ich brauche Soldaten! sagte er endlich.

Nimm dir zehn Mann mit!

Zehn Mann? – sagte Kinnich besorgt – Peter ist stark wie ein Riese und listig und verschlagen – ich brauche wenigstens zwanzig Mann.

Nimm so viel du willst, Memme!

Martin Kinnich soll sich mit einer halben Kompagnie beeilen, an deren Spitze er, die ausgedehnte Vollmacht benützend, dahinzieht, stolz wie ein Feldhauptmann, sobald er ins Freie kommt, aber schleichend und gebückt, solange er zwischen den Häusern des Dorfes hingeht. – Er soll sich beeilen, denn eben ist Peter Buresch damit beschäftigt, seinen gewaltigen Leib in die enge Soldatenjacke zu zwängen, während Lunetta vor Ungeduld mit den Füßen zappelnd neben ihm steht und den hohen, spitz zulaufenden schwarzen Tschako mit dem gelben Adler in Händen hält.

Nein! – ruft plötzlich Peter Buresch – lieber liege ich noch ein Jahr in diesem Loche, als daß ich diese bunte Knechtlivree nur eine Stunde am Leibe behalte.

So sprechend reißt er die bunte Jacke wieder von den Schultern, wirft sie weit weg in einen Winkel und sich selbst auf die Hirschhaut.

Lunetta hebt die Jacke wieder auf. Ach! fleht sie, du brauchst sie ja nicht einmal eine Stunde zu tragen. In den Eisenhämmern bei Hlubosch kannst du sie wieder abwerfen. Aber jetzt beeile dich. Ich bitte dich, mein teurer Herr, – es ist keine Zeit zu verlieren, und wir haben noch so viel zu tun. Muß ich dir nicht noch den Bart scheren und einen Zopf flechten?

Einen Zopf? – lacht Peter Buresch und sieht sie erstaunt an – glaubst du, ich würde mir einen Zopf flechten lassen und wenn der Galgen hier zwei Schritte vor meinen Augen stände? Ha ha! – einen Zopf!

Nun gut, es wird vielleicht auch ohne Zopf gehen – aber nimm die Jacke, mein teurer Meister! flehte Lunetta.

Warum drängst du so auf die dumme Verpuppung? – das kann auch in zwei Stunden oder morgen oder übermorgen geschehen!

Ach, es ist mir so weh zumute! – wimmerte Lunetta – es liegt mir schwer wie ein Alp auf der Brust und ist mir, als ob wir sehr zu eilen hätten.

Lunetta hatte es kaum gesagt, so hörte man draußen rings um den Hügel ein Geräusch von Waffen, Schritten, Kommandoworten.

Jetzt kann ich doch nicht fort – sagte Peter Buresch mit gedämpfter Stimme – sie lagern wieder ums alte Schloß. Sei stille!

Lunetta war stille, sie wagte es kaum zu atmen. Ängstlich kauerte sie in dem Winkel und starrte unverwandten Blickes durch die Dämmerung nach dem Steine, der die Türe dieses verborgenen Gemaches bildete. – War es das bewegliche Licht des Kienholzes, das sie täuschte, oder bewegte sich wirklich der Stein? Zitternd aber unhörbar kroch sie auf Peter Buresch zu und umklammerte ihn mit beiden Armen, immer nach dem Steine hinstarrend. Es war nicht das täuschende Licht – der Stein bewegte sich wirklich, er fiel und hereinströmten, mit Luchsaugen suchend, gebückt mit vorgehaltenen, langen Flintenläufen, immer lächelnd, die Panduren.

Ein furchtbarer Schrei, der in der Wölbung klagend und traurig widerhallte, drang aus Lunettas Brust. Mit einem Sprung war sie am leuchtenden Kienspan, warf ihn zur Erde und trat mit ihren nackten Füßen darauf, um Peter Buresch in Nacht zu bergen. Es war zu spät, die Rotmäntel haben gute Augen.

Am frühen Morgen schon war das Dorf Duschnik von Soldaten wie ausgefegt – die Bewohner schliefen noch – aus weiter Ferne hörte man nur noch die Trommel. Mitten im Dorfe an dem großen Kastanienbaum hing Peter Buresch – ihm zu Füßen saßen der Alte vom Hammer und Lunetta. Sie warteten, bis die Soldaten weit genug sein würden, um dann Peter Buresch abzuschneiden. An demselben Baum klebten noch Peter Bureschs Kriegsartikel.

Der alte Buresch saß da, kalt, stumm, starr vor sich hinsehend, während kalte Tränen auf seinen Wangen standen. Zum ersten Male seit langer Zeit spielte er wieder mit seinen Schlangen und bedauerte wohl, daß sie keine Giftzähne hatten.

Von Zeit zu Zeit wandte er sich zu Lunetta und sprach kurze Worte. die sie nicht hörte und deren Sinn, wenn man sie zusammenhielt, ungefähr war: Lunetta, ich gehe mit euch zu den Zigeunern – meine Schlangen können schön tanzen und ich werde euch viel Geld einbringen. Lunetta, ich gehe nicht mehr fort von dir, denn du hast ihn geliebt.

Lunetta hatte den Kopf tief hinabgebeugt in ihren Schoß und sang gedankenlos und mit tonloser Stimme traurige Zigeunerweisen, so leise, daß nur sie selbst sich hören konnte.

In später Abenddämmerung erschien eine alte, auf Krücken gebeugte Zigeunerin mit vielfachen Pflastern im Gesicht, bei Martin Kinnich und bat um Herberge. Es ist ein halber Aberglaube – aber man wagt es nicht oft, Zigeunern ein Obdach zu versagen, und schickt sie meist in die Scheunen. Auch die alte Zigeunerin wurde in die Scheune geschickt und es war noch nicht Mitternacht, als schon Scheune und Haus in Asche lagen und die Zigeunerin verschwunden war. – Martin Kinnich war ein Bettler und zog als solcher durchs Land. Auch der Bauernadvokat war ein Bettler, denn der Kontrakt mit den Prager Holzlieferanten leerte ihm noch die Strümpfe mit Talern, die er aus dem Brande gerettet hatte. Zdenko konnte ihn nicht ernähren, denn er war mit fortgenommen worden, als man diese Gegend von aller waffenfähigen Mannschaft reinigte.

Das ist die sonderbare Geschichte eines Bauernkrieges, um welchen man sich in dem allgemeinen Kriege, der damals die Welt elend machte, nicht kümmerte und von welchem so wenig Urkunden sprechen, daß ein gewissenhafter Geschichtschreiber oder Leser sie nicht zu glauben braucht.


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