Moritz Hartmann
Der Krieg um den Wald / 1
Moritz Hartmann

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Elftes Kapitel.

Aber das Zeichen aus Oborschischt kam nicht, und der Ungarmichel machte Witze über die langsamen Weiberschritte Ihrer Majestät der Kaiserin.

Der Ungarmichel irrte sich. Ihre Majestät die Kaiserin Maria Theresia machte nur langsame Weiberschritte, wenn es dem preußischen Fritze entgegenging, kam aber schnell und plötzlich wie ein Ungewitter, wenn es galt, über die Untertanen herzufallen. – Der arme einäugige Slavik hat es zuerst erfahren.

Er saß oben auf dem Turme des Oborschischter Klosters und strengte sein einsames Auge so gewissenhaft an, als ob er noch ein Dutzend guter Augen zu verderben gehabt hätte. Vom Turme aus konnte man die Straße viele Stunden weit überwachen, wie sie sich so weiß wie ein schäumender Bach durch die dunklen Wälder hinschlängelte, über Hügel und Ebenen bis zu dem sogenannten kleinen heiligen Berge, weit, weit vom Oborschischter Kloster. Aber wie er da oben horstete und alles, was er in Leib und Geist an Kraft besaß, sich in dem einen Auge sammelte und er nicht den Schatten eines andern Gedankens hatte, als nur zu sehen und immer zu sehen, da wurde es unter ihm im Kloster plötzlich gewaltig unruhig. Ein zerrissenes Geschrei, aus vielen Schreien der Überraschung zusammengesetzt, von verworrenem Waffenlärm, Fluchen und endlichem Hilferufen durchdrungen, wozu bald Flintenschüsse kamen in immer schnellerer Folge, drang herauf zu ihm, als ob er auf einem hohen Berge stünde und ein wildes Gewitter ihm zu Füßen sich entlüde. Es dauerte einige Zeit, bis alle seine Fähigkeiten aus dem kleinen Punkte des einen Auges, wo sie zusammengedrängt waren, sich allmählich zurückzogen, um sich wieder als Gehör, Gefühl, Verstand auf ihre gewöhnlichen Posten zu begeben. Dann aber sprang er mit wilden Sätzen wie eine Katze die Treppe hinab.

Welch ein Anblick!

Überall ein buntes Gemisch von Bauern, Pfaffen, Soldaten. – Plötzlich war der Feind aus dem Boden gewachsen, mitten im Kloster, in allen Ecken und Enden – aus den Dielen, aus den Mauern, ja von den Stubendecken war er wie überreife Frucht herabgefallen. In gewaltiger Überzahl stand er mitten unter den erschrockenen Bauern, von den Mönchen geführt, und metzelte die Ketzer nieder, bevor sie zu ihren Waffen greifen konnten. – Als der einäugige Slavik hinunterkam, waren Wände und Estrich vom Blute gefärbt.

Zu mir! rief er mit donnernder Stimme, daß die Soldaten einen Augenblick in ihrem blutigen Geschäfte inne hielten und sich umsahen. Er benutzte es und sprang über Schultern und geschwungene Säbel hinüber in den Konventsaal. Neuer Mut beseelte bei diesem Rufe die Bestürzten; aus den Gängen und Zellen drängten sie sich mitten durch die Soldaten und bildeten einen festen Knäuel um den einäugigen Slavik. Schnell hatte er einen schwachbesetzten Ausgangspunkt des Konventsaales erspäht, und während der Knäuel um ihn Piken, Sensen und Büchsen den Soldaten von allen Seiten entgegenstreckte, daß der Haufen aussah wie ein gereiztes Stachelschwein, drückte, schob, bewegte er ihn von innen nach dem schwachbesetzten Ausgangspunkte, den er bald erreichte. Die Soldaten schlossen ebenfalls ihre Reihen und folgten mit langsamen Schritten und schickten ihnen volle Salven nach. Mancher Ketzer fiel; die übrigen schoben weiter über den langen Gang bis an die Treppe. Immer enger schlossen sie sich aneinander und rollten wie eine Kugel hinab bis an die Türe, die aus dem unteren Gange in die Kirche führte. Dorthin wollte sie Slavik bringen.

An den Altar! rief er, dort sind wir sicher.

Nein! rief Hynek Jarmilo aus dem Knäuel heraus mit fester, widersprechender Stimme.

Nein! riefen die andern Ketzer wie aus einer Kehle und blieben fest vor der Türe stehen.

Die Patres hinter den Soldaten, welche auf der Treppe standen, lachten laut auf. Schnell luden die Ketzer noch einmal und schossen über die Soldaten hinweg in die schwarze Reihe der Patres. Pater Quirinus und manche andere Patres fielen. Da lachten ihrerseits wieder die Ketzer und lachend warfen sie ihre Waffen hin und stellten sich wie aufgesteckte Ziele längs der Wand und stimmten wie auf ein gegebenes Zeichen und aus einer Kehle die böhmische Übersetzung des Liedes »Eine feste Burg« an. Die Soldaten von der Höhe der Treppen zielten gut. Es war aus mit dem einäugigen Slavik, mit Hynek Jarmilo und der ganzen Schar der Ketzer aus dem Dorfe Ribnik.

Darum kommt kein Zeichen, keine Botschaft aus Oborschischt beim Ungarmichel an. Witze sind schlecht angebracht. Noch macht er welche am Abend desselben Tages im befestigten Lager auf den Höhen vor Duschnik – während die kaiserlichen Truppen nach Przibram marschieren, auf einem großen Umwege, in einem Halbkreise, geschützt von den Wäldern und dem Dunkel der Nacht. Sie haben einen guten Führer, der die Gegend genau kennt und dem daran liegt, Duschnik zu überraschen und es ohne Schwertstreich zu nehmen, um einem langen Kampfe auszuweichen, während dessen man sich an der Geisel, an seinem Sohne Zdenko, den dieser Führer noch gefangen glaubt, halten und rächen könnte.

So kommt es, daß, wahrend Peter Buresch links vom Dorfe gut verschanzt den Feind erwartet, der Feind mit erstem Morgendämmern von Przibram her auf der andern Seite ins Dorf einrückt, den schmalen Weg zwischen den Gartenmauern heraus, gradaus auf den großen Platz, wo die Bäume stehen mit den Kriegsartikeln Peter Bureschs.

Trommelschlag weckt die im Dorfe Zurückgebliebenen. Das ist eine andere Trommel als die, welche sie einst zur Robbot rief. Neugierig steckten sie die Köpfe zu den kleinen roteingerahmten Fenstern heraus. Welch ein prächtiger Anblick – eine mächtige Kolonne zu Fuß, gefolgt von einer oder zwei Schwadronen ernst und stolz blickender Husaren. Sonderbar aber und unheimlich sehen die Gestalten aus, welche zu Fuß oder auf kleinen Pferden reitend die ganze Kolonne regellos, wild umschwärmen – vorn, hinten, von allen Seiten. Sie tragen rote oder schwarze Kappen, oder auch breite Hüte mit zerfetzten Krempen, die schlapp und schmutzig um Gesicht und Nacken hängen. Von der Schulter herab wallt ein langer, breiter, blutroter Mantel, der die schmächtige, aber sehnige Gestalt verdeckt, zugleich mit einem Gürtel, der reich besetzt ist mit Dolchen, Pistolen von allerlei Art. Die Füße sind in rotes Tuch gehüllt, welches durch schmale, kreuz und quer gebundene Riemen festgehalten ist, so daß man ihre Schritte nicht hört, wie die Schritte der Katzen. Auf dem Rücken hängt nachlässig an einem Riemen das ungewöhnlich lange Gewehr, das mit dem Ende des Laufes fast bis an die Knöchel reicht – an der Hüfte der krumme Säbel in bunter Scheide. – Es sind das die Panduren oder Rotmäntel, welche Baron Trenk die Güte hatte dem Major Bombelles auf einige Tage zu borgen. – Die blutroten Mäntel und die vielerlei Waffen weggedacht, sehen sie gar nicht so schrecklich aus – fast könnte man sagen, sie sind schön. Das braune Gesicht mit der kühnen Adlernase, die dunkeln Haare und fein gemalten Augenbrauen, die leuchtenden Augen und das beständige Lächeln um den feinlippigen Mund machen zusammen eine schöne Figur. Aber dieses beständige Lächeln ist es eben. Sie lächeln auch, wenn sie Kinder spießen, und haben sanfte und zärtliche Ausdrücke bereit, wenn sie dem Feinde den Kopf abschneiden.

Auf einen Wink ihres Führers zerstreuen sie sich und sind nicht mehr zu sehen. Alle Ausgänge des Dorfes, Schluchten und Schlupfwinkel in den Wäldern sind in kurzer Zeit von ihnen besetzt. Denn in Wäldern, Gebüschen und Schluchten fühlen sie sich bald heimisch, kennen sie bald jeden Baum und Stein – das haben sie aus ihren heimischen kroatischen Wäldern mitgebracht, wo sie das edle Räuberhandwerk trieben und all die Künste lernten, mit welchen sie jetzt den habsburgischen Thron befestigen und in Duschnik Gesetz, Ruhe und Ordnung herstellen werden.

Graf Bombelles, der an der Spitze der kaiserlichen Truppen in Duschnik einreitet, hat die gemessene Weisung, die Sache so schnell als möglich abzumachen, da man keinen Mann lange entbehren kann und mit den Bauerngeschichten nicht viel Zeit verlieren will. Er soll kurz und summarisch verfahren, die Führer beseitigen, die Gegend unschädlich machen und wieder davonreiten. Er macht sich sofort ans Werk. Die zurückgebliebenen Bewohner im Dorfe haben sich versammelt, die Trommel wird gerührt, die Soldaten ziehen einen weiten Kreis um die Versammelten und ein Feldwebel verliest mit lauter Stimme folgende Schrift, die ihm Graf Bombelles, der Major, gleichgültig und gelangweilt übergeben hat:

»Im Namen Ihrer k. k. Apostolischen Majestät Maria Theresia, Königin von Hungaria, Bohemia usw.

Kund und zu wissen allen, denen zu wissen notwendig.

Die Regierung des Königreichs Böheim im Namen der allergnädigsten Königin Maria Theresia, Königin von Böheim, läßt Verzeihung, Gnade und Vergessen allen denen angedeihen, so sich in diesem Jahre als Verführte durch Wort und Tat an den ungesetzlichen und verbrecherischen Tätlichkeiten Peter Bureschs beteiligt haben, soferne diese Verführten reuig und demütig zur gesetzlichen Ordnung zurückkehren, freiwillig die Waffen niederlegen und zur Arbeit und gesetzlichen Pflichten sich als treue Untertanen Ihrer Majestät der allergnädigsten Kaiserin bekehren.

Besagter Peter Buresch, der Erregung von Aufruhr gegen Ihrer Majestät Regierung und die bestehenden Gesetze, der Verleitung Ihrer Untertanen zu verbrecherischen Handlungen, der Konspiration mit Ihrer Majestät Feinden, der Gottlosigkeit und des Unglaubens, des Mords, des Raubs und der Plünderung und anderer mehrfacher Verbrechen angeklagt, soll vor ein Standgericht gestellt und nach dem Wortlaut des Gesetzes mit ihm verfahren werden.

Gegeben in k. k. Hauptstadt Prag usw.«

Während der Verlesung dieses Aktenstückes ließen die einzelnen Bauern langsam ihre Waffen fallen und zogen sich so weit von ihnen zurück, als es der Kreis, den die Soldaten um sie geschlossen, erlaubte. Die Weiber drängten sich durch und in die Häuser, um die etwa noch vorhandenen Gewehre vor die Türe zu werfen. Mika, der gleich nach seiner Ankunft im Dorfe mit Hilfe einiger Soldaten in den Schüttboden gedrungen war, kam bleich und mit zerrauften Haaren heraus. Er hat das Gefängnis leer gefunden – er ist zu spät gekommen. Die Weiber erzählten ihm mit Vorwürfen, daß sie selbst seinen Sohn befreit haben, und reuig und mit zerknirschtem Herzen schlich er aus dem Dorfe fort, zurück nach dem verbrannten Obtschov, um dort seinen geretteten Sohn aufzusuchen.

Indessen hatte Peter Buresch erfahren, was im Dorfe vorging. Rasch brach er auf und rückte in Ordnung und festgeschlossenen Reihen aus dem Lager dem Dorfe zu. Kaum war er den Hügel hinab, als aus dem Walde rechts und links mit unhörbaren Schritten die Kroaten hervorkamen und das Lager besetzten. Sie waren nur noch einige hundert Schritte vom Dorfe, aber nahe genug, um zu bemerken, daß jeder Eingang stark von Soldaten besetzt war. Peter wandte sich um, um noch einmal seine Schar zum Angriff zu ordnen und ihnen Mut einzusprechen

Da sprang Martin Kinnich aus dem Hohlwege hervor. Ihr Männer, rief er, was wollt ihr euch totschlagen lassen von einer mächtigen Überzahl, besonders da eben der Generalpardon für euch alle verlesen wurde, mit Ausnahme freilich, fügte er höhnisch hinzu, Peter Bureschs, der die Gefälligkeit hatte, mich vom Kommando abzusetzen und so vom Galgen zu retten.

Peter Buresch starrte ihn lange an, dann schlug er sich mit der Faust vor die Stirne und rief: Das war unser Verräter! Ich Dummkopf! – Schießt ihn nieder!

Der Ungarmichel legte an, doch bevor er abdrückte, sagte Peter Buresch mit Verachtung: Laßt ihn laufen! und Kinnich lief in der Tat nach dem Dorfe zurück.

Aber die Worte Kinnichs hatten ihren Eindruck nicht verfehlt. Ein Murren und Murmeln ging durch die Reihen Peter Bureschs. – »Es ist vergebens! – Wozu sich umsonst totschlagen lassen? – wir haben Pardon!«

Peter Buresch sah sich traurig um, und wie er die schwankenden murrenden Massen sah, ließ er den Kopf hängen. Totenblässe bedeckte sein Gesicht und er schloß die Augen, wie um sich zu besinnen. An den Ungarmichel gelehnt sagte er mit bebender Stimme: Siehst du, so sind die Bauern! – Dann rief er laut: Wer die Waffen strecken will, der tue es. Er kann ungehindert von dannen ziehen.

Klirrend, dröhnend stürzte Waffe auf Waffe zu Boden. Peter Buresch stieß einen wilden Schrei aus und wandte sich ab. Er schien wieder in jenen Starrkrampf verfallen zu sein, in dem wir ihn schon einmal gesehen haben. Als er wieder zu sich kam, drängte sich die kleine Schar von Raubschützen um ihn – die Bauern waren alle fort. Geht, sagt er, es ist aus – die Zeit ist noch nicht gekommen.

Aber die Raubschützen blieben.

Geht! rief er noch einmal mit gebieterischer Stimme – ich weiß mich zu retten, an der bayerischen Grenze finden wir uns wieder.

Es ist kein Ausweg für dich! sagte der Ungarmichel – komm mit uns, so schlagen wir uns durch.

Wozu noch umsonst euer Blut vergießen und für mich? Ich habe einen guten Schlupfwinkel, in dem sie mich nicht auswittern sollen.

Da gingen sie und als sie sich umsahen, war jede Spur von Peter Buresch verschwunden.


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