Moritz Hartmann
Der Krieg um den Wald / 1
Moritz Hartmann

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sechstes Kapitel.

Die drei Tage des Waffenstillstandes waren verflossen. Die Obtschover hatten ihre Toten begraben, Liduschka saß wieder einsam in ihrer Stube, nährte eine Totenlampe, spann und sang fromme Lieder hinter verhüllten Fenstern und geschlossenen Türen. Obtschover und Duschniker hatten ihre Bundesgenossen zusammengezogen – auf Seite der ersten standen die Einwohner aller jenseits der Homola auf dem Berge gelegenen Dörfer, die Wohlhabenden, die vor dem Namen Peter Buresch erschraken und glaubten zusammentreten zu müssen, um ihr Eigentum gegen ihn und seine Gefährten, die Wilddiebe, zu beschützen. Zu den Duschnikern traten die Talbewohner aus nachbarlicher Freundschaft und weil sie die Armen waren, also ihre Brüder in der Armut, die Duschniker, nicht verlassen wollten. Dazu kam, daß alle Dörfer des Litavkatales gewissermaßen nur ein einziges Dorf bildeten, da sie durch die unterbrochene Reihe von Mühlen, Eisenhämmern, Hochöfen, Schaufelschmieden und Grubenwerken, die sich längs der Litavka hinzogen, verbunden waren. Die Einwohner dieser Gewerke, arme Arbeiter, die durch die Zeitläufte und die stockenden Geschäfte von der furchtbarsten Not gedrückt waren und nach dem Ausdrucke Peter Bureschs und des Sprichwortes im Lande als Feuerarbeiter am verbrannten Gehirn litten, fühlten sich zu Peter Buresch, dessen Boten ihnen Beute versprachen und der als der Sohn des Alten vom Hammer und selbst als ehemaliger Feuerarbeiter zu ihrer Zunft gehörte, besonders hingezogen. Ihnen folgten wieder die mit ihnen befreundeten und in Verkehr stehenden Nagelschmiede, die weiter oben im Hurkawalde wohnten und, weil sie meist von deutschen Einwanderern abstammten, Schwaben hießen. – So kamen die ausgesandten Boten Peter Bureschs schon nach zwei Tagen an der Spitze großer und entschlossener Haufen zurück, die mit den bayrischen Büchsen bewaffnet und mit den Duschnikern vereinigt in der Tat eine schöne Armee bildeten. – Der Alte vom Hammer, der selbst eine große Zahl herbeigeleitet hatte, freute sich beim Anblick der schönen Heersäule, die Peter Buresch gegen den Wald führte, rieb sich die Hände und raunte seinem Sohne lächelnd ins Ohr: du brauchst die Kerle nur durch einige Wochen an Blut zu gewöhnen und so tief in Verbrechen hineinzuführen, daß sie nicht mehr zurückkönnen, und du bist imstande, in kurzer Zeit Ihrer Majestät der Kaiserin oder Seiner Kurfürstlichen Gnaden von Bayern ein Häuflein zuzuführen, das sich so schauerlich berühmt machen wird wie die Panduren. Was hat der Trenk anderes getan, und ist heute ein gefürchteter Kriegsheld, vor dem das Kind im Leibe der Mutter und die Pfaffen in ihren Kellern erschrecken?!

Nein, sagte Peter Buresch langsam und nachdenklich, indem er die Hand an den Bart legte und ihn streichelte – nein, mich gelüstet's nicht nach Herrendienst; auf eigene Faust will ich handeln. Arme, Hilflose, Verzweifelte will ich machen und aus diesen dann eine Armee bilden, der nichts widerstehen soll. Ich weiß, wie furchtbar der Mensch ist, wenn er nichts mehr zu verlieren hat, furchtbar, wie der Eber am furchtbarsten ist, wenn er umstellt und angestochen ist. An der Verwirrung und am Lärmen freue ich mich, wie der Wolf am Wirbelwind und an toll aufsteigenden Staubsäulen. Dann aber kommt die Rache und die Erfüllung meines Hasses gegen Pfaffen und Herren. Meiner verzweifelten Armee will ich von ferne die Schlösser und Klöster, die Keller und Kassen zeigen und du sollst sehen, wie schnell sie wachsen wird, wie bald selbst die Obtschover und ihre Freunde auf unserer Seite stehen werden. Darum muß mit ihnen zuerst angefangen werden; ihre Dörfer müssen verbrannt, ihre Herden aufgezehrt werden. Nichts will ich für mich – aber die Pfaffen und Herren müssen mir gleich werden und auch nichts haben.

Seinem Vorsatze getreu, Arme und Verzweifelte zu machen, traf Peter Buresch alle Anstalten, die Obtschover in harte Bedrängnis zu bringen, um sie zu lehren, daß seine Bundesgenossenschaft seiner Feindschaft vorzuziehen sei. Nachdem er seine Beobachtungsposten im Walde ausgestellt, um sich vor einem Überfall zu sichern, befahl er dem Ungarmichel, bereit zu sein, noch diesen selben Abend Obtschov zu überfallen und den Meierhof zu besetzen. Der Meierhof war von höchster Wichtigkeit. Er lag ungefähr dreihundert Schritte vom Walde am Eingange des Dorfes, auf einer kleinen Anhöhe, um die sich die Bauernhäuser im Halbkreise herumzogen. Von Mauern umgeben bildete er eine kleine Festung und beherrschte das ganze Dorf. Die Dachluken der Scheuern und Stallungen gaben vortreffliche Schießscharten, von wo aus man mit guten Büchsen bis an die äußersten Enden des Dorfes schießen konnte. So konnten die Obtschover immerwährend in Schach gehalten und verhindert werden, im eigenen Dorfe eine Bewegung zu machen. Die siebzig Kühe des Meierhofes sollten heraus und nach Duschnik getrieben werden, wo sie Peter Buresch an die Bauern seiner Schar austeilen wollte, um sie durch diese Beute aufs neue lüstern zu machen. Die Wegnahme des Meierhofes war leicht zu bewerkstelligen, da man in Obtschov gewiß nicht darauf vorbereitet war und er vom Ausgang des Waldes aus, wenn man sich nur bis dahin unbemerkt näherte, laufend in einer Minute erreicht werden konnte, ehe sich die Obtschover sammelten, um ihn zu verteidigen. Wirklich schlich sich der Ungarmichel mit fünfundzwanzig bis dreißig auserlesenen Helden durch den Wald. Sie zogen nicht in einem Haufen, sondern verteilten sich und schlüpften einzeln von Baum zu Baum, springend, laufend, schleichend, kriechend, je nachdem es des Ortes Gelegenheit erlaubte oder gebot. Rechts und links standen die Obtschover Posten und blickten gradaus nach Duschnik zu, ohne die einzelnen von der Schar des Ungarmichels zu bemerken oder bemerken zu wollen. Dem scharfen, umsichtigen Auge des Ungarmichels fiel diese, wie ihm schien absichtliche Blindheit auf und machte ihn besorgt. Doch allein wie er war und getrennt von seinen Leuten, war es ihm nicht mehr möglich, sie zu sammeln und ihnen irgend eine Art von Befehl zu geben, der sie vor einer Hinterlist gerettet hätte. So rückte er denn selbst immer vorwärts, um die Seinen nicht zu verlassen. Am Ausgange des Waldes gab er das verabredete Zeichen mit der Pfeife und bald war seine Schar um ihn versammelt. Er bemerkte aber, daß auf dasselbe Zeichen es auch hinter seinem Rücken im Walde lebendig wurde und große Bewegung entstand. Es galt so schnell als möglich den Meierhof zu erreichen. Der Ungarmichel selbst eilte mit Sturmschritten über den Graben, der dort den Wald umgab, über die Felder und den Steinweg voraus. Die andern ihm nach. Kaum aber waren sie auf sichere Büchsenschußnähe vom Meierhofe gekommen, als sie von da aus mit einer vollen Flintensalve begrüßt wurden, der eine andere im Rücken folgte. Wir sind verraten! schrien die Duschniker entsetzt und drängten sich um den Ungarmichel. Dieser, der klar erkannte, was den andern der Schreck eingab, sah ein, daß er für den Augenblick seine Absicht auf den Meierhof aufgeben und nur eine Stellung gewinnen müsse, in der er sich so lange halten könne, bis das Feuern tief im Walde gehört würde und Peter Buresch den Bedrängten Hilfe schicke. Mir nach! – rief er schnell besonnen und eilte durch das Kreuzfeuer auf das dem Meierhof zunächst gelegene Bauernhaus los. Die Flintenkugeln umsausten ihn und seine Gefährten, doch wurden nur wenige verwundet, da die Obtschover im Dunkel der Nacht ihre veränderte Stellung nicht bemerkten und immer in derselben Richtung schossen, ja endlich zu feuern aufhören mußten, da sich ihre Freunde aus dem Hinterhalte im Walde in ihrer Hitze so sehr genähert hatten, daß die beiderseitigen Kugeln nur noch die Freunde bedrohten. Indessen hatte der Ungarmichel die Türe des Bauernhauses eingerannt und stürzte mit seinen Gefährten hinein und verrammelte schnell seine Ausgänge. Alles dieses geschah binnen weniger Minuten im Dunkel der Nacht und während die vergeblichen Schüsse der Obtschover fielen, so daß sie weder gesehen noch gehört werden konnten. Sie waren verschwunden, als hätte sie die Erde verschlungen. Die Obtschover suchten sie mit gespannten Hähnen und vorgehaltenen Büchsen rings um den Meierhof und endlich in dem Gebüsche jenseits desselben, just auf der entgegengesetzten Seite des Meierhofes, schossen einigemal ins Gesträuch und kehrten verwundert wieder auf ihren vorigen Platz zurück.

Der Ungarmichel ließ indessen Löcher in das Strohdach seines Schlupfwinkels bohren und stellte seine Leute daran und an die niederen Fenster, die er noch zum Teile mit Bettstücken verstopfte, oder mit den Brettern der Bänke und Tische verdeckte. Nun erst. da die Obtschover sich näherten, um auch dort zu untersuchen. gab er Befehl zum Feuern und ununterbrochen damit fortzufahren, da es mehr ein Zeichen für die Freunde im Walde sein sollte, als Angriff oder Verteidigung.

Der Mond ging hell leuchtend auf und zeigte den Duschnikern genau ihre sie umschleichenden Feinde, während sie selbst im sicheren Verstecke saßen und die Kugeln unschädlich ins Dach oder in die Wände des Hauses klatschten. Mancher arme Obtschover fiel, ohne daß die andern Rache nehmen konnten. So zogen sie sich endlich aus der Schußweite und in die andern Häuser zurück. Sie dachten wohl daran, das Haus, in welchem der Ungarmichel saß, in Brand zu stecken, ließen es aber nach langem Streiten doch sein, da es mit den andern strohbedeckten Hütten zusammenhing und beim geringsten Winde das ganze Dorf in Flammen aufgehen konnte. So verging für sie die Zeit, welche Peter Buresch mit Vorteil benutzte. Das anhaltende Feuern hatte ihn aufmerksam gemacht und ihn überzeugt, daß die Obtschover nicht, wie er es gewollt, überrascht, und der Meierhof nicht unblutig genommen worden. Schnell sammelte er die verteilten Posten und die ihn umgebende Schar, gab seine Befehle und eilte im Sturmschritte vorwärts. Einen großen Teil seiner Schar ließ er geradeaus über die Obtschover herfallen, die sich bei seinem Herannahen wieder vor dem Meierhofe und im Dorfe gesammelt hatten, um sie zu beschäftigen. Er selbst stürzte sich mit einer handfesten Schar auf das hintere Tor des Meierhofes, das in den Kuhstall führte. Bald war es erbrochen und hinter ihm und seiner Schar wieder geschlossen. Die Kühe und Stiere wurden losgebunden und durch das andere Tor in den Hof gejagt, wo ein großer Teil der Obtschover, fast die ganze Besatzung des Meierhofes, versammelt war. Durch Messerstiche und Schläge und durch den Lärm, das ungeheure Geschrei, das die Duschniker erhoben, wütend gemacht, stürzte die ganze Herde auf den Hof, rannte brüllend und stoßend umher und richtete grauenvolle Verwirrung an. Ein panischer Schrecken überfiel die Besatzung, sogleich war Mann von Mann getrennt und rannte einzeln zwischen dem Vieh umher, ohne zu wissen, was zu tun, wer Freund oder Feind. Die Duschniker hingegen brachen in geschlossener Reihe aus dem Stalle, schritten mitten durch die Verwirrung auf das Tor des Hofes los und schoben die Balken und Riegel zurück. Hierher, Ungarmichel! rief Peter Buresch mit so gewaltiger Stimme, daß sie Geschrei und Büchsenknall übertönte.

Jesus Maria, der Wilddieb ist schon drin! schrien die Obtschover, und unschlüssig, ob sie sich gegen ihn oder gegen die Duschniker, die sie überfallen, oder gegen das vom Ungarmichel besetzte Haus wenden sollten, zwischen drei Feinde genommen, standen sie einen Augenblick zögernd da, bis sie mit eins und instinktmäßig sich gegen das Innere des Dorfes zu ziehen begannen, um dem Netze zu entgehen, das sie schon von drei Seiten umgab. Mitten über den schmalen Raum, den ihr Rückzug zwischen ihnen und den Duschnikern ließ, stürmte der Ungarmichel, aus dem Hause brechend, gradaus hinüber auf das Tor des Meierhofes, woher ihm Peter Buresch winkte.

Das war Hilfe in der Not! lachte der Ungarmichel, indem er beide Hände auf Peters Schultern legte und ihn mit derber Herzlichkeit schüttelte.

Es ist nicht Zeit zum Plaudern, antwortete Peter Buresch und fügte hinzu: Jetzt schnell das Vieh hinausgetrieben und zurück in den Wald!

Eilig umstellten die Duschniker das herumirrende, brüllende Vieh und jagten es mit Kolbenstößen und Schlägen hinaus – mit ihm und von ihm gedeckt schlüpften auch die letzten Obtschover, denen es in der Verwirrung nicht gelungen war zu entkommen, aus dem Hofe.

Da erscholl in den Reihen der Obtschover der Freudenruf: Die Lihaer kommen, die Doler kommen! und sie sammelten sich aufs neue, um wieder einen Angriff zu versuchen.

Es war zu spät.

Vorwärts! rief Peter Buresch und schon eilte der ganze Zug der Duschniker dem Walde zu, die dumpf und traurig brüllenden Tiere vor sich her jagend. In wenigen Minuten verhallte der Ruf der Treiber, das Brüllen der Tiere, die Glocken der Stiere, das Siegesjauchzen der Duschniker im Dunkel des Waldes.

Der Ungarmichel, dessen Schar bis auf hundert Köpfe angewachsen war, da sich nicht alle, die mit Peter Buresch eindrangen, wieder herausretten konnten, ließ die Tore des Meierhofes verrammeln, verteilte die Posten auf die Punkte, von denen aus man die ganze Umgegend beobachten konnte, und war, als die Doler und Lihaer wirklich ankamen, in voller Sicherheit. Die Besatzung schlug eine laute Lache auf, die siegesberauschten Burschen faßten sich an den Armen und begannen im Hofe umherzutanzen, während draußen im Dorfe Flüche und Verwünschungen erschollen.

Die Obtschover und ihre Bundesgenossen überzeugten sich bald. daß sie sich nicht auf zweihundert Schritte dem Meierhofe nähern konnten, ohne von wohlgezielten Schüssen empfangen zu werden, zogen sich in die Häuser zurück und der alte Mika, der Bauernadvokat, versammelte die Weisesten des Dorfes um sich, um Rat zu halten.

Der Zug der Duschniker verzögerte sich etwas. Die Herde, die sie trieben, war schwer zusammenzuhalten. Wild gemacht durch den Lärm der Kämpfer und das Siegesjauchzen der Treiber, liefen sie oft auseinander und konnten im Walde nur mit Mühe wieder gesammelt werden. Einzelne Obtschover, die es wagten, die Sieger zu verfolgen, und hie und da einzelne Schüsse abfeuerten, reizten zur Verfolgung und die Schar zerstreute sich oft, trotz des grimmigsten Zornes Peters, der verbot, auf die Plänkler zu achten. Erst mit Sonnenaufgang kam der sieges- und beutereiche Zug in Duschnik an.

Da begann nun ein lustiges Leben.

Die Weiber und Kinder kamen aus den Häusern hervor. Es wurde erzählt, gelacht, gesungen. Die Kühe, wohlgenährt wie alle herrschaftlichen Herden (denn der Meierhof gehörte der Herrschaft), wurden geschätzt und bewundert. Peter Buresch ging an die Beuteverteilung. Die Ärmsten unter den Duschnikern und ihren Bundesgenossen wurden zuerst und am besten bedacht. Die Stiere wurden bekränzt und im Dorfe herumgeführt. Kleine Knaben schwangen sich auf ihre Rücken und sangen Lieder und ließen Peter Buresch hoch leben. Die Stiere waren Gemeindeeigentum geworden und in einem großen offenen Stalle untergebracht, wo sie den bewundernden Blicken der Jugend preisgegeben waren. Von allen Seiten brachte man duftendes Heu herbei, sie würdig zu speisen, und die Tiere schienen sich bald heimisch zu fühlen bei ihren neuen, gastlichen Wirten. Großer Jubel herrschte überall – der Ruhm Peter Bureschs scholl von allen Lippen; sein Mut, seine Besonnenheit, sein schneller Entschluß wurden von allen gerühmt. Das Grauen, das man vor dem Wilddieb, dem Heiden, dem Zigeuner hatte, war gänzlich verschwunden. Man hoffte durch ihn reich zu werden, man begann sich in die Ohren zu raunen, daß er wohl auch imstande wäre, von der Herrschaft und den Beamten zu befreien, die Steuern abzuschaffen und aus den Bauern freie Leute zu machen – und man beeilte sich, seinen Befehlen aufs pünktlichste zu gehorchen, denn jede seiner Taten führte ja dem Ziele näher, das man sich halb unbewußt zu stecken anfing.

Ei was der Wald! sagte man – was liegt am Ende auch am Wald – er kann den Wurm bekommen und wir sind doch alle Bettler. Es geht jetzt um was mehr. Frei müssen wir werden von Robotten und Steuern, die Herren und Beamten sollen uns nicht mehr aussaugen bis aufs Blut – die Schätze, die in Schlössern und Klöstern aufgehäuft liegen, und die unser versilberter Schweiß, unser vergoldetes Blut sind, sollen wieder in unsere Hände kommen, denen sie von Gott und Rechts wegen angehören! – Man lächelte über die Gespensterfurcht, die man beim Namen Peter Bureschs empfunden. Was hat er getan? fragte man sich – er hat das Wild des Waldes geschossen, das frei ist und jedermann angehört und die Saaten der Bauern zerstört. Wer sagt, daß es dem gnädigen Herrn eigentümlich ist? Hat der Herr unser Gott dem Hirsche das Wappenbild unseres gnädigen Herrn auf den Hintern gedrückt? Tötet die Kugel aus der Bauernflinte nicht ebensogut wie aus der Büchse des herrschaftlichen Oberförsters?

So räsonierten die Bauern.

Es ist wahr, sie wären nur langsam oder vielleicht gar nicht auf solche Gedanken gekommen, wenn nicht der Alte vom Hammer im rechten Momente oft hätte ein Wörtchen fallen lassen, das ihnen zeigte, welchen Weg ihre Gedanken zu gehen hatten – und wie zaudernd und stolpernd sie noch auf diesem Wege wandelten, wie klar oder unklar ihnen noch diese ungewohnten Gefühle waren, darin waren sie mehr oder weniger entschlossen und übereinstimmend Peter Buresch zu gehorchen und ihm durch dick und dünn zu folgen.

Sie horchten darum sehr aufmerksam, als der lange Tomesch, nachdem sich die erste freudige Aufregung gelegt hatte, durchs Dorf ging, von einem Trommler begleitet, alle hundert Schritte stehen blieb und von einem groben Stück Papier mit lauter Stimme folgendes ablas:

»Im Namen Peter Bureschs des Raubschützen und Anführers der Duschniker und ihrer lieben Freunde und Bundesgenossen! Männer von Duschnik! Freunde und Bundesgenossen der unterdrückten und beraubten Männer von Duschnik! Es ist ein Verräter in unserer Mitte. Unser gestriger Plan auf Obtschov war verraten – die Hinterlist und die getroffenen Vorsichtsmaßregeln unserer Feinde haben es klar gezeigt.

So wird euch hiermit zu kund und zu wissen getan, der Verräter in unserer Mitte ist zum Tode verurteilt. Jeglicher forsche nach dem Verräter seiner Heimat und seiner Brüder, auf daß das Urteil an ihm vollstreckt werden könne, vermittelst des Strickes am nächsten Baume. – Auf daß aber in Zukunft jeder Böswillige und Feindliche von dergleichen Schandtat abgeschreckt werde, und jede Art Verrat verhütet werde, verkündige ich als Kriegsartikel, geltend von heute, folgendes:

1. Jeder, der dem Feinde Pläne und Vorbereitungen, in welcher Absicht immer, mitteilt, wird ohne Gnade gehängt.

2. Jeder, der ohne Befehl oder Erlaubnis sich zum Feinde begibt oder mit einem aus der Reihe unserer Feinde mündliches oder schriftliches Wort wechselt, wird gehängt.

3. Jeder aus den Reihen unserer Feinde, der diesseits des Waldes mit oder ohne Waffen ergriffen wird, wird nach Umständen erschossen oder gehängt.

4. Nur ich, der Anführer, habe das Recht zu begnadigen.

Hierauf wurde das Blatt an den großen Kastanienbaum mitten im Dorfe angeschlagen. Die Bauern standen davor und ließen es sich noch einigemal vorlesen, bis sie sich an das so oft vorkommende » Hängen« gewöhnten, vor dem sie anfangs sehr erschraken. Der lange Tomesch aber wurde mit einer Abschrift der Kriegsartikel, die ebenso wie die erste der jüdische Lehrer besorgte, ohne Waffen nach Obtschov geschickt, um sie, wie Peter Buresch es wollte, auch dem Feinde bekannt zu machen, daß er sich danach halten könne.

Während in Duschnik so große Aufregung herrschte, war in Obtschov alles totenstille. Der Ungarmichel hielt vom Meierhofe aus so gute Wache, daß sich im Dorfe nichts zu regen wagte; von den Schießscharten flogen die Kugeln in die entferntesten Gäßchen, und die Bewohner konnten nur außerhalb des Dorfes durch die Gärten und Hintertüren zu einander gelangen. Durch sein Haus gedeckt, im Garten an einem langen Tische saß der alte Mika und schrieb, neben ihm der Kantor des Dorfes, der die Blätter kopierte, welche ihm der Richter vorlegte. Gegenüber saßen die Bauern, welche von Mika in den Rat gezogen waren, und sahen stumm und verwundert zu, mit welcher Leichtigkeit und Behendigkeit seine Feder übers Papier hinflog und wie zierlich er die großen Anfangsbuchstaben hinzuzeichnen und auszuschmücken verstand.

Endlich war er fertig, stopfte die Tintenflasche zu, legte die Feder darauf und nahm mit Gravität die Brille ab. Das wäre nun getan, sagte er, indem er selbstgefällig auf die beschriebenen Blätter blickte – alle Dörfer der Umgegend sind in würdigen und kräftigen Ausdrücken eingeladen, uns beizustehen und die gestörte Ordnung in unserer Gegend wiederherzustellen. Aber damit ist noch nicht alles getan. Wir sind nicht dazu da, uns mit Raubgesindel und Wilddieben herumzubalgen, auch steht es guten Untertanen schlecht an, sich selbst mit bewaffneter Hand Recht zu verschaffen. Wir müssen die Hilfe unserer Regierung erbitten, und so habe ich denn beschlossen, und ihr werdet nichts dagegen einzuwenden haben, nach Prag einen ausführlichen Bericht zu liefern über den Stand der Dinge, und der hohen Landesregierung anzuzeigen, daß mit bayrischen Waffen gegen uns gekämpft wird, daß es sich ganz und gar nicht um den Wald handle, sondern daß die ganze Geschichte ein Landesverrat und vom Auslande angezettelt worden sei, um Unruhen im Lande und hinter dem Rücken der kaiserlichen Armee zu erregen. Und so bin ich gewiß, daß wir uns bald der Hilfe unserer allergnädigsten Kaiserin und ihrer besonderen Gnade zu erfreuen haben werden.

Die Bauern schwiegen und nickten teilweise mit dem Kopfe. Der Bauernadvokat griff wieder zur Feder und legte einen groben Bogen Papier zurecht, auf welchem er die Eingabe aufzusetzen sich bereit machte.

Da sprang sein Sohn, Zdenko, der einzige, der ihm geblieben, nachdem sein ältester im ersten Kampfe bei den Fuchshöhlen gefallen war, plötzlich von seinem Sitze unter den Bäumen auf, eilte auf den Tisch zu und rief mit fast zorniger Stimme seinem Vater entgegen: Nein, das will ich nicht! das darf man nicht! das ist schlecht.

Was ist dir? – fragte der Vater erstaunt über die Aufregung des fast knabenhaften Jünglings, der sonst so schweigsam und sanft zu sein pflegte – was ist dir? – was hast du dagegen? –

Zdenko, der von seinem Vater nicht das Rednertalent geerbt hatte und es nicht so verstand wie dieser, seine Gedanken in langen und ausführlichen Worten auszudrücken, antwortete nur in abgebrochenen Sätzen, die er mit heftigen Handbewegungen begleitete: Nein, rief er, so geht es nicht. Wir sind Bauern. Wir sind Bauern auf beiden Seiten, gemeine Leute, und wir müssen unsere Sache unter uns ausmachen. Und es nach Prag zu schreiben an die Beamten, was hier vorgeht, das gefällt mir nicht. Nein, bei Gott, das gefällt mir nicht, das will ich nicht. Da hat vorigen Sommer der Lehoter Michel den Obtschover Juden angezeigt, daß er in Salz handelte, und da haben alle Leute gesagt, daß das schlecht war, und es war doch ein Jud. – Denn die Beamten und Herren sind unser aller Feinde, und ich will das nicht, daß wir die Duschniker anzeigen, denn sie sind gemeine Leute wie wir, und die andern sind unsere Feinde und ihre Feinde.

Es ist was Wahres daran – sagte der Kantor mit schüchterner Stimme vor sich hin – es ist nicht gut, wenn der Bauer gegen den Bauer hetzt und gar die Herrschaft.

Und sie sind unser aller Feinde – das ist auch wahr, murmelten die andern Bauern.

Aber das ist doch ein anderer Fall, als es mit dem Salzhandel und mit dem Juden war – sagte der Richter, sich verteidigend, da er sah, daß er allein blieb mit seiner Meinung – und das ist doch unsere rechtmäßige Herrschaft und der Bayer ist unser Feind und der Peter Buresch hält's mit dem Bayer.

Bayer oder Kaiserin, rief Zdenko Mika, das ist mir gleichgültig, davon versteh' ich nichts. Ich weiß nur, daß ich mich mit den Duschnikern balgen will, solang' es geht – ruft ihr aber die Soldaten her, so schwör' ich euch, Vater, ich vergess' es, daß mir die Duschniker den Bruder erschossen haben und lauf' hinüber zu ihnen und schieß mit ihnen auf eure kaiserlichen Soldaten.

Der Zdenko hat recht – murmelte ein alter Bauer. – Der Zdenko ist ein braver Junge, fügte der Kantor hinzu. – Wir haben nie viel gewonnen, wenn sich die Herren in unsere Geschichten gemischt haben – sagte ein dritter. – Und wir lassen es lieber sein – riefen die meisten mit Nachdruck, und der alte Mika, der besorgt seinen Sohn ansah, wohl wissend, daß er ausführe, was er einmal mit solcher Bestimmtheit ausgesprochen, und sich erinnernd, daß es nur noch sein letzter Sohn und Erbe sei – der alte Mika wurde weich, schob das Papier beiseite und sagte halblaut: Nun sollt ihr recht behalten!

Er wollte noch manches hinzufügen, um durch eine lange Rede den üblen Eindruck seines Vorschlages zu verwischen und um den Sohn zu versöhnen, der düster blickend dastand und von Zeit zu Zeit murrend Worte der Unzufriedenheit hervorstieß – aber er wurde gleich im Anfange seiner Rede gestört.

Der lange Tomesch nämlich, der im Hause stand und das ganze Gespräch belauscht hatte, trat plötzlich hervor, vielleicht in der boshaften Absicht, dem alten Mika seine Verteidigungsrede abzuschneiden. Bei seinem Anblick sprangen die Bauern auf, denn sie glaubten sich überfallen, und Zdenko Mika griff nach der Büchse, die im Grase lag. Aber der Lange tat, als ob er es nicht bemerkte, ebenso tat er, als ob er nichts gehört hätte und eben erst ins Haus getreten wäre. Er ging ruhig und kalt auf den Richter los und sprach: Einen schönen Gruß von meinem Herrn und Meister Peter Buresch. Hier schickt er Euch seine Kriegsartikel, damit Ihr Euch danach halten könnt.

Will er uns schon Gesetze geben? fragte höhnisch lächelnd der Richter.

Es ist nicht von Gesetzen die Rede – antwortete Tomesch – sondern bloß davon, daß er Euch eine Warnung zukommen läßt und wie er es gehalten wissen will. Das ist schön von ihm und ehrlich, und wenn Ihr dergleichen aufsetzt, wäre es nur billig, daß Ihr es auch uns zukommen lasset.

Der Wilddieb will mich lehren, was recht ist! – murmelte der Bauernadvokat, indem er Peter Bureschs Artikel las.

Tomesch achtete nicht auf den Hohn. Gott befohlen – rief er und ging wieder, wie er gekommen war, fort durchs Haus, hinaus auf den öden stillen Dorfplatz. Er kehrte noch beim Ungarmichel im Meierhofe ein, überzeugte sich vom Wohlbefinden seiner Waffenbrüder, die mitten im Hofe um ein großes Feuer herumlagerten und das vorgefundene Geflügel, Gänse, Hühner, Truthühner in köstliche Braten umwandelten, nahm ein gutes Mahl zu sich und kehrte mit Grüßen beladen und einigen gebratenen Hühnern in der Tasche erst spät am Abend gegen Duschnik zurück.

Der Bauernadvokat aber, da er mit seinem Vorschlage, die kaiserlichen Waffen zu Hilfe zu rufen, durchgefallen war, beschloß, noch diesen Abend einen Streich auszuführen und sich der lästigen Gäste im Meierhofe zu entledigen, kost' es, was es koste. Sie mit gewaffneter Hand herauszutreiben, hatte er aufgegeben; auch würde das wieder die andern Duschniker herbeirufen und viel Blut kosten. Er beschloß also, sie aus ihrer Festung herauszulocken, und sollte es auch auf die grausamste Weise geschehen. Wo aber den Mann hernehmen, der den beabsichtigten Streich ausführen sollte und der nun doppelt gefährlich war, nachdem Peter Buresch seine Kriegsartikel mitgeteilt hatte? Das beschäftigte den alten Mika den Rest des Tages – aber er wußte sich auch hier zu helfen.


 << zurück weiter >>