Moritz Hartmann
Der Krieg um den Wald / 1
Moritz Hartmann

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Fünftes Kapitel.

Am Tage nach jener blutigen Nacht lag eine dumpfe Schwüle auf den Gemütern der Duschniker. Sie fühlten, daß sie nicht mehr zurück konnten. Und wenn sie sich auch mit Widerwillen sagten, daß Peter Buresch sie überrascht und fast willenlos, in der Betäubung, in solche blutige Tat hineingezogen, so gestanden sie sich doch zugleich, daß, da die Sache einmal so angefangen, er der einzige war, der sie mit Kraft durchführen konnte. Sie fügten sich also willig allen seinen Befehlen und Anordnungen und folgten dem Beispiele seiner jungen Ordensbrüder, die längst gewohnt waren seinen Winken blindlings zu gehorchen. So war Peter Buresch der unumschränkte Beherrscher des Dorfes geworden. Ruhig saß er da in der Mitte des Dorfes und sah nach dem Walde, ob nicht sein Spion, Lunetta, komme, die er jeden Augenblick erwartete. Aber anstatt Lunetta trat aus dem Dunkel des Waldes ein alter, eigentümlich aufgeputzter Mann, den die Duschniker sogleich als den Kantor von Obtschov erkannten. Er war feiertäglich geputzt, trug einen langen, schwarzen Rock mit kurzem, steifem Kragen und langer, gelber Reihe von Metallknöpfen, die gewöhnliche grüne, pelzverbrämte Samtmütze, und gelbe Lederhosen, die in hohen, faltigen Stiefeln staken. Aber im Knopfloche steckte ein großer Rosmarinzweig, der die Mütze hoch überragte und mit weißem Atlasbande am Rocke befestigt war, und in der Hand hielt er eine Zitrone. So trat er vor Peter Buresch hin.

Ich komme, sagte er mit zitternder Stimme, ich komme, Liduschka, die Tochter Mikas, unseres Richters, die an den jungen Stroß verheiratet ist, zum Begräbnis ihres ältesten Bruders, Hinek Mika, einzuladen.

Der Leichenbitter fügte kein Wort hinzu – schweigend stand er vor Peter Buresch, dessen Antwort er erwartete. Den Duschnikern war's, als läge in seinen kurzen Worten ein großer Vorwurf und sie sahen verlegen zur Erde nieder.

Peter Buresch gab kalt mit der Hand ein Zeichen und der Leichenbitter ging auf das Haus Liduschkas zu.

Die Türe war geschlossen, denn Liduschka hatte seit dem Tode des alten Richters Angst, unter die Menge zu gehen. Sie fürchtete, daß ihre Ahnungen in Erfüllung gehen würden, und versteckte sich in ihrem Hause, wie ein Huhn, wenn der Geier über dem Dorfe kreist. Sie hechelte Flachs, saß am Spinnrocken, sang fromme Lieder und ließ so Tag um Tag vergehen, ohne die Riegel von der Türe zu schieben, und wußte von allem, was draußen vorging, nichts. Da pochte es.

Wer pocht? rief Liduschka.

Ich bin es, der Kantor aus Obtschov.

Jesus Maria, was ist geschehen? Was wollt Ihr, Kantor? Ich lasse niemand herein. Ich will nichts erfahren, nichts wissen. Der Kantor hat bei mir nichts zu tun.

Doch hatte sie schon zitternd und bebend die Hand an den Riegel gelegt – aber die Kraft fehlte ihr, ihn zurückzuschieben. Eine ungeheure Angst überfiel sie, die Zähne klapperten und halb ohnmächtig lehnte sie sich an die Türe, als wollte sie das Eindringen des Boten verhindern.

Arme Liduschka! seufzte der Leichenbitter.

Warum arme Liduschka? rief sie und riß die Türe auf. Aber als sie den Kantor als Leichenbitter geputzt vor sich stehen sah, fiel sie mit einem lauten Schrei auf die Schwelle und verdeckte das Gesicht weinend mit beiden Händen.

Der Kantor sah sie lange schweigend an, endlich sprach er: Dein ältester Bruder ist gestern von den Duschnikern getötet worden und ich komme, dich aufzufordern, ihm als treue Schwester die letzte Ehre zu erweisen und mir nach Obtschov zu folgen zu seinem Leichenbegängnisse.

Liduschka weinte bitterlich – endlich fragte sie furchtsam: Ist Peter Buresch zurück?

Seit gestern abend!

Und in der Nacht ist mein Bruder getötet worden – o, ich bin schuld daran! schrie sie, daß man ihren Jammerruf weit im Dorfe widerhallen hörte. – Schnell fort, daß ich ihn um Vergebung bitte, meinen teuren, toten Bruder! Und sie lief in die Stube, um sich nach der Sitte des Landes für das Begräbnis zu putzen.

Während ihr leise Träne auf Träne von den Wangen rollte, sang sie mit zitternder, von Schluchzen unterbrochener Stimme ein frommes Lied. So zog sie die roten Strümpfe an, die schwarzsamtenen Schuhe mit hohem rotem Absatz und grüner und weißer Stickerei, den schwarzen Samtspenzer, schlichtete das Haar über den Nacken, band die weichen goldenen Wellen mit blauem Samtbande zusammen und setzte die kleine, runde, steife Haube darauf. Dann eilte sie in den Garten, pflückte wilde Rosen, Rosmarin, Salbei und Sonnenblumen, um damit den Sarg des Bruders zu schmücken, und folgte dem Kantor, der sie vor der Türe erwartete. durchs Dorf.

Als sie sich dem Schwarme näherten, in dessen Mitte Peter Buresch saß und Befehle erteilte, schlug sie die Augen nieder, faltete die Hände vorn an der Brust und nahm den Seitenweg durch das Schloß. Der Leichenbitter aber ging auf Peter Buresch zu, um ihn noch im Namen der Obtschover zu bitten, sie drei Tage in Ruhe zu lassen, bis sie ihre Toten begraben hätten. Peter Buresch lachte und sagte; der Waffenstillstand ist euch gewährt, damit ihr eure Toten begraben könnt, vorzüglich aber darum, weil wir die Zeit auch für uns brauchen. Sage Liduschka, fügte er noch hinzu, daß sie sogleich nach dem Begräbnis in unser Dorf zurückkehren muß, wenn sie überhaupt noch zurückkommen will – denn von jetzt an in drei Tagen wird die Welt hier um euch ein ganz anderes Gesicht bekommen und keine Obtschover Maus wird ein Duschniker Weizenkorn zu stehlen imstande sein!

Als der Leichenbitter diese Botschaft an Liduschka bestellte, schüttelte sie nur bejahend den Kopf und lispelte: Ich werde kommen, denn ich gehöre ins Haus meines Mannes. – So gingen sie dem Walde zu. Liduschka sah mit ihrem tränenvollen Auge kaum den Weg, auf dem sie ging, und strauchelte bei jedem Schritte. Wie ruhig und ergeben sie auch schien, fürchtete doch der Kantor, daß sie jeden Augenblick in Klagen und Weinen ausbrechen und dem Schmerze unterliegen würde, der in ihr kämpfte. Um sie zu erheben und dem Schmerze in ihr einen gelinden Ausgang zu verschaffen, begann er laut ein heiliges Lied zu singen. Liduschka hauchte es anfangs nur so vor sich hin, bis sie immer lauter und lauter mit ihrem hellen Gesang einstimmte und fest nach der Melodie weiter wanderte. Zitternd und schön hallte das Lied in den mächtigen Föhren wieder.

Versenkt in ihr Lied und in ihren Schmerz, bemerkte sie nicht, daß eine flüchtige, in graues Faltenkleid gehüllte Gestalt dicht an ihnen vorbeischlüpfte, einem Rehe gleich, von Gebüsch zu Gebüsch. – Es war Lunetta, die Zigeunerin. In wenigen Minuten war sie im Dorfe und lag ihrem Herrn, Peter Buresch, zu Füßen. – Bist du da, mein kleiner Spion? sagte er lächelnd und klopfte ihr liebkosend auf die heißen Wangen. Was hast du gehört und gesehen? – Was hast du getrieben, kleine Eidechse?

Mein hoher Gebieter, erwiderte Lunetta hochaufatmend und betrübt – wieviel Trauriges habe ich gesehen – wie habe ich für dich gelogen und betrogen.

Auf dieses Wort hob sie Peter Buresch auf und führte sie aus der Menge, die sich neugierig herumdrängte, auf die Seite. Erzähle leise! sagte er und neigte sein Ohr herab, um aufmerksam zu horchen.

Wieviel Trauriges habe ich gesehen! wiederholte die Zigeunerin seufzend. Heute morgen kam der Zug zurück von Dubna nach Obtschov – viele Männer, je zu zweien eine Leiche tragend, begleitet von einer unzähligen Menge von Weibern und Kindern, die weinten und schrien und verfluchten die Duschniker und dich, mein hoher Chan. Aus den Häusern stürzten die Mütter, Schwestern und Väter, warfen sich über die Toten her und schwuren Rache den Duschnikern. Die Dubnaer schwuren mit, ebenso die Bewohner der andern benachbarten Dörfer, die auf das Gerücht von dem Kampfe herbeigeeilt waren und in Wut gerieten, als sie die Leichen der Gefallenen sahen. Ein altes Weib brachte ein Kreuz herbei und das Muttergottesbild vom heiligen Berge und sie ließ sie darauf schwören. Ein Kapuziner aus Mischek, der in Obtschov übernachtete, mußte ihnen darauf die Messe lesen und ihnen die Waffen weihen. Er sagte, er tue es gerne, denn die Duschniker seien Ketzer, alle angesteckt vom verstorbenen alten Richter, der ein verruchter Hussit war, und du, ihr Führer, seiest ein Heide, könnest die Tiere des Waldes beschwören und habest dich dem Teufel verschrieben. Nach der Messe mußte ich ihnen wahrsagen und ich prophezeite ihnen Sieg – dann mußte ich ihnen deinen Tod prophezeien, – sie hätten mich sonst geschlagen.

Du hast recht getan, meine kleine Katze – sagte Peter Buresch lächelnd, als ihn Lunetta bei diesen Worten ängstlich ansah. Man muß ihnen Mut machen, damit die Geschichte was Rechtes wird. Erzähle weiter.

Der alte Mika, fuhr Lunetta fort, warf sich verzweifelnd auf die Leiche seines Sohnes und verfluchte den Wald und seinen Kontrakt mit der Armee und die Kaiserin. Dann aber schickte er mehrere Wagen nach Dobrisch an den kaiserlichen Lieferanten und läßt von dorther Waffen holen, um die Dörfer zu bewaffnen. Dem Lieferanten ließ er sagen, er brauche sie gegen Rebellen, die einen Bauernkrieg beginnen wollten. Er wird die Waffen bekommen, hörte ich sagen, denn er hat's immer mit den Lieferanten und Offizieren zu tun und steht sich gut mit den Herren und Beamten als guter Untertan.

Verdammt! rief Peter Buresch und stampfte den Boden – Waffen, Waffen, wo nehme ich Waffen her?

Wird sich auch finden – brummte plötzlich eine tiefe Stimme hinter ihm. Buresch sah sich um. Da saß unter dem Kastanienbaume sein alter Bekannter Jakob Zerzog, der Scherenschleifer, ehemaliger Schmuggler aus Bayern, und ließ, gleichgültig vor sich hinsingend, ohne aufzublicken, sein Rad sausen und drückte das Messer an den Stein, daß es pfiff und Funken sprühte. Peter Buresch, der sich erwartungsvoll und mit einem Strahl von Hoffnung nach dem Manne umsah, der die Worte mit solcher Sicherheit ausgesprochen, ließ, als er den Redner erkannte, die Hoffnung schnell wieder sinken und rief ihm, verächtlich die Achseln zuckend, zu: deine Messer vielleicht und Scheren, du bayerischer Knödel? Damit mochtest du gegen kaiserliche Flinten zu Felde ziehen?!

Wird sich finden, wiederholte der Scherenschleifer mit derselben Sicherheit und Ruhe, ohne aufzublicken. Wenn du mit deiner Zigeunerin fertig bist, bitte ich um eine Stunde Audienz, mein edler Feldherr.

Ich bin fertig! sagte Peter Buresch, dem die so sicher ausgesprochenen Worte des Scherenschleifers doch überzeugend schienen. Auch kannte er seinen Mann vom Böhmerwalde her, wo er ihm oft an der Spitze einer Schmugglerbande begegnete, gefürchtet von den Oberreitern oder Grenzwächtern als einer der verschmitztesten und gewalttätigsten Kontrebandierer. Wie er von seinem Schleifsteine aufstand, die Klinge hinwarf, die Hände in die Taschen steckte und mit gemessenen ruhigen Schritten auf Peter Buresch losging, konnte man ihm wohl ansehen, daß bei ihm die Scherenschleiferei irgend ein anderes und komplizierteres Geschäft verstecke. Die reiche Kleidung, bestehend aus hohen, weit über die Knie gehenden Stiefeln, aus denen zwei feingearbeitete Messergriffe von Gemshorn hervorblickten, die dunkelbraune Samtweste mit Metallknöpfen, der breite grün und rot ausgelegte Gürtel, der noch mit silbernen Kettchen geschmückt war, der silbergraue weitfaltige Rock mit grünem Kragen und Aufschlägen, der sorglich gepflegte, weit herabwallende Bart, schwarz mit grau gemischt, die lange, schwarze Sackmütze, die mit dicker Quaste auf die rechte Schulter herabfiel – nichts ließ auf die Ärmlichkeit schließen, die sonst das Los der deutschen Scherenschleifer ist, welche gewöhnlich Böhmen durchziehen. Er legte die Hand auf Peters Schulter, winkte der Zigeunerin, daß sie sich entferne, und sprach also in immer gleich ruhigem Tone:

Peter Buresch, wir kennen uns und wollen nicht lange Geschichten machen. Leute unseres Gelichters verraten einander nicht. So sage mir zuerst, bist du ein guter Patriot?

Hm – ja, so nach meiner Art – antwortete Peter Buresch ungeduldig.

Hast du deine Kaiserin lieb? – fragte der Scherenschleifer weiter.

Was Teufel kümmert mich die Kaiserin! – die Kaiserin mag – ich glaube, Kerl, du willst dir einen Spaß mit mir machen! – rief Peter Buresch zornig und wandte sich, um fortzugehen.

Aber der Scherenschleifer fuhr mit gleicher Ruhe fort: Gut, du bist ein Patriot nach deiner Art, du liebst die Kaiserin nicht – und ich bin kein Scherenschleifer, sondern bin ein Spion, ein Aufreizer, Unruhstifter und Rebellionmacher in kurfürstlich-bayrischen Diensten.

Ein schönes Geschäft! lachte Peter Buresch und kehrte wieder zum Redner zurück.

Ja, sagte Jakob Zerzog, ohne sich stören zu lassen – so ist es. Die Händel in Klattau, in den Pirglitzer Wäldern, bei Joachimstal – alles mein Werk. – Deinem scharfen Wilddiebsauge hätte es nicht entgehen sollen, daß in mir was anders steckt als ein gemeiner Scherenschleifer. Zum Teufel! man wird aus dem Gebieter einer fünfzig Meilen langen Grenze kein gemeiner Scherenschleifer. Seine kurfürstliche Gnaden von Bayern haben auch sehr wohl eingesehen, daß es besser ist, mich zum Alliierten zu haben, als mit mir Krieg zu führen, und haben mich zu diesem Geschäfte mit glänzenden Bedingungen geworben. Es ist jetzt nichts mit dem Schmuggel, da es keine Grenzen gibt, dachte ich, hol's der Teufel! und schlug ein. – Wenn du mir nun versprechen willst, wie ich's von dir hoffe und wie ich's hoffte, als ich in den Pirglitzer Wäldern hörte, daß dich dein Vater hergeholt hat, um Händel einzurühren – ja, sage ich, wenn du mir versprichst, eine solche Geschichte einzurühren, daß sie in Prag und Wien nur acht Wochen lang glauben, es sei wieder so eine Art Bauernkrieg oder Hussitengeschichte – sollst du von mir so viel Waffen und Munition und Geld haben, als du nur willst und als deine Kerle versaufen können.

Alles, alles verspreche ich dir! rief Peter Buresch in großer Aufregung – alles, Bauernkrieg, Mord und Plünderung, tausend verbrannte Schlösser – nur Waffen, gib mir nur Waffen!

Und Jakob Zerzog beim Kragen fassend fuhr er eifrig und schnellredend fort: Siehst du, schon haben sich mit den Obtschovern andere verbunden – bald werden die Duschniker ihre Bundesgenossen haben – denn was die auf dem Berge tun, tun ihnen die im Tale nach und sie hassen sich auf den Tod, ganz ohne Ursache eigentlich und darum noch bitterer – vielleicht nur weil die auf dem Berge und die im Tale wohnen. Nach der legten Nacht können sie nicht mehr zurück. – Heute schicke ich noch Boten aus nach allen Dörfern diesseits der Litavka und fordere sie auf, sich uns und unserer gerechten Sache anzuschließen. Es wird alles gehen – in vier Wochen steht der ganze Brdywald in Brand – gib mir nur Waffen. – Siehst du, dort kommen sie schon von allen Seiten, die Müßiggänger und Brotlosen, um sich zu erkundigen, was es heute nacht gegeben. Jetzt sind sie nur noch Neugierige und gaffen dumm in die Welt hinein – drückt man aber so einem Tölpel eine Büchse in den Arm, wird's ein furchtbarer Kerl. Nur Waffen, Waffen!

Gut! sagte der Scherenschleifer – heute nacht gehst du und einige deiner Freunde mit mir in den Wald zu den Kohlenbrennern am Treboschnaberge, dort habe ich meine Niederlage. Jetzt aber geh fort von mir, daß sie nichts merken – dort schleicht schon einer um uns herum und scheint zu horchen!

Das ist der Kinnich, sagte Peter Buresch verächtlich – der ist nicht zu fürchten, der Dummkopf. Doch auf Wiedersehen heute abend zwischen hier und Lehota.

Peter Buresch ging zu den Bauern zurück, rief die Raubschützen zusammen und sprach also mit lauter Stimme: Brüder. ich habe sichere Nachrichten, daß die Obtschover einen großen Krieg beginnen wollen gegen uns, um Duschnik um all sein Hab und Gut zu bringen und die guten Bauern von Duschnik zu Bettlern zu machen. Sie suchen überall Bundesgenossen und schon haben sich ihnen die Bewohner von Dubna angeschlossen, diesen werden bald die Dörfer Dubenez, Liha, Dol, Langlhota und alle Dörfer jenseits des Waldes folgen, nur um auch Anteil zu haben an der Beute und um unseren schönen Wald nach Herzenslust ausreuten zu können. Es tut not, daß wir uns wehren bis auf den letzten Mann, solange noch ein Baum im Walde steht. Unsere Brüder im Tale werden uns nicht verlassen – sie werden uns beistehen im gerechten Kampfe. Schon sehe ich hier unter euch brave Nachbarn, die bei der ersten Nachricht vom Kampfe herbeieilten, um uns zu helfen. Das ist aber nicht genug, alle Dörfer des ganzen Tales müssen sich mit uns verbinden. Darum habe ich beschlossen. Boten auszuschicken die Litavka hinauf und hinab, auch in den Hurkawald und zu den Kohlenbrennern. Lhota, Obetznitz, Bratkowitz, Passek, Drahlin werden uns freundnachbarlich unterstützen. Die ihr Freunde, Verwandte, Gevatterschaften in den Dörfern habt, geht hin und besprecht euch mit ihnen, daß sie sich wieder mit ihren Freunden, Verwandten und Gevatterschaften besprechen und sich von jetzt in drei Tagen hier in Duschnik versammeln. Für Waffen brauchen sie nicht zu sorgen. Der Herr, der mit dem Gerechten steht, wird machen, daß wir nicht waffenlos dem Feinde entgegengehn. Sagt ihnen, daß es gelte, euer Eigentum, euer Recht zu verteidigen und daß, wenn ihr besiegt werdet von den räuberischen Obtschovern, in dieser rechtlosen Zeit bald auch die Reihe an sie kommen könnte. Sagt ihnen, daß man zusammenhalten muß in so rechtloser Zeit, um sich selbst Recht zu verschaffen. So geht und machet eure Sachen gut!

Auf die Bauern machten die Worte ihres Führers sichtlichen Eindruck. Was er von Recht und Eigentum, vom Herrn, der mit den Gerechten stehe, sagte, hatte ihnen besonders gefallen – sie wunderten und freuten sich über die klugen und frommen Reden, die sie von dem wilden Wilddiebe nicht erwarteten. Sie traten zusammen, besprachen sich lange und endlich sah man die angesehensten und wohlhabendsten aus ihrer Mitte hervorgehen und sich in ihre Wohnungen begeben. Bald kamen sie mit dem Hut auf dem Kopfe, mit dem Stocke in der Hand zurück und schritten grüßend den Ausgängen des Dorfes zu. Peter, der die Wilddiebe um sich versammelt hatte, sah es mit Lächeln an. Das wird gut! sagte er leise zu seinen Ordensbrüdern – den Alten werden die Alten folgen, die Jungen kommen von selbst, wo es was zu raufen gibt. Doch ist es gut, wenn einige von euch ihnen nachgehen und in den Schenken zu den Jungen sprechen. Sprecht ihnen weniger von Gott und der gerechten Sache und mehr von Beute und wilden Händeln und blutigen Köpfen. Aber vergeßt mir die Feuerarbeiter nicht – in den Schmelzhütten, Pochhämmern und Zainhämmern – was beim Feuer arbeitet, hat verbranntes Gehirn – die Kerle werden gut sein. Geht, euch habe ich nicht viel zu sagen – ihr versteht eure Sache.

In der Tat hatten sich schon, während Peter noch redete, einige seiner Genossen davon gemacht und eilten die Litavka hinauf und hinab, in den Wald, nach den Dörfern und nach allen Seiten, um aufzureizen und Bundesgenossen zu werben. Viele fanden bereits aufgelockerten Boden, denn schon vom frühen Morgen an zog der alte Buresch, mit seinem Kreuzstock in der Hand und dem gewaltigen Rosenkranz um den Nacken, durchs Tal und predigte mit wilden, düstern, feurigen Worten den Kreuzzug.

Aber Peter Buresch war mit seinen Verfügungen noch nicht zu Ende. Als die meisten Raubschützen sich entfernt hatten, streckte er sich ins Gras und winkte den einäugigen Slavik an seine Seite. Slavik streckte sich neben ihn hin und Peter Buresch flüsterte ihm mit gleichgültigem Gesichte, damit die Umstehenden es nicht merkten, daß von einem Geheimnisse die Rede war, folgendes ins Ohr: Gib wohl acht, blinder Zizka, auf das, was ich dir sage. – Es ist von Wichtigkeit, daß wir im Rücken unserer Feinde einen Bundesgenossen haben und der ist gefunden, wenn du dich klug benimmst.

Ich? – fragte der Einäugige und sah Peter Buresch erstaunt an. – Ich? ich soll mich klug benehmen? – und wieso?

Höre! Eine gute Stunde hinter Obtschov, wenn man durch Langlhota gekommen, die Prager Straße gegen das Jesuitenkloster in Oborschischt hingeht, am Ausgang eines kleinen Waldes, wo ein Gekreuzigter steht, führt ein Feldweg rechts ab, an einer langen Wiese vorbei in ein kleines, verstecktes Dorf, das Ribnik heißt, von dem großen Teiche zwischen diesem Dorfe und der fetten Pfründe von Heiligenfeld. Dieses Dorf Ribnik ist ein verfluchtes Ketzerdorf. Die Ribniker sind Hussiten und Utraquisten, oder auch Kalvinisten, oder Helviten, wie man sie heute nennt – verbissene Kerle, die die Bibel lesen, ihre Nachbarn hassen wie Pest und Ungeziefer. Sie gehen aus ihrem Neste nur heraus, um sich bei ihren Nachbarn über die Heiligen lustig zu machen und Händel anzufangen. Sie disputieren und bekommen dafür Beulen an den Kopf. Wenn manchmal nach einem Sturm ein Heiligenbild auf dem Felde umgestürzt ist, weiß man, daß es nicht der Wind getan hat, sondern die Ribniker. Die Jesuiten in Oborschischt lassen sie bestehen und schützen sie sogar, um immer Stoff zu Predigten zu haben – sonst wären sie längst ausgerottet. Zu diesen wirst du gehen.

Ich? – rief der Einäugige erschrocken und schlug ein Kreuz über Brust und Stirn – ich zu den Ketzern? – ich soll disputieren? –

Ja, du sollst zu den Ketzern – fuhr Peter ruhig fort – du hast in Sachsen so schöne niederträchtige Lieder auf den Papst und die Heiligen gelernt – die wirst du ihnen vorsingen und übersetzen und dich auch für einen Ketzer ausgeben und sie werden dich traktieren mit Fleisch und Bier, als wärst du ein Prediger. Du wirst sehen, wie bestialisch sie sich freuen werden und dir die Säcke füllen.

Das läßt sich hören! brummte der einäugige Slavik und streckte sein Ohr hin, um besser zu hören.

Dann wirst du ihnen so beiläufig erzählen, daß man nach dem Tode des alten Richters Matthei Stroß einen Kelch und ein altes Schwert unter seinen Dielen und eine Menge böhmischer Bibeln auf seinem Dachboden gefunden, und daß unser Krieg gegen die Obtschover weniger um den Wald, als ein Vermächtnis des alten Richters und ein Religionskrieg ist, denn die Duschniker wären eigentlich von ihm bekehrte Ketzer.

Ist das wahr? – rief Slavik und riß das eine Auge auf so weit als möglich.

Wahr oder nicht wahr – sagte Peter Buresch – das geht dich nicht an – du mußt es so erzählen und mußt ihnen weiter sagen, daß wir die Brüder Jesuiten in Oborschischt alle braten wollen, wie es der kahle Prokop getan, daß wir die Pfarrei der Kreuzherrn in Pitschin und die fette Pfründe in Heiligenfeld plündern und ihre Felder an die Armen verteilen wollen und daß wir der heiligen Mutter Gottes vom heiligen Berge den Perlmantel ausziehen und ihr ihre diamantenen Augen ausstechen wollen.

Jesus Maria und Josef, steht uns bei, und heiliger Johannes von Nepomuk, hilf! – schrie der Einäugige entsetzt.

Hast du was dagegen? fragte Peter Buresch lachend.

Es ist eine große Sünde! – sagte der andere und zog ein langes Kreuz über den ganzen Leib – aber als guter Wilddieb und Soldat werde ich's sagen, wenn du es befiehlst.

Vielleicht auch tun? – fragte Peter Buresch lachend.

Auch tun – antwortete Slavik seufzend.

Du sagst den Ketzern ferner – fuhr Peter Buresch fort – daß ich selber ein Ketzer sei, daß ich, wie du selbst einmal gesehen, im Walde den Brüdern predige und zu Ostern ihnen Brot und Wein gebe und aus der böhmischen Bibel vorlese. Und wenn dann die Ribniker nicht anbeißen und den Obtschovern nicht in den Rücken fallen, so bin ich nicht wert, je wieder einen Hasen zu schießen. Jetzt geh und sei binnen zwei Tagen zurück.

Der einäugige Slavik übergab seine Büchse einem Ordensbruder, bekreuzte sich und ging, wie ihm Peter Buresch befohlen hatte.

Der Abend fand Peter Buresch auf dem Wege zum Treboschna, jenem schwarzen, waldbewachsenen Berge, der das Litavkatal im Westen abschneidet und der von Kohlenbrennerhütten und Kohlenmeilern bedeckt ist. An seiner Seite ging der ehemalige Schmuggler, jetziger Scherenschleifer Zerzog aus Bayern, und ihnen folgten mit drei Wagen einige vertraute Wilddiebe, um die Waffen zu laden, die Zerzog versprochen hatte. Peter Buresch war sehr schweigsam. Der bayrische Aufwiegler hielt es für nötig, ihn noch einmal aufzufordern, aus der Sache was Rechtes zu machen, daß sie doch einen Klang gebe, und, wie er lächelnd hinzufügte, dem Namen Peter Buresch Ehre mache. – Dieser aber antwortete ungeduldig: Hab' ich die Sache angefangen, werde ich sie auch ordentlich durchführen – und hab' ich einmal Waffen, so kann ich nicht anders als Gebrauch und gehörigen Gebrauch davon machen.

Der Scherenschleifer war mit dieser ungeduldigen Antwort zufrieden und gab seine Hoffnungen auf Peter Buresch nicht auf, selbst als dieser nach einigem Nachdenken mit fast trauriger Miene vor sich hinsagte: Es ist doch ein eigenes Ding um die Jagd. Das Schießen auf die Menschen macht einem nicht halb so viel Freude als ein Schuß auf das Wild des Waldes. – Das kommt daher, daß man so einen Hirsch, so ein Reh, so einen Fuchs, so einen Bären aus innerstem Herzensgrunde lieb hat, und weil man's ihnen nicht sagen kann und weil sie vor einem fortlaufen, jagt man ihnen eine Kugel nach. Es ist immer ein Stück vom eignen Herzen, das man mit dem Blei in die Büchse ladet, und jeder Schuß ist wie eine Liebeserklärung. Aber die Menschen? – Wer liebet die Menschen?

Aufsteigende Rauchsäulen zeigten den Wanderern das Ziel ihrer Wanderung. Der Kohlenbrenner, der inmitten mehrerer rauchenden Meiler saß, deutete auf einen unangezündeten, kunstvoll geschichteten hin. Die Raubschützen warfen die Scheite auseinander und bald zeigte sich der edle Schatz, den sie verdeckt hielten. Prächtige, im Mondschein schimmernde Waffen glänzten ihnen entgegen.

Sie luden sie auf die drei Wagen und fuhren gegen Duschnik zurück. Die ersten zwei schickte Peter ins Dorf, mit dem dritten machte er einen langen Umweg den Berg hinauf jenseits Duschnik, an den Hämmern und Teichen vorbei, und hielt erst vor dem Hügel, der sich dort erhebt und die länglichgrüne Ebene, welche auf dieser Stelle den Wald durchschneidet, in auffallender Weise unterbricht. Siehst du, Hynek, sagte er zu dem Wilddiebe, der den Wagen lenkte, dieser kostbare Hügel war jahrelang mein sicherstes Versteck, wenn ich von dem gnädigen Herrn verfolgt war – denn dieser Hügel ist eigentlich nichts anderes als ein altes, verfallenes, von Erde bedecktes und grasbewachsenes Schloß. Die Bauern erzählen sich zwar, daß einmal vor Hunderten von Jahren hier ein Schloß versunken ist, und nennen den Hügel auch das alte Schloß – so klug waren sie aber nie, hier nachzusuchen, wieviel an der Geschichte wahr sei. Vielleicht haben sie Angst, denn es heißt, das Schloß habe einem ketzerischen Herrn angehört und sei versunken, da er an einem Sonntage die Bauern zum Fronden gezwungen und die vorüberziehenden Pilger zum heiligen Berge verhöhnt habe. Dummes Zeug! das Schloß ist zusammengesunken, weil es alt war und damit ich hier ein gutes Waffenmagazin und Pulverlager errichten könne, das mir kein Hamster ausspionieren soll.

So sprechend wälzte Peter Buresch einen gewaltigen Stein vom Fuße des Hügels. Hynek folgte ihm durch die Höhlung, die sich auftat, und merkte bald an den hallenden Schritten, daß er sich in einem weiten, hohen Gewölbe befand. Peter Buresch schlug Feuer und zündete einen Kienspan an, der an der Öffnung bereit lag, und vor Hyneks Blicken zeigte sich eine schöne, hochgewölbte Stube. Die alten gotischen Zieraten an den Wänden waren von neuen, aus Hirschgeweihen, Gemshörnern, Tierfellen aller Art und ausgestopftem Gevögel bestehenden Verzierungen bedeckt. In einer Ecke standen die Pulversäcke, welche Ihre Majestät die Kaiserin aus dem Magazin des Przibramer Bergwerkes geliefert und der schwarze Tomesch abgeholt hatte. Dort legten sie die Waffen hin und schoben den Stein wieder vor die Öffnung. Ruht, ihr schönen Büchsen, sagte Peter Buresch im Fortgehen, ruht, bis ich euch zur Auferstehung rufe – hier seid ihr sicher vergraben, und Ihrer Majestät Beamten und Spione werden euch den bayrischen Geruch nicht abriechen!

Peter Buresch wußte nicht, daß Kinnich aus Obtschov kam und, um es im Dorfe nicht merken zu lassen, einen Umweg machte, und in der Nacht am alten Schlosse vorbei schlich, wo er zuerst spukende Geister zu sehen glaubte, bis er sich überzeugte, daß es Menschen waren, die von bayrischen Waffen sprachen. Er schlug sich vor den Kopf und murmelte vor sich hin: Das hat heute morgen der bayrische Scherenschleifer mit ihm gesprochen!


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