Moritz Hartmann
Der Krieg um den Wald / 1
Moritz Hartmann

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Achtes Kapitel.

An wieviel Böses und Trauriges auch die Obtschover schon gewöhnt, wie sehr sie auch seit Besetzung des Meierhofes, der sie beherrschte, jede Stunde auf neue traurige Ereignisse gefaßt waren – so überkam sie doch ein panischer Schreck, überlief sie doch ein ungewohntes Grauen, als sie des Morgens nach dem Walde blickten und dort am äußersten Baume die Leiche Hynek-Cölestins erblickten, die im Morgenwinde sanft bewegt hin und her schaukelte. Sie erzählte ihnen, wie sehr es Peter Buresch mit seinen Kriegsartikeln und seinem Kriege Ernst, sei und gab ihnen die Überzeugung von der Unerbittlichkeit des Raubschützen. Sie konnten ihre Blicke nicht abwenden von des gehenkten Laienbruders sanftem und traurigem Gesichte. Es war nicht verzerrt und entstellt, sondern neigte sich friedvoll und wie schlummernd auf die rechte Schulter, was die Sage, welche einige Tage später sich verbreitete, nur bestätigen konnte, daß seine Begleiter und Henker ihm barmherzig erst eine Kugel durchs Herz jagten, bevor sie ihm die schimpfliche Todesart des Hängens antaten. Spät erst kamen einige Burschen zur Besinnung, schlichen sich am Meierhofe vorbei, hinaus an den Baum und befreiten ihn von seiner Last, während Männer und Weiber aus der Ferne zusahen und Peter Buresch verwünschten, daß er es gewagt, Hand zu legen an einen, der ein halber Priester gewesen. Sie riefen des Himmels Flüche auf ihn herab und alte Weiber wagten sich bis an den Eingang des Meierhofes und prophezeiten vor den Augen und Ohren des Ungarmichels das gleiche Schicksal seines Herrn und Meisters. An das kleinere Unglück Zdenkos, an seine Gefangenschaft dachten sie im Angesichte des Todes nicht, nach Art der Bauern, die nur das Fertige und Vergangene beurteilen, aber es nicht lieben, von einer Tatsache auf die andere zu schließen.

Nur einer tat es und dieser eine war Zdenkos Vater. Der alte Mika hatte schon in der Nacht die Gefangennehmung seines Sohnes erfahren – er wälzte sich im Grase seines Gartens und weinte und jammerte, ohne einen Augenblick den Gedanken an die Rettung seines einzigen Erben aufzugeben. Als man ihm beim ersten Morgengrauen die Nachricht brachte, daß am Eingange des Waldes eine Leiche hänge, sprang er schreiend auf und eilte händeringend hinaus, um nachzusehen, ob es nicht sein Sohn sei, den die Duschniker hingerichtet hatten. – Wie sehr auch Zdenko und Cölestinus an Gestalt und Antlitz verschieden waren, mußte er doch mehrmals hinsehen, um sich zu beruhigen, denn sobald er die Augen abwandte, malte ihm seine Angst den eigenen Sohn dahin, wo der arme Laienbruder im Morgenwinde sich wiegte, und das schien ihm eine traurige Prophezeiung dessen, was morgen geschehen könnte, wenn er nicht alles tat, um es abzuwenden. Erst als sie die Leiche Hynek-Cölestins hereinbrachten, ging er etwas ruhiger nach Hause. Es mußte etwas geschehen – aber er wußte nicht was. Die Anzeige machen? Er hatte Zdenko versprochen, es nicht zu tun, und das Versprechen schien ihm jetzt heilig, da Zdenko für ihn ein Sterbender war. Mit schwankenden Schritten und gebeugten Hauptes ging er in der Stube auf und ab, von einem Winkel zum andern, dann von der Türe zum Fenster, dann wieder im Kreise herum – schob die lange, rote Tafel des Tisches beiseite, um sich einen neuen Weg zu machen, als ob er fürchtete, auf seine früheren Schritte zurückzukommen – dann blieb er im Winkel hinter dem Ofen stehen und lehnte müde die heiße Stirne an die kalten Ziegel – dann wieder lehnte er sich mit dem Rücken an, als ob er sich wärmen wollte, und schüttelte sich vor Frost. Mehrere Male nahm er die Feder zur Hand, glättete das Papier, begann zu schreiben und schob plötzlich das Schreibzeug wieder zurück und sprang auf und fing seine Reise durch die Stube aufs neue an. Er zog mehrere Bücher aus dem Schranke, schlug sie auf, starrte gedankenlos hinein – warf sie wieder zu und in den Winkel und lief von Angst getrieben hinaus in den Garten. Da hörte er die lustigen Stimmen der Duschniker auf dem Meierhofe – die Sonne leuchtete so hell, die Vögel sangen so frisch – er konnte es nicht ertragen und lief zurück ins Haus, die Treppe hinauf auf den Boden. Matt und müde blieb er vor einer alten, bestaubten Kiste sitzen. Die Gedanken waren ihm ausgegangen. Ohne zu wissen, was er tat, hob er den Deckel auf und sah in den leeren Raum der Kiste und bückte den Kopf immer tiefer und starrte den staubigen Boden an und ließ den Blick unverwandt in einem Winkel hangen, als ob er die Spinnen dort beobachtete, die er doch gar nicht sah. Der Bauernadvokat war mutlos und plötzlich alt und gebrochen. Eine dumpfe Stimme wiederholte immerwährend in ihm: des Kontraktes wegen, des Geldes wegen hast du's so weit gebracht – hast du beide Söhne ermordet – du bist schuld daran. Der Angstschweiß stand ihm kalt auf der Stirne, während das Blut heiß und pochend durch die alten Adern rannte. Endlich sprang er auf. Er schüttelte den Kopf, der von der gebeugten Stellung schwer geworden und in dem es düster summte und brummte, sah ins Sonnenlicht, streckte sich mit Gewalt und ging ruhigen Schrittes wieder hinab in die Stube. Offenbar hatte er sich wieder gefaßt, war er zu einem Entschlusse gekommen. Er nahm seinen langen, mit silbernen Knöpfen besetzten Rock aus dem Schrank und zog ihn an, setzte die grüne Samtkappe auf und darüber den großen, breitkrempigen Filzhut, der hinten aufgeschlagen war, nahm das lange, mit Quasten verzierte spanische Rohr in die Hand und ging hinaus durch den Garten und hinter dem Dorfe herum nach dem Walde – durch die Duschniker Vorposten durch – ernst, würdig, gravitätisch – daß sie ihn nicht aufzuhalten wagten – zu Peter Buresch.

In der Tat, wie er dahinschritt durch den Wald, neu gesammelt, mit frisch zusammengeraffter Kraft nach überwundenen Stunden des dumpfsten Schmerzes, der noch in ihm nachzitterte und das bleiche Gesicht mit sanfter Röte bedeckte – lag eine gewisse Würde auf ihm, die Ehrfurcht einflößte. Nicht der verschmitzte, feine Bauernadvokat, der seine Umgebung zu benutzen wußte, war er in diesem Augenblicke; nicht den Spekulanten und Handelsmann verriet sein Gesicht – es war der Vater, der dahinging, seinen Sohn zu retten, bereit, jedes Opfer zu bringen, bereit zum schwersten: sich zu erniedrigen, zu unterhandeln mit einem Menschen, der außer dem Gesetze stand, mit einem besitzlosen Abenteurer, mit einem Wilddiebe, auf den er herabsah; ja bereit, seine Knie zu umklammern und ihn anzuflehen, das Leben seines Sohnes, den Erben seines Namens großmütig und gnädig zu verschonen – und endlich war es der Vater, der dahinging, sich den bewußten Stolz zu retten, jenen Stolz, den nur der Bauer und der Adel kennt und der den mittleren Klassen unbekannt ist, der Stolz des festen Besitzes, des Sitzens auf eigenem Grund und Boden, der auf Jahrhunderte zurückweist und hoffnungsreich und sicher Jahrhunderten entgegenblickt. Der alte Mika ging hin, seinen Majoratserben zu retten, ausgerüstet mit Aufopferungslust, mit Stolz und mit Liebe. – So war er schön und würdig anzusehen – denn aller Stolz und alles bessere und weichere Gefühl, das er jetzt in sich trug, drückte sich in jedem Schritte, in jedem Blicke, in jeder Bewegung, in der ganzen Gestalt des alten Mannes aus. Denket an Priamus, den einst stolzen, nun gebeugten und hinfälligen König, den Gemahl der »schlottrigen Königin« Hekuba, der dahingeht, den Sohn, wenn auch als Leiche, vom stolzen Peleiden zurückzufordern!

Die Duschniker, durch deren Reihen er ging, grüßten den alten Mika unwillkürlich, anstatt ihn aufzuhalten. Man begreift's, daß sich die Obtschover von dem regieren lassen – sagten sie, ihm nachsehend, um sich vor sich selbst zu entschuldigen, da sie einen gewissen Respekt vor dem Feinde in sich aufsteigen fühlten. Selbst Peter Buresch stand bei seinem Herannahen vom Stein auf und ging ihm entgegen. Der alte Mika ging abseits an einen alten Steinhaufen, der von Brombeer- und Himbeerstauden bewachsen war, und setzte sich in den Schatten, und winkte Peter Buresch ein gleiches zu tun.

Peter Buresch fühlte sich einen Augenblick ebenso wie jene beherrscht durch die trauernde Würde und den gedankenvollen Ernst des alten Mika, und gehorchte unwillkürlich. Mehrere Minuten saßen sie in Schweigen versunken nebeneinander; Peter niederblickend aufs Gestein und die Eidechslein beobachtend, die zu seinen Füßen hin und her schlüpften; Mika, seinen langen Stock gerade vor sich hinhaltend und das Kinn auf den Knopf gestützt, betrachtete prüfend die harten Züge seines Gegners. Doch konnte die Herrschaft, welche der Alte über den Raubschützen ausübte, nur kurze Zeit dauern. Schnell besann sich Peter Buresch und sagte sich, daß es nicht Zeit sei, vor den grauen Haaren, vor dem ernsten Gesichte seines Feindes, der offenbar mit ihm zu unterhandeln kam, allzugroßen Respekt zu haben. Er fragte sich: ist es nicht der Bauernadvokat, der vor dir sitzt? – der Freund und der Günstling der Beamten? der Schreiber und Käufer verwickelter Prozesse? – der Spitzbube, vor dem man auf jedem Pferdemarkt auf seiner Hut sein muß? der Geizhals, der in Strümpfen alte Kronentaler sammelt? Wie einen Schild gegen das Übergewicht des alten Bauernadvokaten, holte er aus dem kältesten Winkel seines Herzens das kälteste, spöttischste Lächeln hervor und schob es vor sein Gesicht, das er in einem unbewachten, schwachen Augenblicke ehrfurchtsvoll gezeigt hatte. Der alte Mika, der ihn erriet, ließ sich dadurch nicht stören und begann mit fester, gehaltener Stimme, in welcher der innere Kampf der letzten Stunden nur noch leise nachzitterte, also:

Peter Buresch, du hast meinen Zdenko gefangen, als er in der unschuldigen Absicht kam, sein Schwesterlein zu holen.

Ja, das tat ich! antwortete Peter kurz.

Was denkst du mit Zdenko anzufangen?

Was ich mit ihm und Liduschka, Eurer Tochter, anfangen werde, hängt von Euch ab, Richter Mika.

Du wirst doch nicht so wahnsinnig sein, deine Kriegsartikel auf sie anwenden zu wollen?

Gewiß werde ich so wahnsinnig sein. Hynek-Cölestinus, der arme Junge, den Ihr schändlich mißbraucht habt und um den es mir in meiner Seele leid tut, hat Euch gezeigt, daß ich mit meinen Kriegsartikeln Ernst mache – ich werde es um so mehr mit dem einzigen Sohne und Erben meines Feindes.

Peter Buresch, fuhr der alte Mika in gleich ruhigem Tone fort, du weißt, daß ich dich in meiner Hand habe. Du weißt, daß ich weiß, daß du bayrisches Geld und bayrische Waffen bekommen hast und noch bekommst.

Ich weiß es – ich weiß, daß Ihr mich in Eurer Hand habt, daß Ihr einige Kompagnien gegen mich könnt marschieren und mich hängen lassen wie einen Hund – darum ist es gut, daß ich auch Euch in meiner Hand habe und schwöre es Euch bei allem, woran Ihr glaubt, daß, sobald ich erfahre, daß Ihr den geringsten Wink nach Prag gegeben, ich meinen Wink gebe und Euer Sohn hängt am nächsten Baume.

Der arme Zdenko, der schuld daran ist, daß nicht schon jetzt das hohe Landesgubernium die Anzeige in der Hand hat? – seufzte Mika und es lag ein Ton des Vorwurfs in seiner Frage.

Ich weiß es, antwortete Peter, und es täte mir leid um ihn, er ist ein guter, braver Junge, aber die Sünden der Väter werden an ihren Kindern gestraft, und jeder muß sich seiner Haut wehren und bittere Rache ist süß.

Der alte Mika schwieg. Ein schwerer Seufzer hob seine Brust, den er vergebens niederzuringen strebte. Er begann am ganzen Leibe zu zittern und der Stock, den er bisher, wie eine Stütze, krampfhaft umklammert hielt, entfiel seinen Händen. Er legte sein Haupt, um es zu stützen, an die Steine und glitt mit dem ganzen Körper, den er nicht mehr schien bemeistern zu können, tief hinab, so daß er gegen seinen Willen wie ein Flehender zu Füßen Peter Bureschs lag. Sein ganzer Stolz war dahin. Er breitete die zitternden Arme aus und rief: Gib mir meinen Sohn wieder und nimm mein Haus und meine Felder! Keine Axt soll mehr an euren Wald gelegt werden, das schwör' ich dir bei der heiligen Jungfrau vom heiligen Berge, und sollte ich als Bettler, verachtet und gedemütigt, von Dorf zu Dorfe ziehen, bis ich hinter irgend einer Hecke mein elendes Leben aufgebe, wie ein herrenloser Hund – nur daß der unglückselige Streit um den Wald ein Ende habe!

Peter Buresch lächelte. Dein Haus, deine Felder – sprach er – kann ich nicht brauchen, ich bin der Heimatlose und will kein Eigentum, das sich an meine Ferse hänge, und um den Wald, das weißt du, handelt es sich auch nicht mehr. Auch bin ich kein Menschenverkäufer und will weder mein Leben erkaufen, noch das Leben deines Sohnes verkaufen. Er ist mir ein gutes Pfand, daß du dich nicht rührst und zum Verräter werdest an deinesgleichen bei den Beamten und Herren. Doch gibt es ein Mittel, ihn zu retten. Schließe dich uns an!

Der alte Mika schüttelte traurig den Kopf.

Das kann ich nicht – sagte er leise, doch entschieden, ohne sich lange zu besinnen.

Schließe dich uns an – wiederholte Peter Buresch dringend – geh mit uns, alter Bauernadvokat! Sieh, ich gebe den Bauern das Vertrauen auf ihre Kraft, du, der Mann des Gesetzes, der alte Bücher liest, wirst ihnen das Vertrauen auf ihr Recht geben, das sie noch notwendiger brauchen. Was hast du zu fürchten? Mit dir gehen alle Dörfer jenseits des Waldes – so sind wir stark genug, den Anschluß der Bauern aus dem ganzen Brdywalde abzuwarten. Die geschundenen Untertanen der kaiserlichen Herrschaften im Blanskywalde werden uns mit Jubel zustürzen, und mit ihnen die Scharen von Eisenarbeitern und Kohlenbrennern der Pirglitzer und Fürstenbergischen Wälder, die ausgehungert sind, daß sie Baumrinde mahlen und Brot daraus backen. So wird es hinaufgehen bis Pleß und Joachimstal, zu den mageren Bergleuten. Wir alle haben einen Halt an Bayern, das uns den Rücken deckt – ebenso wie die Chlumetzer Bauern, aus alter Zeit unruhige Köpfe, an Preußen. Zeige ihnen nur die Schlösser mit ihren Schüttböden und die Klöster mit den verborgenen Schatzkammern und du wirst sehen, wie sie uns zustürzen zu Tausenden, unwiderstehlich und gewaltig und das alles, während die Kaiserlichen mit hundert Feinden sich zu schlagen haben. Wenn jemals eine Zeit da war, Recht und Rache zu nehmen am übermütigen Herren- und Beamtenpack oder den Blutegeln von Pfaffen, so ist es jetzt. Und haben die Bauern nicht recht? Fühlst du nicht die Notwendigkeit, alter Mika, dir auch einmal Recht und Rache zu verschaffen? Dich aller Lasten und Hudeleien abzutun? Schämst du dich nicht vor deinem Ackergaul, der sich bäumet, wenn du ihm einen Schlag zu viel gibst?

Das kann ich nicht! – wiederholte Mika wie zuerst mit hängendem Kopfe, mit demselben Tone der Stimme, und mit einer Art von Stolz fügte er hinzu: Ich bin ein Mann des Gesetzes. Wenn mir ein Unrecht geschieht, setze ich mich hin und schreibe, und setze alles klar auf und mache meine Eingabe an das Amt – und wenn ich einen Bescheid bekomme, der mir nicht behagt, fange ich von vornen an, setze meine Schrift noch klarer auf, berufe mich auf die Gesetze und gehe durch die Instanzen. Es geschieht mir auch selten unrecht – denn ich stehe gut mit den Beamten und weiß mich auch an ihnen zu rächen. Ich führe auch einen Krieg – ich liege auch im ewigen Kampfe, aber immer mit dem Gesetze in der Hand, und ich gewinne mehr als die Herren und Beamten – ich arbeite nicht, ich betrüge sie, ich mache Lieferungen und bekomme zehnmal soviel von der Kaiserin zurück, als ich ihr an Steuern zahle, und die Herren und Beamten, vor denen ich mit dem Hute in der Hand stehe, sind erbärmliche Hungerleider neben dem alten Mika. – Das ist mein Krieg – sehe jeder, wie er sich helfe – jeder hat seinen Kopf – mancher nur seine Arme – doch steht jeder auf eigenen Füßen. Ein anderer Krieg – das ist wider meine Natur. – Und mit Preußen und Bayern mich einlassen, das ist gegen die Anstammung, gegen die Kaiserin, das ist wider das Recht – wir gehören den Habsburgern.

Gehören? – schrie Peter Buresch, indem er aufsprang. – Angehören? – keinem Menschen gehöre ich an – erst wenn mich einer totgeschlagen, gehöre ich ihm an, früher wehre ich mich. – Und was das Recht und die Anstammung betrifft, kannst du dich beruhigen. Ich weiß, was man in Bayern weiß, von Urkundenfälschung und Diebstahl, und daß, wenn es nach der alten Geschichte von Urkunden und Erbschaften gehen sollte, wir jetzt dem Bayer angehören müßten und nicht dem Österreicher.

Das sind Dinge, die wir nicht wissen können und nehmen müssen, wie man sie uns sagt, und über die wir nicht disputieren können, Peter Buresch – ich bin gekommen, dich um meinen Sohn zu bitten.

Geh mit uns und du sollst ihn haben – rief Peter ungeduldig.

Ich kann nicht! seufzte Mika, indem er aufstand.

So sollst du auch deinen Sohn nicht haben!

Hilf mir Gott! seufzte Mika – du versprichst mir aber ihn zu schonen?

Solange du nicht die Anzeige nach Prag machst.

Ich schwöre es dir, rief Mika.

So kannst du ruhig sein, antwortete Peter – er bleibt mir nur als Unterpfand deines Schwures.

Lebe wohl! sagte Mika. und ging waldeinwärts. Wie er den Rücken wandte, verwandelte sich auch der Ausdruck seines Gesichtes. Die Trauer, die Würde, der Stolz waren verschwunden – ein schlaues, boshaftes, kluges, mit sich selbst zufriedenes Lächeln bedeckte es. Ich habe dir nur geschworen, murmelte er, die Anzeige nicht nach Prag zu schicken – dummer Dieb, ich heiße nicht umsonst der Bauernadvokat!

Aber seine ganze Heiterkeit gewann er erst, als er wieder in Hemdärmeln auf seiner Stube am Tische saß, die Feder in der Hand, einen großen Bogen vor sich, zu schreiben begann:

 
An die ehrwürdigen Väter von der heiligen Gesellschaft Jesu im Kloster zu Oborschischt.

Ehrwürdige und heilige Väter!

Sintemalen ich schließlich und Ergebenst gefertigter Bauer und Dorfrichter von Obtschov beides bin, ein treuer und Unterthänigster Knecht, Bauer und Unterthan Ihrer Mächtigsten Majestät der Kaiserin, als wie auch ein allergetreuester Sohn, Mündel und Knecht der Allerheiligsten Kirche und Ihrer Priester und Diener, meiner Herrn und Gebiether, als Leiter zum Seelenheil und Ewigen Leben – als welchen mich alle Beamten und Herren, so wie auch viele Attestate und Zeugnisse hinstellen und als welchen mich auch die Heiligen Väter von der Gesellschaft Jesu Nicht leugnen werden – nehme ich mir in Ersterbender Unterwerfung und Demüthiglichkeit die Erlaubniß Eure Hochwürden Eine Besondere anzeige zu machen, von einer Spetzies Facti, als welche sich seit mancher Zeit im Lande zuträgt.

Eure Hochwürden Heilige Väter: Es hat sich nämlich so zu sagen ein Ereigniß aufgethan im Dorfe Duschnik und in dem ganzen Thal am Bache der Litavka, als welches Ereigniß ein wahrhaftiges Factum und Gewaltige Awanture und Felonie wenn nicht schon ist, in Baldiger Frist werden Kann und Wird. Indeme im besagten Dorfe Duschnik noch nicht besagter Peter Buresch, ein Wilddieb und Verwogener, im ganzen Böhmerwalde Verrufener Pursch, sich als Anführer nennt und nichts anderes ist, als wie ein Gottesleugner, welcher die Heilige Jungfrau vom Heiligen Berge wie alle andern heiligsten Heiligen Verachtet und auch den Weltlichen Antoritäten, Magistraten, Richtern, Beamten, Herrschaften bis auf die Höchste Kaiserin hinauf nicht den geziemenden, schuldigen, Ersterbenden Respekt beweist, Sondern vielmehre wie die Heiligen Diener der Kirche ebenfalls verachtet und despektirt als Nicht ziemlich ist und gesetzlich – ja und endlich sich sogar zur Uiberfülle mit dem Feinde Ihrer Majestät der Kaiserin verbunden, mit dem Churfürsten von Baiern Gnaden zum Zweck und Mittel einen Gewaltigen Krieg und Aufruhr sammt Rebellion im Böhmerlande zu Erregen als man seit Zizkas Zeiten nicht gesehen, ebenfalls die Klöster und heiligen Kirchen zu Zerstören, Güter unter tummes Pauernvolk zu vertheilen, wie schon alles in alten Zeiten da gewesen, von den Herrschaften zu befreien, wozu Alles benamster Peter Buresch bairisches Geld in Hülle und bairische Waffen in Fülle gewißlich erhalten hat, was ich Alles durch Eid und Zeugen und durch den Duschniker praven Pauern und Angesessenen Martin Kinnich eidlich niederlegen als auch beichten kann, nach Eur Hochwürden Wunsch, Befehl Ermessen oder begehren.

Denn es ist sothanes Ereigniß mehr denn als eine gewöhnliche Pauernprügelei und hat schon viele junge Leben dahingerafft, gleich wie in einem wahrhaftigen Kriege auf Befehl Peter Bureschs durch Blei, Strick und Gefangennehmung. Nicht kann ich verschweigen, daß ganz sicherliche Nachrichten besagen wie viel benamster Peter Buresch die Helviten und Verspotter Unserer Heiligen Religion aus dem Dorfe Ribnik, in der Nähe vom Kloster Eur Hochwürden hat allenfalls und gleichmäßig Aufgefordert mit ihm zu ziehen und zu rauben, was sie wahrscheinlichst befolgen werden, ich aber nicht bestimmt weiß. Dieses Alles habe ich klar Aufgesetzt zu Euer Hochwürden der Heiligen Väter gnädigen, weisen und Heiligen Ermessen und Beachtung, was Sie damit anfangen wollen, ob Beachten oder Verwerfen nach Ihrer Weisheit und göttlicher Einsicht uns zu bewahren vor der Strafe, oder Hinzugeben als sündige menschen der Geißel welche uns und unseren Herrschaften und Glauben heraufzieht als eine schwarze Wolke, wie es sich geziemt und es Pflicht für einen Treuen Diener Ihrer Majestät und einen frommen Knecht der Kirche als welcher ich sterben werde

Martin Wenzeslaus Mika
Dorfrichter von Obtschov.

Über diese Arbeit war es Abend und dunkel geworden. Doch trotz der Dunkelheit saß der Bauernadvokat noch lange da und betrachtete mit selbstgefälligem Lächeln den großen beschriebenen Bogen, schob ihn weit von sich, um ihn aus der Ferne zu bewundern, oder hielt ihn nahe vor die Augen, um ihn genau zu prüfen, und freute sich, wie schön sich die ausgemalten Anfangsbuchstaben und wie würdig sich die Schrift im ganzen ausnahm. Hinter dieser kleinen Eitelkeit des Schönschreibers versteckt aber lag der Stolz des Advokaten, der Stolz auf seine Klugheit. Wie vorsichtig und wie aufreizend zugleich hatte er nicht alles angedeutet, was er andeuten wollte; wie klug hob er alles hervor, was die Brüder Jesuiten aufbringen mußte, und wie klug vor allem stellte er sich selbst als loyalen Untertan und frommen Christen hin! Der klügste von allen aber war der Urgedanke, sich an die Jesuiten zu wenden. Sie werden mit einem Worte schneller eine Prager Kolonne in Bewegung setzen, als er, der arme Dorfrichter, es mit hundert Anzeigen, Eingaben und Bittschriften vermocht hätte! Ihr Einfluß begann zwar, wie man allgemein wußte, bei Hofe und Regierung etwas abzunehmen, aber mit desto größerem Eifer werden sie eine Gelegenheit ergreifen, sich der Regierung ergeben zu beweisen – sich als die Hüter der Ruhe und Ordnung hinzustellen; und mit welcher Geschicklichkeit werden sie aus der Duschniker Maus von einem Aufstande einen Elefanten von Bauernrebellion machen!

So meditierte Mika, solange er noch einen Buchstaben seiner Schrift sehen konnte, dann stand er auf, um den Kantor zu holen, den er ausersehen hatte, ihn als seinen Gesandten mit der Schrift nach Oborschischt zu schicken.

Der trat eben ein, aber verdrießlich aufgeregt.

Da sitzest du, unser Richter, rief er grollend, und weißt nicht, was da draußen vorgeht und welche neue Gefahren sich über unserem Haupte zusammenziehen. Die Helviten, die Ribniker Ketzer, marschieren wirklich und sind die Bundesgenossen von Peter Buresch. Sie haben sich Waffen verschafft und rückten heute plötzlich vor das Oborschischter Kloster, um Gott weiß welche kirchenschänderischen Geschichten auszuführen. Zum Glück hatten die heiligen Väter Jesuiten den gerechten Geruch und besetzten das Kloster noch zur guten Zeit mit den Oborschischter Bauern und jagten die Ketzer zurück.

Das ist ja gut! sagte Mika, der daran dachte, daß nun seine Schrift doppelten Glauben finden werde, und sich freute, daß die Jesuiten mit in den Handel gezogen, zu seinen unfreiwilligen Bundesgenossen gemacht seien.

Ja. es wäre gut – fuhr der Kantor fort, wenn sich die Ketzer nicht zwischen dort und Obtschov gelagert hätten, um sich mit dem Ungarmichel auf dem Meierhof zu vereinigen und mit ihm vereinigt das Kloster zu stürmen, und dann mit Feuer und Schwert gegen uns und unsere Freunde zu wüten.

Das ist nur darum traurig, antwortete Mika nachdenklich, weil wir nun vom Kloster abgeschnitten sind und mein Brief schwerer dahin gelangen wird. Du wirst einen großen Umweg über Liha und die Bukowaer Wälder machen müssen.

Ich? – rief der Kantor erschrocken – die heilige Jungfrau bewahre mich! Wenn sie mich erwischen, hängen sie mich gewiß. Jedes Kind kennt mich in der Gegend und wenn sie mich sehen, wissen sie gleich, daß es sich um was Wichtiges handelt, und fangen mich auf, und weil ich so halb und halb auch ein Diener der heiligen katholischen Kirche bin, hängen sie mich gewiß. Nein, Richter, ich gehe nicht.

Nun, wen soll ich denn schicken? – Es ist Gefahr im Verzug – der Brief muß noch heute fort.

Irgend einen unschuldigen, unverfänglichen Menschen, dem man es nicht zutraut, daß er vom Bauernadvokaten an die Jesuiten geschickt wird. – Halt – sieh da! rief plötzlich wie über einen guten Gedanken erfreut der Kantor, dort sitzt dein Bote und kaut eine Rübe.

Er deutete mit der Hand hinaus auf eine Hausschwelle mitten im Dorfe, wo vom Monde beschienen der tolle Honsik saß und ruhig im Bereiche der Flinten des Ungarmichels sein einfaches Abendmahl zu sich nahm. Siehst du, fuhr der Kantor fort, wie er jetzt so ruhig dasitzt, während kein anderer Mensch sich hinauswagt und es den Duschnikern im Meierhofe nicht einfällt, ihn zu stören? Ebenso ungefährdet kann der mitten durch die Ketzer gehen. Den hält kein Mensch auf, denn keinem Menschen fällt es ein, daß er was Vernünftiges zu verrichten habe.

Der alte Mika lächelte schmerzlich. Sollte er seine so weise Schrift einem Wahnsinnigen anvertrauen? Seine so wichtige Unterhandlung mit dem mächtigsten Orden der Welt durch einen solchen Boten so sehr herabwürdigen? Aber er würdigte die Gründe des Kantors und fügte sich der Notwendigkeit.

Der Brief war bald gefaltet und mit einem großen Siegel und dicker Aufschrift versehen und der tolle Honsik war bald instruiert. Er lächelte blödsinnig zu allem und schüttelte den Kopf, was Verständnis bedeuten sollte, und machte einen großen Freudensprung und jauchzte, als man ihm ein köstliches Frühstück im Refektorium in Aussicht stellte. Was waren dagegen alle Gefahren, vor denen man ihn warnte! – er lachte toll auf, wenn man ihm von Hängen sprach. Die Hundstage waren ja nahe und es begann zu kochen und zu gären in seinem Gehirn. Die verborgenen und versteckten Umwege, die man ihm empfahl, kannte er alle und versprach murmelnd ihnen zu folgen. Er schob den dicken Brief unter das Hemde und eilte über Hecken und Umzäunungen davon. Die Duschniker im Meierhofe, die ihn so dahinlaufen und springen sahen, sagten: der tolle Honsik beginnt schon seine Wanderungen, wir werden bald sehr heiße Tage bekommen.

In derselben nächtigen Stunde läuft auf denselben nächtigen und verborgenen Wegen, oder vielmehr kreuzt sie ein anderer, holderer, schönerer Bote – wenn er etwas flinker ist als der tolle Honsik, so begegnen sie sich gewiß, was gefährlich werden könnte. Nun so werden sie sich begegnen, denn der andere, schönere, holdere Bote schwebt dahin wie ein Luftgeist – kaum daß sich die Gräser unter seinen Füßen neigen; die Gebüsche, durch die er schlüpft, säuseln nur, als ob sie ein Vogel im Fluge mit seinem schwachen Flügel gestreift hätte. Es ist. als ob der schönere Bote an den Mondstrahlen hinlaufe, angezogen von ihren magischen Kräften, während sich der andere wie ein Eber ebenfalls eilig und schnell, aber plump durch das Dickicht arbeitet. – Wer kann laufen wie Lunetta? Sie ist der Bote Peter Bureschs und läuft dahin, um den Ketzern, die unfern dem Kloster lagern, zu sagen: »Seid brav, Brüder Ribniker! Morgen muß das Kloster genommen sein, denn es ist ein fester Punkt, und wir haben dann drei feste Punkte: den Meierhof, das Kloster – und ich selbst nehme in derselben Nacht das hochgelegene Schloß von Hlubosch trotz der fürstlichen Leibwache. Wir beherrschen dann den ganzen Wald und strecken unsere Hand aus über die Schlösser von Ginetz, Horschowitz usw. und über alle Klöster des weiten Brdy- und Blanskywaldes. Beeilet euch, denn der Verrat hängt über unsern Häuptern! Was ihr im Kloster erbeutet, gehöret euch, und die Kirche, die man euch in Ribnik zu bauen verwehrt, wird sich aus katholischem Klingelbeutel gut aufführen lassen. In drei Tagen vereinigen wir uns!«

Lunetta wiederholt sich die Botschaft ihres Herrn und Meisters, um ja keine Silbe zu vergessen, und so murmelnd läuft sie immer weiter. Wie sie aber bei Dol über eine Hecke setzt, will eben von der andern Seite wieder einer herüber. Im Sprunge sehen sich die beiden an und erkennen einander. Lunetta erschrickt – sie hat eben die Worte wiederholt: Verrat hängt über unsern Häuptern. Der tolle Honsik lächelt. Er weiß sehr wohl, daß Lunetta zu Peter Buresch gehört, auch daß sie sein Spion ist – wie er von seinen Streifereien überhaupt vieles weiß – er wußte es schon, als Lunetta im Dorfe war, aber er sagte nichts, weil er überhaupt nichts sagt. Er sagt auch jetzt nichts und eilt dem Befehle gemäß weiter.

Nach einigen Sprüngen schlägt er eine wilde Lache auf und sieht sich nach Lunetta um, die ihrerseits auch ihm nachsieht. Der tolle Honsik kann nicht umhin – Ha. ha! lacht er noch einmal und mit triumphierender Schadenfreude hebt er mit der einen Hand hoch einen Brief empor und droht mit der andern. Dann läuft er wieder weiter. Lunetta ahnt nichts Gutes. Sie sieht ihm nach und überzeugt sich, daß er gegen das Kloster zu läuft. Schnell entschlossen ihm nach – mit wenigen Sätzen über Hecken, Gesträuch und Feldraine hat sie ihn erreicht.

Wohin eilst du, toller Honsik? fragte sie gebieterisch.

Klosterfrühstück! wiehert der tolle Honsik.

Lunetta springt ihn an wie eine wilde Katze und faßt nach dem Briefe. Entreißt sie ihn dem tollen Boten, so wird sie zu fliehen wissen – und der Arme ist um sein Klosterfrühstück. Aber ein gewaltiger Faustschlag auf die Brust wirft sie zurück ins Gebüsch, wo sie regungslos liegen bleibt.


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