Moritz Hartmann
Der Krieg um den Wald / 1
Moritz Hartmann

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Katharina wollte sich in wenigen Tagen, wenn die Gelegenheit sich böte, von Hause flüchten. – Die ehrwürdigen Brüder Kapuziner in Mischek nahmen mich gerne auf, da ich ihnen versprach, das Stück Feld, das sie hinter dem Kloster besaßen, gut zu bearbeiten, schoren mir den Kopf kahl, nahmen mir, wie es die Regel befiehlt, das wenige Geld, das ich besaß, aus der Tasche, hingen mir eine alte Kutte um und schlangen mir einen Strick um den Leib, gaben mir den heiligen Namen Cölestinus und am andern Morgen nannten mich die Leute in Mischek: ehrwürdiger Bruder oder auch ehrwürdiger Vater. Stundenlang blickte ich durchs Fenster auf die Prager Straße hinab, um Katharina noch zu sehen, wenn sie vorüberzog – aber ich sah sie nicht. Sie wird wohl vorübergezogen sein, während ich das Refektorium fegte, sagte ich mir, ohne es doch aufzugeben, noch fürder vom Fenster aus die Prager Straße zu bewachen. Ich versäumte manche meiner Offizien und bekam viele Pönitenzen aufgelegt – aber ich trug sie gerne für Katharina. So verging der Winter und ich wurde ruhiger. Aber mit dem Frühling begann es wieder sich in mir zu regen – es trieb mich hinaus – eine unendliche Unruhe plagte mich, ich mußte wieder etwas von Katharina hören oder ich ging zugrunde. So bat ich den Pater Guardian, mich auf Bettelei auszuschicken, und versprach ihm aus hiesiger Gegend, wo ich viele Bekannte und Freunde habe, eine reiche Ausbeute an Eiern und Mehl zurückzubringen. Er ließ mich gehen und ich wanderte gradaus auf Obtschov zu. Das Dorf war bei meinem Eintritte totenstille. Alles war fort, denn die Obtschover begruben eben ihre Toten, nach der ersten Geschichte im Walde. Auch der Meierhof war wie ausgestorben. Nirgends eine menschliche Seele zu erspähen – nur das wohlbekannte Muhen der Kühe schallte mir freundlich entgegen. Mit weinenden Augen ging ich durch den Hof, durch den Stall, durch die Stuben – sie alle hatten mich glücklich gesehen, in ihren Räumen hatte ich mein Glück wandeln gesehen – jetzt war alles fort. Mit zitternden Knien näherte ich mich der Stube Katharinens und wagte nicht sie zu öffnen. Kraftlos lehnte ich mich an die Tür. Da drang mir von drinnen ein Lispeln und Zischeln entgegen, ein holdes Geräusch von Küssen und Umarmungen – gerade so wie damals, als ich so glücklich war; gewiß ein böser Geisterspuk, um mich zu verhöhnen oder ein gütiger Zauber, um mich in der Erinnerung noch einmal das alte Glück durchkosten zu lassen. Da öffne ich schnell die Türe und da sitzt Katharina dem neuen Großknechte so nahe – so nahe – Peter Buresch, das Haar würde sich dir sträuben, wie es sich mir sträubte, wenn du wüßtest wie nahe.

Peter Buresch lächelte, die Bauern aber lachten laut auf; Hynek-Cölestinus, der im Feuer der Erzählung seine gebundenen Arme losgemacht hatte, deckte sich das Gesicht mit beiden Händen zu und achtete nicht darauf. Nach einigen Minuten, während seine Augen sprühten und sein Gesicht von Totenblässe bedeckt war, fuhr er leise und tonlos sprechend fort:

Wie ich zur Türe hineinsprang und wie es kam, daß gleich darauf Katharina tot zu meinen Füßen lag – ich weiß es nicht. – Der Großknecht war entsetzt, doch wagte er es nicht Hand an mich zu legen, von wegen des Habits – er eilte ins Dorf hinaus und schrie Mord. Ich hätte leicht entkommen können, aber ich dachte nicht daran. Als der Großknecht erst sehr spät mit Leuten zurückkam, saß ich weinend da an der schönen Leiche Katharinens. – Die Obtschover hatten an dem Tage so viel Schmerz gelitten, daß der Tod Katharinens gar kein Aufsehen machte. Sie führten mich ruhig fort und sperrten mich in die Kapelle, um mich mit der nächsten Gelegenheit nach Prag zu schicken und dem Gerichte zu übergeben. Der Bauernadvokat fragte mich nach meinem Namen, den er doch sehr gut wußte, schrieb ihn mit mancherlei andern Geschichten auf und ließ mich, wie die andern Obtschover, in Ruhe, denn sie waren genug mit euch beschäftigt. – Heute mittag bringt mir der Bauernadvokat selbst das Essen in die Kapelle. Nachdem er sich sehr freundlich nach meinem Befinden erkundigt, sagt er: Armer Hynek, dein weiches, zärtliches Herz hat dich zugrunde gerichtet, denn nichts ist fürchterlicher als ein zärtliches Herz, wenn es aus Zärtlichkeit wütend wird – es hat dich zum Mörder gemacht. Das ist nun nicht zu ändern, und unsere Pflicht ist es eigentlich, dich dem Gerichte zu übergeben, daß dir dein Recht werde – aber du kannst dich doch retten – in dieser gesetzlosen, verwirrten Zeit gibt es allerlei Mittel.

Retten, sagte ich, ich will nicht gerettet sein, es soll und muß mir mein Recht werden.

Gut, sagte der alte Mika – aber es gibt verschiedene Arten, wie einem sein Recht wird. angenehme und unangenehme Arten. Es ist dir gewiß nicht gleichgültig, ob man dich den Beamten und Schreibern übergibt, die dich hin und her zerren und dich endlich in Prag ausführen, um dich in der Fremde, vor den gaffenden Städtern hängen zu lassen, oder ob du hier in deiner Heimat, unter deinesgleichen, den rechtmäßigen Tod erhältst und von den Händen deinesgleichen.

»Freilich ist das ein großer Unterschied, und wenn ich das so haben könnte, wie Ihr da sagt von meinesgleichen, so wäre mir das allerdings lieber.«

Nun siehst du, das kannst du haben – versicherte der alte Mika.

»Und wieso?«

Du kannst dich von den Duschnikern hängen lassen, wenn du willst. Die Duschniker haben den Meierhof besetzt und schalten und walten darin, wo du früher so froh und glücklich warst mit deiner Katharina; sie haben das Vieh weggetrieben, das du gepflegt hast, und die Leiche deiner Katharine ist noch darinnen und kann kein ehrliches Begräbnis erhalten. Wir müssen diese unangenehmen Gäste los werden. Hinausschlagen können wir sie nicht, sie sitzen zu fest darin, wir müssen sie herauslocken. Wenn sie sehen, daß Duschnik brennt, laufen sie alle fort, ihre Häuser zu löschen.

Der verschmitzte Dummkopf, murmelte hier Peter Buresch; er kennt den Ungarmichel nicht, der schert sich wenig um ein brennendes Dorf und rührt sich nicht von seinem Posten, wenn die Welt brennt!

Und du sollst Duschnik anzünden – fuhr der Bauernadvokat fort. Du tust eine gute Tat, indem du uns von diesen Gästen befreist, und sühnst zur Hälfte dein Verbrechen, indem du Katharina mit Lebensgefahr ein ehrliches Begräbnis verschaffst. Dir selbst ist dabei dein Schicksal in die Hand gegeben – du kannst dich retten und in die weite Welt laufen, oder wenn du dein Recht haben willst, kannst du dich von den Duschnikern fangen lassen, und ich verspreche dir, daß du von Peter Buresch keinen Pardon zu erwarten hast.

Am Abend kam der alte Mika wieder, nahm mir die Kutte ab und gab mir andere Kleider. Jetzt geh, sagte er, ohne weiter zu fragen, ob ich wollte oder nicht, und schloß die Türe der Kapelle hinter mir. Ohne zu wissen wie und warum, ging ich dahin, wohin er mit der Hand gezeigt hatte. Es war mir immer, als ob Katharinens Geist vor mir her tanzte und ein ehrliches Begräbnis verlangte. So stand ich vor Duschnik, Pech und Schwefel in der Tasche des Rocks, den mir Mika angezogen hatte, und wußte noch nicht, ob ich's tun oder lassen sollte, ob ich ein Verbrechen zu begehen oder eine gute fromme Tat zu vollführen im Begriffe war. So näherte ich mich immer den Häusern und ging wieder, so wurde ich bemerkt und gefangen, und unnötigerweise gebunden – denn ich denke nicht daran, euch zu entwischen. Und nun tu mit mir, Peter Buresch, was du glaubst tun zu müssen.

Die Bauern, welche anfangs dem Kapuziner lächelnd zugehört, wurden nach und nach ernster, ja mitleidig gesinnt und gespannt horchten sie, was Peter Buresch dem Armen antworten werde, der ergeben sein Schicksal erwartete. Peter Buresch aber sprach: Guter Bursche, deine Liebe und deine Geschichte haben dich halb verrückt und halb weise gemacht. Verrückt, weil du dich vom alten Mika zu einer Niederträchtigkeit mißbrauchen ließest und glaubtest etwas Gutes zu tun – weise, weil du mir nun das Leben zu verachten scheinst, mit Mut dem Tode entgegengehst, und ihn als gerechte Strafe gerne von deinesgleichen entgegennimmst, während du ihm ausweichst aus dem Munde dummer und stumpfer Dichter, die dein Leben nicht verstehen, mit dir kein Mitleid haben und das Recht aus faulen Büchern lesen. Dir soll werden, wie dir allein gut ist – wir werden dich richten. Du wirst gehenkt. Wir müssen auch den Obtschovern zeigen, daß wir keinen Spaß machen: führet ihn hin auf den Obtschover Weg und hängt ihn am Ausgange des Waldes im Angesichte des Dorfes!

Die Bauern fuhren bei diesen Worten ihres Führers erschrocken zusammen. Doch wagten sie nicht zu widersprechen und wußten auch nicht, was anderes mit Hynek-Cölestinus anzufangen. Nur der alte Tomesch, der eine weiche Natur war, fragte zögernd: Wäre es nicht genug, wenn man vor den Augen der Obtschover nur so täte, als ob man ihn henkte? Er könnte auch einige Zeit hängen bleiben, ohne daß es ihm zu Schaden gereichte und –

Der lange Tomesch wollte seinen sonderbaren Plan einer geheuchelten Hinrichtung noch weiter ausführen, aber die Bauern unterbrachen ihn mit ihrem Gelächter – selbst Hynek-Cölestinus lächelte mit.

Nein – sagte er dann ernst und entschieden – ich habe mich nun einmal an den Gedanken gewöhnt. Was soll mir das Leben länger? Den Schreibern und Herren will ich nicht in die Hände fallen – durch die Welt irren unstet und flüchtig, wie Kain, und wie heute abend beständig die tote Katharina vor mir sehen, will ich auch nicht – also will ich sterben und durch euch.

Und so sei es! sagte Peter Buresch fest und befehlend – der alte Tomesch schlich beiseite und weinte – der Verurteilte schlug ein Kreuz – die ihn gebracht, sammelten sich wieder um ihn und zogen mit ihm weiter in den Wald nach Obtschov zu. Hynek-Cölestinus betete auf dem ganzen Wege und seine Begleiter beteten mit.

Nach mehr als einer Stunde kamen sie düster und schweigend auf die Halde zurück. Nachlässig hingen ihnen die Büchsen von der Schulter – die einen brummten verschiedene böhmische Weisen vor sich hin, die andern hatten ihre Hände gefaltet und murmelten Gebete – der alte Tomesch ging ihnen einige Schritte entgegen und als er ihre düsteren blassen Gesichter sah, begann er laut zu weinen. Die Ankömmlinge warfen sich ins Moos und versuchten zu schlafen. Eine Messe wäre vielleicht gut, sprach leise der lange Tomesch. Als halber Pfaff braucht er das nicht – antwortete sein Nachbar, und ein halbes Dutzend Pater Noster und Ave Marias tun's auch. – Wie der Alte vom Hammer wieder einmal recht gehabt hat! murmelte Wlach; er hat es gleich am Abend gesagt, es geht ein Wind, als ob jemand gehenkt werden sollte. Jetzt, da es geschehen ist, rührt sich kein Lüftchen mehr.

Wirklich hatte sich der Wind gänzlich gelegt. Was die Flamme dann und wann leise bewegte, war schon der Morgenwind. Rings umher saßen die Weiber und Mädchen des Dorfes, welche von dem Geschrei »Feuer, Feuer« bei der Gefangennehmung Hynek-Cölestins geweckt worden und dem Zuge neugierig heraus gefolgt waren. Der weiche Tomesch, der weinend durch ihre Reihen ging, hatte sie wie die Männer mit seiner Trauer über den armen verliebten Cölestin angesteckt. Sie saßen schweigend da und stierten in die Kohlen – von Zeit zu Zeit fiel ein furchtsamer doch verdrießlicher Blick auf Peter Buresch. Der Alte vom Hammer, der die unangenehme Stimmung vertreiben wollte, setzte sich zu ihnen ans Feuer und meinte, die Flamme allein reiche nicht hin, in der durchdringenden Morgenkälte zu erwärmen; dazu müßten noch Lieder und Märchen kommen. Und ohne lange Vorbereitungen zu machen, begann er, wie es seine Erzählung eben verlangte, bald mit gebrochener Stimme singend, bald ruhig berichtend. Was er aber zum besten gab, war

das Märchen vom Blanskywalde,

das heute so erzählt wird:

    Im Böhmerland der Blanskywald
Ist wie die ältste Sage düster –
Wenn hie und da ein Blättlein schallt,
Das gibt ein schauerlich Geflüster.

Wie Särge armer Leute liegt
Ein toter Frühling auf dem andern.
Das Blättlein, das im Winde fliegt,
Scheint nur zu seinem Grab zu wandern.

Wär' nicht der holde Vogelsang
In Büschen tief und in den Gipfeln,
Und nicht der träumerische Gang
Der Lüfte ob den grünen Wipfeln;

Wär' nicht das Aug' des frommen Rehs,
Das dich begrüßt auf dunkler Halde,
Du könntest dich des trübsten Wehs
Entschlagen nicht in diesem Walde.

Denn auch der Quell, der traulich spricht
Allüberall mit frohem Munde,
Hier rauscht er dumpf hervor und bricht
Wie dunkles Blut aus einer Wunde.

Und wären nicht die Blumen auch,
Die ihn gebeugten Haupts umstehen,
Wie Jungfraun, die mit nassem Aug'
Auf einen Kranken niedersehen, –

Dir wär' zumut im Blanskywald,
Als hätten selbst die Einsamkeiten
Die milde, heilsame Gewalt
Längst eingebüßt für alle Zeiten.

So traurig und düster und noch viel trauriger und düsterer, als es das Lied sagen kann, war es vor noch nicht langer Zeit im Blanskywalde, jener ungeheuren, waldbewachsenen Strecke, die sich viele Meilen weit hinzieht, über Berge und Täler mitten durch das schöne grüne Böhmen. Damals gab es viele Stellen, die von der mordenden Axt noch nicht gelichtet waren. Die uralten Bäume starben wie Menschen, vom Zufall in einem mitternächtlichen Wetter gebrochen, vom Blitze zersplittert, oder vom Alter unterwühlt. Sie stürzten, und tausend Blumen und wilde Kräuter wucherten aus ihren Leibern hervor, bis auch sie von den nachfallenden Blättern des Herbstes begraben wurden. Auf den Felsenkanten, die sich hier und da aus dem Dunkel des Waldes erheben, wohnten zu jener Zeit noch die Adler und riesigen Geier, und zur Winterszeit durchheulten ihn ganze Herden von Wölfen, die sich aus den Gebirgen hierher verirrten. Die Hirsche und Rehe, die dazumal noch nicht bloß in umfriedeten Wäldern wohnten, weideten auf den Wiesen, die den düsteren Wald wie glückliche Inseln in der Wildnis oft genug durchschnitten. Die schweigende Einsamkeit wurde noch nicht von so vielen Dörfern wie heutzutage gestört; nur einzelne Köhlerhütten, die nach vollbrachter Arbeit im Herbste wieder abgebrochen oder dem langsamen Verfalle preisgegeben wurden, Eisenhämmer und die Wohnungen der Jäger beherbergte der endlose Wald. In einer dieser Jägerwohnungen, die am Eingange einer Waldstrecke am Fuße eines Hügels lag und sich durch das sechzehnendige Hirschgeweih auf ihrem Dache schon von fern als solche ankündigte, wohnte damals ein alter, zerfetzter Veteran. Wie er einst auf die heidnischen Türken Jagd gemacht und die christlichen Grenzen Österreichs unter dem edlen Prinzen Eugen beschützte, so wollte er hier Bären und Wölfe bekriegen und das Revier seines Herrn und Kaisers vor dem Heidenvolke der Raubschützen bewahren. Aber es ging nicht lange so. Oft mitten in der Wildnis brach eine Wunde auf, die vor Jahren ein Damaszener Degen oder das gefeite Blei irgend eines Ungläubigen geschlagen hatte, oder überfiel ihn, schrecklicher als Bären und Wölfe, das Zipperlein, das er sich aus den dumpfen und kalten Nächten Bulgarias mit heimgebracht hatte. Jetzt lag er zu Hause in dem hohen und großgeblümten Lehnstuhle mit verbundenen Armen und Beinen und schrie und fluchte bei jeder Bewegung auf die Türken, auf die Heiden, betrachtete wehmütig seine Büchsen, die tatenlos an den Wänden hingen, oder sang, wenn er guten Mutes war, mit alter zitternder Stimme sein:

Prinz Eugen, der edle Ritter,
Wollt' dem Kaiser wieder kriegen
Stadt und Festung Belgerad.

Der alte Förster wäre verloren gewesen und Wilddiebe hätten im Revier seines Herrn und Kaisers eine tolle Wirtschaft geführt, wenn ihm nicht das Schicksal einen Helfer, oder besser eine Helferin beigegeben hätte, die ihn aller Sorgen enthob und für ihn alle Jägerpflichten erfüllte. Es war seine sechzehnjährige Tochter Nani. Sie war schön und stark und schlank und der beste Schütze auf dreißig Meilen in der Runde. Beim heiligen Johann von Nepomuk! sagen noch heute die Leute im Blanskywald, es muß ein herrlicher Anblick gewesen sein, wenn sie mit dem ersten Morgenstrahl aus dem Jägerhause trat, den braunen Spitzhut auf dem Kopfe, in den hohen Schnürstiefelchen, im kurzen grünverbrämten Rocke, die Jagdtasche an der Seite und die Büchse auf der Schulter, dem Walde zuschritt und erst spät am Abend oder gar erst beim Mondenschein in ihre Wohnung zurückkehrte. Der braun und weiß gefleckte Hund sprang lustig an ihr auf und leckte ihr die Hände; aber die Hirsche und Rehe verkrochen sich und, wie die Leute erzählen, die Vöglein in der Luft verstummten. Denn so schön auch die Nani war, so lag doch etwas auf ihrem Gesichte, was Tiere und Menschen erschreckte, denn es war etwas Ungewohntes auf einem Mädchenangesichte. Es war, als ob der düstere, ernste Schatten des Waldes mit all seinen Geheimnissen auf ihrem Gesichte für alle Zeiten stehen geblieben wäre. Sie lächelte fast ebenso selten, als der Strahl der Sonne durch den Blanskywald dringt. Wie sollte es auch anders sein? sagten die Leute; sechzehn Jahre alt, im Walde aufgewachsen, soviel Blut fließen gemacht und sei es auch nur das Blut von Tieren! Und man weiß, wie viele Zauber im Walde wohnen, die das Menschenherz elend machen, wenn ihm nicht eine Rinde darüber gewachsen, wie über den Baum!

Vielleicht war Nani wirklich elend, aber sie wußte es nicht. Ihr war wohl, wenn sie in die Stille des Waldes trat, und einsam nur, wenn sie unter Menschen kam. Ihr war wohl, wo andern bange gewesen wäre, wenn der Wind wie ein unsichtbarer Geist über die Bäume ging und diese ihre Wipfel neigten, wenn die Tropfen aus den Blättern und Nadeln weinend niederfielen, wenn sie der Eule ins Nest schaute, auch wenn ein stolzer Sechzehnender oder ein unschuldiges Reh mit gebrochenem Auge zu ihr aufschaute und zu ihren Füßen verendete. Sie sprach nicht viel, fast nur mit ihrem Hunde Paris, wenn sie zusammen ein schönes Stück Wild erlegt hatten. Zu Hause ließ sie sich schweigend von ihrem Vater Schlachten und Kriegszüge und vom Prinzen Eugen vorerzählen und warf nur manchmal ein Wörtlein darein vom Walde oder vom Wilde, oder sie murmelte: Warum bin ich kein Mann? – Dann lispelte sie leise hinzu: Ich will es sein, ich bin es!

Aber seit einiger Zeit war Nanis Ruhe und Waldeinsamkeit auf eine sonderbare Art gestört. So oft sie in den Wald trat, wurde sie aus dem andern Reviere herüber mit Waldhorntönen begrüßt, die ihr auf wunderbare Weise ins Herz drangen. Es waren zwar nur alte Weisen, die das Horn blies, aber sie erschienen ihr doch neu und fremd und es war ihr, als ob etwas Ungewohntes, wovon sie noch nie gehört, daraus hervorklänge. Es klang nach der Weise der kleinen Lieder:

Auf der grünen Wiese
Gehn Hirsch' und Reh' zur Weide,
Es hütet sie ein Jägerlein
Im grünen Jägerkleide.

Oder:

Auf der Prager Brücke
Wächst ein Rosmarin,
Kein Mensch begießet ihn,
Er wächst doch immerfort.

Ich werde dahin gehn
Und werde ihn begießen,
Und wenn er grün wird sprießen,
Werd' ich mein Liebchen holen.

Wie oft hatte sie diese Weisen selbst gesungen, aber nie hatten sie ihr Herz so wunderbar traurig ergriffen, als jetzt, da sie aus dem fremden Reviere durch die Waldnacht zu ihr herüberklangen, so lockend, so sehnsüchtig! Unwillkürlich ging sie eines Tages dem Schalle nach, bis sie an den Graben kam, der ihr Revier von dem fremden trennte. Hier hielt sie an, denn ein alter Bann lag auf der Grenze dieser Reviere und kein Jäger durfte sie in Waffen und ohne Erlaubnis des andern Jägers überschreiten. Alte Streitigkeiten, die viel Blut gekostet hatten, waren die Ursache dieses Bannes, der von beiden Seiten wie ein böser Zauber gescheut wurde. Nani warf ihre Büchse ins Moos, vergaß auf Wild und an die Wilddiebe zu denken, lehnte sich an einen Baumstamm und horchte hinüber nach den Hornklängen. Zu den Weisen, die da drüben klangen, sprach sie leise die Worte; es waren Liebesworte. Verwundert blickte Paris zu seiner Herrin auf, denn ihr Gesicht kam ihm heute ganz anders vor. – Nani wußte sehr wohl, woher die Töne kamen, hatte sie doch den schönen, blondhaarigen Jägerburschen schon oft jenseits des gebannten Grabens, die Büchse auf der Schulter, ganz nahe an sich vorüberziehen sehen. Er schwenkte stets den Hut mit bunter Feder, oder schoß in die Luft, als ob es eine Freudensalve sein sollte, oder stieß ins Horn und ließ liebliche Melodien erklingen. Oft, wenn sie über die Wiesen ging, sah sie ihn plötzlich auf einem Hügel des jenseitigen Reviers stehen, wie er sein Tuch flattern ließ. Nani lauschte lange, aber wie die Hornklänge immer näher und näher kamen, faßte sie ihre Büchse und floh eiligen Schrittes davon. Wie ein Seufzer verklang das Lied hinter ihr.

Es war spät geworden und der Mond schien durch die Zweige. Nani stellte sich hinter einen Baum und wartete auf den Auerhahn. Sie war an Waldnächte gewohnt – doch war ihr noch nie so zumute gewesen, wie heute. Wie hie und da ein Käuzchen krächzte, ein Vöglein aus dem Traume sprach, die Blätter sich im nächtlichen Winde bewegten – sie glaubte sie alle zu verstehen. Es kam ihr vor, als wäre der Anstand auf den Auerhahn nur eine Ausrede, um eine Nacht ganz allein im Walde zuzubringen und wachend zu träumen. Manchmal war ihr, als hörte sie die gewissen Waldhornklänge. Da lachte der Auerhahn – Nani schoß, während sie das Waldhorn zu hören meinte, und fehlte. Das war ihr schon lange nicht geschehen und mürrisch trat sie in das Jägerhaus.

Der Vater wunderte sich sehr, als er sie ohne Beute sah. Doch schwieg er darüber und sagte: Ich habe vom jungen Jäger aus dem Nachbarrevier einen Brief bekommen; er will dich zum Weibe! – Damit ich ihm die Jagdtasche flicke, während er im Walde pirscht, nicht wahr? lachte Nani und setzte hinzu: Für sich allein wollen sie die hohe Waldlust, ihr Weib soll zu Hause hocken und für sie kochen und ihre Kinder füttern! Ich bin ein Schütze wie einer, und den Wald lasse ich nicht! Nichts da von einer Heirat!

Doch stand sie noch selben Abends wieder lauschend an demselben Baume. Sie merkte es nicht, daß die Waldhornklänge immer näher und näher kamen und plötzlich vor ihr verstummten.

Darf ich hinüber? frug eine Männerstimme. Der Jäger stand drüben und war zum Sprunge bereit; seine Büchse hatte er ins Gras geworfen.

Nani fuhr erschrocken auf, faßte die Büchse und auf den Jäger zielend rief sie mit zorniger Stimme: Zurück oder ich schieße!

Schieß zu, schöne Naninka! Keinen schöneren Tod wünsche ich mir! rief er – und schon sprang er über den Graben und lag zu ihren Füßen, die er mit beiden Armen umschlang. Paris mußte wohl erkannt haben, daß das kein feindlicher Überfall eines Wilddiebes war, und verteidigte seine Herrin nicht, sondern sprang freundlich wedelnd um die beiden und leckte bald Nani, bald dem Jäger die Hände.

Nani stand lange regungslos und starrte mit finsterem Auge auf den Jäger nieder, während er flehend zu ihr aufblickte. Endlich faßte sie sich, riß sich los und floh mit wilden Schritten in den Wald hinein, während der Hund sich noch lange nicht von dem schönen Jäger trennen konnte, der der Fliehenden mit tränenden Augen nachblickte.

Nani war schon weit den Hügel hinabgeeilt, als sie hinter sich die Weise zu den Worten hörte:

Möchte gern nicht weinen
Und mein Herz nicht plagen,
Aber sagt, ihr guten Leute,
Wer nicht möchte klagen!

Sie eilte immer tiefer in den Wald und schoß nach rechts und links, wo sich immer ein Wild oder ein Vogel zeigte, aber immer vergebens. Ihre Hand zitterte, vor ihren Augen flimmerte es in unbestimmten Umrissen und ihre weitberühmte Kunst war von ihr gewichen. Verzweifelnd eilte sie unaufhörlich weiter, keuchend der Hund Paris hinter ihr, und sie merkte nicht, daß es immer später und später wurde, und daß es schon Mitternacht war, als sie auf der Halde ankam, die man die weiße Halde nannte, wegen der vielen weißen Waldblumen, die sie im Sommer bedecken. Der Mond schien so ruhig herab und hüllte auch die dunkeln Tannen und Fichten, die die weiße Halde umstanden, in ein schimmerndes Weiß. Hier wurde es Nani wohler zumute, und matt und müde streckte sie sich ins Gras, um auszuruhen. Aber welch sonderbarer Zauber begann jetzt den Wald ringsum zu beleben! Als wäre es rosige Morgenstunde und nicht Mitternacht, kamen die Vögel von allen Seiten geflogen und ließen sich auf den Zweigen ringsum schaukelnd nieder und begannen zu sprechen und Nani verstand jedes ihrer Worte.

        Der Auerhahn sprach:
        Wohl uns, daß Liebe deine Hand
Mit unsichtbarem Zauber band!
Nicht fürcht' ich mehr die Todeswunde
In meiner süßen Liebesstunde.

Nun kann ich vor der Morgensonne
Hinziehn zu meiner Liebeswonne,
Wo mir mein Weib entgegenlacht –
Heil, Liebe, dir und deiner Macht!

Die Taube sprach:
Und weher tat, o glaube!
Das Todesblei der Taube,
Das mordend ausgesandt
So süße Mädchenhand!

Sie ist gemacht zum Kosen,
Sie pflücke rote Rosen
Für ihres Liebsten Hut –
O Mädchen, bleibe gut! –

Die Lerche sprach:
O bleibe gut, du Holde,
Und laß im Morgengolde
Mich zu den Wolken schwingen
Und Liebeslieder singen!

O Süße, wie die Schmerzen
Du setzt in deinem Herzen
Mußt selig mit dir tragen –
O laß von deinen Plagen! –

Der Falke rief:
Als wilder Falke schwing' ich
Mich zu dem Himmel auf,
Mit wilder Stimme sing' ich
Und ruf's zu den Sternen hinauf:

Der Liebe Heil, der Liebe,
Sie hebet mein Gefieder,
Die Liebe, ach die Liebe,
Sie gibt uns das Leben wieder!

Und alle Vögel des Waldes fielen ein in die Worte des Falken und wiederholten im Chor:

Die Liebe, ach die Liebe!

Nani, die bis jetzt vom Schrecken gelähmt im Grase gelegen und dem unheimlichen Zauber zusah und zuhörte, sprang auf und lief wie von Gespenstern getrieben weit fort von der weißen Halde und immer weiter, bis der Chor der Vögel: die Liebe, ach die Liebe! hinter ihr verhallte. Erst auf der Halde, die man des hohen üppigen Grases wegen die grüne nannte, machte sie Halt. Aber da begann der Zauber wieder, nur in anderer Gestalt. Aus den Büschen und Gräsern traten Hirsch und Reh, Häselein, Kaninchen und allerlei vierfüßiges Getier des Waldes hervor und auf den Zweigen sammelten sich die Eichhörnchen. Die Hirsche und Rehe, Hasen und Kaninchen stellten sich um sie im Kreise. Sie sahen traurig aus und neigten ihre Köpfe zu Boden. Auch sie begannen zu sprechen, jedes nach seiner Art.

Der Hirsch sagte: Dich rühren die Tränen meiner Augen nicht, im üppigen Glücke meiner Freiheit tötest du mich! Ach! mein Geschlecht ist dazu verdammt, gehetzt, gejagt und grausam gemordet zu werden, aber nicht von Jungfrauenhand. Sieh, andere Jungfrauen gehen durch den Wald und liebkosen uns und sammeln süße Kräuter und bringen Brot uns zu nähren. Du bringst uns den Tod! Aber anders als sonst blickt jetzt dein Auge. Du bist nicht mehr grausam, das Blei versagt dir zu töten, und das ist die Liebe!

Es sprach das Reh: Du hast die Mutter getötet dem Kinde und hast das Kind heranwachsen lassen, um es auch zu töten! Du weißt nicht, wie es ist, Mutter zu sein! Du hättest es nicht getan! Denke nicht daran, wenn du einst Mutter bist, wie wir blutend flohen zur verborgensten Quelle des Waldes, um unsere Wunden zu waschen und zu sterben. Jetzt ist Barmherzigkeit eingezogen in deine Brust, denn du liebst!

Der Hase und das Kaninchen sprachen: Wir lebten auf ewiger Flucht vor dir und kein Busch konnte uns schützen vor deinem tödlichen Blei. Nun bist du gut geworden, ein Mägdlein wie andere. Wir segnen die Liebe in deinem Herzen.

Das Eichhörnchen sprach: Ich werde wieder lustig springen können von Ast zu Ast, von Baum zu Baum; ich werde mich freuen des Sonnenscheins und den Wald segnen, der mich geboren. Heil der Liebe in deinem Herzen, die deine harte Seele erweicht hat, daß du nicht verfolgst die fröhlichen Tiere des Waldes! Heil der Liebe in deinem Herzen!

Und alle riefen im Chore nach: Heil der Liebe in deinem Herzen, Heil der Liebe!

Nani war es wie im Traume, aber sie wußte nicht, ob es ein böser Traum war oder ein guter. Mit Gewalt raffte sie sich zusammen und eilte flüchtigen Schrittes wie von Gespenstern verfolgt von dannen, weiter, immer weiter, bis sie auf die Halde kam, die man die schwarze nannte, des dunkeln Grundes wegen, der von einem Waldbrande herkommen sollte, oder auch von der Asche, die die bösen Weiber in gewissen Nächten hier ausstreuten, wenn sie mit den unheimlichen Geistern im Walde Zusammenkunft hielten. Aber ärger als aller Zauber war, was Nani hier erwartete. Denn plötzlich kamen die Raubschützen aus den Gebüschen hervor, umringten lachend die Jägerin, die sie sonst fürchteten, und sangen mit höhnischem Tone ununterbrochen fort:

Des Schützen Aug' sei fein und scharf
Und seine Hand muß sicher sein,
Und süße, weiche Liebe darf
Ihm nicht ins Herz hinein!
Denn Liebe machet feucht die Augen
Und zitternde Hände mögen nicht taugen!

So singend verfolgten sie Nani durch den Wald, indem sie sie umringten und ihren höhnischen Gesang mit lautem Gelächter und schmetternden Waldhornklängen begleiteten. Große Tränen des Zornes traten in ihre Augen und wie von Verzweiflung gejagt, sprang sie über Büsche und Hecken tief hinein in den dichtesten Wald, bis das Gelächter weit hinter ihr verscholl. Weinend und händeringend warf sie sich ins Moos und verhüllte die Augen, um, wenn etwa ein neuer Zauber beginnen sollte, ihn nicht zu sehen.

Da hörte sie ein leises, heiseres Kichern neben sich. Hi, hi, hi, junges Blut, warum so verzweifelt? Ei, ei, starke Nani, stolze Jägerin, wer wird es sich vom Zauber des Waldes und von der Liebe so arg antun lassen! Still, kleine Nani! Du warst immer gut gegen mich, dieweil mich die andern fliehen und als böse Hexe ausschreien. Du hast mir erlaubt im Walde die Wurzeln auszuroden, Reisig zu sammeln und Streu für meine Ziege, und Erdbeeren zu pflücken. Komm, ich will dir helfen! Den Keim der Liebe will ich in deinem Herzen töten, daß du wieder scharf blickest wie der wilde Falke und die Büchse haltest wie der beste Schütze des Waldes. Denn die Liebe macht die Augen feucht und die Arme zitternd und bebend. Komm, kleine Nani, ich will dir helfen, daß du gefeit seiest für alle Zukunft!

Die so zu ihr sprach, war die alte Barka aus dem Dorfe, ein kleines, uraltes Weiblein, das man für eine Hexe hielt. Sie nahm Nani bei der Hand und führte sie bergauf, bergab, in ein tiefes, felsumschlossenes Tal, das von dunklem Schweigen bedeckt war. Kaum daß man das Rauschen der Tannen, die auf dem Felsen ringsumher standen, in seinem Grunde hörte. Die alte Barka schlug mit ihrer Krücke an den Felsen, daß eine dicke Schicht wie morsches Gemäuer niederrollte. Aus dem weißen Gesteine, das jetzt sichtbar wurde, sprangen nahe beieinander drei helle, silberne Quellen mit lieblichem Gemurmel hervor. Sie hüpften hinab ins Tal, wo sie sich in einen schönen klaren Bach vereinigten und mit Geplätscher, leuchtend im Mondenlichte, weiterliefen. Nani war es, als hörte sie süße Kinderstimmen aus dem Bach und aus den Quellen ihren Namen rufen.

»Jetzt schieße in die erste Quelle, dann in die zweite, dann in die dritte, wenn du ewig frei und jung und schön bleiben willst! Du brauchst auch nicht erst zu laden!« – Nani legte an, aber ihr Hund Paris sprang heulend an ihr hinauf und zerrte an ihrem Ärmel, als ob er sie verhindern wollte an dem Ungeheuren, das sie zu begehen willens war. Die Alte schlug ihn mit ihrer Krücke auf den Kopf, daß er zusammensank und sich ächzend zu den Füßen seiner Herrin krümmte. – Schieß zu! rief sie, oder dich wird der Zauber und der Hohn der Menschen und Tiere ewig verfolgen! Deine roten Wangen werden fahl und blaß werden, deine Augen werden verglühen wie Sumpflicht, dein Haar wird grau und tot wie Flachs und dein stolzer Leib wird zusammenbrechen wie ein morscher Baum. Der Schuß befreit dich von der Liebe des Jägers und von allen Qualen des Mutterseins!

Der Schuß ging los, ein Schrei, wie der Todesschrei eines Kindes durchdrang die Nacht und der Quell, der eben wie Silber leuchtete und so lieblich murmelte, quoll rot wie das Blut aus einer Wunde und klang so hohl und dumpf wie das Lallen eines Sterbenden. – Noch einmal sprang der Hund Paris auf und umsprang mit Geheul seine Herrin. Aber Nani, wie bewußtlos, schoß noch zweimal. Jedesmal erscholl der Sterbeschrei und alle drei Quellen flossen jetzt rot wie Blut aus dem Felsen. Fort war das liebliche Murmeln, tonlos dumpf flossen die Quellen und der Bach dahin. – Jetzt ist dein Leib gefeit! sprach die Alte. Jeder Keim des Lebens und der Liebe ist in dir getötet, jetzt geh hin!

Als Nani heimkam beim Morgengrauen, lag ihr Vater, der alte Förster, im Sterben. Weh mir! rief er ihr entgegen, wo bist du so lange geblieben in dieser bösen Nacht? Mir war's, als ob ein dreifacher Schuß durch mein Herz dränge – das hast du mir getan! Alle meine Wunden brachen auf!

Als Nani der Leiche ihres Vaters zur Kirche und zum Kirchhofe folgte, da ging der junge Jäger vom andern Revier neben ihr. – Weh dir, Nani! lispelte er ihr ins Ohr, siehst du nicht, daß die Steine vor dir sich auftun wie Wunden und bluten, und daß das Gras hinter dir verdorrt? Nur ich sehe es, weil ich dich liebe. Weh dir, Nani! – Ich gehe in den Krieg gegen die Ungläubigen und will für den heiligen Glauben kämpfen, um für dich zu büßen!

Als sie an die Kirche kam, schlug die schwarze Tür vor ihr von selbst zu, die heiligen Bilder zwischen den Säulen kehrten sich um mit den Gesichtern zur Wand, und als sie der Pfarrer mit geweihtem Wasser besprengte, da fielen die Tropfen an ihr ab wie Blutstropfen.

Und als der neue Förster kam und sie die Wohnung verlassen mußte, bat sie ihn, daß er ihr erlaube im Walde zu wohnen. Und sie zog ihre Jägerkleider aus, legte ein hartes Gewand an und ging in den Wald zu den drei blutigen Quellen und baute sich dort eine Hütte aus Moos und altem Holze und wohnte daselbst. Alltäglich, des Morgens früh und des Abends spät, betete sie vor den Quellen und bat sie um Verzeihung, daß sie sie, die Ungeborenen, getötet hatte. Denn sie wußte sehr wohl, daß es ihre Kinder waren, die sie einst hätte gebären sollen. Und in jeder heiligen Nacht und an jedem Ostermorgen und immer, wenn ein Jahr um war nach jener bösen Nacht, hörte sie die drei Quellen weinen gleich drei Kindern. Oft auch sah sie über den drei Quellen drei Lichtlein schweben. Da pflegte sie sich hinzuwerfen aufs Gestein und zu beten und zu weinen, oder sie verzweifelte an der Gnade Gottes und gab alle Hoffnung künftiger Vergebung auf. Sie verfluchte ihres Leibes Schönheit, die nicht von ihr weichen wollte und in so üppiger Blüte stand wie vor jener Nacht im Walde, da die Tiere zu ihr sprachen und das alte Weib sie zum Bösen führte. Nur in ihrem Herzen fühlte sie sich altern und merkte, wie ihre Kräfte schwanden trotz der äußeren Blüte ihres Leibes.

Aber die Kenntnis der Kräuter, Pflanzen und Blumen und der ihnen inwohnenden Kräfte, die sie in ihrem Waldleben gelernt, benutzte sie zur Bereitung heilsamer Balsame für Verwundete und wohltuender Getränke für allerlei Kranke. Diese trug sie dann in die Häuser der Hilfsbedürftigen und mit den Salben und Balsamen zog sie in den Schluchten des Gebirges umher, um zu helfen, wo irgend ein Wanderer auf den gefährlichen Wegen ihrer bedurfte. Der Name der wilden Jägerin wurde immer mehr vergessen und man nannte Nani nur noch die gute Frau im Walde oder auch die heilige Waldfrau, und wo der Hund Paris sich zeigte, da wußte man auch, daß Hilfe für die Kranken und Verwundeten nicht mehr fern war.

So waren sieben volle Jahre verstrichen und die Nacht kam, die siebente seit jener unheilvollen. Die Quellen weinten trauriger als sonst und jammervoller – aber noch trauriger und jammervoller lag Nani vor ihnen und betete und schlug die Brust. Siehe, da kam ein Mann in Soldatentracht matt und müde den Berg herabgekrochen. Er blutete aus vielen Wunden und sank kraftlos vor Nanis Füßen nieder. Heilige Frau, sprach er mit geschlossenen Augen, sie rühmen deine geweihte Kunst. Sieh, ob du meine Wunden, die ich im heiligen Kampfe erhielt und die ob altem Leide in diesem Walde wieder aufbrachen, wieder schließen kannst. – Nani blickte ihm ins Antlitz und erkannte beim Lichte des Mondes das gramgebleichte Gesicht des Mannes, der sie einst geliebt hatte. Sie trug ihn mit Schmerzen hin zu den Quellen, um seine Wunden zu waschen, aber wie sie die Hand in die Wellen streckte, um das barmherzige Werk zu vollbringen, sieh, da wurden diese kristallklar wie sonst, das dumpfe, traurige Klagen hörte auf und die Quellen rieselten mit lieblichem Gemurmel dahin. Nani erkannte, daß ihre Erlösung gekommen war. Mit ausgestreckten Armen sank sie an den Geliebten hin, der verklärt lächelte, sich erhob und mit ihr in einem Kusse verschied.


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