Moritz Hartmann
Der Krieg um den Wald / 1
Moritz Hartmann

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Siebentes Kapitel.

Der Abend nach diesem Tage, der ohne Kampf vorüberging, war wild und stürmisch. Wie oft in diesen Gegenden, blies ein heftiger Westwind aus den Schluchten des schwarzen Treboschna und trieb die Rauchsäulen, die aus den Eisenhütten und Hochöfen aufstiegen, zu dichten Wolken geballt, über das ganze Litavkatal hin. Den Wald durchsausten kalte Luftzüge, wie sie dort auch im Hochsommer nicht selten sind, und krachend fiel da und dort ein morscher Zweig von den Bäumen. Trotzdem war er stark besetzt – auf allen Punkten lagerten dort um Wachtfeuer dichte Haufen, auf allen Höhen standen Posten, die gegen Obtschov hinblickten, und um ganz Duschnik zog sich eine Kette von Schildwachen. Peter Buresch wußte, daß er einen Verräter in seinen Reihen hatte, und war vorsichtig geworden. Sein Vater, der Alte vom Hammer, ging von Posten zu Posten, um nachzusehen, ob die Befehle seines Sohnes pünktlich befolgt würden, erzählte kurze Geschichten, machte Scherze und suchte die über das schlechte Wetter Verdrießlichen aufzumuntern. Wenn sich einer oder der andere beklagte, sagte er nur: Ja, ja, es ist ein Wetter, als ob sich jemand erhenkte oder als ob jemand gehenkt werden sollte! Er spielte damit auf den Aberglauben in jenen Gegenden an, welcher besagt, daß sich bei solchem Ereignisse ein mächtiger Wind erhebe, und meinte, es sei Ursache mehr zur Wachsamkeit vorhanden, da der Wind es möglicherweise auf einen Obtschover Spion abgesehen haben konnte. Der Alte vom Hammer glaubte wachsam sein und die Pflichten des Führers übernehmen zu müssen, während sein Sohn von den Anstrengungen der letzten Tage ausruhte.

Peter Buresch, nachdem er die Wachen verteilt und Befehle gegeben hatte, war verschwunden. – Lunetta war seit vier Tagen in das alte Schloß gebannt, denn Peter Buresch wollte nicht, daß sie viel an seiner Seite gesehen werde, um sich ihrer desto sicherer bedienen zu können. In der verfallenen Stube des versunkenen Schlosses lag sie, den Befehlen ihres Herrn sklavisch treu, die langen Tage und Nächte hindurch wie eine Gefangene. Jetzt hatte Peter Buresch sein Haupt auf ihre Brust gelegt und schlief den tiefen Schlaf kräftiger Waldnaturen. Lunetta wußte es, wie er zu schlafen liebte. Unbeweglich lag sie auf dem Hirschfelle da, die Hand auf sein dunkles, dickes Haar gelegt und sang mit gedämpfter Stimme eines der Zigeunerlieder, die ihr Herr und Meister so sehr liebte. Es glich dem Murmeln einer Quelle, das zu wollüstigen Träumen ladet und verschwamm traumhaft mit dem tiefen Atmen des Schlafenden, mit dem Knistern des brennenden Kienspanes an der Wand, der zitterndes Dämmerlicht und Schatten auf die alte Stube und ihre neuen Verzierungen warf, zu einer aus Tönen, Hauchen, Lichtern und Schatten gewebten Melodie. In einer Stunde wollte er von der Zigeunerin wieder geweckt sein, um die Runde zu machen.

Es tat not, denn das Dorf war nicht so gut bewacht, als Peter Buresch glauben mochte.

Schon eine Stunde, nachdem die Sonne hinter dem Treboschna versunken war, schwang sich eine leichte Gestalt über eine der äußersten Gartenhecken des Dorfes, hinein in den Garten, der einst dem alten Richter gehörte und an das Haus stieß, in welchem jetzt Liduschka ein einsames, durch Schloß und Riegel von aller Welt getrenntes Trauerleben führte. Die Gestalt sprang leicht wie ein Hirsch von einem Baumschatten in den andern, hinüber über die weißen Flächen, die der Mond beleuchtete – ruhte immer Augenblicke und wartete, bis der Wind die Zweige der Bäume schüttelte, und sprang unter dem Schutze des Geräusches immer weiter, immer weiter, immer den Kopf rückwärts gewendet und die Wache beobachtend, die draußen auf dem Felde auf und ab ging. Endlich stand sie an der Hintertüre des Hauses und pochte. Es war Totenstille im Hause. Das Rauschen des Windes war so gewaltig, daß das Pochen von der pochenden Gestalt selbst kaum gehört wurde. So näherte sie sich endlich dem Fensterladen, der in den Garten ging, faßte ihn mit beiden Händen und riß ihn in demselben Momente, da der Wind ein Scheunentor donnernd zuschlug, gewaltig aus beiden Angeln und warf ihn auf den Boden. Liduschka, die hinter dem Laden schlief, erwachte und rief, indem sie erschrocken die Bettdecke über die Brust hinaufzog: Wer ist draußen? Wer pocht ans Fenster? –

Ich bin es, Zdenko, dein Bruder – öffne mir die Türe leise und ohne Geräusch, sonst bin ich verloren.

Zdenko, mein goldenes Brüderchen – lispelte Liduschka halb erschrocken, halb erfreut – sprang mit gleichen Füßen aus dem Bette, warf ein kleines Tuch um den Hals und öffnete leise die Türe.

Gottlob! sagte Zdenko, ich bin in Sicherheit. Das war ein saures Stück Arbeit, sich durch all die Wachen durchzuschleichen – lieber prügle ich mich mit zwanzig solcher Kerle.

Und warum hast du dich in die Gefahr begeben? fragte Liduschka, indem sie beide Arme um seinen Hals schlang und ihn küßte. – Nur um mich zu besuchen, du teures, goldenes Brüderchen? Und ist es da draußen schon so weit gekommen, daß ein Bruder sein Schwesterchen nur in dunkler Nacht besuchen darf?

Es ist jetzt nicht Zeit zu Besuchen, mein goldenes, mein seidenes Schwesterchen, sagte Zdenko, indem er ihr goldenes Haar streichelte und ihre Liebkosungen erwiderte. – Man darf sich jetzt keine Freuden machen und kein Vergnügen gönnen – die Zeit, da ich dich jeden Sonntag besuchte. um mit dir durch die Felder zu schlendern, die Zeit ist hin, und es ist viel trauriger geworden.

Stille, stille, seufzte Liduschka, ich will nichts wissen von allem, was draußen vorgeht – ich habe Angst vor jeder Neuigkeit, und wenn du mir eine bringen willst, so sprich sie lieber nicht aus und gehe wieder, wie du gekommen bist.

Nein, sagte Zdenko, ich komme, dich zu holen, du mußt heute fort mit mir nach Obtschov, und morgen wirst du weiterwandern von Obtschov nach Knina zur Base, denn du bist nicht geschaffen, du zarte Seele, all das Traurige mit anzusehen, das da draußen vorgeht und noch vorgehen wird.

Zdenko, antwortete Liduschka mit trauriger, doch fester Stimme – du weißt, was ich euch nach dem Tode des alten Richters und was ich dir nach dem Begräbnis unseres Bruders geantwortet habe. Ich gehe nicht fort von Duschnik – hier ist das Haus meines Mannes, hier muß ich bleiben. Ich muß es bewachen und sein Eigentum pflegen und schützen als gute Hausfrau, daß er es in Ordnung finde, wenn er wieder heimkehrt. Ich bin eine Duschnikerin geworden und bin keine Obtschoverin mehr. Ich weiß nicht, wer von beiden unrecht hat, und mische mich nicht darein, ich sperre mich ein, um nichts davon reden zu hören, und nicht zu hören, wie sie auf den Vater schimpfen. So lassen sie mich auch in Ruh' und haben mich ganz vergessen in meiner Stube. Zdenko, ich gehe nicht fort von Duschnik.

Zdenko stand schweigend und düster da. Er löste sich los aus der Umhalsung seiner Schwester, knirschte mit den Zähnen und sagte endlich dumpf vor sich hin:

Duschnik? – von jetzt in zwei Stunden gibt es kein Duschnik mehr!

Jesus Maria, was habt ihr vor? schrie Liduschka, alle Vorsicht vergessend, und warf sich, von einer schauerlichen Vorstellung überwunden, auf die Knie und faltete die Hände gegen Zdenko, als wollte sie ihn um Gnade bitten für ihre neue Heimat.

Mein Wille war nicht dabei, sagte Zdenko, ohne Liduschka anzusehen – aber der Vater –

Der Vater, ach, der Vater! jammerte Liduschka, und in ihrem Tone lag ein schwerer Vorwurf, dem sie nicht Worte zu geben wagte.

Der Vater will es, fuhr Zdenko fort, und bald wird ganz Duschnik in Flammen stehen, um die Duschniker, die in Obtschov liegen, zurückzulocken.

Liduschka wand sich schluchzend und weinend am Boden. Sie wollte helfen, sie wollte das Ungeheure verhindern und wußte nicht wie – sie dachte daran, sich und ihren Bruder zu verraten, zu schreien, Hilfe zu rufen, die Bewohner zu versammeln und sie zu warnen und hatte doch wieder nicht den Mut dazu. Wie sollte sie ihren liebsten Bruder dem Tode preisgeben, der eben mit Gefahr seines Lebens zu ihr kam, um sie zu retten? Sie wühlte verzweifelnd in ihren Haaren, betete, beschwor Zdenko, bis sie kraftlos und tief atmend, ermüdet und ruhig zu seinen Füßen lag.

So komm! sagte endlich Zdenko mit weicher, bittender Stimme, nachdem er sie lange mit tränendem Auge angesehen und sie jetzt vom Boden aufzuheben suchte.

Nein! schrie Liduschka und sprang plötzlich vom Boden auf und ballte die Faust gegen ihren Bruder – nein, ich gehe nicht! Mordet, stehlet, brennet! ich gehe nicht! Ich bleibe im Hause meines Mannes, ich gehe mit seiner Heimat zugrunde!

Es ist gut! sagte Zdenko ruhig – glaubst du, ich werde dich allein lassen in solcher Gefahr? Ich bleibe bei dir. Aber sie werden kommen und werden mich für den Brandstifter halten, oder auch nicht – auf jeden Fall werden sie mich hängen.

Ein schrilles »Ach« entfuhr der Brust der armen, geängstigten Schwester – sie war nicht fähig, ihm anders zu antworten. Krampfhaft faßte sie ihn am Arme und zerrte ihn gegen die Türe. Geh – ächzte sie nur noch – geh, rette dich!

Und wenn ich auch geh' – sagte Zdenko – glaubst du, daß ich mich so leicht wieder durch die Wachen durchschleiche? Sie erwischen mich und werden mich für den Spion halten, auf den sie lauern, und werden mich hängen nach den Kriegsartikeln, die der Peter Buresch erst heute morgen verkündigt hat. Wenn du aber mit mir gehst und sie uns erwischen, werden sie glauben, daß ich nur gekommen bin, um dich zu holen, und ich komme vielleicht durch.

Das arme, gefolterte Weib schwieg. Endlich raffte sie sich auf, küßte die Schwelle ihrer Stube und zog Zdenko mit sich hinaus in den Garten. Er faßte sie in seine Arme, hob sie in die Höhe, und unter dem Schutze des Baumschattens und des Windgeräusches kam er mit seiner Last bis an die Hecke des Gartens. Vorsorglich hatte er schon bei seiner Ankunft das Gebüsch auseinandergebogen und hob nun Liduschka hinüber, vorsichtig, daß nicht ihre nackten Füße oder ihr kaum verhüllter Leib von den Dornen geritzt werde, denn in der Angst war sie so mit ihrem Bruder aus dem Hause gegangen, im Hemde und leichten Röckchen, ein kleines Tuch um den Hals geworfen. Er legte sie hinüber ins Gras und drückte ihr die Hand auf den Mund zum Zeichen, daß sie stille sein solle, und kroch dann durch das Gebüsch ihr nach. Die Wache näherte sich eben, Zdenko legte sich vor seine Schwester hin, um sie in ihrem leichten weißen Gewand, das verräterisch durch die Nacht leuchtete, durch seine dunkle Gestalt zu decken. Liduschka lag atemlos da, aber Zdenko hörte und fühlte ihr Herz an seinem eigenen pochen. Die Wache kehrte wieder um. Zdenko und Liduschka erhoben sich schnell und eilten im Schatten des Gebüsches hin, auf den Hohlweg zu, der aus dem Dorfe gegen die Hämmer führte. Aber der Schatten, den das Gebüsch warf, war nur schmal – sie mußten sich zu nahe daran drängen, die dornigen Zweige blieben in ihren Kleidern hängen, und als sie sich losrissen, schlugen sie rauschend und zischend zusammen. Zdenko warf sich in dem Augenblicke ins Gebüsch, denn er fühlte, daß sie durch den Lärm verraten waren. Wirklich schrie die Wache schon ihr: »Wer da« und eilte auf das Gebüsch los.

Das ist Pepik Picards Stimme – sagte Liduschka leise.

Geh hin und sprich mit ihm – lispelte Zdenko.

Liduschka, obwohl am ganzen Leibe zitternd, faßte sich schnell und ging der Wache entgegen, und stellte sich ihr in den Weg, um ihr die Aussicht aufs Gebüsch zu nehmen. Guten Abend, Pepik Picard! sagte sie freundlich.

Bist du es, Liduschka? rief Pepik Picard überrascht. Wie gut, daß ich nicht geschossen habe, die Leute hätten dann gesagt, es sei aus Rache geschehen. Aber wer war denn noch mit dir dort an der Hecke? Die Zweige haben sich noch hinter dir bewegt.

Es wird wohl mein weißes Huhn gewesen sein – antwortete Liduschka ruhig – du weißt, das treue Tier folgt mir überall nach wie ein Hund – Tag und Nacht. Die Tiere sind so dankbar – ich habe es aus den Klauen des Geiers gerettet. Wie ich einmal des Morgens das Fenster öffne, sehe ich, wie ein gewaltiger, schwarzer Vogel das arme Ding in die Luft tragen will. ich mache als ob ich losschieße – Puff – und das Ungeheuer läßt das arme Ding wieder fallen. Seit damals folgt es mir so treu überall hin, und die Nani, deine Muhme, der es eigentlich gehörte, hat mir es auch geschenkt, und ich will es gewiß auch gut pflegen und nähren, und wenn es Eier gibt, will ich sie mit der Nani teilen.

Ich kenne die Geschichte, du gutes Weib – aber wie schlecht siehst du aus, und du zitterst ja, als ob du zu Tode erschrocken wärst. Du mußt die Dummheit vergessen, daß ich dir einmal Rache geschworen habe, weil du mir einen Korb gegeben hast und des alten Richters seinen Sohn geheiratet hast. Ich nehm's nicht so genau mit dem Racheschwören wie der Peter Buresch, und du mußt dich nicht vor mir fürchten. – Siehst du, das tut mir weh, daß du so vor mir erschrocken bist. – Aber gut wär's doch gewesen, wenn du mich geheiratet hättest – jetzt bist du so allein in so böser Zeit, und an mir hättest du einen Mann, der dich schützen könnte, und der es sehr gerne täte, weiß Gott.

Gott wollte es so – sagte Liduschka, die ihn gerne plaudern ließ, um Zdenko indessen Zeit zu lassen, den Hohlweg zu erreichen.

Gott und du – sagte Pepik Picard schmerzlich lächelnd und sah traurig auf seine Büchse hinab, die er wie einen Stock in der Hand hielt. Dann wieder Liduschka mit zärtlichen Blicken anschauend, fuhr er fort: Aber wie blaß und traurig siehst du aus; du hast auch geweint, und deine schönen goldenen Haare sind ganz zerzaust. Man sagt, daß du dir unsere Händel mit den Obtschovern so sehr zu Herzen nimmst und dich in deine Stube einsperrst, um nichts zu hören von dem, was zwischen uns vorgeht. Siehst du, das macht dich so blaß – du solltest doch manchmal zu uns herauskommen, da hätte unsereiner doch eine frohe Stunde, und die Luft täte dir gut und würde dir die blassen Wangen wieder etwas röter machen.

Darum gehe ich auch jetzt ein wenig in die Felder – antwortete Liduschka lächelnd und gerührt von den zärtlichen Worten ihres ehemaligen Freiers.

Und ich lasse dich ungehindert gehen, trotzdem ich den strengen Befehl habe, keine Seele passieren zu lassen. Aber, fügte Pepik Picard schüchtern hinzu – es ist so langweilig, hier Wache zu stehen – möchtest du nicht ein wenig bei mir bleiben, daß ich die Zeit verplaudern könnte? –

Das würde sich wohl nicht schicken, so allein mit dir in der Nacht auf der Wache zu stehen, lächelte Liduschka.

Du hast recht – also Gott befohlen! – rief Pepik Picard.

Gute Nacht! – und Liduschka huschte das Gebüsch entlang und in den Hohlweg hinab, wo sie Zdenko erwartete. Schweigend schlichen sie sich fort an den Erdwänden hin bis an die Litavka – dort faßte Zdenko seine Schwester in die Arme und trug sie über den Bach. Aber jenseits der Litavka war noch ein Mühlbach zu passieren. Über den Steg, lispelte Zdenko, dürfen wir nicht – der führt zu hart am Hammer vorbei, und wir könnten dort leicht vom alten Buresch bemerkt werden. Wir müssen hier über den Bach springen und über den Hügel zu den Teichen hinab, wo wir unter dem Schutze des hohen Schilfes leichter fortkommen und das alte Schloß erreichen können. Auf dem Hügel befindet sich zwar auch eine Wache, aber es ist der Wlach, und der hat Furcht vor dem Wassermann im Teich, und steckt den Kopf zwischen die Beine und wagt es nicht aufzusehen. An dem werden wir leicht vorüberkommen und wenn er sich regt, brauchen wir ihm nur etwas Furcht zu machen.

Mit diesen Worten hob Zdenko seine Schwester wieder vom Boden auf und sprang mit ihr über den Mühlbach. Dann klommen die beiden Flüchtlinge den Hügel hinauf. Wie ein totes Auge glotzte ihnen durch die Nacht der Teich entgegen, von dem es heißt, daß er einen bösen Wassermann beherberge, der oft hervorkomme und einsame Wanderer vom trockenen Lande hole und in seine Wasserhöhle hinabziehe. Es ist einer der gefürchtetsten, aber auch in der Tat schauerlichsten und einsamsten Punkte in der Gegend. Doch achteten die beiden Flüchtlinge weniger auf ihn als auf den langen Wlach, der wirklich so dasaß, wie es Zdenko beschrieb, zusammengekauert, den Kopf zwischen den Beinen, die Zipfelmütze in den Händen, welche er krampfhaft um beide Knie klammerte, während er mit klappernden Zähnen Gebete murmelte und sich am wenigsten um seine Flinte kümmerte, die neben ihm im Grase lag. Als er die Schritte Zdenkos und seiner Schwester hörte, rief er, ohne seinen Kopf zu erheben oder auf irgend eine Weise seine Stellung zu verändern: »Wer da? – wer naht?! Alle guten Geister loben ihren Herrn und Meister! Bist du einer von den bösen, so hebe dich fort, du hast keine Kraft über mich, ich habe erst zu Ostern gebeichtet und kommuniziert. Gegrüßt seist du Maria, du gnadenvolle, du gesegnete unter den Weibern! – Vater unser, der du bist im Himmel! – Heiliger Johann von Nepomuk, bitt für uns!«

Die beiden Flüchtlinge lächelten einander an, indem sie am langen Wlach vorüberschlüpften – Zdenko konnte nicht umhin, sich einen Spaß zu machen, er bückte sich und nahm die Flinte der Wache mit sich fort. Aber als sie am Fuße des Hügels im Schilfe, das den Teich umgab, ankamen, sagte Liduschka, deren beständige Zeichen Zdenko nicht verstand und die erst jetzt zu reden wagte: Wenn dem langen Wlach morgen früh seine Flinte fehlt, ist der Peter Buresch imstande, ihn erschießen zu lassen. Denn er ahmt gerne das militärische Wesen nach – oder er läßt ihn wenigstens auf viele Tage einsperren. Du hättest ihm die Waffe nicht nehmen sollen, Zdenko!

Es juckte mir in den Fingern, antwortete Zdenko mit unterdrücktem Lachen – und es reizte mich zu sehr, dem tapfern Manne seine Waffe zu nehmen. Und der Vater könnte die Waffe gut brauchen zu seinen Geschichten mit der Regierung. Siehst du den doppelschwänzigen Löwen, den bayrischen, in den Kolben eingebrannt? Aber du hast recht, der arme Kerl soll nicht dafür zu leiden haben, daß er uns so gefahrlos durchkommen ließ. Ich trag' ihm die Flinte zurück.

Nein, um Gottes willen, du sollst nicht wieder zurück – wenn er dich doch sähe und Lärm machte!

Sei ruhig, sagte Zdenko, mit dem werde ich fertig.

Er machte sich los aus den Händen Liduschkas und kroch lautlos wie eine Schlange wieder den Hügel hinauf. Wlach, nachdem die schlüpfenden Schritte um ihn wieder verschollen waren, hatte Mut gewonnen und wagte es, nach und nach wieder den Kopf zu erheben, dann langsam und behutsam die Augen zu öffnen. Da kam von der Behausung des Wassermannes, vom Teiche herauf, eine dunkle Gestalt auf ihn zugeschlichen. Entsetzen faßte ihn – er wollte schreien und konnte nicht. Unwillkürlich griff er zur Seite nach seiner Waffe und fand sie nicht, und sein Haar sträubte sich vor Grauen, als eben diese Waffe, die er suchte, von den Händen der Erscheinung geschleudert, klirrend vor seinen Füßen niederfiel. Er wagte nicht sie zu berühren – sondern warf sich ächzend herum auf den Bauch und drückte sein Gesicht in die Erde und verstopfte sich die Ohren, als eine Minute darauf schreckliches Gelächter vom Teiche herauf erscholl.

Das Gespräch mit Pepik Picard und die Anstrengung, die sie machte, ihre Angst und innere Bewegung vor ihm zu verbergen, zuletzt die Geschichte mit dem langen Wlach, ließen Liduschka ihre Leiden vergessen, ja hatten sie ein wenig aufgeheitert, und frisch wie ein junges Reh lief sie neben ihrem Bruder einher, und achtete nicht auf den rauhen Wind, der ihre kaum verhüllte Brust umflog, und nicht auf die spitzen Steine, an denen sie ihre kleinen, nackten Füße zerstach; ja sie begann sogar sich zu freuen auf ihr Dorf und auf das Wiedersehen mit ihrer trauernden Mutter, die sie trösten wollte. So liefen sie auch am zweiten Teiche vorbei, an der Schäferei, am kleinen Walde, bis sie an den grasbewachsenen Hügel kamen, den man das alte Schloß nannte und in dessen Innerem jetzt Peter Buresch schlief, am Busen seiner Zigeunerin.

Hier laß uns ausruhen, du mußt müde sein, armes Kind! sagte Zdenko. Nichts da, wir gehen jetzt nicht weiter! Hier sind wir in Sicherheit – die Duschniker Wachen reichen nicht so weit und der Hügel verbirgt uns gut vor allen Blicken.

So sprechend, setzte er Liduschka auf einen Stein, zog seine Jacke ab und zwang die Schwester, sie umzunehmen, da sie vor Kälte zitterte. Dann nahm er sein Tuch vom Halse und band es ihr um den Kopf und drückte die reichen, goldenen Wellen darein, die ihr um Hals und Nacken flatterten. Dann ging er zur Quelle, die in der Nähe rieselte, und holte Wasser in seinem Hute und wusch ihr die Füße, die von den Steinen zerstoßen aus vielen Wunden bluteten. – So, sagte er, armes Kind! Das wird bald zu bluten aufhören, dann wird der Weg besser. Wir gehen hier die Wiese entlang, und in einer halben Stunde sind wir in Obtschov.

Da begann der Stein, auf dem Liduschka saß, sich zu regen. Sie sprang erschrocken auf, der Stein rollte ihr nach, und aus der Öffnung, die er im Hügel zurückließ, trat Peter Buresch mit der Zigeunerin. Erstarrt und keines Wortes mächtig, sahen sich Bruder und Schwester an – dann wieder sahen sie auf die Höhle und auf die beiden Erscheinungen, die sie geboren hatte – fragend, erstaunt, denn sie glaubten an Zauberei – entsetzt, denn sie hielten sich für verloren.

Also nach Obtschov geht's? fragte höhnisch Peter Buresch, der die letzten Worte Zdenkos gehört hatte.

Wir sind verloren! ächzte Liduschka.

Noch nicht, rief Zdenko, und stürzte sich mit vorgestreckten Armen auf Peter Buresch, wie um ihn zu erdrosseln. Aber wie ein Blitz warf sich die Zigeunerin zwischen beide und trennte sie. Zdenko wollte über sie hinwegsetzen, aber sie klammerte sich an ihn, und Peter Buresch faßte ihn mit seiner Riesenkraft an beiden Schultern und stieß ihn rückwärts, daß er taumelte und mit der Zigeunerin zu Boden sank. Peter Buresch ergriff indessen mit der rechten Hand eine Pistole, mit der Linken zog er eine Pfeife von Gemshorn aus dem Busen, und ließ dem Walde zu einen gellenden Pfiff ertönen. Eine Minute darauf erscholl ein Schuß als Antwort.

Ihr entkommt nicht mehr! sagte Peter Buresch ruhig und kalt, und wirklich eilten aus dem Walde schon die Raubschützen herbei, die jenen Pfiff kannten und sperrten den Weg nach Obtschov ab oder sammelten sich nach wenigen Minuten um ihren Führer. Dieser wandte sich lächelnd zu Liduschka, die blaß, mit hängenden Armen, aufgegeben und ergeben dastand, und sprach: Ei, ei, Liduschka – du bist also der Spion, nach dem wir so eifrig suchen? Das hätte ich diesen holden blauen Augen nicht angesehen – das hätte ich dir nicht zugetraut. Doch hätte man zuerst an dich denken sollen, du bist ja eine Obtschoverin, und es ist natürlich, daß du deine teuren Landsleute nicht willst stecken lassen. Es tut mir leid um dich, Liduschka, du bist ein so holdes und gutes Kind, und ich werde dich wie einen Spion müssen behandeln lassen.

Ich habe nie spioniert! sagte Liduschka mit tonloser, doch fester Stimme.

Was hättest du sonst hier zu tun – auf halbem Wege zwischen Duschnik und Obtschov in später Nacht und allein mit deinem lieben Bruder, dem du offenbar hier ein Stelldichein gegeben, um ihm deine Nachrichten mitzuteilen? Bist du nicht die Tochter des alten Mika, des Bauernadvokaten?

Liduschka, welche fürchtete, durch ausführlichere Entschuldigungen und durch Erzählung wie sie hieher gekommen, ihren Bruder ins Verderben zu stürzen, wiederholte nur einfach und mit noch festerer Stimme: Peter Buresch, ich habe nie spioniert und habe den Obtschovern nie etwas verraten.

Du leugnest? fragte er mit geheucheltem Zorne, obwohl er dem unschuldigen Gesichte Liduschkas schon halb und halb glaubte.

Wenn sie es sagt, so ist es wahr – rief Lunetta dazwischen, ohne Liduschka Zeit zum Antworten zu lassen. – Gewiß, Liduschka lügt nicht – o gewiß nicht! – sie ist so gut – sie könnte keinen Menschen verraten.

Die Zigeunerin rief es mit so bewegter Stimme, daß Peter Buresch sich überrascht nach ihr umsah und fragte: Woher weißt du das, woher kennst du sie?

Alle Zigeuner kennen ihr Haus, rief Lunetta feurig und mit innig bittendem Tone zugleich – ihr Haus ist gefeit – nie wird ein Zigeuner ein Huhn von ihrem Hofe stehlen, nie wird Feuer ausbrechen in ihrer Scheune – denn sie ist gut und barmherzig und hat schon viele beherbergt von den armen flüchtigen Zikani, wenn alle andern sie erbarmungslos von der Schwelle wiesen. Und im letzten Herbste, als ich mit meiner armen Mutter von Hlubosch kam, wo sie sie blutig geschlagen eines gestohlenen Huhnes wegen, und wir nicht mehr weiter konnten und meine arme Mutter aus hundert Wunden blutete, die sie ihr schlugen und die ihr die Hunde ins Fleisch gebissen, welche uns aus dem Dorfe jagten, und als sie uns auch aus Duschnik weiterjagen wollten und dem Przibramer Gerichte übergeben – da nahm sie uns auf in ihrer Scheune und gab uns eine warme wollene Decke und nährte uns, bis die Mutter starb in ihren und in meinen Händen. Dann nahm sie noch Geld aus ihrem Topfe, daß ich es dem Pfarrer gebe und meiner Mutter ein ehrliches Begräbnis bereite. Ich habe es den Brüdern gesagt, und die haben es weiter getragen durch die Wälder und Täler und Berge, und ganz Ägypten weiß, daß Liduschka zu schützen ist vor Leid und Ungemach.

Peter Buresch streichelte das Haar Lunettas und küßte sie auf die Stirne. Wie sie so feurig sprach und bat, war sie so schön. Selbst Zdenko vergaß, in welcher Lage er sich befand, und sah gerührt auf die Zigeunerin nieder, die sich seiner Schwester so warm annahm, und war erstaunt, in ihr dieselbe zu erkennen, die die Obtschover zum Kriege gegen die Duschniker aufgereizt und ihnen Sieg versprochen hatte. Liduschka selbst näherte sich der Zigeunerin und faßte dankbar ihre Hand und wollte sie bitten, ihren Bruder zu retten und ihrer selbst zu vergessen. Aber Lunetta achtete nicht auf die Umstehenden. Als sie Peter Bureschs Zaudern sah, warf sie sich zu seinen Füßen, streckte flehend die Hände empor und rief: O mein Gebieter und Herr! Du selbst liebst ja meine Brüder und bist mächtig und geliebt im Lande Ägypten. Fühlst du dich nicht auch gebunden durch ihren Schwur? – Hat dich meine Mutter nicht gelehrt, das Wild des Waldes mit deinem Auge zu bannen und den Wolf zu zwingen wie einen Hund? Hat sie dich nicht gelehrt, deinen Hund treu zu machen, daß er nicht von deinem Grabe weichen wird? Hat sie dir nicht die Kräuter gezeigt, deren Duft alles Wild aus dem Verstecke hervorlockt – und die Salben gegeben, die alle Wunden heilen? – Bei meiner armen Mutter, die sie nicht wie eine Christin aufgenommen hat, beschwöre ich dich, tue dem guten Weibe kein Leid an!

Es ist mir nicht eingefallen – sagte lächelnd Peter Buresch. Wie ich mich an den ängstlichen Sprüngen des aufgejagten jungen Rehes erfreue, ihm aber nie meine Kugel nachschicke, so werde ich auch dem jungen Reh, der armen, geängstigten Liduschka, nichts zuleide tun.

Mein teurer Herr! jauchzte Lunetta und sprang ihm um den Hals und küßte ihn.

Führt sie fort, befahl Peter Buresch einigen Raubschützen – und bewachet sie streng in ihrem Hause und lasset keine Seele zu ihr. Ich habe es mit ihrem Bruder zu tun.

Liduschka schrak bei diesem Worte zusammen. Sie näherte sich der Zigeunerin, drückte ihr dankbar die Hand und raunte ihr mit zitternder Stimme ins Ohr: Rette meinen Bruder! – Die Raubschützen nahmen sie in ihre Mitte und führten sie fort. Trotz allen Sträubens war sie mit ihren Begleitern bald in der Nacht verschwunden.

Peter Buresch wandte sich zu Zdenko, der trotzig und fest dastand, und sprach: Zdenko, dein Bruder ist beim ersten Zusammenstoß mit uns gefallen – heute liefert dich ein Zufall in meine Hände, an dem Tage, da ich jedem Obtschover, der sich auf Duschniker Gebiet sehen ließe, den Tod versprochen habe – und ich habe alle Ursache, dich für einen Spion zu halten. Es scheint, daß das Schicksal der Brut des Bauernadvokaten eine Ende machen will; als gerechte Strafe dafür, daß er es stets mit den Beamten gehalten gegen die Bauern, sollt ihr alle durch Bauern zugrunde gehen. Ich werde dich einem Gerichte von zehn Männern übergeben, die dich nach meinen Kriegsartikeln verurteilen und am nächsten Baume werden hängen lassen.

Das werden sie nicht! rief plötzlich eine Stimme aus der Menge der Herumstehenden fest und keck widersprechend.

Das werden sie! schrie Peter Buresch, zornig über den Widerspruch, und sah sich funkelnden Auges nach dem Sprecher um. Es war der lange Tomesch, der eben aus Obtschov zurückgekehrt, beim Pfiff seines Herrn seine Schritte beeilte und ankam, als Peter Buresch seine Drohung gegen Zdenko aussprach. In der einen Hand hielt er noch einen gebratenen Gänseschenkel, den er eben in die Tasche steckte, während er sich bemühte, den Bissen, den er noch im Munde hatte, schnell zu verschlucken, um seinem zornigen Meister zu antworten. – Der Zdenko, rief er endlich, indem er vortrat und sich vor diesen hinstellte, ist ein braver Kerl, der es nicht verdient, so von uns behandelt zu werden. Er hält es mit dem gemeinen Volke und nicht, wie sein Vater, mit den Beamten und Herrschaften. Die Bauern, sagt er, sollen sich untereinander totschlagen, aber die hohen Herrschaften sollen es bleiben lassen, sich darein zu mischen, und das ist brav und ehrlich gesprochen und – wie soll ich sagen? – volksgemäß gesprochen. Wenn der Zdenko nicht wäre, so wäre schon jetzt ein Brief des alten Mika auf dem Wege nach Prag, um es den Herren Beamten anzuzeigen, daß wir bayrische Waffen haben, und um kaiserliche Soldaten zu holen.

Also auch das weiß der alte Mika schon? – murmelte Peter Buresch nachdenklich.

Ja. das weiß er sehr gut und wahrscheinlich noch vieles andere – fuhr der lange Tomesch fort und erzählte weiter von dem Gespräche, das er heute morgen im Garten des Bauernadvokaten belauscht und wie sich Zdenko dabei benommen hatte.

Peter Buresch atmete tief auf nach Vollendung der Erzählung. Er rieb sich lange besorgt die Stirne, dann sagte er zu Zdenko: Du hast brav gehandelt, und wer so tut, kann wohl auch kein Spion sein – der muß in unsern Reihen stecken. Ich will ihn herausbekommen und wenn er sich dem Teufel verschrieben hätte. – Zdenko, du wirst nicht gehenkt, aber ich will dich als Gefangenen zurückhalten und als Geisel, daß dein würdiger Vater nicht zum zweiten Male auf den edlen Gedanken komme, Bauern an Soldaten zu verkaufen. Führet ihn ins Dorf und sperret ihn in den Schüttboden – ihr alle haftet mir mit euren Köpfen für ihn!

Gehorsam führten sie auch den zweiten Gefangenen fort und sperrten ihn im Schüttboden mitten im Dorfe ein, und stellten Wachen vor Türe und Fenster, wie es Peter Buresch befohlen hatte. Dieser selbst ging nachdenklich in den Wald, auf die Halde, wo heute nacht das Hauptlager war, setzte sich abseits auf einen Stein und dachte nach, wie der Krieg in kurzer Zeit so auszudehnen wäre, daß, wenn die Soldaten doch kämen, er von ihnen nicht mehr unterdrückt werden und man sich mit den Truppen Ihrer Majestät selbst messen könnte.

Aber er wurde bald wieder aus seinem Nachdenken herausgestört. Vom Dorfe herauf drang großer Lärm, Schreien, Schimpfen, Fluchen durch die Bäume. Bald sah man im Mondscheine einen Haufen bewaffneter Bauern, die einen Mann in ihrer Mitte führten, dem die Hände mit Stricken über den Rücken gebunden waren und der, wie er traurig den Kopf senkte, eine Mönchsglatze zeigte, die im Mondschein schimmerte.

Seht da, das ist Hynek, genannt Cölestinus, ehemaliger Hofknecht, jetziger Kapuziner! rief einer der lagernden Bauern.

Was er für breite Schritte macht, als stäke er noch im Habit – rief ein zweiter lachend.

Aber wo hat er seine Kutte gelassen? fragte ein dritter.

Er ist aus Liebe in die Kutte gekrochen, er wird aus Liebe wieder aus der Kutte gesprungen sein – antwortete ein vierter, und ein großes Gelächter empfing den armen Verhöhnten, den seine Begleiter vor Peter Buresch hinstellten.

Diesen Mann, den Laienbruder Cölestin aus dem Kapuzinerkloster in Mischek, den wir noch als Großknecht im Obtschover Meierhofe kannten, berichtete einer, fanden wir, als er verdächtig um das Dorf schlich und sich um das Haus des alten Jarosch zu schaffen machte. Er wollte fliehen, als wir uns näherten, aber wir erwischten ihn noch und fanden in seinen Taschen allerlei Zeugs, womit man Brand stiftet, wie Pech und Schwefel, und Stahl und Stein.

Verfluchtes Volk, rief Peter Buresch ergrimmt, indem er aufsprang und die Faust ballte – wollen sie uns mit Brandlegungen beikommen! Wie oft hätten wir schon ihr Nest anstecken können, wenn wir so niederträchtig Krieg führen wollten! Wer bist du, Elender, der du dich zu diesem erbärmlichen Geschäft hergegeben hast – hat sich ein Pfaff dazu gefunden, wozu sich gewiß kein ehrlicher Bauer hergeben wollte?

Ach, ich bin gewiß ein guter Kerl, – seufzte der Gefangene, eine gewaltige robuste Gestalt, die außer der Tonsur nichts Mönchisches an sich hatte, ja sogar durch die gutmütigen und traurigen Züge seines Gesichtes und die milden und blauen Augen ein gewisses Zutrauen und Mitleiden einflößte – ich bin gewiß ein guter Kerl und kein Pfaff; die Nachbarn kennen mich ja und sollen's sagen, ob's nicht wahr ist, aber jetzt bin ich ein Mörder und Brandleger.

Ja gewiß, der Hynek auf dem Meierhof war immer ein guter und sogar zärtlicher Junge – bestätigten einige der Umstehenden – aber wer weiß, was die Pfaffen aus ihm gemacht haben, fügten sie spöttisch hinzu.

Aber Mörder und Brandleger? – fragten andere – wie kommst du dazu? Erzähle.

Aus Liebe! seufzte der Kapuziner.

Aus Liebe! lachte der Chor – aus Liebe! er war immer so zärtlich, das ist wahr.

Gestehe und erzähle! befahl Peter Buresch ernst und unangesteckt von der Heiterkeit, welche der unglückliche Kapuziner bei den Bauern verbreitete. Dieser, unbekümmert um den Spott der Bauern, seufzte tief auf und sprach, während dicke Tränen über seine Wangen herabliefen:

Peter Buresch, du warst so lange fort aus hiesiger Gegend und weißt nicht, was alle Nachbarn wissen, daß ich der Tochter des Schaffners auf dem Obtschover Meierhofe, was man so nennt, nachgegangen bin, denn ich habe sie sterblich geliebt. Ich war Großknecht im Hofe, war mit ihr auf dem Felde, im Stalle, bei Tische zusammen und konnte bei Gott nicht anders. Katharina war schön, das wissen alle, aber niemand weiß so gut als ich, wie schön sie war. Ich hatte mir vom Heuboden aus ein Loch gebohrt in ihre Stube, und da belauschte ich sie immer, wenn sie sich Sonntags ankleidete. Die Leute glaubten, ich wäre in der Kirche, und ich lag auf dem Heuboden, das eine Auge am Loche, und wagte nicht zu atmen. Katharina war mir auch gut und saß oft halbe Nächte bei mir auf der Bank im Hofe. Aber erst als ich ihr mein Geheimnis von dem Loche im Boden mitteilte, wurde sie zwar anfangs zornig, dann aber erst recht zutraulich und liebte mich desto zärtlicher. So waren wir lange Zeit glücklich und vergnügt. Meinen ganzen Lohn gab ich auf, ihr Korallen, schöne Kämme mit Steinen besetzt, seidene Tücher und Mieder zu kaufen. Ihr Gebetbuch war voll von heiligen Bildern, die ich ihr jeden Sonntag aus der Stadt mitbrachte – auf allen Tanzböden war ich mit der schönen, flinken Katharina zu sehen. Meine arme Mutter mußte sich mit der Hälfte dessen begnügen, was sie sonst von mir bekommen hatte. Doch dauerte das Glück nicht sehr lange. Katharinas Vater sah es gerne, wie der Lohn, der mir durch seine Hände zukam, wieder größtenteils seiner Tochter zufloß, aber als ich im letzten Herbste es wagte, Katharina gradheraus von ihm zum Weibe zu verlangen, lachte er mich aus und meinte, seine Tochter habe eine höhere Bestimmung, als das Weib eines Großknechts zu werden, und als ich ihm vorstellte, daß ich ebensogut wie er aus einem Großknecht ein Schaffner werden könnte, nahm er mich beim Arme und warf mich zum Hofe hinaus und meine kleinen Habseligkeiten nach. Es war im Herbste nach der Ernte und er konnte mich leicht entbehren. – Wir waren sehr unglücklich, Katharina und ich, obwohl sie weniger weinte. Wenn ich in der Nacht, im Verborgenen, mit ihr zusammenkam, brachte sie mir anstatt Trostes immer bösere Nachrichten von der Verstocktheit ihres Vaters. und sagte mir endlich, wir müßten die Hoffnung ganz aufgeben. Nein, nein, rief ich, ich lasse nicht von dir, lieber töte ich mich oder gehe in ein Kloster. Gehe in ein Kloster, sagte sie darauf – ich tue desgleichen, und als Mönch und Nonne haben wir noch eher Hoffnung zusammen zu kommen als so. Unser verzweifelter Plan war gemacht: ich sollte nach Mischek gehn, zu den Kapuzinern, und dienender Laienbruder werden, Katharina wollte nach Prag zu den Ursulinerinnen und desgleichen tun. Ich konnte es nicht erwarten, diese Welt zu verlassen, die nur Unglück für mich hatte, und machte mich auf den Weg zum Kloster.


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