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Des Märchens Ende

Doch Kinder nun zum Teufel mit dem Räubermärchen. Mir fällt was andres ein, was Hübscheres. Ich will Euch von der glücklichsten Stunde meines Lebens sagen.

Auch so ein liebes, kleines Mädel wie die Lore. Linden und Maibäum und Schaukeln am Ufer . . . im hohen Junigras. Drunten floß sanft der Rhein. Die Burgen grüßten wie gute alte Freunde. Im kleinen Kaffee ging mein Herz auf wie Mohn. Der alte Konditor nickte bei seinem Pfeiflein. Was kümmerte ihn Zeit und Ewigkeit Auf dem alten Kasten klimperte ich all die süßen Lieder, die man jubelt, wenn man jung und glücklich ist und das Herz wie eine Knospe im April aufspringt . . . das ist freilich lang, lang schon –

Was schon wieder Schwefel? nanu, dann sagt Euch einfach der dreiunddreißigste Baron aus dem Hause Dampfkessel Lebewohl.

Ja, Martha; na weil ich ein guter Kerl bin, wollen wir Magistrat und Ordinariat auch noch zu wissen geben, was uns vom Ende des schauerlichen Räubermärchens bekannt ist.

Die Sonne ging auf, lodernd, eine purpurne Garbe. Als die Uhren dies schöne Wetter sahn, gingen sie alle recht. Und übers Land brannte jene andre Sonne, die Freiheit, und von ihrem Licht taumelten tot die Mücken der 162 Finsternis. An ihrer Wärme platzten all die heuchlerischen glatten Präsidenten, Abgeordneten, Höflinge und sonstigen Staatshausknechte einer Gesellschaft, die, längst erledigt, verzweifelnd noch versucht hatte, aus ihren Lumpen ein neues Kleid zu flicken.

Das Volk jauchzte Lore und Silvester und Salomon zu.

Aber der alte König schüttelte sein weißes Haupt, nahm seine Kaffeemühle und seinen Grammophon und ging.

Und Silvester sprach: »Ja, laßt uns doch wieder in die Berge ziehn, wo keine Leute hausen. Denn die Menschen betrügen sich immer und immer müssen sie enttäuschen. Mit unsern Sehnsüchten behängen wir sie und glauben sie stets besser, edel und groß. Aber sie haben nur Launen; Gefühl und Tiefe findest du nur bei Kindern und Greisen. Die einen schaun alles durchs Vergrößerungsglas, die andern durchs Verkleinerungsglas. Und alle vergessen, daß man die Dinge durch beide sehen kann und dabei doch noch weit von der Wirklichkeit entfernt bleibt.

»Der sucht wieder seinen Zweck darin, in der Kammer seines Lebens Unordnung zu machen, und betrachtet es als Höchstes, Einziges, hierauf wieder aufzuräumen. So sind sie fast alle undankbar gegen das Gewesene, nennen heute Kitsch und beschimpfen, was ihnen gestern noch Gott war.« –

Und dann zogen sie hinaus. Die Stadtkapelle gab ihnen das Geleite. Und alle Menschen waren betrübt, daß sie die 164 lieben gütigen Herzen verloren.

»Wir wollen euch schon fleißig schreiben«, sagte Lore, »und ich will gepreßte Veilchen und Himmelschlüssel und Gänseblümlein hineintun.«

Durch betaute wogende Felder ging's. Die Kornblumen leuchteten, Lerchen schmetterten, die Amseln und Drosseln schluchzten. Der schöne, grüne Wald nahm sie in seine mütterlichen Arme.

»Ich will auch ab und zu im Varieté auftreten«, brummte der König, »da bring ich euch dann viel Geld mit«

»Was brauchen wir Geld«, zwitscherte Lore, »wir haben ja unsere Liebe!«

Der Kuckuck schlug immerzu, ohne Ruh . . . .

 

Arme Lore! Die Leute bedauern dich, du dummes Ding, als ob man sich mit Liebe ein Margarinebrot kaufen kann!

Ich aber, kleine Lore, wünsche dir Glück, mögen all deine verborgensten Wünsche sich erfüllen und keine Enttäuschung dein Leben verbittern.

Ich armer Xaver Dampfkessel hab freilich keinen Wunsch und auch keine Liebe. An meine Tür klopft kein Postbot. Ich bin sehr einsam. An mein Dachfenster blühn keine Blumen. Um mich rauschen die Fabriken und keine Vögel hör ich singen. Ich falte nicht die müden Hände, wenn die Sonne schlafen geht und steh nachts nimmer auf um über einen erblühten Rosenstrauch zu weinen. Mir ist bang wie einem armen Kinde, das verlassen 166 in seinem Bettlein weint und im Hof drunten spielen und tollen die andern.

Ich bin ein armer Teufel. Meine Tage sind grau und trostlos. Ich habe nur Verzweiflungen und Ölberge gefunden, keine Sterne. Wenn in diesen eiskalten schwarzen Ungeheuerlichkeiten irgendwo ein barmherziger Gott, er hätte mir geholfen. Kein fraulicher Duft umschmeichelt mein leeres, elendes ich.

Ich habe keinen Freund.

Immer älter werden, immer älter werden, ohne jung gewesen zu sein!

Ohne Blüten verdorren zu müssen!

Kein Frauenaug streift mich versonnt und märzlich. O Gott, ausruhn können, aber wohin flüchten? Betet kein armer Hase für mich, den ich einst vor den Hunden gerettet.

O, ich weiß um die bangen Schauer der Junggesellen um Weihnachten, an Sonntagen, im Sterbbett.

Und du, bist ja vielleicht auch ein armer Mensch und stapfst wild und matt und betrogen durch die große, harte Stadt; ein Lieb verließ dich, ein alter Freund ging wieder von dir, lehnst irr an den Berghängen, hast nicht mal Geld, um einem kleinen Mädel Kaffee und Kuchen zu kaufen. Dir primelt ja nie das zarte Gold einer Rückkehr. Keine atmet dir zu wie ferne Glocken oder das Klingeln kristallner Herbstgläser.

Von den Gesellenvereins- und Feuerwehrtafeln liest du Ausflüge, Übungen; ach es muß nicht alles gedruckt sein. Du rennst durch verblichene Anlagen. Ein kleiner Junge stelzte und sang: O du lieber Augustin. Sein Schwesterlein spricht mit ihrer Puppe: kratz mich doch nicht Dickerchen. Dann fragt sie 167 ihren großen Bruder: Freust du dich schon, wenn du stirbst.

Oder du liegst den ganzen Tag wie in einem Sarg in deinem schmutzigen Bett. Es ist ein trauriger, öder Samstag wieder. Draußen fällt ewiger Schnee. Dich friert. So häßlich, ach, dies Hinsterben. O Gott: all dein Schlechtes wird ja nur aus diesen trostlosen Verzweiflungen der Langweil geboren. Scheußlich, wie dies Stundenschlagen der Nachttürme deinen Schädel zerstampft.

Du hütest dich vor Erlebnissen, denn es scheint dir leichter, einer schönen Stunde zu entsagen, als dann vor Kummer und Sorge ob des Verlorenen lange, lange Zeit zu verbluten. Du weißt wohl, daß es töricht ist, dies ewige tränenlose Weinen. Aber es kann keiner aus seiner Haut heraus. Der ist stark wie ein gesunder Baum, und der andre siecht dahin und leidet am Leben. Freilich wär's weit besser, man könnte dahinleben, gleichgültig oder rücksichtslos zu dem, was einem der Alltag zuträgt, freut sich des blassen Glücks, ärgert sich dann und wann.

Immer siehst du nur die Schatten und wie unnütz und vergebens dies Leben. Und was hast du noch vor dir als Nebel und Unglücke.

Du hast nichts zu essen und keinen Pfennig mehr. Du kannst auch nicht auf die Gasse gehn, deine Schuh und Kleider sind zerrissen.

Oder du sitzt ohne Hoffnung in der Eisenbahn . . .

Irgendwo auf einer nie bekannten Station steigst du aus. Die Wolken novembergrau wie dein Herz. Es hat geregnet, du beginnst eine Landstraße zu wandern. Auf den Bergen glänzt 168 frischer Schnee. Es geht hügelauf hügelab. Herbst! später Herbst! Radfahrer sausen vorüber. Kleine Wirtshäuser beten an der Straße. Ein Bauernmädel putzt. Du schaust in die dunkle Stube hinein. Ihr kleiner Bruder kehrt die dreckige Straße sauber. Eine einsame Kapelle steht auf einmal da. Du möchtest drin dem lieben Gott danken. Aber sie ist verschlossen. Plötzlich bricht die Sonne hinterm Vogelbeergebüsch. Du blickst in ein fernes Land.

Herdenglocken blühn hin. Ein kleines Engelchen wünscht dir Guten Abend. Die Sonne fängt zu bluten an. Du hättest es nicht bemerkt. Aber ein Fenster im Schulhaus sah es erglühend und schreckte dich. Du frägst einen Mann nach der Zeit. Er weiß es nicht. Du ziehst einen alten Liebesbrief aus der Tasche. Der Wind fängt sich in deinem Haar. Du hast Fieber.

An einem Feldbronnen trinkst du. Du fängst auf einmal zu laufen an. Denn der Zug muß ja bald kommen. Der Zug, der dich in die große Stadt trägt. Wo keine Büsche und Herdenglocken singen. Wo dir niemand Gute Nacht wünscht. In die große, große Stadt, wo du wieder sterben wirst.

Ja, du unheiliger, von unzähligen Pfeilen der Hoffnung zermarterter Sebastian, oder wie du dich sonst nennen magst, bist unglücklich wie ich, Xaver Dampfkessel . . .

Mein Nachtmahl harrt. Wer weiß, o Freund, ob dich so schönes, braunes Brot erwartet und labt. Und die gute blonde Bäckersfrau hat mir's wieder in eine alte »Gartenlaube« gewickelt Da hab ich dann später, wenn der Mond kommt, noch was zu lesen.

Ja, da will ich mich deiner erinnern, kleine Gartenlaube und 169 dir in all meiner Armut einen Allerseelenkranz schenken. Ich hab ja sonst auch nichts zu tun.

Ich lieg krank in meiner Mansarde. Den Ärmsten kann ich ja nicht helfen. Und kein guter Mensch kommt zu mir und verplaudert meine schwarze, schwarze Zeit.

Ach, auch dir, liebe Gartenlaube, gilt eine Schwermut meines Herzens. Wie oft, da ich müde und elend im Krankenhaus lag, warst du mir eine kleine Abendsonne, ein Veilchen ans Bett.

Was für schöne Dinge brachte doch dein guter Vater Keil, er zierte dich mit den schönsten Sternen, die in Deutschland blühn. War es nun Walter von der Vogelweide, das Wörterbuch der Brüder Grimm oder der schlichte Erzherzog Johann. Waren es die süßen, süßen Blumen der Marlitt, oder bettelte er innig für einen armen Künstler: immer schlug sein Herz rein und kindlich. Du warst sein goldnes und er war und blieb immer dein Kind.

Schlaf wohl, ruh aus, alte Gartenlaube, auf den Speichern kleiner Sommerfrischen, in den Bücherkisten der Großeltern, in den Händen spielender Kinder. Ärgere dich nicht über die gescheiten Leute. Ach sie sind ja heute so klug geworden. Wüßten sie, wie unendlich viel Liebes, Schönes in dir schlummert, sie rümpften nicht die dummen Nasen. Es ist ja das Schicksal alles Gütigen, daß es vergessen wird. Aber die kleine Küchenmagd, die, von der Arbeit müd, über dir träumt, die alte Frau, die über deinen gilben Blättern bei schlechtem Kaffee einnickt, der von allen Menschen verlaßne Kranke im Spital und ich – wir werden nie dich vergessen.

Ich kam freilich bloß zu dir in der verzweifeltsten Langeweil, da mondelang kein Brief kam, kein Stücklein Blau an mich 170 dachte; da mir die großen Heiligen, Dichter und Philosophen so leer, ach so leer schienen: da ich vergaß, daß Wiesen am Wald und Bächlein und Sommer war, da ich auch Gott tot wähnte. Und da wardst du mir ein braver Kamerad, mir ekelte nicht vor deinen verschmierten, schmutzigen Blättern . . . wieviele ja hast du getröstet, halfst ihnen über bittre, bittre Stunden hin, wieder in die kleine Gasse der Hoffnung.

Es stand ja auch oft von schwerer Not in dir, und wer richtet sich da nicht ein bißchen wieder auf. Aber manchmal war es auch ein Kuchenrezept, eine Briefkastennotiz, ein Bild aus Amerika.

Du könntest gar manchem Müden ein Gebet sein, kleine Gartenlaube: Dürfte ich dein Angedenken feiern wie ein schönes Kinderfest! Aber ich bin arm und elend. Und doch, draußen, vorm Stadttor träumt eine alte Gartenschenke. Ich will um die letzten Groschen ein Glas Wein trinken in Erinnerung an dich, und der Flieder wird schmerzlich rauschen.

Vielleicht begegnen wir uns wieder, du lieber Kamerad, in einem Krankensaal, da ich noch zerbrochner und ärmer bin. 171

 

Ausgang

Der Baron schwieg. Man hörte nur das Tropfen der roten Kerzen. Und draußen fielen die Sterne.

»Morgen will ich was Schöneres lesen. ›Die Betfahrt des Bruders Amandus‹ wird Euch vielleicht mehr gefallen.« –

Als Balthasar morgens in den Salon trat, fand er auf dem Plätzchen, wo er gestern die Papiere des armen, verhungerten Dichters niedergelegt, eine herrliche Rose.

»Irmelin«, lächelte er, »lieber, reicher Dichter!«

Der Mond grüßte oben, eine bleiche Sichel. Der Vorfrühlingswind spielte mit den Vorhängen und duftete nach seltsamen Dingen.

Anni richtete mit anmutigen, reizenden Bewegungen den Frühstückstisch her. Balthasar pfiff ein kleines sehnsüchtiges Lied aus Wien.

Durch die Birken schimmerte das Mädchenkleid seiner Liebsten.

Er schritt die Terrasse hinab.

 

Ende

 


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