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Im Zuchthaus

Im Zuchthaus herrschte Ordnung. Natürlich dafür war es ja ein Zuchthaus. Man hörte bloß das Knacken der Revolver und die Flüche der Wärter. Und vielleicht das rastlose Auf und Ab eines nach der Sonne, nach grünen Feldern Verzweifelnden.

Weh der Vögel, die im Käfig sterben, der abgepflückten, fortgeworfnen Blumen! Ihr da draußen wißt ja nicht, was es heißt, an den Kleidern noch den Duft von Regen und Straßen, den Mantel feucht vom Morgentau der Wiesen.

Ach, stündlich glaubst du nicht länger leben zu können. Und immer wieder kommt der schwarze Morgen und peinigt dich. Du denkst an ein junges, blondes Weib, 135 das aus deinen Armen geschlüpft und nun sich die Haare wieder ordnet, an ein liebes Wort, das einst in einem lieben, süßen Kleinmädelbrief gestanden. Ihre Wangen waren kühl wie ein Rosenblatt Wo wird sie sein? Ach, sie wird lustig sein und mit andern lachen, scherzen. Pfingsten war's! Und der Duft von jungen Fraun strich durch den Park. Die Grillen zirpten . . . ein Mädchen, das süß in ihrer Kammer schlummert. O kühle Sommernacht. Am Fenster blühn die Tulpen. Durchs Laub glitzern Mond und Glühwürmchen. Die Linden rauschen . . . Ach, die Trümmer deiner Altäre, du bist verlorn fürs Leben; wenn du doch tot wärst!

Ja, ihr draußen, aus eurer Jugend wird wohl bittres Alter, die Freude sinkt zu Leid, aber eure Wünsche bleiben Wünsche! Aber denen hinter den Mauern starb längst das Wünschen. Die haben selten noch Hoffnungen. –

Oft schleiften die Wärter Tote aus den Zellen und warfen sie in bereitstehende, automatische Vorrichtungen. Die beförderten sie genial in Waggons. Dann wurde Leim daraus gesotten, der gehörte zu den wichtigsten Lebensmittelartikeln im Königreich, denn es ging täglich gar viel in die Brüche.

Eine große Menge verhungerte. Die andern wurden von den Wärtern erschlagen oder erschossen oder zu Tode gegeißelt. Ja, es galt eben, den kraftstrotzenden Staat zu gesunden, zu befrein von diesen unsaubern Elementen, na ihr wißt schon von welchen. –

Silvester ersehnte sein Ende. Die Aufseher 136 schikanierten ihn furchtbar. Morgen früh sechs sollte er erschossen werden.

Wißt Ihr die Gefühle des Verurteilten, der die Stunden, die er noch zu leben, an den Fingern abzählen kann?

Ja, vielleicht war es doch eine Torheit gewesen. Wenn sich Gott nicht mehr sorgt um die Bedrückten, dann hätte auch er die Hände müßig in den Schoß legen sollen. Wenn Gott die Menschen verkümmern läßt, dann konnte auch er das Rad des Unglücks nicht hemmen . . .

O Lore, du kleiner blauer Vogel . . . Schwester des Monds, du Braut des Frühlingswinds. Rosen zierten dich, nein du ziertest sie.

Er dachte an die letzten Stunden mit ihr.

In der alten Kutsche mit den molligen Kissen, der Regen plätscherte vom Fenster nieder. Durch dämmernde Alleen jauchzten die Orgeln unsres Herzens. O Schwärmerei; verlornes Glück, da sagten wir das meiste, als wir schwiegen.

Der Mond streute dir silberne Veilchen. Du hörst die Knospen springen. Du warst der Lenz, der in mein Wintern kam, so lau, so lind . . . man denkt schon an schwüle, duftige Julinächte . . . es muß ein Sonntag sein. Die Nacht hat Tau geweint, weil du so schön bist Der silberne Tag fiel in die goldne Dämmerung . . . Vorfrühlingsterrassen und dunkler Wein bei sanfter Gitarre und aus purpurnen Lauben das Lachen schöner Fraun.

Da wir noch an Sterne, Liebe, Freundschaft, Glück und andere Worte glaubten. Und schneit doch über alle und 138 alles das donnernde vorbei. Weh uns, die wir immer dumme Kinder bleiben! Keine Mutter, kein Vater rettet uns mehr. Gott ist schlafen gegangen. Der Himmel ist kein blauer See mehr, drin die Sonne schwimmt Dein Herz wird zu Tränen, wie sie die ältesten Greise weinen.

Wenn ich doch noch schlafen könnt! Einmal noch träumen. Ach, es müßten ja keine schönen Träume sein mit Morgenalleen, Reitern, Sonne und frohen Häusern. Wenn nur Sturm und tobendes Schicksal darin.

Nein, es blieb nichts! Es wär besser, die kleinen Sterne wärn nicht gekommen, denn die Erinnerung reißt immer wieder roh und unbarmherzig an diesen schlecht vernarbten Wunden. Ach nicht daran denken. Bald bist du ganz still, du blutendes Herz! O einmal wieder steigt herauf ihr leisen Tage der Knabenzeit, im Park unter den uralten Bäumen. Es war doch eine andre Einsamkeit in den schönen Zimmern des kleinen Schlosses: Die schweren Schränke mit den Büchern und alten Dingen. Die Bilder der Ahnen . . .

Und draußen der Duft von Flieder und Jasmin und Rosen. Der wilde Wein hing in die Fenster herein. Und die liebe mütterliche Stimme der alten Kindermagd.

Zu was lebte man? weil das Leben eine Gnade ist??

Nun kommen bald keine Wünsche mehr . . . müde bin ich, geh zur Ruh . . .

Er fühlte ein Lindes, Vergeßnes neben sich. Irgendwo schlug eine Uhr. Die letzten Vögel trillerten. Eine Maus lief zum Fenster rein. – 139 Vorfrühlingsdüfte trieften in die zweitausendeinhunddertsiebenundneunzigste Massenzelle. Der Madizinnaalrat Pitschipatschedatschehätschepätsche hatte zwar selbstverständlich drei Tote für glänzend gesund, arbeitsfähig und fähig zum Abschlachten erklärt. Tja, der Arzt war tüchtig; er war auch derselbe, der den seligen Dotschenpepperl, oder hieß er Lotschensepperl – ich hab an andres zu denken, als auf mein Räubermärchen obacht zu geben – einbalsamiert, auf daß es eine schöne, feine Mumie gäbe.

Manche Leute im Königreich behaupteten, er sei schon lang eine Mumie gewesen und – noch was dazu.

Aber Ihr wißt ja selbst am besten, was Ihr, pardon, was die bösen Leute alles sagen.

Obwohl es lauter gefährliche Subjekte waren, es gab Leute darunter, die ihre zweihundertsechzig bis dreihundertachtzig Jahr Zuchthaus besaßen, ließ man den Herrgott einen guten Mann sein. Einer hatte in seiner Verworfenheit eine Haarnadel, der eine Papierschnur, eine leere Düte gekripst. Und erst die verrufenen politischen Schwerverbrecher, die sich in Gegenwart von den heiligen Mopseln der Ministersgattinnen ihre Zigarrn anzündeten, die Bürgerlichen Gesetzbücher nicht in der Hosentasche trugen und vorwärts und von rückwärts auswendig konnten, jene schamlosen Verbrecher, die vor den Löwenbriefkästen nicht niederknieten, nicht auf naziohschaale Schutz- und Trutz- und Schmutzblättchen abonniert waren, auf ihren Kleidern, Hüten, Bleistiften, 141 Maikäferhäusern, Visitenkartentäschchen, Sicherheitsnadeln, Ruhekissen, Taschentüchern, Wandschonern und Radiergummis nicht die Bildnisse vom Popolizeipräsidenten und Staatskommissionär trugen.

Ein andrer hatte sogar dem verstorbenen heiligen Milinisterbrezelstempen Lotschensepperl ein von ihm weggeworfnes Brausebadbillet gestohlen. Natürlich mußte er zum Tode verurteilt werden. Seine Majestät Ignatius Dünnbier, der Wärter aller Wärter, hatte aber, da er »serr späziöl« mit dem Verbrecher, sie drehten früher manches Ding mitsammen, einem andern diese letzte Überraschung beschieden.

»Undank ist der Welt Lohn«, sprach einer, »sonst müßten mir doch alle Leute dankbar sein, bei denen ich nicht einbrach.«

»Himmel Hergott, kein Teufel kümmert sich um mich und ich bin doch die Hauptperson, ich erhalte ja die ganzen Gezüchte«, sagte ein Dieb.

»Überhaupt, du brauchst mir bloß eine monatliche Rente von tausend Talern geben und ich bin der anständigste Mensch auf der Welt. Du kannst dir gar keinen netteren vorstellen.«

»Ach, unser Zuchthäuserl ist ja so das reinste Mädchenpensionat. Und da brauchst du bloß drei Stunden, um eine Kartoffel aus der Gänseweinsuppe zu fischen, während ein glücklicher Finder in der Familienpension zu Lilienruh vierzehn Tage dazu nötig hat.«

Nebenan erschlug eben ein Aufseher wieder, um nicht 142 aus der Übung zu kommen und sich warm zu halten, ein paar jugendliche Verbrecherinnen. –

 


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