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Die Reliquienfabrik

Draußen vor der Stadt gab es unterdessen erbitterte Kämpfe. Die Heere und Truppen und Regimenter und Pfadfinder und Realschüler und Gebirgstrachtenerhaltungsvereine und Veteranenbündler und Eisstockschießer und Tarockler und Gesellenvereine und Frauenturnriegenleutnants und Gesangsvereine und Vereinigungen der Spiritisten, Drogisten, Photografisten, Dentistinnen, Kornkaffeekisten, Popolizisten, Expressionisten, Egoisten, Pazifisten, Philosophen, Kammerzofen, Kochofen, Theosophen, Alkoven, Anthropoposophen und andern Heldensöhnen der Kulimulilazipazier: also um es kurz zu sagen, der ganze kulimulilazipazische Kulturschwindel stand den unzivilisierten Horden Meingehörts', Kribskrapsens, Spiritussens, Hokuspokussens, Pfaffenärgers gegenüber.

Aber was kümmert uns dies, wo die berühmten neuesten amerikanischen Börsen- und Welt- und Geld-Margarinenachrichten von unzähligen Siegen wimmeln. Und auf so ein Blatt ist zu traun. Der hat auf festen Grund gebaut Margarineblätter in keiner Not, gehn tausend auf ein Lot. Mit einem Hieb fällt man keine Eichenmargarinsacharinnachrichten. Die 144 Margarineblätter sind nicht an einem Tage gebaut und verhaut worden. –

Lore ging es sehr schlecht. Man hatte sie natürlich in's Kloster »zum sanften göttlichen Cherubim« gesteckt Es duftete nach Wachs, Blumen, Spezerein, Äpfeln, Honig.

Ach diese trügerischen heimatlichen Altenhäusergerüche!

Aber die Oberin war ein Furie. Das heißt für die Männer nicht. Die hießen sie bloß Engel oder Schnuki oder Salome. Auch Klorinde, die süße Pförtnerin, und Faridun, die Oberdoktorprofessorsbutternockerlnonne, und Yvonne, die Medizinalratsglasscherbennonne, und Evelyn, die gesulzte Schweinsohrennonne, und Pepromene, die Weinstritzelundpuddingmitaraksaucenonne, quälten Lore bis aufs Blut.

Die vergaß fast, daß sie in der Reliquienfabrik des »göttlichen Cherubim« arbeiten mußte. Ihre schönen, tiefen, tränenvollen Augen blickten fremd und fern . . .

Armer Silvester! Du meine Erinnerung! Du, ich liebe dich, liebe dich heiß, lieb dich wahnsinnig. Ich werde dich ewig lieben. Ohne dich will ich sterben. Ach, könnt ich ein letztesmal deine Hände in die meinen nehmen und sie küssen. Mein Gott bist du! Mein ganzes Leben war schöner und so süß und wie im Traum geworden. Ich werd dich nie vergessen. Lieb hab ich nur dich, nur dich allein. Und immer und überall muß ich deiner denken, alles erinnert mich ja an dich, an dich Einzigen. Und kein letztes Lebewohl darf ich dir sagen. Deinen Namen auf 146 den Lippen, will ich sterben. Ach die wilde, wilde Sehnsucht Denkst du noch an die kleine Törin? O Schwärmerei! Hab ich dir doch nie unrecht, nicht weh getan? Liebster, wer weiß, glaubst du mir nicht, daß ich dich noch immer sehr lieb habe. Ach, nun hab ich niemand mehr, dem ich meinen Kummer anvertraun kann. Ich bin sehr unglücklich und hab keine Seel, die mich trösten könnt. Was soll dies Leid! Das Leben hätte für uns so wunderschön seien könn. Ich hab dich so gern, so gern. Und muß nun ewig traurig sein, weil ich nie mehr um dich wissen darf. Ich bin nun wieder eine Bettlerin auf einer verlassenen Landstraße; der kleine Stern ist nimmer da.

Wo sind die Stunden und kommen sie nimmermehr? Ach, du warst viel zu gut für mich. Mein Herz war so übermütig vor Glück; die ganze Welt konnt ich umarmen. All meine Seele ist bei dir. O Fieber! Einem unschuldigen Sternlein schaff ich einen heißen, ewigen Kuß für dich an. Liebster, ich hab dich ja so lieb. Ach wie furchtbar, von dir getrennt sein, aber vergessen werd ich dich nie. Mein Herz ist zerstört Ich denk immer, immer an dich. O Zauberei! Mir fallen schon die Augen zu. Du warst so lieb und gut. Schlaf wohl, schlaf wohl du Lieber . . . Komm, küß mich ein letztesmal. Du, du, ich hab dich so lieb. Die ganze Nacht denk ich an dich . . .

Die Reliquienfabrik war sehr leistungsfähig und vollkommen auf der Höhe. Dort wurden täglich so zirka zweihundert nahtlose Oberröcke Christi genäht, hundertzwanzig Dornenkronen angefertigt, die Jesu 148 getragen, dreihundert Veronikaschweißtücher! Ja, alles gab's da, und das will was sagen, natürlich im Original. Sogar genau die Lebzelten, Pfannkuchen, Hackbraten, Leberwürstl, Beefsteaks mit Sardellen, ungarischen Schnitzeln, Erdbeerkuchen, Baum- und Käskuchen, Haselnuß- und Punschtorten und Guglhupf, die der heilige Joseph und die übrigen Heiligen verzehrt, wurden hier hergestellt und in Gold und Glas gesetzt.

Da könnt ihr so recht sehen, was die Kirche für ihre weidenden Schafe tut. Nur ganz verkommne, rohe, entmenschte Kreaturen wie die Lore können zu solch heiligem Tun Schwindel sagen. Sie sollte deshalb auch morgen lebendig eingemauert werden. Auch war sie zu dem ehrwürdigen, hochwürdigsten, allerheiligsten Herrn Erzbischof Aloisius, der süße Sündenvergeber, gar nicht nett. Und der liebe, alte Herr war doch immer so lustig, hob jodelnd seinen fliegenden Frack und sang: Ist denn kein Stuhl da, für meine Hulda, oder Mei Huat der hoat drei Löcha, oder Ich bin's a lustiga, junga Wüldschitz, oder Erlaub mir schöne Sendarin zu sein heint Nacht bei dir, oder I thua was i wüll und i thua was mi gfreit – und andre schöne Sachen.

In der Ecke hockte der Pfarrer Pius XXXVII, genannt der dicke Jakob. Er hatte einen Rosenkranz aus Marzipan in den geweihten Händen. Wenn er nicht aß, betete er Schnadahüpfl oder streichelte ab und zu aus purer christlicher Nächstenliebe die frommen Nonnen Laura, Doris, Kamilla, Susanne und die Struwelpeterlotte. 150

Tja, wo soll denn sonst Liebe sein, wenn nicht im »Sanften göttlichen Cherubim«. Deshalb geschah eigentlich Lore ganz recht. Warum liebte sie die huldvollen Bischöfe und Pfarrer nicht. Was verschenkte sie ihre windige liebe Liebe nicht für ihr Seelenheil.

Arme Lore! eine weiße Kirschblüte verstreut dich der Wind, der böse schlimme Wind. Tränen der Verzweiflung flossen über ihre vergrämten Wangen. Plötzlich kam was rauschend durch die Luft geflogen und durchs Fenstergitter herein fiel zu ihren Füßen ein mit dem neuen glänzenden Grafenwappen Pfaffenärgers geschmücktes, unzähligemal gesiegeltes Pergament Sie sah eben noch den König davonfliegen. Auf seinem ausgespannten Regenschirm war eine Kaffeemühle gemalt Und im Zettel stand:

Seid getrost Königin, elfenbeinerner Turm, fromme Pilgerschar, wunderbarer Adler, Du blühender Oelbaum, Du Diamant der Tugenden, Du Beschützerin in der schrecklichen Pest, Du schmerzhafte Mutter, sei getrost! Es gibt ein Wiedersehen! memommento mohrübeno! Salve! Salami! –

 


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