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In der Höhle

Tja, an der Höhle plauderten unsre Gesellen. Süßes Nichtstun umgab sie. Lind wirbelten die Flocken. Manchmal schwiegen sie und lauschten einem Lied, das Lore schluchzte und Silvester begleitete. Vöglein umzwitscherten den Frieden, die schöne Ruhe. Nur in einer Ecke 115 hockten drei gefangene Gerichtsvollzieher, bohrten Nase, spielten Domino und pfiffen ganz, ganz leise: Wir Gerichtsvollzieher fürchten Gott, sonst aber nichts auf der Welt, Ein Reh kam heran. Aber als es die nichtsfürchtenden drei Herren sah, stob es davon.

»Schad«, sagte der eine, »daß ich nicht die ganze Räuberbande auf die Popolizei führen kann, aber es geht nicht gut« »Nein«, sagte der andere mit einem göttlichen Unteroffizierschnurrbart, »es geht jetzt momentan wirklich nicht gut, aber Gott verläßt einen tapfern Gerichtsvollzieher nicht!«

»Wollen wir nicht ein bißchen die drei Trottel da hinten durchprügeln?« donnerte Kribskraps und befahl seinem Spezel weiterzufluchen während er sich ein Eisbein hole.

»Nein«, sprach Lazarus Spiritus, »überhaupt wenn ihr künftig wieder Besuch aus dem zoologischen Garten mitbringt, so führt ihn in den Stall.«

»Ach was«, krächzte Kribskraps mit erhobener Stimme, so daß die Nichtsfürchter erbleichten; »ich will mich mal bei den Lumpen bedanken und sie in die Hölle befördern.«

»Da brauchst du sie bloß in ihr Amtsgezücht zurückschicken.«

»Das will ich auch tun, es ist Zeit, daß sie verschwinden und meine Sonne wieder scheinen kann. Da können sie auch gleich wieder den vorsündflutlichen Schmutzredakteur vom »Leichenstall« mitnehmen, der Kerl 117 verpestet uns den ganzen Wald.« Dann ging er ins Büro und diktierte einer Roten Kreuzschwester:

»Natterngezücht! seid begrüßt Senatoren Roms! Wir schicken Euch anbei aus Deiner Menagerie die drei Trottel und den Mistredakteur zurück. Wir haben wohl noch Platz für Säue, Läuse, aber nicht für Ihre verdorbenen Waren. Ihre humoristischen Zeilen habe ich der edle Räuber Kribskraps erhalten, worin Du mich zum Tod verurteilst. Ich habe direkt einen Lachkrampf bekommen. Im übrigen hast Du mir, Natterngezücht bloß zu schreiben, wenn ich Dich was frag, Du wanziges Amtsgezücht. Den Hintern hau ich Dir schon noch voll, aber dann laß ich Dich wieder laufen, denn mein Herrgott will, daß es Saublöde auch gibt. Gegeben im grünen Wald von uns Kribskraps.«

»Kinder«, rief einer, »seid's stad, da Kribsikrapsi muaß sein Namm unterschreibn. Nä, dem Herrn Gott bin ich nichts schuldig, im Gegenteil.«

»Nun muß ich aber«, sprach Hokuspokus, »an die Arbeit gehn, ich wär ja sonst der einzige Mensch im Königreich, der nichts arbeitet.« Dann lud er sich auf ein Lastauto Kisten voll Gold, Würste, Kleider und fuhr damit in die Spitäler, Armen- und Waisenhäuser.

»Der hat wieder seine edlen Anregungen«, lächelte Lazarus Spiritus »wie andre's Bauchgrimmen. Na, die einen verludern, weil sie arbeiten, die andern, weil sie keine Arbeit haben. Also, Madame Arbeit, ich verachte sie so oder so.« 119

»Ach«, sagte Meingehörts, »es gibt mehr falsche Menschen als falsches Geld. Die Welt ist immer anders, als wir sie sehn, wie wir uns sie gedacht. Und wenn ich nicht selbst viel von mir halte, die andern tun's sowieso nicht. Das Leben ist ein Irrtum; aber, reicht mir mal diese Hammelkeule rüber.«

»Und ich«, schnarchte Pfaffenärger, »muß mich besaufen, damit ich auch wieder mal ein vernünftiges Wort singen kann. Ach, wenn ich nur auch einen Titel hätt, dann wär ich doch immer vernünftig!«

»Was, ein Titel fehlt Dir?« sprach Lazarus Spiritus. »Gut, das haben wir gleich erledigt, ich schlage dich einfach zum damischen Ritter, und von dieser Stunde an bist du Edelmann, und ich krieg dafür, weil ich dich zum Grafen gemacht, den Schlüssel zum Ölsardinenkeller.« –

Aber drinnen erzählte währenddem Silvester seiner kleinen Lore von all den vielen bittern Stunden und dem Stündlein Sonne.

»Ich habe gar wenig Blumen gefunden in meinem Leben. Ein Tag rennt dem andern nach. Das Leben ist ein Traum, nicht wert, daß man sich plagt und martert, ihn fortzuträumen. Du suchst Trost, den du nie finden wirst«

»Aber du hast ja jetzt mich«, schluchzte Lore. Ihre Himbeerlippen dufteten. »Ich hab dich so lieb, so wahnsinnig lieb, freut's dich denn nicht; ich möcht sterben für dich!«

»Ich darf dem Heute ja nichts mehr glauben, es wird ein Gestern daraus. O ihr Wolken des Himmels, die ihr euch ausregnen dürft. Meine Wolken dürfen nicht weinen. 120 Eine unsägliche Traurigkeit hindert mich, das Schöne zu fassen. Als ob man noch ein Kind wär, das zu weinen anfängt, weil es Mond und Sterne nicht langen kann. Vielleicht ist es töricht und fast komme ich mir vor wie der Narr, der traurig ward, als er den Berg erstieg, denn droben müsse er wieder hinunter.

Man wird allein unter Schmerzen geboren, man stirbt allein, warum sollte das, was dazwischen liegt, mehr sein als Einsamkeit. So hab ich meine Kindheit, meine Jugend lieber bei Büchern verträumt. Zu was nach Menschen suchen? Am Schlusse sehn wir immer ein, daß sie alles, bloß keine Menschen waren. Da erschüttert uns eine kranke Frau, ein bleicher hungernder Mann, eine Zeitungsnotiz, da rührt uns ein weinendes Mädchen – wen schert es, beim Abendbrot haben wir's vergessen. Wo bist du Gott? Ich würde ganz gerne an dich glauben, aber ich hätt dann doch eines mit dem Pack gemein. Siehst du nicht die zerquälten Antlitze in den Straßen, auf den Bahnhöfen, in den Kirchen und Schenken und Gerichtssälen? Siehst du, o Gott, nicht all die von der andern Dummheit, Gier, Neid, Stolz Gepeinigten? Schufst Du die Menschen nur, auf daß sie sich martern, töten, daß sie verbluten in Ängsten und Sehnsüchten? Immer strafst, verfolgst du die Besseren und die Schlechten mästest du. Der dir fürs Brot danken würde, dem versagst du's und dem, der nie deiner denkt, gibst du alles, was er wünscht Und doch, zu was diese Klagen! Du schickst deshalb doch keinem der Verlaßnen, Verlornen, Heimatlosen einen lieben 122 Abendbrief, einen sanften Vorfrühlingswind oder Schlaf und Ruhe und Vergessen. Wir haben kein Vaterland. Immer schleppen wir wie einen Bettelsack die arme Waise, unsre Seele mit . . . –«

 


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