Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der weiße Ritter

Tief im Urwald, in einer riesigen Höhle, hauste mit seinen Gesellen Silvester, der gefürchtete Räuberhauptmann. Die armen, verfolgten Leute, denen er rasch half, hießen ihn nur den weißen Ritter; er selbst aber wußte oft nimmer, wie er hieß, oder wollte es nimmer wissen.

Vorm Eingang hingen an einer Schnur Hunderte von Totenschädeln, das war ein Lieblingsspiel vom Räuber Meingehörts. Die hatte er aber nicht von seinen Opfern, nein, dazu war er wie alle richtigen Räuber viel zu edel. Er hatte wohl manchmal manchen schäbigen Filz und Wucherer bis aufs Hemd ausgezogen und jagte ihn dann fort Er erschlug niemanden wie die braven Heldenjungen in der Stadt, er stahl und raubte nur wacker. Ja, also er hatte die Totenschädel von einem Friedhof geholt, wo sie tags darauf der Meßner vergraben sollte. Davor hatte sie nun Meingehörts bewahrt, und er lehrte damit seinem Pudel das Einmaleins.

So still war es im Walde. Der Schnee fiel leise von den Zweigen. Die Vöglein zwitscherten vor der Höhle, sie 60 wußten, daß ihnen da kein Leid geschah, sondern immer der Tisch bereitet war. In der Höhle prasselte das schönste Feuer. Die Flammen flackerten gespenstisch durch den unermeßlichen Raum.

Gott, wie schön warm war's in der Höhle. Meingehörts und der Pfingstisidor brieten sich eben ein saftiges Stück Mastochsenfleisch. Dabei ordneten sie ihre Arbeitsbücher; sie hatten solche für alle Berufe: Klempner, Schlosser, Schreiner, Rentamtssekretär, Kellnerin, Glaser, Major, Missionar, Kaiser, Kurfürst, Erzbischof – einfach alles. Dazu tranken sie Schnaps, der eigentlich für den Kaiser von Japan bestimmt war. Aber das war ihnen wurscht.

Ein Reichtum war hier aufgestapelt. Das größte Kaufhaus in Leichennägelkommilika, dem Lande der unbegrenzten Möglichkeiten, ist ein Pappenstiel dagegen. Was? Tietz und Wertheim? Das sind Läuse dagegen. Kinder, da habt ihr keine Ahnung. In säuberlich getrennten Lagern waren hier die Lebensmittel. Und was für welche! Tausende Büchsen Kaviar, Pasteten, Huhn, westfälischer Schinken, Spargel, Blumenkohl und erst die feinsten Weine. Große Fässer Pilsner, Kulmbacher; ganze Riesenballen Emmentaler, Maria-Theresientaler, Gorgonzola, Edamer und erst die Würste!! Die Würste, sag ich euch! Und erst die unzähligen Kisten Schokolade und die feinsten Bäckereien. Und hier wieder die pp. Stoffe, Schuhe, Kleider, Pelze, Motorräder. Und hier wieder Gold! Gold, sag ich euch, daß man vor Glanz die Augen schließen mußte, es blendete einen. Da waren ganze Tonnen 62 Münzen aus aller Herren Länder.

Was machen die australischen, beileibe nicht die europäischen Käsblättchen für Geschrei bei einem Diamanten von Faustgröße. Ich sage euch, Kinder, hier waren welche, und wenn ich lüge, das habe ich aber wirklich nicht notwendig, denn ich hab so nichts und hab von euch nichts; also wenn ich lüge, kann mich sofort mein Taufpate Beelzebub holen, so groß wie der Kopf des Ministers Wastlmeier Baron von Zipflhuber. Und das will doch allerhand sagen.

Mit Smaragden, Saphiren, Rubinen, Topasen, Amethysten gab man sich gar nicht ab. Nur auf dem reizenden Biedermeierschreibtisch Silvesters lagen welche, denn er liebte sie und wußte, daß sie eine Seele hatten. Vor einer Landschaft Corots, in einem schweren Lederstuhl saß Silvester.

Er griff dann und wann klimpernd ein paar sehnsüchtige Akkorde auf seiner Harfe und träumte und dachte.

Ja, gestern hätten ihn bald die Hackfleischkreuzheringsbändiger [siehe Brockhaus C, Band S, Seite Siebentausendvierhundertachtundneunzig, vierhundertsechzehnte Zeile von obenunten: ein nun im Aussterben befindlicher Hundianerstamm] erwischt Er war kein Feigling, nein, aber enden, ohne zu vollenden.!

Er hatte den Kampf mit den Schurken aufgenommen, aus heißer Liebe zu den Bedrängten, und nun stempelten sie ihn zum Schuften, hingen ihm ihre Gemeinheiten 63 an, und wenn sie ihn erst hatten, so büßte er wie der schlimmste Verbrecher.

Er dachte an Christus! Er gehörte nicht zu denen, die da glauben: Das Schicksal sei ein Floh, der sich von ihnen dressieren läßt. Die Menschen vergessen immer die Hauptsache, daß sie sterben müssen. Viele bilden sich ein, der liebe Gott hätte ihnen, nur ihnen ganz allein die zehn Gebote diktiert Das sind dann die Frommen. Und die andern sind Dreck – verzeiht, ich würde natürlich, ihr kennt mich ja, nie so ein Wort sagen, aber Silvester sagte so.

Diese Leute sind doch gar nicht wert, daß man sie beleidigt, und was man ihnen heute nimmt, das stehlen sie sich auf »ehrliche« Weise schnell wieder zusammen. Und die paar andern, die nicht Dreck sind, sind Besen, sie kehren den Dreck zusammen.

Und bewegt dich heut was, in wenig Tagen hast du's wieder im Alltag vergessen. Man ist kein Künstler, der die schmutzige Welt [das ist natürlich nicht wahr, und war bloß so ein Opumistmus oder Pessigrießmuß Silvesters] in Gold verwandelt Eigentlich kommt's ja doch auf dasselbe hinaus, ob man heut geht oder nach 30 Jahren. Man macht bloß weniger Dummheiten.

Der Raum Silvesters war mit echten Persern umhängt. Schöne alte Möbel waren darin. Welche lieben Hände mochten wohl die entzückenden Spitzen und Gehänge gearbeitet haben! Und welch ehrlicher Gesell mag wohl schon in den Schweinslederschmökern geschlürft 64 haben! Da lagen Otway, Ronsard, Gryphius, Grabbe, Eichendorff, Jean Paul.

Ein melodischer Gong tönte, und Lazarus Spiritus, ein alter verdienter Räuber [gerade sagt er zu mir: Warum nennst du mich Räuber, was sind denn dann die großen Herren, die ganze Länder einstecken?] trat ein. Sein Gesicht glänzte noch von Ölsardinen.

»Da ist ein Bursch draußen, sozusagen ein Greis. Ein liebs Dingerl hat er dabei. Er wird's wohl irgendwo gekripst haben. Er sagt, er sei ein davongejagter König.«

»Merkwürdig«, grunzte Meingehörts aus einer Ecke, worin er eben abstaubte, »was jetzt täglich davongeflogene Könige daherkommen, laß ihn laufen, der hat ja doch nichts, und wenn er was hat, dann nehmen's ihm schon die Teuren, bei denen er in seiner königlichen Dummheit Zuflucht und Schutz sucht«

»Meingehörts«, rief Silvester, »hast du zu reden oder ich? Führ sie herein!«

»Ich mein ja bloß«, brummte der.

»Sei gegrüßt, edler Ritter«, sprach der König, »du mußt mein Anker, meine Rettung, mein Felsen sein. Ich mache dich zum Generalvizeministerfeldwebelkönig, und du mußt, bis ich sterb, mit mir Kaffee trinken.«

Lore lächelte. Sie hatte seinen langen Bart in zwei Zöpfe geflochten. Und Silvester senkte das Haupt, Er erkannte seinen guten Vater. Den armen Vater! Sein Schicksal wußte er ja, und er hatte längst daran 66 gedacht, ihm zu helfen.

»Kennst du mich?« sprach Silvester.

»Du bist der edle, weiße Ritter. Du hast ganz recht, daß du stiehlst. Meine Lore sagt's auch, die hat dich riesig gern, und wenn du willst, ich fühl mich so wohl da bei euch, dann, bitte, laß mich mal gleich Kaffee kochen, und die Lore muß: ›I hob amal a Räuscherl ghabt‹ singen.«

Da lächelte auch Silvester. »Aber weißt du auch, ob ich dir helfen kann?«

»Du kannst alles«, sprach Salomon, »bloß nicht so gut Kaffee kochen wie ich.«

O liebes Kind, mit deinen alten weißen Haaren, du bist freilich zu gut für diese Nattern.

 


 << zurück weiter >>