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Die letzte Krankheit

Nach Entfernung der inkriminierten Knarrpanti-Episode aus dem Manuskript konnte der Druck des Werkes endlich fortgesetzt werden. Das Disziplinverfahren hingegen schwebte weiter, bis es durch Hoffmanns Tod erledigt wurde.

Seine Krankheit nahm rapide zu. Bald war er nicht mehr imstande, selbst zu schreiben. Seine Gliedmaßen wurden zunehmend gelähmt. Er mußte diktieren. Hitzig half ihm, das Manuskript durchzusehen, wozu er allein nicht mehr imstande war. Die Mitteilungen an Hitzig, die hier folgen, sind mit zitternder Hand mit Bleistift geschrieben.

 

An Hitzig

Berlin, den 1. März 1822.

Ich habe gestern den völligen Schluß des Märchens diktiert, und korrigiere denselben heute vormittag nach dem Bade. B. will bis morgen mittag die ganze Reinschrift des Manuskripts schaffen, so daß dieselbe noch morgen abend mit der reitenden Post nach Frankfurt geschickt werden könnte.

Aber nun ist mir Himmelangst, daß man dem Schluß doch vielleicht die Schwäche des kranken Autors anmerken möchte, und geratener wäre es in diesem Falle denn doch, das Ganze liegen zu lassen; dann übersteigt aber auch die genaue Durchsicht des mundi meine Kräfte. Sie, bester Freund, sind der einzige, zu dem ich meine Zuflucht nehmen kann. Schenken Sie mir morgen nachmittag ein Stündchen Ihrer freilich kostbaren Zeit, um die Reinschrift in jener doppelten Hinsicht durchzusehen. – Verlassen Sie mich diesmal nicht in arger Schwulität. –

Noch immer bin ich matt und elend. – Noch einmal, verlassen Sie mich nicht.

Hoffmann.

An denselben

B. wird leider heute nicht fertig, sondern erst Montag früh, welches mir nicht geringen Kummer und Verdruß macht; ich bin überhaupt mit ihm nicht sonderlich zufrieden gewesen. – Zum Durchsehen des Manuskripts werden Sie aber auch das Brouillon brauchen, das B. Ihnen geben muß. Ich schicke Ihnen das, was er mir davon zurückgegeben hat.

Ganz vorzüglich ist mir daran gelegen, daß Sie, liebster Freund, mit der Dienstagspost das Manuskript an W. senden. Gütigst kommen Sie also wohl Montag oder Dienstag zu mir, um das nötige zu verabreden! –

Gestern früh hatt' ich drei Ohnmachten hintereinander. Nicht fünf Minuten kann ich außer Bett sein.

Vale faveque
Hoffmann.

An denselben

4. März 1822.

Anbei, teuerster Freund! die Reinschrift nebst Brouillons zur gütigen genauen Beurteilung und Durchsicht in doppelter Hinsicht. Sehr lieb würde es mir sein, wenn ich die Brouillons morgen früh zurückerhalten könnte, da dieselben durch v. H., gleichsam unter der Hand, dem v. Kampz mitgeteilt werden sollen, um jeden noch möglichen Aufenthalt in F. zu vermeiden –

Morgen nachmittag schenken Sie mir wohl ein Stündchen – Es übersteigt durchaus meine Kräfte an W. zu schreiben, da ich ihm doch so manches sagen muß, also nehme ich zu Ihnen, mein teuerster Freund! meine Zuflucht

– Sowie ich aus dem Bette komme, werd' ich ohnmächtig! – Ich erwarte Sie morgen mit der gespanntesten Sehnsucht

Vale faveque
Hoffmann.

Schon bei flüchtiger Ansicht der Reinschrift finde ich garstige Fehler! O Jemine!

An Wilmans in Frankfurt

Berlin, den 23. März 1822.

Schon am 7. März sandte Hitzig Ew. Wohlgeboren den Rest des Manuskripts, und da ich bis jetzt ohne alle Nachricht blieb, ist mir bange vor neuem Unglück; ich bitte mich darüber, ist die Antwort nicht schon unterwegs, umgehend zu beruhigen.

Die Erzählung (Margaretha) sollen Sie bis in den Lauf des Junius erhalten, wenn mir Gott nur Kräfte gibt. Noch bin ich elend d. h. der Körper – der Geist nicht, der ist frisch und stark, aber ich kann nicht schreiben, denke ich auch alles auf das lebendigste.

Als Gunst würde ich es erkennen, wenn Sie mir die zuersterhaltenen 20 Friedrichsdor erst auf das Honorar für die Erzählung abrechneten.

Das Testament

Wir, nämlich ich, der Kammergerichtsrat Ernst Theodor Willhelm Hoffmann und ich, Maria Thekla Michalina geborene Rohrer haben nun bereits seit zwanzig Jahren in einer fortdauernden wahrhaft zufriedenen glücklichen Ehe gelebt. Gott hat uns keine Kinder am Leben erhalten, aber sonst uns manche Freude geschenkt, doch uns auch mit sehr schweren harten Leiden geprüft, die wir mit standhaftem Mut ertragen haben. Einer ist immer des andern Stütze gewesen, wie das denn Eheleute sind, die sich, so wie wir, recht aus dem treuesten Herzen lieben und ehren.

Sollte es nun Gott gefallen unsern Bund zu trennen und einen oder den andern aus dieser Zeitlichkeit abzurufen, so verordnen wir hiemit letztwillig und wechselseitig, daß dem überlebenden Ehegatten der Nachlaß des Verstorbenen, nicht das mindeste davon ausgenommen, als vollkommen freies, uneingeschränktes Eigentum, worüber er nach Willkür verfügen kann ohne jemanden darüber Red' und Antwort zu geben, endlich zufallen soll.

Ich, der Ehegatte habe diese wechselseitige letzte Verfügung selbst geschrieben, ich, die Ehegattin, dieselbe aber mehrmals durchgelesen, beide bekräftigen und vollziehen wir aber diesen unsern ausgesprochenen letzten Willen durch unsere eigenhändige Namensunterschrift und Beidrückung unseres gewöhnlichen Siegels.

Berlin, den sechsundzwanzigsten März
Eintausendachthundertundzweiundzwanzig.
Ernst Theodor Willhelm Hoffmann
Königlicher Kammergerichtsrat.
Maria Thekla Michalina Rohrer,
verehelichte Hoffmann.

Der kranke Dichter

Meinen armen Vetter trifft gleiches Schicksal mit dem bekannten Scarron. So wie dieser hat mein Vetter durch eine hartnäckige Krankheit den Gebrauch seiner Füße gänzlich verloren, und es tut not, daß er sich, mit Hilfe standhafter Krücken und des nervigen Armes eines grämlichen Invaliden, der nach Belieben den Krankenwärter macht, aus dem Bette in den mit Kissen bepackten Lehnstuhl, und aus dem Lehnstuhl in das Bette schrotet. Aber noch eine Ähnlichkeit trägt mein Vetter mit dem Franzosen, den eine besondere, aus dem gewöhnlichen Gleise des französischen Witzes ausweichende Art des Humors trotz der Sparsamkeit seiner Erzeugnisse in der französischen Literatur feststellte. So wie Scarron schriftstellert mein Vetter; so wie Scarron ist er mit besonderer lebendiger Laune begabt und treibt wunderlichen humoristischen Scherz auf seine eigene Weise. Doch zum Ruhme des deutschen Schriftstellers sei es bemerkt, daß er niemals für nötig achtete, seine kleinen pikanten Schüsseln mit asa foetida zu würzen um die Gaumen seiner deutschen Leser, die dergleichen nicht wohl vertragen, zu kitzeln. Es genügt ihm das edle Gewürz, welches, indem es reizt, auch stärkt. Die Leute lesen gerne, was er schreibt; es soll gut sein und ergötzlich; ich verstehe mich nicht darauf. Mich erlabte sonst des Vetters Unterhaltung, und es schien mir gemütlicher ihn zu hören, als ihn zu lesen. Doch eben dieser unbesiegbare Hang zur Schriftstellerei hat schwarzes Unheil über meinen armen Vetter gebracht; die schwerste Krankheit vermochte nicht den raschen Rädergang der Fantasie zu hemmen, der in seinem Innern fortarbeitete, stets Neues und Neues erzeugend. So kam es, daß er mir allerlei anmutige Geschichten erzählte, die er, des mannigfachen Wehes, das er duldete, unerachtet, ersonnen. Aber den Weg, den der Gedanke verfolgen mußte, um auf dem Papier gestaltet zu erscheinen, hatte der böse Dämon der Krankheit versperrt. Sowie mein Vetter etwas aufschreiben wollte, versagten ihm nicht allein die Finger den Dienst, sondern der Gedanke selbst war verstoben und verflogen. Darüber verfiel mein Vetter in die schwärzeste Melancholie. »Vetter!« sprach er eines Tages zu mir, mit einem Ton, der mich erschreckte, »Vetter mit mir ist es aus! Ich komme mir vor wie jener alte, vom Wahnsinn zerrüttete Maler, der tagelang vor einer in den Rahmen gespannten grundierten Leinwand saß und allen, die zu ihm kamen, die mannigfachen Schönheiten des reichen, herrlichen Gemäldes anpries, das er soeben vollendet; – ich geb's auf das wirkende schaffende Leben, welches, zur äußern Form gestaltet, aus mir selbst hinaustritt, sich mit der Welt befreundend! – Mein Geist zieht sich in seine Klause zurück!« Seit der Zeit ließ sich mein Vetter weder von mir, noch von irgendeinem andern Menschen sehen. Der alte grämliche Invalide wies uns murrend und keifend von der Türe weg wie ein beißiger Haushund. –

Es ist nötig zu sagen, daß mein Vetter ziemlich hoch in kleinen niedrigen Zimmern wohnt. Das ist nun Schriftsteller- und Dichtersitte. Was tut die niedrige Stubendecke? Die Fantasie fliegt empor und baut sich ein hohes lustiges Gewölbe bis in den blauen glänzenden Himmel hinein. So ist des Dichters enges Gemach, wie jener zwischen vier Mauern eingeschlossene, zehn Fuß ins Gevierte große Garten, zwar nicht breit und lang, hat aber stets eine schöne Höhe. Dabei liegt aber meines Vetters Logis in dem schönsten Teile der Hauptstadt, nämlich auf dem großen Markte, der von Prachtgebäuden umschlossen ist, und in dessen Mitte das kolossal und genial gedachte Theatergebäude prangt. Es ist ein Eckhaus, was mein Vetter bewohnt, und aus dem Fenster eines kleinen Kabinetts übersieht er mit einem Blick das ganze Panorama des grandiosen Platzes.

Es war gerade Markttag, als ich, mich durch das Volksgewühl durchdrängend die Straße hinabkam, wo man schon aus weiter Ferne meines Vetters Eckfenster erblickt. Nicht wenig erstaunte ich, als mir aus diesem Fenster das wohlbekannte rote Mützchen entgegenleuchtete, welches mein Vetter in guten Tagen zu tragen pflegte. Noch mehr! Als ich näher kam, gewahrte ich, daß mein Vetter seinen stattlichen Warschauer Schlafrock angelegt und aus der türkischen Sonntagspfeife Tabak rauchte. – Ich winkte ihm zu, ich winkte mit dem Schnupftuch hinauf; es gelang mir seine Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen, er nickt freundlich. Was für Hoffnungen! – Mit Blitzesschnelle eilte ich die Treppe hinauf. Der Invalide öffnete die Tür; sein Gesicht, das sonst runzlig und faltig, einem naßgewordenen Handschuh glich, hatte wirklich einiger Sonnenschein zur passablen Fratze ausgeglättet. Er meinte, der Herr säße im Lehnstuhl und sei zu sprechen. Das Zimmer war reingemacht und an dem Bettschirm ein Bogen Papier befestigt, auf dem mit großen Buchstaben die Worte standen:

Et si male nunc, non olim sic erit.

Alles deutet auf wiedergekehrte Hoffnung, auf neu erweckte Lebenskraft. – »Ei«, rief mir der Vetter entgegen, als ich in das Kabinett trat, »ei, kommst du endlich, Vetter; weißt du wohl, daß ich rechte Sehnsucht nach dir empfunden? Denn unerachtet du den Henker was nach meinen unsterblichen Werken frägst, so habe ich dich doch lieb, weil du ein munterer Geist bist und amüsable, wenn auch nicht gerade amüsant.«

Ich fühlte, daß mir bei dem Kompliment meines aufrichtigen Vetters das Blut ins Gesicht stieg.

»Du glaubst,« fuhr der Vetter fort, ohne auf meine Bewegung zu achten, »du glaubst mich in voller Besserung oder von meinem Übel hergestellt. Dem ist beileibe nicht so. Meine Beine sind durchaus ungetreue Vasallen, die dem Haupt des Herrschers abtrünnig geworden und mit meinem übrigen werten Leichnam nichts mehr zu schaffen haben wollen. Das heißt, ich kann mich nicht aus der Stelle rühren und karre mich in diesem Räderstuhl hin und her auf anmutige Weise, wozu mein alter Invalide die melodiösesten Märsche aus seinen Kriegsjahren pfeift. Aber dies Fenster ist mein Trost, hier ist mir das bunte Leben aufs neue aufgegangen, und ich fühle mich befreundet mit fernem niemals rastenden Treiben. Komm, Vetter, schau hinaus!«

Ich setzte mich, dem Vetter gegenüber, auf ein kleines Taburett, das gerade hoch im Fensterraum Platz hatte. Der Anblick war in der Tat seltsam und überraschend. Der ganze Markt schien eine einzige, dicht zusammengedrängte Volksmasse, so daß man glauben mußte, ein dazwischengeworfener Apfel könne niemals zur Erde gelangen. Die verschiedensten Farben glänzten im Sonnenschein, und zwar in ganz kleinen Flecken, auf mich machte dies den Eindruck eines großen, vom Winde bewegten, hin und her wogenden Tulpenbeets, und ich mußte gestehen, daß der Anblick zwar recht artig, aber auf die Länge ermüdend sei, ja wohl gar aufgereizten Personen einen kleinen Schwindel verursachen könne, der dem nicht unangenehmen Delirieren des nahenden Traums gliche; darin suchte ich das Vergnügen, das das Eckfenster dem Vetter gewähre, und äußerte ihm dieses ganz unverhohlen.

Der Vetter schlug aber die Hände über den Kopf zusammen, und es entspann sich zwischen uns folgendes Gespräch.

Der Vetter. Vetter, Vetter! nun sehe ich wohl, daß auch nicht das kleinste Fünkchen von Schriftstellertalent in dir glüht. Das erste Erfordernis fehlt dir dazu, um jemals in die Fußstapfen deines würdigen lahmen Vetters zu treten; nämlich ein Auge, welches wirklich schaut. Jener Markt bietet dir nichts dar als den Anblick eines scheckichten, sinnverwirrenden Gewühls des in bedeutungsloser Tätigkeit bewegten Volks. Hoho, mein Freund! mir entwickelt sich daraus die mannigfachste Szenerie des bürgerlichen Lebens, und mein Geist, ein wackerer Callot oder moderner Chodowiecki, entwirft eine Skizze nach der andern, deren Umrisse oft keck genug sind ...

... Immer mehr hatte sich das Gedränge vermindert; immer leerer und leerer war der Markt worden. Die Gemüseverkäuferinnen packten ihre Körbe zum Teil auf herbeigekommene Wagen, zum Teil schleppten sie sie selbst fort – die Mehlwagen fuhren ab – die Gärtnerinnen schuften den übriggebliebenen Blumenvorrat auf großen Schiebkarren fort – geschäftiger zeigte sich die Polizei, alles und vorzüglich die Wagenreihe in gehöriger Ordnung zu erhalten; diese Ordnung wäre auch nicht gestört, wenn es nicht hin und wieder einem schismatischen Bauernjungen eingefallen wäre, quer über den Platz seine eigene neue Beringsstraße zu entdecken, zu verfolgen und seinen kühnen Lauf mitten durch die Obstbuden, geradezu nach der Türe der deutschen Kirche, zu richten. Da gab es denn viel Geschrei und viel Ungemach des zu genialen Wagenlenkers. »Dieser Markt«, sprach der Vetter, »ist auch jetzt ein treues Abbild des ewig wechselnden Lebens. Rege Tätigkeit, das Bedürfnis des Augenblicks trieb die Menschenmasse zusammen; in wenigen Augenblicken ist alles verödet, die Stimmen, welche im wirren Getöse durcheinanderströmten, sind verklungen, und jede verlassene Stelle spricht das schauerliche: Es war! nur zu lebhaft aus.« – Es schlug ein Uhr, der grämliche Invalide trat ins Kabinett und meinte mit verzogenem Gesicht: der Herr möge doch nun endlich das Fenster verlassen und essen, da sonst die aufgetragenen Speisen wieder kalt würden. »Also hast du doch Appetit, lieber Vetter?« fragte ich. »O ja,« erwiderte der Vetter mit schmerzlichem Lächeln, »du wirst es gleich sehen.«

Der Invalide rollte ihn ins Zimmer. Die aufgetragenen Speisen bestanden in einem mäßigen, mit Fleischbrühe gefüllten Suppenteller, einem in Salz aufrecht gestellten, weichgesottenen Ei und einer halben Mundsemmel.

»Ein einziger Bissen mehr,« sprach der Vetter leise und wehmütig, indem er meine Hand drückte, »das kleinste Stückchen des verdaulichsten Fleisches verursacht mir die entsetzlichsten Schmerzen und raubt mir allen Lebensmut und das letzte Fünkchen von guter Laune, das noch hin und wieder aufglimmen will.«

Ich wies nach dem am Bettschirm befestigten Blatt, indem ich mich dem Vetter an die Brust warf und ihn heftig an mich drückte. »Ja, Vetter!« rief er mit einer Stimme, die mein Innerstes durchdrang und es mit herzzerschneidender Wehmut erfüllte, »ja Vetter: et male nunc, non olim sie erit!«

Armer Vetter!

(Aus »Des Vetters Eckfenster«.)

Naivität

Ein Kranker, der an einer beharrlichen Schlaflosigkeit litt, sah sich genötigt, jede Nacht jemanden um sich zu haben, mit dem er nicht allein sprechen konnte, sondern der ihm auch in seinem gelähmten Zustande die nötige Hilfe leistete. So sollte ein junger Mann bei dem Kranken wachen. Statt aber zu wachen, verfiel derselbe in einen Schlaf, aus dem er nicht zu erwecken. Der Kranke war in dieser Nacht von einem besondern Geist fröhlicher und zwar musikalischer Laune ergriffen, besann sich auf alle möglichen Kanzonen und Kanzonetten, die er sonst gesungen, und sang sie mit heller Stimme ab. Endlich, als er in das schlafende Antlitz seines Wächters schaute, kam ihm dasselbe, sowie die ganze Situation, gar zu drollig vor. Er rief seinen Wächter laut bei Namen und fragte, als dieser sich aus dem Schlafe rüttelte, ob ihn vielleicht das Singen in seiner Ruhe störe.

»Ach Gott!« erwiderte der junge Mann ganz naiv und trocken, indem er sich dehnte, »ach Gott nicht im mindesten. Singen Sie doch in Gottes Namen, Herr ... Rat, ich habe einen festen gesunden Schlaf!« Und damit schlief er wieder ein, indem der Kranke mit heller Stimme anstimmte:

Sul margine d'un rio etc.

An Hitzig

14. April 1822.

Teuerster Freund!

Hier ist des Vetters Eckfenster zur geneigten versprochenen Durchsicht. Ich lege auch das Konzept bei. Die letzten Seiten der Reinschrift habe ich noch gar nicht durchgesehen, weil mich alle Ungeduld zum Meister Wacht treibt, an dem ich scharf arbeite – Sie werden wohl noch viele Fehler finden, die jedoch leicht zu verbessern sind.

Adios
Hoffmann.

An Johanna Eunike

(Mit dem »Meister Floh«)
(Der Köchin diktiert!)

Johanna! ich sehe Ihren freundlichen Blick, ich höre Ihre süße liebliche Stimme: Ja oft lispelt mir in schlaflosen Nächten entgegen: Morgen so hell etz. Dies Tröstet mich für die Namenlosen Leiden welche mich schon seit viertehalb Monaten nicht von dem Sieg-Bette frey lassen. Gelähmt an Händen und Füßen bin ich außer Stande Ihnen beikommenden (sollte wohl eigentlich heißen beispringenden) Meister Floh selbst zu überreichen. Hier ist er, aber mittelst Übersendung. Lesen Sie, Lachen Sie, Denken Sie alles dabey, was Ihr fröhlicher Sinn Ihr feiner Takt Ihnen eingibt, und wogegen – kein Minister etwas einwenden kann. Gott mit Ihnen, ich hoffe Sie bald wiederzusehen.

Berlin, den 1. Mai 1822.

Bericht Hippels über seinen Abschied von dem kranken Hoffmann

Es war der 14. April vorigen Jahres (1822), abends 9 Uhr, als ich Hoffmann zum letzten Male sah. Es waren bittere Momente. Schon mehrere Abende hintereinander hatte ich ihn mit der Absicht besucht ihn mit der Nähe des Scheidens bekanntzumachen. Denn meine Abreise hatte sich schon um einige Wochen verzögert und ich konnte sie nicht länger verschieben. Aber ich hatte nicht den Mut dazu. Meine Mißstimmung fiel ihm auf, und fast jeden Abend war sie der Gegenstand seines Tadels. Am meisten am letzten Abend. Ich konnte ihm die Wahrheit nun nicht länger verschweigen. Er war außer sich, und es war, als wenn der Schmerz ihm die längst verlorenen Kräfte wiedergab. Krampfhaft warf er sich im Bett hin und her mit dem Ausrufe: »Nein, nein, es kann nicht sein, Du kannst nicht reisen, Du kannst mich nicht verlassen.« Ja er verweigerte mir die schon damals halb erstorbene Hand zum Abschied. Als ich ihn nun endlich von der Notwendigkeit des Scheidens überzeugt hatte, ward er ruhiger, er reichte mir die Hand, sprach von Wiedersehen, weinte – bei ihm eine seltene Erscheinung – bitterlich, – und ich schied, um ihn nie mehr zu sehen. Am andern Morgen reiste ich ab.

 

Hoffmann starb am 25. Juni 1822 zwischen 10 und 11 Uhr vormittags.


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