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I. Jugend und Beamtenjahre

Die Kindheit

Ernst Theodor Willhelm Hoffmann wurde am 24. Januar 1776 in Königsberg in Preußen als Sohn des Advokaten am Königsberger Hofgericht Christoph Ludwig Hoffmann und seiner Frau Luise Albertine geb. Doerffer geboren. Vater und Mutter waren miteinander verwandt, beide entstammten einer alten ostpreußischen Juristen- und Pfarrerfamilie, den Voeteri, Doerffer, Hoffmanns, die nach neueren Forschungen fränkisch-thüringischen Ursprungs sind.

Christoph Ludwig Hoffmann war eine Künstlernatur, aber voll unordentlicher Neigungen. Er paßte schlecht zu seiner Kusine, die seine Ehefrau geworden war. Vier Jahre nach der Geburt des Knaben gingen die Ehegatten auseinander. Bei dem Vater blieb der ältere Sohn Karl in der Französischen Straße, die Mutter siedelte mit dem jüngeren Sohn, unserm Ernst Theodor Willhelm, nach ihrem elterlichen Hause in der Junkerstraße über, wo allein sie auch in den Jahren ihrer Ehe heimisch geblieben war.

Die Familie bestand aus der alten Großmutter, der Konsistorialrätin Voeteri, einer Frau von »höchster Dezenz in allen äußeren Formen« und »peinlicher Ordnungsliebe«; dem Onkel Otto Willhelm Doerffer, damals noch Justizrat beim Hofgericht, einem seltsamen Pedanten, dessen Tageslauf genau nach diätetischen Vorschriften geregelt war; einer älteren Schwester des Justizrats, der Tante Sophie, und einem jungen Mädchen, der »Tante Füßchen«, der der Knabe seine ganze Liebe zuwandte. Großmutter und die an ihrer Ehe innerlich zerbrochene Mutter verließen nur selten ihr Zimmer. Des Knaben eigentlicher Erzieher wurde somit der pedantische Justizrat, besonders seit er infolge einer Justizreform den Abschied erhalten hatte. Dieselbe Justizreform versetzte den Vater als Justizkommissar und Kriminalrat an das Hofgericht Insterburg. Ernst Hoffmann sollte seinen Vater nie wiedersehen.

Das Doerffersche Haus, in dem der Knabe aufwuchs, ist heute noch erhalten. Es liegt – jetzt als Poststraße 13 bezeichnet – neben der Hauptpost. Die Umgebung aber hat sich bis zur Unkenntlichkeit verändert. Wo heute das Hauptpostgebäude steht, befand sich damals das Palais jenes seltsamen Mannes, dessen teils ehrfürchtige, teils skurrile Gestalt Hoffmanns Kindheit und erste Jugend seltsam überschatten sollte. Theodor Gottlieb Hippel hatte es aus einem armen Kandidaten der Theologie zum reichsten und mächtigsten Mann von Königsberg gebracht. Er war Geheimer Kriegsrat und Stadtpräsident, besaß ein großes Vermögen und ein palaisartiges Wohnhaus mit einer berühmten Gemäldesammlung, war Freund Kants, Hamanns und Scheffners und überdies selbst ein Schriftsteller von bedeutendem Ruf. Sein Buch »Über die Ehe« hat die moderne Frauenemanzipation eingeleitet, und als Verfasser des ersten ostpreußisch-baltischen Heimatromans »Lebensläufe in aufsteigender Linie« wurde er zum Vater des sentimentalen Romans in Deutschland, einer der großen Vorkämpfer der Engländer und Rousseaus. Sein Stern strahlt über der Entwicklung des jungen Jean Paul, dem er Vorbild und Meister war. Auf E. T. A. Hoffmann hat er als Schriftsteller nicht eingewirkt, aber unvergeßlich mußte sich die seltsame Gestalt dieses Mannes dem Knaben einprägen. Jene eigenartigen Sonderlinge, die vom Archivarius Lindhorst an immer wieder bei Hoffmann auftauchen, stammen wohl alle von Hippel ab. Wie überhaupt die Eindrücke, die der Knabe in seiner ersten Kindheit erhielt, bisher viel zuwenig berücksichtigt worden sind. So hat z. B. die Bibliothek des Archivarius Lindhorst ihr Vorbild in der Wallenrodschen Bibliothek im Königsberger Schloß.

Zwischen dem Doerfferschen und dem Hippelschen Hause lag das alte v. Lesgewangsche Fräuleinstift, dessen bei Hoffmann öfter gedacht ist. Hinten trennte der Garten des Stifts den Doerfferschen und Hippelschen Garten voneinander. Nur wenige Schritte um die Ecke herum lag das Häuschen Kants, der, als der Knabe aufwuchs, bereits Weltruhm hatte. Auch wenn es nicht ausdrücklich bezeugt ist, so müssen wir doch annehmen, daß die Gestalt Kants dem Knaben von Jugend auf vertraut war. Kant und Hippel besuchten sich gegenseitig viel.

Diejenige Kunst, die dem späteren Dichter des Kapellmeisters Kreisler von Kindheit an vertraut war, war die Musik. Mochte das Doerffersche Haus auch sonst nicht zu den geistig regsamen Königsbergs gehören, Musik wurde selbst von dem »O weh-Onkel«, wie Otto Wilhelm bald genannt wurde, mit regem Eifer betrieben. Allwöchentlich versammelten sich die Freunde im Hause, um Kammermusikwerke und wohl auch größere Flügelkonzerte aufzuführen. Der Kleine aber saß dabei mit gemischten Gefühlen. In den Novellen »Der Musikfeind« und »Die Fermate« hat er später diese musikalischen Sitzungen beschrieben, und wenn die Gestalten, die er beschreibt, auch phantastisch ausgeschmückt sind, sie geben doch ein Bild von jenem Musikenthusiasmus, wie er damals und auch heute noch in Hoffmanns Heimatstadt lebendig ist.

 

... Mein Vater war gewiß ein tüchtiger Musikus; er spielte fleißig auf einem großen Flügel oft bis in die späte Nacht hinein, und wenn es einmal ein Konzert in unserm Hause gab, dann spielte er sehr lange Stücke, wozu ihn die andern auf Violinen, Bässen, auch wohl Flöten und Waldhörnern ganz wenig begleiteten. Wenn solch ein langes Stück endlich heraus war, dann schrien alle sehr und riefen: »Bravo, Bravo! welch ein schönes Konzert! wie fertig, wie rund gespielt!« und nannten mit Ehrfurcht den Namen Emanuel Bach! – Der Vater hatte aber so viel hintereinander gehämmert und gebrauset, daß es mir immer vorkam, als sei das wohl kaum Musik, worunter ich mir so recht ans Herz gehende Melodien dachte, sondern er tue dies nur zum Spaß, und die andern hätten auch wieder ihren Spaß daran. – Ich war bei solchen Gelegenheiten immer in mein Sonntagsröckchen geknöpft und mußte auf einem hohen Stuhl neben der Mutter sitzen und zuhören, ohne mich viel zu regen und zu bewegen. Die Zeit wurde mir entsetzlich lang, und ich hätte wohl gar nicht ausdauern können, wenn ich mich nicht an den besonderen Grimassen und komischen Bewegungen der Spieler ergötzt hätte. Vorzüglich erinnere ich mich noch eines alten Advokaten, der immer dicht bei meinem Vater die Geige spielte, und von dem sie immer sagten, er wäre ein ganz übertriebener Enthusiast, und die Musik mache ihn halb verrückt, so daß er in der wahnsinnigen Exaltation, zu der ihn Emanuel Bachs, oder Wolfs, oder Bendas Genius hinaufschraubte, weder rein greife, noch Takt halte. – Mir steht der Mann noch ganz vor Augen. Er trug einen pflaumfarbenen Rock mit goldbesponnenen Knöpfen, einen kleinen silbernen Degen und eine rötliche, nur wenig gepuderte Perücke, an der hinten ein kleiner runder Haarbeutel hing. Er hatte einen unbeschreiblichen Ernst in allem, was er begann. »Ad opus!« pflegte er zu rufen, wenn der Vater die Musikblätter auf die Pulte verteilte. Dann ergriff er mit der rechten Hand die Geige, mit der linken aber die Perücke, die er abnahm und an einen Nagel hing. Nun hob er an, sich immer mehr und mehr übers Blatt beugend, zu arbeiten, daß die roten Augen glänzend heraustraten und Schweißtropfen auf der Stirn standen. Es geschah ihm zuweilen, daß er früher fertig wurde als die übrigen, worüber er sich denn nicht wenig wunderte und die andern ganz böse anschaute. Oft war es mir auch, als brächte er Töne heraus, denen ähnlich, die Nachbars Peter, mit naturhistorischem Sinn die verborgenen musikalischen Talente der Katzen erforschend, unserm Hauskater ablockte durch schickliches Einklemmen des Schwanzes und sonst: weshalb er zuweilen von dem Vater etwas geprügelt wurde – (nämlich der Peter). – Kurz, der pflaumfarbene Advokat – er hieß Musewius – hielt mich ganz für die Pein des Stillsitzen schadlos, indem ich mich an seinen Grimassen, an seinen komischen Seitensprüngen, ja wohl gar an seinem Quinkelieren höchlich ergötzte. – Einmal machte er doch eine vollkommene Störung in der Musik, so daß mein Vater vom Flügel aufsprang, und alle auf ihn zustürzten, einen bösen Zufall, der ihn ergriffen, befürchtend. Er fing nämlich an, erst etwas weniges mit dem Kopfe zu schütteln, dann aber in einem fortsteigenden Crescendo immer stärker und stärker den Kopf hin und her zu werfen, wozu er gräßlich mit dem Bogen über die Saiten hin und her fuhr, mit der Zunge schmalzte und mit dem Fuße stampfte. Es war aber nichts als eine kleine feindselige Fliege, die hatte ihn, mit beharrlichem Eigensinn in demselben Kreise bleibend, umsummt und sich, tausendmal verjagt, immer wieder auf die Nase gesetzt. Das hatte ihn in wilde Verzweiflung gestürzt.

(Aus »Der Musikfeind«.)

 

Man braucht nur etwa die Schilderung des bekannten Kapellmeisters Friedrich Reichardt, eine Generation vor Hoffmann in Königsberg geboren und erzogen, neben Hoffmann musikalische Jugenderinnerungen zu halten, um sogleich zu erkennen, daß die entlegene Stadt im Osten des Reichs tatsächlich solche Originale in Menge hervorbrachte. Der pflaumfarbene Advokat stand keineswegs vereinzelt mit seinen Sonderbarkeiten da. Diese Gestalten gehören zu Hoffmanns Jugend, an ihnen lernte sein Blick das Menschliche in seiner letzten skurrilen Zuspitzung erfassen und festhalten.

Der Vater, der im »Musikfeind« vorkommt, ist natürlich nicht Hoffmanns Vater, dessen Musikalität der Knabe mit Ehrfurcht von seinem ersten Lehrer hatte nennen hören, sondern niemand anders als der »O-weh-Onkel«, den er auch in dem folgenden Stück aus der »Fermate« geschildert hat.

 

... »Daß ich nun endlich«, fing Theodor an, »alles andere beiseite geworfen und mich der edlen Musika ganz und gar ergeben, darüber wundere sich niemand, denn schon als Knabe mochte ich ja kaum was anderes treiben und klimperte Tag und Nacht auf meines Onkels altem, knarrenden, schwirrenden Flügel. Es war an dem kleinen Orte recht schlecht bestellt um die Musik, niemanden gab es, der mich hätte unterrichten können, als einen alten eigensinnigen Organisten, der war aber ein toter Rechenmeister und quälte mich sehr mit finstern übelklingenden Toccaten und Fugen. Ohne mich dadurch abschrecken zu lassen, hielt ich treulich aus. Manchmal schalt der Alte gar ärgerlich, aber er durfte nur wieder einmal einen wackern Satz in seiner starken Manier spielen, und versöhnt war ich mit ihm und der Kunst. Ganz wunderbar wurde mir dann oft zu Mute, mancher Satz, vorzüglich von dem alten Sebastian Bach, glich beinahe einer geisterhaften graulichen Erzählung, und mich erfaßten die Schauer, denen man sich so gern hingibt in der phantastischen Jugendzeit. Ein ganzes Eden erschloß sich mir aber, wenn, wie es im Winter zu geschehen pflegte, der Stadtpfeifer mit seinen Gesellen, unterstützt von ein paar schwächlichen Dilettanten, ein Konzert gab und ich in der Symphonie die Pauken schlug, welches mir vergönnt wurde wegen meines richtigen Taktes. Wie lächerlich und toll diese Konzerte oft waren, habe ich erst später eingesehen. Gewöhnlich spielte mein Lehrer zwei Flügelkonzerte von Wolff oder Emanuel Bach, ein Kunstpfeifergesell quälte sich mit Stamitz, und der Akzise-Einnehmer blies auf der Flöte gewaltig und übernahm sich im Atem so, daß er beide Lichter am Pult ausblies, die immer wieder angezündet werden mußten. An Gesang war nicht zu denken, das tadelte mein Onkel, ein großer Freund und Verehrer der Tonkunst, sehr. Er gedachte noch mit Entzücken der älteren Zeit, als die vier Kantoren der vier Kirchen des Orts sich verbanden zur Aufführung von Lottchen am Hofe im Konzertsaal. Vorzüglich pflegte er die Toleranz zu rühmen, womit die Sänger sich zum Kunstwerk vereinigt, da außer der katholischen und evangelischen noch die reformierte Gemeinde sich in zwei Zungen, der deutschen und französischen, spaltete; der französische Kantor ließ sich das Lottchen nicht nehmen und trug, wie der Onkel versicherte, brillbewaffnet die Partie mit dem anmutigsten Falsett vor, der jemals aus einer menschlichen Kehle herauspfiff. Nun verzehrte aber bei uns (am Orte, mein' ich) eine fünfundfünfzigjährige Demoiselle namens Meibel die karge Pension, welche sie als jubilierte Hofsängerin aus der Residenz erhielt, und mein Onkel meinte richtig, die Meibel könne für das Geld noch wirklich was weniges jubilieren im Konzerte. Sie tat vornehm und ließ sich lange bitten, doch gab sie endlich nach, und so kam es im Konzerte auch zu Bravour-Arien. Es war eine wunderliche Person, diese Demoiselle Meibel. Ich habe die kleine hagere Gestalt noch lebhaft in Gedanken. Sehr feierlich und ernst pflegte sie mit ihrer Partie in der Hand in einem buntstoffnen Kleide vorzutreten und mit einer sanften Beugung des Oberleibes die Versammlung zu begrüßen. Sie trug einen sonderbaren Kopfputz, an dessen Vorderseite ein Strauß von italienischen Porzellanblumen befestigt war, der, indem sie sang, seltsam zitterte und nickte. Wenn sie geendigt und die Gesellschaft nicht wenig applaudiert hatte, gab sie ihre Partie mit stolzem Blick meinem Lehrer, dem es vergönnt war, in die kleine Porzellandose zu greifen, die einen Mops vorstellte, und die sie hervorgezogen, um daraus mit vieler Behaglichkeit Tabak zu nehmen. Sie hatte eine garstige quäkende Stimme, machte allerlei skurrile Schnörkel und Koloraturen, und du kannst denken, wie dies, verbunden mit dem lächerlichen Eindruck ihrer äußeren Erscheinung, auf mich wirken mußte. Mein Onkel ergoß sich in Lobeserhebungen, ich konnte das nicht begreifen und gab mich um so eher meinem Organisten hin, der, überhaupt ein Verächter des Gesanges, in seiner hypochondrischen boshaften Laune die alte possierliche Demoiselle gar ergötzlich zu parodieren wußte.«

(Aus »Die Fermate«.)

 

Allerdings gab es einen Gesang, der dem Knaben tief ans Herz griff. Er berichtet im »Musikfeind« darüber:

 

... Manchmal geschah es, daß die Schwester meiner Mutter eine Arie sang. Ach, wie freute ich mich immer darauf! Ich liebte sie sehr; sie gab sich viel mit mir ab und sang mir oft mit ihrer schönen Stimme, die so recht in mein Innerstes drang, eine Menge herrlicher Lieder vor, die ich so in Sinn und Gedanken trage, daß ich sie noch für mich leise zu singen vermag. – Es war immer etwas Feierliches, wenn meine Tante die Stimmen der Arien von Hasse, oder von Traetta, oder sonst einem Meister auflegte; der Advokat durfte nicht mitspielen. Schon wenn sie die Einleitung spielten und meine Tante noch nicht angefangen zu singen, klopfte mir das Herz, und ein ganz wunderbares Gefühl von Lust und Wehmut durchdrang mich, so daß ich mich kaum zu fassen wußte. Aber kaum hatte die Tante einen Satz gesungen, so fing ich an bitterlich zu weinen und wurde unter heftigen Scheltworten meines Vaters zum Saal hinausgebracht.

(Aus »Der Musikfeind«.)

 

Niemand anders war tiefe Tante als »Tante Füßchen«, der Hoffmann später in seinem »Kater Murr« das herrlichste Denkmal gesetzt hat. Man hat lange Zeit angenommen, daß diese »Tante Füßchen« eine Phantasiegestalt Hoffmanns gewesen wäre, aber es stellte sich heraus, daß sie genau so jung gelebt hat und gestorben ist, wie es Hoffmann im »Kater Murr« beschrieb:

 

... Die jüngere Schwester meiner Mutter war Virtuosin auf diesem zurzeit in die musikalische Polterkammer verwiesenen Instrument. Gesetzte Männer, die schreiben und rechnen können und wohl noch mehr als das, haben in meiner Gegenwart Tränen vergossen, wenn sie bloß dachten an das Lautenspiel der seligen Mamsell Sophie; mir ist es deshalb gar nicht zu verdenken, wenn ich, ein durstig Kind, meiner selbst nicht mächtig, noch ohne in Wort und Rede aufgekeimtes Bewußtsein, alle Wehmut des wunderbaren Tonzaubers, den die Lautenistin aus ihrem Innersten strömen ließ, in begierigen Zügen einschlürfte. – Jener Lautenist an der Wiege war aber der Lehrer der Verstorbenen, klein von Person, mit hinlänglich krummen Beinen, hieß Monsieur Turtel und trug eine sehr saubere weiße Perücke mit einem breiten Haarbeutel sowie einen roten Mantel. – Ich sage das nur, um zu beweisen, wie deutlich mir die Gestalten aus jener Zeit aufgehen, und daß weder Meister Abraham noch sonst jemand daran zweifeln darf, wenn ich behaupte, daß ich, ein Kind von noch nicht drei Jahren, mich finde auf dem Schoße eines Mädchens, deren mildblickende Augen mir recht in die Seele leuchteten, daß ich noch die süße Stimme höre, die zu mir sprach, zu mir sang, daß ich es noch recht gut weiß, wie ich der anmutigen Person all meine Liebe, all meine Zärtlichkeit zuwandte. Dies war aber eben Tante Sophie, die in seltsamer Verkürzung »Füßchen« gerufen wurde. Eines Tages lamentierte ich sehr, weil ich Tante Füßchen nicht gesehen hatte. Die Wärterin brachte mich in ein Zimmer, wo Tante Füßchen im Bette lag, aber ein alter Mann, der neben ihr gesessen, sprang schnell auf und führte, heftig scheltend, die Wärterin, die mich auf dem Arm hatte, hinaus. Bald darauf kleidete man mich an, hüllte mich ein in dicke Tücher, brachte mich ganz und gar in ein anderes Haus zu anderen Personen, die sämtlich Onkel und Tanten von mir sein wollten und versicherten, daß Tante Füßchen sehr krank sei, und ich, wäre ich bei ihr geblieben, ebenso krank geworden sein würde. Nach einigen Wochen brachte man mich zurück nach meinem vorigen Aufenthalt. Ich weinte, ich schrie, ich wollte zu Tante Füßchen. Sowie ich in jenes Zimmer gekommen, trippelte ich hin an das Bett, in dem Tante Füßchen gelegen, und zog die Gardinen auseinander. Das Bett war leer, und eine Person, die nun wieder eine Tante von mir war, sagte, indem ihr die Tränen aus den Augen stürzten: Du findest sie nicht mehr, Johannes, sie ist gestorben und liegt unter der Erde. –

Ich weiß wohl, daß ich den Sinn dieser Worte nicht verstehen konnte, aber noch jetzt, jenes Augenblicks gedenkend, erbebe ich in dem namenlosen Gefühl, das mich damals erfaßte. Der Tod selbst preßte mich hinein in seinen Eispanzer, seine Schauer drangen in mein Innerstes, und vor ihnen erstarrte alle Lust der ersten Knabenjahre. –

(Aus dem »Kater Murr«.)

 

Tante Füßchen und ihr Tod waren das einschneidende Erlebnis seiner Kinderjahre. Durch den Gesang und das Lautenspiel des jungen Mädchens war ihm die Welt des Klanges erschlossen worden. Wir wissen wenig von den innerlichen Erlebnissen dieser Jahre, aber wie stark das Tonempfinden schon des Kindes war, geht aus gelegentlichen späteren Briefstellen unzweifelhaft hervor. Unvergeßlichen Eindruck machte auf den Knaben z. B. die Musik, die in Königsberg in der Neujahrnacht vom hohen Schloßturm herab jedes Jahr geblasen wurde. Noch als Zweiundzwanzigjähriger schrieb er darüber an seinen späteren Freund Hippel:

 

» ... Auf die zwölfte Stunde der Neujahrsnacht habe ich immer viel gehalten – immer weckte mich da die sanfte Musik von Clarinetten und Hörnern auf dem Schloßturme – ich glaubte kindisch phantasierend – silberne Engel trügen jetzt das neue Jahr einem Sterne gleich am blauen Himmel vorbei – aber ich hatte nicht Mut aufzustehen und zu sehen – ihren Flug hörte ich in jener für mich damals himmlischen Musik.«

(An Theodor v. Hippel, 31. Dezember 1798.)

 

Musik war das Element, in dem der Knabe aufwuchs. Der alte Organist Podbielski, von dem bereits Friedrich Reichardt in seiner Selbstbiographie köstliche Anekdoten erzählt, wurde bald der ausschließliche Lehrer des Knaben. Bereits in der »Fermate« wird dieser seltsame Alte mit seiner Abneigung gegen den modischen Gesang erwähnt. Das eigentliche Denkmal aber setzte Hoffmann seinem Lehrer im »Kater Murr«, wo der Organist als Meister Abraham Liskow eine Hauptfigur dieses wahrhaften Musikromans geworden ist. Im »Kater Murr« gab Hoffmann die eigentliche Geschichte seines Lebens wieder. Hier findet auch seine Jugend ihren Widerhall:

 

... Es ist gar nicht zu verwundern, daß in dem Innern dieses jungen Mannes durch tausend Adern und Äderchen lauter musikalisches Blut läuft, denn das war der Fall bei vielen seiner Blutsverwandten, deren Blutsverwandter er eben deshalb ist. – Ich will nämlich sagen, daß die meisten von meinen Tanten und Onkeln, deren es, wie der Meister weiß und du eben erst erfahren hast, eine nicht geringe Anzahl gab, Musik trieben, und noch dazu meistenteils Instrumente spielten, die schon damals sehr selten waren, jetzt aber zum Teil verschwunden sind, so daß ich nur noch im Traum die ganz wunderbar klingenden Konzerte vernehme, die ich ungefähr bis zu meinem zehnten, elften Jahre hörte. – Mag es sein, daß deshalb mein musikalisches Talent schon im ersten Aufkeimen die Richtung genommen hat, die in meiner Art zu instrumentieren sich kundtun soll und die man als zu phantastisch verwirft. – Kannst du dich, Geheimrat, der Tränen enthalten, wenn du recht schön auf dem uralten Instrument, auf der Viola d'Amore, spielen hörst, so danke dem Schöpfer für deine robuste Konstitution; ich für mein Teil flennte beträchtlich, als der Ritter Esser sich darauf hören ließ, früher aber noch mehr, wenn ein großer ansehnlicher Mann, dem die geistliche Kleidung ungemein gut stand und der nun wieder mein Onkel war, mir darauf vorspielte. So war auch eines andern Verwandten (des Vaters!) Spiel aus der Viola di Gamba gar angenehm und verlockend, wiewohl derjenige Onkel, der mich erzog oder vielmehr nicht erzog und der das Spinett mit barbarischer Virtuosität zu hantieren wußte, ihm mit Recht Mangel an Takt vorwarf. Der Arme geriet auch bei der ganzen Familie in nicht geringe Verachtung, als man erfahren, daß er in aller Fröhlichkeit nach der Musik einer Sarabande ein Menuett à la Pompadour getanzt. Ich könnte euch überhaupt viel erzählen von den musikalischen Belustigungen meiner Familie, die oft einzig in ihrer Art sein mochten, aber es würde manches Groteske mit unterlaufen, worüber ihr lachen müßtet; und meine werten Verwandten eurem Gelächter preiszugeben, das verbietet der respectus parentalis.

Johannes, begann der Geheimrat, du wirst es mir in deiner Gemütlichkeit nicht verargen, wenn ich eine Saite in deinem Innern anschlage, deren Berührung dich vielleicht schmerzt. – Immer sprichst du von Onkeln, von Tanten, nicht gedenkst du deines Vaters, deiner Mutter! –

O mein Freund, erwiderte Kreisler mit dem Ausdruck der tiefsten Bewegung, eben heute gedachte ich – doch nein, nichts mehr von Erinnerungen, von Träumen, nichts von dem Augenblick, der heute alles nur gefühlte, nicht verstandene Weh meiner frühen Knabenzeit weckte, aber eine Ruhe kam dann in mein Gemüt, die der ahnungsvollen Stille des Waldes gleicht, wenn der Gewittersturm vorüber! – ... Du kannst dir deutlicher die dumpfe Betäubung denken, in der ich wohl ein paar Jahre fortleben mochte, als ich Tante Füßchen verloren, wenn ich dir sage, daß der Tod meiner Mutter, der in diese Zeit fällt, keinen sonderlichen Eindruck auf mich machte. Weshalb aber mein Vater mich ganz dem Bruder meiner Mutter überließ oder überlassen mußte, darf ich dir nicht sagen, da du Ähnliches in manchem verbrauchten Familienroman oder in irgendeiner Ifflandschen Hauskreuzkomödie nachlesen kannst. Es genügt, dir zu sagen, daß, wenn ich meine Knaben-, ja einen guten Teil meiner Jünglingsjahre im trostlosen Einerlei verlebte, dies wohl eben dem Umstande zuzuschreiben, daß ich elternlos war. Der schlechte Vater ist noch immer besser als jeder gute Erzieher, mein ich, und mir schaudert die Haut, wenn Eltern in lieblosem Unverstande ihre Kinder von sich lassen und verweisen in diese, jene Erziehungsanstalt, wo die Armen ohne Rücksicht auf ihre Individualität, die ja niemanden anders als eben den Eltern recht klar aufgehen kann, nach bestimmter Norm zugeschnitten und appretiert werden. – Was nun eben die Erziehung betrifft, so darf sich kein Mensch auf Erden darüber verwundern, daß ich ungezogen bin, denn der Oheim zog oder erzog mich ganz und gar nicht, sondern überließ mich der Willkür der Lehrer, die ins Haus kamen, da ich keine Schule besuchen und auch durch irgendeine Bekanntschaft mit einem Knaben meines Alters die Einsamkeit des Hauses, das der unverheiratete Oheim mit einem alten trübsinnigen Bedienten allein bewohnte, nicht stören durfte. – Ich besinne mich nur auf drei verschiedene Fälle, in denen der beinahe bis zum Stumpfsinn gleichgültige, ruhige Oheim einen kurzen Akt der Erziehung vornahm, indem er mir eine Ohrfeige zuteilte, so daß ich wirklich während meiner Knabenzeit drei Ohrfeigen empfangen. Ich könnte dir, mein Geheimrat, da ich eben zum Schwatzen so aufgelegt, die Geschichte von den drei Ohrfeigen als ein romantisches Kleeblatt auftischen, doch hebe ich nur die mittelste heraus, da ich weiß, daß du auf nichts so erpicht bist als auf meine musikalischen Studien und es dir nicht gleichgültig sein kann, zu erfahren, wie ich zum ersten Mal komponierte. – Der Oheim hatte eine ziemlich starke Bibliothek, in der ich nach Gefallen stöbern und lesen durfte, was ich wollte; mir fielen Rousseaus Bekenntnisse in der deutschen Übersetzung in die Hände. Ich verschlang das Buch, das eben nicht für einen zwölfjährigen Knaben geschrieben und das den Samen manches Unheils in mein Inneres hätte streuen können. Aber nur ein einziger Moment aus allen, zum Teil sehr verfänglichen Begebenheiten erfüllte mein Gemüt so ganz und gar, daß ich alles übrige darüber vergaß. Gleich elektrischen Schlägen traf mich nämlich die Erzählung, wie der Knabe Rousseau, von dem mächtigen Geist seiner inneren Musik getrieben, sonst aber ohne alle Kenntnis der Harmonik des Kontrapunktes, aller praktischen Hilfsmittel, sich entschließt, eine Oper zu komponieren, wie er die Vorhänge des Zimmers herabläßt, wie er sich aufs Bett wirft, um sich ganz der Inspiration seiner Einbildungskraft hinzugeben, wie ihm nun sein Werk aufgeht, gleich einem herrlichen Traum! – Tag und Nacht verließ mich nicht der Gedanke an diesen Moment, mit dem mir die höchste Seligkeit über den Knaben Rousseau gekommen zu sein schien! – Oft war es mir, als sei ich auch schon dieser Seligkeit teilhaftig geworden, und dann, nur von meinem festen Entschluß hinge es ab, mich auch in dies Paradies hinaufzuschwingen, da der Geist der Musik in mir ebenso mächtig beschwingt sei. Genug, ich kam dahin, es meinem Vorbilde nachmachen zu wollen. Als nämlich an einem stürmischen Herbstabend der Oheim wider seine Gewohnheit das Haus verlassen, ließ ich sofort die Vorhänge herab und warf mich auf des Oheims Bett, um wie Rousseau eine Oper im Geiste zu empfangen. So vortrefflich aber die Anstalten waren, so sehr ich mich abmühte, den dichterischen Geist heranzulocken, doch blieb er im störrischen Eigensinn davon. – Durchaus summte mir statt aller herrlichen Gedanken, die mir aufgehen sollten, ein altes erbärmliches Lied vor den Ohren, dessen weinerlicher Text begann: »Ich liebte nur Ismenen, Ismene liebt' nur mich«, und ließ, so sehr ich mich dagegen sträubte, nicht nach. Jetzt kommt der erhabene Priesterchor: »Hoch von Olympos' Höh'n«, rief ich mir zu, aber »Ich liebte nur Ismenen« summte die Melodie fort und unaufhörlich fort, bis ich zuletzt fest einschlief. Mich weckten laute Stimmen, indem ein unerträglicher Geruch mir in die Nase fuhr und den Atem versetzte! Das ganze Zimmer war von dickem Rauch erfüllt, und in dem Gewölk stand der Oheim und trat die Reste der flammenden Gardine, die den Kleiderschrank verbarg, nieder und rief: Wasser her – Wasser her! bis der alte Diener Wasser in reichlicher Fülle herbeibrachte, über den Boden ausgoß und so das Feuer löschte. Der Rauch zog langsam durch die Fenster. Wo ist nur der Unglücksvogel? fragte der Oheim, indem er im Zimmer umherleuchtete. Ich wußte wohl, welchen Vogel er meinte, und blieb mäuschenstill im Bette, bis der Oheim herantrat und mir mit einem zornigen: Will er wohl gleich heraus! auf die Beine half. Steckt mir der Bösewicht das Haus über dem Kopfe an! fuhr der Onkel fort. – Ich versicherte auf weiteres Befragen ganz ruhig, daß ich auf dieselbe Weise, wie der Knabe Rousseau nach dem Inhalt seiner Bekenntnisse es getan, eine Opera seria im Bette komponiert hätte, und daß ich durchaus gar nicht wisse, wie der Brand entstanden. Rousseau? komponiert? Opera seria? – Pinsel! so stotterte der Oheim vor Zorn und teilte mir die kräftige Ohrfeige zu, die ich als die zweite empfing, so daß ich vor Schreck erstarrt sprachlos stehenblieb, und in dem Augenblicke hörte ich wie einen Nachklang des Schlages ganz deutlich: »Ich liebte nur Ismenen usw. usw.« Sowohl gegen dieses Lied als gegen die Begeisterung des Komponierens überhaupt empfand ich von diesem Augenblick an einen lebhaften Widerwillen.

Aber wie war nur das Feuer entstanden, fragte der Geheimrat.

Noch in diesem Augenblick, erwiderte Kreisler, ist es mir unbegreiflich, durch welchen Zufall die Gardine in Brand geriet und einen schönen Schlafrock des Oheims sowie drei oder vier schön frisierte Toupets, die der Oheim als partielle Perückenstudien aus einer Gesamtfrisur aufzusetzen pflegte, mit in ihr Verderben riß. Mir ist es auch immer so vorgekommen, als habe ich nicht des unverschuldeten Feuere, sondern nur der unternommenen Komposition halber die Ohrfeige erhalten. – Seltsam genug war es die Musik allein, die zu treiben mich der Oheim mit Strenge anhielt, unerachtet der Lehrer, getäuscht von dem nur momentanen Widerwillen, den ich dagegen äußerte, mich für ein durchaus unmusikalisches Prinzip hielt. Was ich übrigens lernen oder nicht lernen mochte, das war dem Oheim völlig gleich. Äußerte er manchmal lebhaften Unwillen, daß es so schwer hielt, mich zur Musik anzuhalten, so hätte man denken sollen, daß er von der Freude hätte durchdrungen sein müssen, als nach ein paar Jahren der musikalische Geist sich so mächtig in mir regte, daß er alles übrige überflügelte; das war aber nun wieder ganz und gar nicht der Fall. Der Oheim lächelte bloß ein wenig, wenn er bemerkte, daß ich bald mehrere Instrumente mit einiger Virtuosität spielte, ja, daß ich manches kleine Stück aufsetzte zur Zufriedenheit der Meister und Kenner. Ja, er lächelte bloß ein wenig und sagte, wenn man ihn mit Lobeserhebungen anfuhr, mit schlauer Miene: Ja, der kleine Neveu ist närrisch genug. –

So ist es mir, nahm der Geheimrat das Wort, aber ganz unbegreiflich, daß der Oheim deiner Neigung nicht Freiheit ließ, sondern dich hineinzwang in eine andere Laufbahn. Soviel ich nämlich weiß, ist deine Kapellmeisterschaft eben nicht von lange her.

Und auch nicht von weither, rief Meister Abraham lachend und fuhr, indem er das Bildnis eines kleinen, wunderlich gebauten Mannes an die Wand warf, weiter fort. Aber nun muß ich mich des wackeren Oheims, den mancher verruchte Neffe den O-weh-Onkel nannte, weil er sich mit Vornamen Otfried Wenzel schrieb, ja, nun muß ich mich seiner annehmen und der Welt versichern, daß, wenn der Kapellmeister Johannes Kreisler es sich einfallen ließ, Legationsrat zu sein und sich abzuquälen mit seiner innersten Natur ganz widrigen Dingen, niemand weniger daran schuld ist als eben der O-weh-Onkel. –

O, still davon, Meister, sagte Kreisler, und nehmt mir dort den Oheim von der Wand, denn mochte er auch wirklich lächerlich genug aussehen, so mag ich doch eben heute über den Alten, der lange im Grabe ruht, nicht lachen! – Ihr übernehmt Euch heute ja ganz in geziemlicher Empfindsamkeit, erwiderte der Meister; Kreisler achtete aber nicht darauf, sondern sagte, sich zum kleinen Geheimrat wendend: Du wirst es bedauern, mich zum Schwatzen gebracht zu haben, da ich dir, der vielleicht das Außerordentliche erwartete, nur Gemeines, wie es sich tausendmal im Leben wiederholt, auftischen kann. – So ist es denn auch gewiß, daß es nicht Erziehungszwang, nicht besonderer Eigensinn des Schicksals, nein, daß es der gewöhnlichste Lauf der Dinge war, der mich fortschob, so daß ich unwillkürlich dort hinkam, wo ich eben nicht hinwollte. – Hast du nicht bemerkt, daß es in jeder Familie einen gibt, der sich, sei es durch besonderes Genie oder durch das glückliche Zusammentreffen günstiger Ereignisse, zu einer gewissen Höhe hinaufschwang und der nun, ein Heros, in der Mitte des Kreises steht, zu dem die lieben Verwandten demütig hinaufblicken, dessen gebietende Stimme vernommen wird in entscheidenden Sprüchen, von denen keine Apellation möglich? – So ging es mit dem jüngeren Bruder meines Oheims, der dem musikalischen Familiennest entflohen war und in der Residenz als Geheimer Legationsrat in der Nähe des Fürsten eine ziemlich wichtige Person vorstellte. Sein Emporsteigen hatte die Familie in eine erstaunende Bewunderung versetzt, die nicht nachließ. Man nannte den Legationsrat mit feierlichem Ernst, und wenn es hieß: Der Geheime Legationsrat hat geschrieben, der Geheime Legationsrat hat das und das geäußert, so horchte alles in stummer Ehrfurcht auf. Dadurch schon seit meiner frühesten Kindheit daran gewöhnt, den Oheim in der Residenz als einen Mann anzusehen, der das höchste Ziel alles menschlichen Strebens erreicht, mußte ich es natürlich finden, daß ich gar nichts anderes tun konnte, als in seine Fußtapfen treten. Das Bildnis des vornehmen Oheims hing in dem Prunkzimmer, und keinen größeren Wunsch hegte ich, als so frisiert, so gekleidet umherzugehen, wie der Oheim auf dem Bilde. Diesen Wunsch gewährte mein Erzieher, und ich muß wirklich als zehnjähriger Knabe anmutig genug ausgesehen haben, im himmelhoch frisierten Toupet und kleinen zirkelrunden Haarbeutel, im zeisiggrünen Rock mit schmaler silberner Stickerei, seidenen Strümpfen und kleinem Degen. Dies kindliche Streben ging tiefer ein, als ich älter worden, da, um mir Lust zur trockensten Wissenschaft einzuflößen, es genügte, mir zu sagen, dies Studium sei mir nötig, damit ich, dem Oheim gleich, dereinst Legationsrat werden könne. Daß die Kunst, welche mein Inneres erfüllte, mein eigentliches Streben, die wahre, einzige Tendenz meines Lebens sein dürfte, fiel mir um so weniger ein, als ich gewohnt war, von Musik, Malerei, Poesie nicht anders reden zu hören als von ganz angenehmen Dingen, die zur Erheiterung und Belustigung dienen könnten. Die Schnelle, mit der ich, ohne daß sich jemals auch nur ein einziges Hindernis offenbart hätte, durch mein erlangtes Wissen und durch den Vorschub des Oheims in der Residenz in der Laufbahn, die ich gewissermaßen selbst gewählt, vorwärts schritt, ließ mir keinen Moment übrig, mich umzuschauen und die schiefe Richtung des Weges, den ich genommen, wahrzunehmen. Das Ziel war erreicht, umzukehren nicht mehr möglich, als in einem nicht geahnten Momente die Kunst sich rächte, der ich abtrünnig worden, als der Gedanke eines ganzen verlorenen Lebens mich mit trostlosem Weh erfaßte, als ich mich in Ketten geschlagen sah, die mir unzerbrechlich dünkten!

Glückselig, heilbringend also die Katastrophe, rief der Geheimrat, die dich aus den Fesseln befreite!

Sage das nicht, erwiderte Kreisler, zu spät trat die Befreiung ein. Mir geht es wie jenem Gefangenen, der, als er endlich befreit wurde, des Getümmels der Welt, ja des Lichts des Tages so entwöhnt war, daß er, nicht vermögend der goldenen Freiheit zu genießen, sich wieder zurücksehnte in den Kerker.

(Aus dem »Kater Murr«.)

Theodor v. Hippel

 

Diese Szene aus dem »Kater Murr«, von den ersten jugendlichen Musikbemühungen ausgehend, enthält Hoffmanns wichtigstes Urteil über sein Leben. Alles, was er über den Verlauf seines Lebens hier anführt, werden wir später bestätigt finden. Es war kein besonderer Zwang, der ihn in die Laufbahn eines juristischen Beamten hineintrieb, sondern lediglich die Familienkonvention, in der er aufwuchs. Man wird es gerade in solchen kunst- oder musiksinnigen Familien des öfteren finden, daß selbst starke Begabungen sich gar nicht oder erst spät der Kunst als einem lebenfüllenden Beruf zuwenden. Auch jener Geheime Legationsrat, das Orakel und anerkannte Oberhaupt der Familie, ist durchaus historisch: Johann Ludwig Doerffer, der jüngere Bruder des »O-weh-Onkels«, hatte es bereits in jungen Jahren zum Rat an der Oberamtsregierung in Glogau gebracht, und man konnte annehmen, daß ihm noch eine große Laufbahn bevorstand. Wirklich wurde er später Geheimer Obertribunalrat und Mitglied der Gesetzeskommission in Berlin. Nach bestandenem Auskultatorexamen siedelte Hoffmann bekanntlich nach Glogau über, wo er bei der Familie des Oheims liebevolle Aufnahme fand. Als dann der Oheim nach Berlin berufen wurde, begleitete er die Familie dorthin und trat als Referendar beim Berliner Kammergericht ein. Die Katastrophe, die ihm die Befreiung aus einem ungeliebten Beruf brachte, war die Eroberung Warschaus durch die Franzosen und die Auflösung der dortigen preußischen Regierung durch Napoleon. Und auch darin hat die eben angeführte Schilderung recht, daß diese Befreiung »zu spät« eintrat. Nach einigen Kapellmeisterjahren in Armut und Elend trat er von neuem in den Staatsdienst.

Doch wir sind der Entwicklung vorausgeeilt. Noch lebte der Knabe unter dem Druck eines geistlosen Pedanten und einer freudlosen Familie in dem großmütterlichen Haus. Selbst ohne Freund war er, bis er in einem Landhaus »östlich von Königsberg« in dem gleichalten Theodor Hippel, dem Sohn des Dorfpfarrers von Arnau, einen Freund fand, mit dem er bis zum Tode verbunden sein sollte. Da Ernst Hoffmann in der Schule an Stetigkeit zu wünschen übrig ließ, wurde der Sohn des armen Dorfpfarrers als Repetent in das sonst so verschlossene Haus eingelassen. Theodor aber wurde bald mehr der Genosse übermütiger Jungenstreiche und erster geistiger Bemühungen des Knaben, die ganz außer dem Rahmen der Schularbeiten lagen. Allerhand Allotria, verbotene Lektüre, Musik, erste Verse füllten die Stunden aus, von denen der »O-weh-Onkel«, auch »der dicke Sir« genannt, annahm, daß sie den Schularbeiten dienten. Unter dem Garten des Lesgewangschen Stiftes hindurch wollten einmal die Knaben einen unterirdischen Gang graben, der den Doerfferschen Garten mit dem des Oheims Hippel verbinden sollte. Sie kamen nicht weit, und der dicke Sir mußte mit vielen Kosten das tiefe Loch wieder zuschütten lassen. Hippel wurde auch Zeuge der ersten Schülerliebe Hoffmanns. Amalie Neumann, ein leidlich hübsches, pausbackiges Mädchen, war die Glückliche, die Hoffmanns erste Liebe auf sich zog. Sie hat wohl kaum jemals etwas von diesem Glück erfahren. Hoffmann aber bedrängte den Freund mit allen in solchem Fall üblichen Ergüssen seiner Leidenschaft, mit Versen an die Geliebte und ersten Malversuchen. Denn auch in der Malerei übte er sich früh und brachte es zu einiger Meisterschaft auch auf diesem Gebiet.

Theodor Hippel hatte zunächst wenig davon, daß er der Neffe des großen Gottlieb Theodor Hippel war. Der berühmte Oheim zog ihn nur zu einigen Mahlzeiten in sein Haus. Bis in seine Primanerjahre hinein blieb er der Sohn eines armen Dorfpfarrers, der sich in dem Hause der angesehenen Familie Doerffer nur geduldet fühlte und zu dem großen Oheim in Ehrfurcht aufsah. Hippel der Ältere war für die Knaben naturgemäß ein Gegenstand weitgehender Neugier. Sie umschlichen den berühmten Mann und seine Freunde. Mit besonderem Interesse beobachteten sie den »stets grau in grau gekleideten« Kriegsrat Scheffner, der viel im Hause Hippels verkehrte. Ihm wollten sie sogar die »Gedichte im Geschmack des Grécourt« zuschreiben, eines ziemlich laszives Buches, und es amüsierte sie, als sie glaubten, in dem höchst moralischen Freunde Kants und der sonstigen Königsberger Größen den Verfasser dieser zweideutigen Verse entdeckt zu haben. Sie taten dem wackeren Scheffner unrecht. Er hat die »Gedichte im Geschmack des Grécourt« sicher nicht verfaßt. Weit eher dürfte der eigenartige Stadtpräsident selbst als deren Verfasser in Frage kommen.

Die Lebenslage des Freundes sollte sich mit einem Schlage ändern, als der ehrwürdige Stadtpräsident auf einmal die Erhebung seiner Familie in den erblichen Adelsstand durchsetzte. Hippel gelang der Beweis, daß die Familie früher einmal adlig gewesen wäre. Dieser Schüler und Anhänger Rousseaus wurde vom Ehrgeiz gepackt. Auch aus dem Sohn des armen Arnauer Dorfpfarrers wurde nun ein Mitglied des römischen Reichsadels, und Theodor wurde überdies zum Haupterben und Träger der Familienpolitik Derer von Hippel ausersehen. Schon damals bestimmte der Geheimrat und Stadtpräsident testamentarisch, daß aus seinem Vermögen eine Standesherrschaft errichtet werden solle. Sein Neffe wurde zum dereinstigen Herrn dieser noch zu errichtenden Herrschaft bestimmt, und schon jetzt wurde seine Ausbildung und sein Studiengang diesem Zweck angepaßt. Das Blatt hatte sich überraschend gewendet. Eine innerliche Entfremdung konnten die neuen Verhältnisse zwischen den Freunden nicht hervorrufen, aber dennoch wichen von jetzt ab ihre Lebenswege voneinander ab. Das zeigte sich besonders deutlich, als die Freunde die Universität bezogen, Hippel übrigens ein Jahr vor Hoffmann. Hippel erhielt als künftiger Diplomat eine möglichst allseitige Ausbildung, beteiligte sich auch an dem studentischen Leben und Treiben. Hoffmann hingegen erledigte so rasch wie möglich sein Brotstudium, um sich in den Mußestunden ganz den geliebten Künsten zu widmen. So hielten verschiedene Interessen und Studien die Freunde auseinander. In jeder Woche aber vereinigten einige Abende sie zu schwärmerischem Gedankenaustausch. Ein Jahr vor Hoffmann bestand Hippel sein Auskultatorexamen und verließ Königsberg, um sich zunächst noch im Hause seines Vaters einige Erholung zu gönnen und dann an der Regierung von Marienwerder seine Beamtenlaufbahn zu beginnen. Hoffmann blieb allein in Königsberg zurück.

Dieser Trennung verdanken wir mit das Schönste, was Hoffmann geschrieben hat, seine Jugendbriefe an Hippel, die voll sind von Rousseau-hafter schwärmerischer Sentimentalität der Wertherzeit. Es war die eigentliche Periode seines Erwachens. Die ersten schriftstellerischen Versuche wurden damals unternommen, und ebenso versuchte er sich jetzt bereits in ersten Kompositionen. Er gab Musikstunden und malte Bilder. Es war wohl weniger Geldnot als Hang zum Künstlerleben, wenn er den Versuch machte, sich auf diese Weise einiges Geld zu verdienen. Von einem derartigen, wenn auch mißglückten Versuch bei dem großen Geheimrat v. Hippel berichtet der älteste uns erhaltene Brief an den Freund in Arnau:

 

An Theodor von Hippel in Arnau

Königsberg, Ende Oktober 1794.

In der größten Mißlaune von der Welt schreibe ich Dir diese Zeilen – teils ist es mir im äußersten Grade unangenehm, daß ich Dich vor Deiner Abreise gar nicht mehr sprechen, daß ich Dir nicht noch ein herzliches Lebewohl sagen kann, teils ärgert's mich, daß ich in einer Sache, die Dich doch auch in gewisser Rücksicht interessieren könnte, nicht aufrichtiger gewesen bin. Jetzt, da das Ganze vorüber ist, will ich Dir wenigstens zu einiger Herzenserleichterung den ganzen Vorfall erzählen – Du kennst doch meine beiden neuesten Stücke, auf die ich vorzüglichen Fleiß angewendet habe, und von denen ich immer zu sagen pflegte, daß ich sie einem Kenner anonymisch zum Kauf anbieten lassen würde – nie hast Du aber erraten, daß dieser Kenner Dein Onkel, der Geh. Rat v. H. sein sollte. Gestern führte ich meinen Entschluß aus, und schickte sie durch den Bedienten meines Großonkels ganz inkognito von einem kurzen Billet begleitet hin. Der Geh. Rat ließ sagen, daß ihm die Stücke recht gut gefielen, und daß er den Maler davon kennenzulernen wünschte. Wer war vergnügter als ich, heute morgen setzte ich mich ganz modeste ins Zeug, und spazierte, zum erstenmal in meinem Leben als ein eingefleischter Maler, hin. Noch nie bin ich von jemanden artiger empfangen. Er rühmte meine Stücke, ließ mir den Rousseau in Pastell zum Besehen hinunterbringen, frug mich, ob ich seine ganze Sammlung gesehen hätte, worauf ich unvorsichtig »ja!« antwortete, worüber er sich zu wundern schien, noch immer kam nicht der rechte Punkt nach meiner Meinung. Endlich löste sich das Rätsel, durch wiederholte Äußerungen, er dachte, ich hätte ihm die Stücke zum Präsent geschickt, wie war ich bestürzt, mechanisch rückte ich gegen die Türe, und unmutig lief ich heraus und nach Hause. Was in aller Welt muß der Geh. Rat von mir denken, notwendig muß er sich irgendeinen versteckten Zweck dabei vorstellen, sonst ist es ja Torheit von mir; denn zur großen entscheidenden Empfehlung auf immer sind die Stücke viel zu schlecht. Er muß am Ende über mich lachen. Das Resultat der ganzen Begebenheit ist nun nichts weiter, als daß ich mit großem Aufwand von Zeit und Mühe mich lächerlich gemacht habe, und dieser Gedanke ist für mich jetzt nicht sehr erbaulich.

Der Großonkel Voeteri

 

Wenige Kilometer von Königsberg den Pregel aufwärts liegt das kleine Dorf Arnau, wo Theodor etwa ein Jahr verbrachte, bevor er nach Marienwerder ging. Über den Pregelwiesen erhebt sich malerisch ein bebuschter Hügel, offenbar eine alte Wendenschanze, die stattlich über das Land sieht. Wie in einer Gebirgslandschaft liegt das kleine Pfarrhaus neben der alten Kirche. Die Häuser des Dorfes stehen längs des Flusses im gelben Sand des Ufers. Von der alten Heerstraße, die weiter nach Insterburg führt, geht eine alte Pappelallee zu dem Rittergut Arnau, dem späteren Sitz Theodors von Schön. Wegen seiner eigenartigen Lage ist Arnau noch heute ein beliebter Ausflugsort.

Hier besuchte Hoffmann des öfteren den Freund in dessen elterlichem Hause. Fast täglich pflegte von dort ein Bote in die Stadt zu kommen, der Theodors Briefe mitbrachte und nach erledigten Besorgungen die Antwort Hoffmanns mit hinausnahm. Gerade diese Trennung durch die wenigen Meilen war es, die die Jünglinge aufs engste miteinander verband.

Aber noch eines Mannes müssen wir gedenken, der in dieser Zeit für Hoffmann wichtig war: des alten Justitiars Voeteri, eines Bruders der Großmutter, der auf seinen Dienstreisen den jungen Juristen mitzunehmen pflegte. Durch ihn lernte Hoffmann die juristische Praxis sowie Land und Leute kennen. An diesem Großonkel – Großonkel und Neffe nannten sich nach damaligem Brauch übrigens Vettern – hing Hoffmann mit einer schwärmerischen Zuneigung. Er war der einzige, der sich des jungen Verwandten mit wirklicher Liebe annahm. Hoffmann hat später eine der Reisen mit dem alten Voeteri in seiner Novelle »Das Majorat« geschildert. Das dort erwähnte Majorat R. ist das alte Rossitten auf der Kurischen Nehrung. Das Dorf wurde in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch die Wanderdünen verschüttet und dann erst an der heutigen Stelle neu aufgebaut. Das alte Rossitten, von dem Hoffmann spricht, haben wir in dem verschütteten Dorf Kunzen wiederzuerkennen, das heute an der andern Seite der Wanderdüne wieder zum Vorschein kommt. Einen Kilometer nach der See zu findet man in den dichten Kusseln versteckt noch heute die Trümmer eines alten Schlosses. Offenbar handelt es sich um die von Henning Schindekopp erbaute Ordensburg Rossitten. Die beschriebene Reise nach Rossitten hat jedenfalls in Wirklichkeit stattgefunden.

 

Dem Gestade der Ostsee unfern liegt das Stammschloß der Freiherrlich von R ...schen Familie, R...sitten genannt. Die Gegend ist rauh und öde, kaum entsprießt hin und wieder ein Grashalm dem bodenlosen Triebsande, und statt des Gartens, wie er sonst das Herrenhaus zu zieren pflegt, schließt sich an die nackten Mauern nach der Landseite hin ein dürftiger Föhrenwald, dessen ewige düstre Trauer den bunten Schmuck des Frühlings verschmäht, und in dem statt des fröhlichen Jauchzens der zu neuer Luft erwachten Vögelein nur das schaurige Gekrächze der Raben, das schwirrende Kreischen der sturmverkündenden Möwen widerhallt. Eine Viertelstunde davon ändert sich plötzlich die Natur. Wie durch einen Zauberschlag ist man in blühende Felder, üppige Acker und Wiesen versetzt. Man erblickt das große reiche Dorf mit dem geräumigen Wohnhause des Wirtschaftsinspektors. An der Spitze eines freundlichen Erlenbusches sind die Fundamente eines großen Schlosses sichtbar, das einer der vormaligen Besitzer aufzubauen im Sinne hatte. Die Nachfolger, auf ihren Gütern in Kurland hausend, ließen den Bau liegen, und auch der Freiherr Roderich von R., der wiederum seinen Wohnsitz auf dem Stammgute nahm, mochte nicht weiter bauen, da seinem finstern, menschenscheuen Wesen der Aufenthalt in dem alten einsam liegenden Schlosse zusagte. Er ließ das verfallene Gebäude, so gut es gehen wollte, herstellen und sperrte sich darin ein mit einem grämlichen Hausverwalter und geringer Dienerschaft ... Um für die Zukunft wenigstens das Haupt der Familie an das Stammhaus zu fesseln, bestimmte er es zu einem Majoratsbesitztum. – In diesen Geschäften stand ihm der alte Advokat V., von Vater auf Sohn vererbter Geschäftsträger des R ...schen Hauses und Justitiarius der in P. liegenden Güter, redlich bei, und V. pflegte daher schon acht Tage vor der bestimmten Ankunft des Freiherrn nach dem Majoratsgute abzureisen. Im Jahre 1794 war die Zeit gekommen, daß der alte V. nach R...sitten reisen sollte. So lebenskräftig der Greis von siebzig Jahren sich auch fühlte, mußte er doch glauben, daß eine hilfreiche Hand im Geschäft ihm wohltun werde. Wie im Scherz sagte er daher eines Tages zu mir: »Vetter!« (so nannte er mich, seinen Großneffen, da ich seine Vornamen erhielt) »Vetter! – ich dächte, du ließest dir einmal etwas Seewind um die Ohren sausen und kämst mit mir mit nach R...sitten. Außerdem, daß du mir wacker beistehen kannst in meinem manchmal bösen Geschäft, so magst du dich auch einmal im wilden Jägerleben versuchen und zusehen, wie, nachdem du einen Morgen ein zierliches Protokoll geschrieben, du den andern solch trotzigem Tier, als da ist ein langbehaarter greulicher Wolf oder ein zahnfletschender Eber, ins funkelnde Auge zu schauen oder gar es mit einem Büchsenschuß zu erlegen verstehest.« Nicht soviel Seltsames von der lustigen Jagdzeit in R...sitten hätte ich schon hören, nicht so mit ganzer Seele dem herrlichen alten Großonkel anhängen müssen, um nicht hocherfreut zu sein, daß er mich diesmal mitnehmen wolle. Schon ziemlich geübt in derlei Geschäften, wie er sie vorhatte, versprach ich mit tapferm Fleiß ihm alle Mühe und Sorge abzunehmen. Andern Tages saßen wir in tüchtige Pelze eingehüllt im Wagen und fuhren durch dickes, den einbrechenden Winter verkündendes Schneegestöber nach R...sitten. – Unterwegs erzählte mir der Alte manches Wunderliche von dem Freiherrn Roderich, der das Majorat stiftete und ihn seines Jünglingsalters ungeachtet zu seinem Justitiarius und Testamentsvollzieher ernannte. – Endlich nach schneller, aber beschwerlicher Fahrt kamen wir in tiefer Nacht nach R...sitten. Wir fuhren durch das Dorf, es war gerade Sonntag, im Krug Tanzmusik und fröhlicher Jubel, des Wirtschaftsinspektors Haus von unten bis oben erleuchtet, drinnen auch Musik und Gesang; desto schauerlicher wurde die Öde, in die wir nun hineinfuhren. Der Seewind heulte in schneidenden Jammertönen herüber und, als habe er sie aus tiefem Zauberschlaf geweckt, stöhnten die düstern Föhren ihm nach in dumpfer Klage. Die nackten schwarzen Mauern des Schlosses stiegen empor aus dem Schneegründe, wir hielten an dem verschlossenen Tor.

(Aus »Das Majorat«.)

Cora

 

In diese düstere Landschaft verlegte Hoffmann später im »Majorat« die Geschichte seiner ersten Liebe. Dora Hatt, oder wie er sie nannte »Cora«, nach der Heldin eines damals beliebten Theaterstücks, der »Sonnenjungfrau« von Kotzebue, war die Frau eines erheblich älteren Kaufmanns. Er gab der jungen Frau Musikstunden, und hierbei ereilte ihn das Verhängnis. Jahrelang dauerte diese untertägige Leidenschaft, von der niemand wissen durfte. In der Baronin Seraphine des »Majorats« haben wir Cora wiederzuerkennen, und Hoffmann hat seine »Inamorata« wohl auch unter ähnlichen Umständen, wie den in der Novelle beschriebenen, kennengelernt.

 

... Endlich, nach mehreren Tagen, traf der Baron ein mit seiner Gemahlin und zahlreichem Jagdgefolge. Mich schien er wenig oder gar nicht zu beachten, er sah in mir den gewöhnlichen Schreiber. Gleich das erstemal, als ich eine Verhandlung aufgenommen, wollte er etwas in der Fassung unrichtig finden, das Blut wallte mir auf, und ich war im Begriff, irgend etwas Schneidendes zu erwidern ... Mußte mir nun nicht mein Inneres recht klar werden, mußte ich es nicht deutlich fühlen, daß jenes wunderliche Hassen aufkeimte aus dem Lieben oder vielmehr aus dem Verlieben in ein Wesen, das mir das holdeste, hochherrlichste zu sein schien, was jemals auf Erden gewandelt? Dieses Wesen war niemand als die Baronesse selbst. Schon gleich, als sie angekommen und in einem russischen Zobelpelz, der knapp anschloß an den zierlich gebauten Leib, das Haupt in reiche Schleier gewickelt, durch die Gemächer schritt, wirkte ihre Erscheinung auf mich wie ein mächtiger unwiderstehlicher Zauber. Ja selbst der Umstand, daß die alten Tanten in verwunderlicheren Kleidern und Fontangen, als ich sie noch gesehen, an beiden Seiten neben ihr her trippelten und ihre französischen Bewillkommnungen herschnatterten, während sie, die Baronin, mit unbeschreiblich milden Blicken um sich her schaute und bald diesem, bald jenem freundlich zunickte, bald in dem reintönenden kurländischen Dialekt einige deutsche Worte dazwischen flötete, schon dies gab ein wunderbar fremdartiges Bild, und unwillkürlich reihte die Phantasie dies Bild an jenen unheimlichen Spuk, und die Baronesse wurde der Engel des Lichts, dem sich die bösen gespenstischen Mächte beugen. – Die wunderherrliche Frau tritt lebhaft vor meines Geistes Augen. Sie mochte wohl damals kaum neunzehn Jahre zählen, ihr Gesicht, ebenso zart wie ihr Wuchs, trug den Ausdruck der höchsten Engelsgüte, vorzüglich lag aber im Blick der dunklen Augen ein unbeschreiblicher Zauber, wie feuchter Mondesstrahl ging darin eine schwermütige Sehnsucht auf; so wie in ihrem holdseligen Lächeln ein ganzer Himmel voll Wonne und Entzücken. Oft schien sie ganz in sich selbst verloren, und dann gingen düstre Wolkenschatten über ihr holdes Antlitz. – Den andern Morgen, nachdem der Baron angekommen, versammelte sich die Gesellschaft zum Frühstück, der Alte stellte mich der Baronesse vor, und wie es in solcher Stimmung, wie es die meinige war, zu geschehen pflegt, ich benahm mich unbeschreiblich albern, indem ich auf die einfachen Fragen der holden Frau, wie es mir auf dem Schlosse gefalle usw., mich in die wunderlichsten, sinnlosesten Reden verfing, so daß die alten Tanten meine Verlegenheiten wohl lediglich dem profunden Respekt vor der Herrin zuschrieben, sich meiner huldreich annehmen zu müssen glaubten und mich in französischer Sprache als einen ganz artigen und geschickten jungen Menschen, als einen garçon trés joli anpriesen. Das ärgerte mich, und plötzlich mich ganz beherrschend, fuhr mir ein Witzwort heraus in besserem Französisch, als die Alten es sprachen, worauf sie mich mit großen Augen anguckten und die langen spitzen Nasen reichlich mit Tabak bedienten. An dem ernsteren Blick der Baronesse, mit dem sie sich von mir ab zu einer anderen Dame wandte, merkte ich, daß mein Witzwort hart an eine Narrheit streifte, das ärgerte mich noch mehr, und ich verwünschte die Alten in den Abgrund der Hölle. Die Zeit des schäferischen Schmachtens, des Liebesunglücks in kindischer Selbstbetörung hatte mir der alte Großonkel längst wegironiert, und wohl merkt' ich, daß die Baronin tiefer und mächtiger als noch bis jetzt eine Frau mich in meinem innersten Gemüt gefaßt hatte. Ich sah, ich hörte nur sie, aber bewußt war ich mir deutlich und bestimmt, daß es abgeschmackt, ja wahnsinnig sein würde, irgendeine Liebelei zu wagen, wiewohl ich auch die Unmöglichkeit einsah, wie ein verliebter Knabe von weitem zu staunen und anzubeten, dessen ich mich selbst hätte schämen müssen. Der herrlichen Frau näherzutreten, ohne ihr nur mein inneres Gefühl ahnen zu lassen, das süße Gift ihrer Blicke, ihrer Worte einsaugen und dann fern von ihr sie lange, vielleicht immerdar im Herzen tragen, das wollte und konnte ich. Diese romantische, ja wohl ritterliche Liebe, wie sie mir aufging in schlafloser Nacht, spannte mich dermaßen, daß ich kindisch genug war, mich selbst auf pathetische Weise zu haranguieren und zuletzt sehr kläglich zu seufzen: »Seraphim, ach Seraphine!« so daß der Alte erwachte und mir zurief: »Vetter! Vetter! ich glaube, du phantasierst mit lauter Stimme! Tu's bei Tage, wenn's möglich ist, aber zur Nachtzeit laß mich schlafen!« – –

... So kam es, daß ich mehrere Tage ganz fern von der Baronesse, am unteren Ende des Tisches saß, bis mich endlich ein Zufall in ihre Nähe brachte. Als der versammelten Gesellschaft der Eßsaal geöffnet wurde, hatte mich gerade die Gesellschafterin der Baronin, ein nicht mehr ganz junges Fräulein, aber sonst nicht häßlich und nicht ohne Geist, in ein Gespräch verwickelt, das ihr zu behagen schien. Der Sitte gemäß mußte ich ihr den Arm geben, und nicht wenig erfreut war ich, als sie der Baronin ganz nahe Platz nahm, die ihr freundlich zunickte. Man kann denken, daß nun alle Worte, die ich sprach, nicht mehr der Nachbarin allein, sondern hauptsächlich der Baronin galten. Mag es sein, daß meine innere Spannung allem, was ich sprach, einen besonderen Schwung gab, genug, das Fräulein wurde aufmerksamer und aufmerksamer, ja zuletzt unwiderstehlich hineingezogen in die bunte Welt stets wechselnder Bilder, die ich ihr aufgehen ließ. Sie war, wie gesagt, nicht ohne Geist, und so geschah es bald, daß unser Gespräch, ganz unabhängig von den vielen Worten der Gäste, die hin und her streiften, auf seine eigene Hand lebte und dorthin, wohin ich es haben wollte, einige Blitze sandte. Wohl merkt' ich nämlich, daß das Fräulein der Baronin bedeutende Blicke zuwarf, und daß diese sich mühte uns zu hören. Vorzüglich war dies der Fall, als ich, da das Gespräch sich auf Musik gewandt, mit voller Begeisterung von der herrlichen heiligen Kunst sprach und zuletzt nicht verhehlte, daß ich trockner, langweiliger Juristerei, der ich mich ergeben, unerachtet den Flügel mit ziemlicher Fertigkeit spiele, singe und auch wohl schon manches Lied gesetzt habe. – Man war in den anderen Saal getreten, um Kaffee und Liköre zu nehmen, da stand ich unversehens, selbst wußte ich nicht wie, vor der Baronin, die mit dem Fräulein gesprochen. Sie redete mich sogleich an, indem sie, doch freundlicher und in dem Ton, wie man mit einem Bekannten spricht, jene Fragen, wie mir der Aufenthalt im Schlosse zusage usw., wiederholte. Ich versicherte, daß in den ersten Tagen die schauerliche Öde der Umgebung, ja selbst das altertümliche Schloß mich seltsam gestimmt habe, daß aber eben in dieser Stimmung viel Herrliches aufgegangen, und daß ich nur wünsche, der wilden Jagden, an die ich nicht gewöhnt, überhoben zu sein. Die Baronin lächelte, indem sie sprach: »Wohl kann ich's mir denken, daß Ihnen das wüste Treiben in unseren Föhrenwäldern nicht eben behaglich sein kann. Sie sind Musiker, und täuscht mich nicht alles, gewiß auch Dichter! Mit Leidenschaft liebe ich beide Künste! Ich spiele selbst etwas die Harfe, das muß ich nun in R...sitten entbehren, denn mein Mann mag es nicht, daß ich das Instrument mitnehme, dessen sanftes Getön schlecht sich schicken würde zu dem wilden Halloh, zu dem gellenden Hörnergetöse der Jagd, das sich hier nur hören lassen soll! O mein Gott! wie würde mich hier Musik erfreuen!« Ich versicherte, daß ich meine ganze Kunst aufbieten werde, ihren Wunsch zu erfüllen, da es doch im Schlosse unbezweifelt ein Instrument, sei es auch nur ein alter Flügel, geben werde. Da lachte aber Fräulein Adelheid (der Baronin Gesellschafterin) hell auf und frug, ob ich denn nicht wisse, daß seit Menschengedenken im Schlosse keine anderen Instrumente gehört worden als krächzende Trompeten, im Jubel lamentierende Hörner der Jäger und heisere Geigen, verstimmte Bässe, meckernde Hoboen herumziehender Musikanten. Die Baronin hielt den Wunsch, Musik und zwar mich zu hören, fest, und beide, sie und Adelheid, erschöpften sich in Vorschlägen, wie ein leidliches Fortepiano herbeigeschafft werden könne. In dem Augenblick schritt der alte Franz durch den Saal. »Da haben wir den, der für alles guten Rat weiß, der alles herbeischafft, selbst das Unerhörte und Ungesehene!« Mit diesen Worten rief ihn Fräulein Adelheid heran, und indem sie ihm begreiflich machte, worauf es ankomme, horchte die Baronin mit gefalteten Händen, mit vorwärts gebeugtem Haupt dem Alten mit mildem Lächeln ins Auge blickend, zu. Gar anmutig war sie anzusehen wie ein holdes, liebliches Kind, das ein ersehntes Spielzeug nur gar zu gern schon in Händen hätte. Franz, nachdem er in seiner weitläufigen Manier mehrere Ursachen hergezählt hatte, warum es denn schier unmöglich sei, in der Geschwindigkeit solch ein rares Instrument herbeizuschaffen, strich sich endlich mit behaglichem Schmunzeln den Bart und sprach: »Aber die Frau Wirtschaftsinspektorin drüben im Dorfe schlägt ganz ungemein geschickt das Klavizimbel oder wie sie es jetzt nennen mit dem ausländischen Namen, und singt dazu so fein und lamentabel, daß einem die Augen rot werden wie von Zwiebeln und man hüpfen möchte mit beiden Beinen.« »Und besitzt ein Fortepiano!« fiel Fräulein Adelheid in die Rede. »Ei freilich,« fuhr der Alte fort, »direkt aus Dresden ist es gekommen, ein« – »O das ist herrlich«, unterbrach ihn die Baronin – »Ein schönes Instrument,« sprach der Alte weiter, »aber ein wenig schwächlich, denn als der Organist neulich das Lied: ›In allen meinen Taten‹ darauf spielen wollte, schlug er alles in Grund und Boden, so daß« – »O mein Gott«, riefen beide, die Baronin und Fräulein Adelheid, »so daß«, fuhr der Alte fort, »es mit schweren Kosten nach K. geschafft und dort repariert werden mußte.« »Ist es denn nun wieder hier?« frug Fräulein Adelheid ungeduldig. »Ei freilich, gnädiges Fräulen! und die Frau Wirtschaftsinspektorin wird es sich zur Ehre rechnen.« – In diesem Augenblick streifte der Baron vorüber, er sah sich wie befremdet nach unserer Gruppe um und flüsterte spöttisch lächelnd der Baronin zu: »Muß Franz wieder guten Rat erteilen?« Die Baronin schlug errötend die Augen nieder, und der alte Franz stand erschrocken abbrechend, den Kopf geradegerichtet, die herabhängenden Arme dicht an den Leib gedrückt, in soldatischer Stellung da ... Der Alte blieb in seinem Gemach, ich hingegen hatte mich eben zum Ball gekleidet, als es leise an unsere Tür klopfte und Franz hereintrat, der mir mit behaglichem Lächeln verkündete, daß soeben das Klavizimbel von der Frau Wirtschaftsinspektorin in einem Schlitten angekommen und zur gnädigen Frau Baronin getragen worden sei. Fräulein Adelheid ließe mich einladen, nur gleich herüberzukommen. Man kann denken, wie mir alle Pulse schlugen, mit welchem inneren süßen Erbeben ich das Zimmer öffnete, in dem ich sie fand. Fräulein Adelheid kam mir freudig entgegen. Die Baronin, schon zum Ball völlig geputzt, saß ganz nachdenklich vor dem geheimnisvollen Kasten, in dem die Töne schlummern sollten, die zu wecken ich berufen. Sie stand auf, so in vollem Glanz der Schönheit strahlend, daß ich keines Wortes mächtig sie anstarrt«. »Nun Theodor« (nach der gemütlichen Sitte des Nordens, die man im tieferen Süden wiederfindet, nannte sie jeden bei seinem Vornamen), »nun, Theodor,« sprach sie freundlich, »das Instrument ist gekommen, gebe der Himmel, daß es Ihrer Kunst nicht ganz unwürdig sein möge.« Sowie ich den Deckel öffnete, rauschten mir eine Menge gesprungener Saiten entgegen, und sowie ich einen Akkord griff, klang es, da alle Saiten, die noch ganz geblieben, durchaus verstimmt waren, widrig und abscheulich. »Der Organist ist wieder mit fernen zarten Händchen darüber gewesen«, rief Fräulein Adelheid lachend, aber die Baronin sprach ganz mißmutig: »Das ist denn doch ein rechtes Unglück! ach, ich soll denn hier nun einmal keine Freude haben.« – Ich suchte in dem Behälter des Instruments und fand glücklicherweise einige Rollen Saiten, aber durchaus keinen Stimmhammer! – Neue Klagen! – Jeder Schlüssel, dessen Bart in die Wirbel passe, könne gebraucht werden, erklärte ich; da liefen beide, die Baronin und Fräulein Adelheid, freudig hin und wieder, und nicht lange dauerte es, so lag ein ganzes Magazin blanker Schlüsselchen vor mir auf dem Resonanzboden.

Nun machte ich mich emsig darüber her, Fräulein Adelheid, die Baronin selbst mühte sich mir beizustehen, diesen, jenen Wirbel probierend. Da zieht einer den trägen Schlüssel an, »es geht, es geht!« riefen sie freudig. Da rauscht die Saite, die sich schier bis zur Reinheit herangeächzt, gesprungen auf, und erschrocken fahren sie zurück! Die Baronin hantiert mit den kleinen zarten Händchen in den spröden Drahtsaiten, sie reicht mir die Nummern, die ich verlange, und hält sorgsam die Rolle, die ich abwickle; plötzlich schnurrt eine auf, so daß die Baronin ein ungeduldiges Ach! ausstößt, Fräulein Adelheid lacht laut auf, ich verfolge den verwirrten Knäuel bis in die Ecke des Zimmers, und wir alle suchen aus ihm noch eine grade unzerknickte Saite herauszuziehen, die dann aufgezogen zu unserem Leidwesen wieder springt, aber endlich, endlich sind gute Rollen gefunden, die Saiten fangen an zu stehen, und aus dem mißtönigen Sumsen gehen allmählich klare, reine Akkorde hervor! »Ach, es glückt, das Instrument stimmt sich!« ruft die Baronin, indem sie mich mit holdem Lächeln anblickt! – Wie schnell vertrieb dies gemeinschaftliche Mühen alles Fremde, Nüchterne, das die Konvenienz hinstellt; wie ging unter uns eine heimische Vertraulichkeit auf, die, ein elektrischer Hauch mich durchglühend, die verzagte Beklommenheit, welche wie Eis auf meiner Brust lag, schnell wegzehrte. Jenes seltsame Pathos, wie ihn solche Verliebtheit wie die meinige wohl erzeugt, hatte mich ganz verlassen, und so kam es, daß, als nun endlich das Pianoforte leidlich gestimmt war, ich, statt, wie ich gewollt, meine inneren Gefühle in Phantasien recht laut werden zu lassen, in jene süße liebliche Kanzonetten verfiel, wie sie aus dem Süden zu uns herübergeklungen. Während dieser Senza di te – dieser Sentimi idol mio, dieser Almen se non poss'io und hundert morir mi sento's und Addio's und Oh dio's wurden leuchtender und leuchtender Seraphinens Blicke. Sie hatte sich neben mir an das Instrument gesetzt, ich fühlte ihren Atem an meiner Wange spielen; indem sie ihren Arm hinter mir auf die Stuhllehne stützte, fiel ein weißes Band, das sich von dem zierlichen Ballkleide genestelt, über meine Schulter und flatterte, von meinen Tönen, von Seraphinens leisen Seufzern berührt, hin und her wie ein getreuer Liebesbote!

(Aus »Das Majorat«.)

 

Wie Theodor sich in der Novelle der Baronin Seraphine näherte, genau so näherte sich bei gemeinsamem Musizieren der junge Student Hoffmann der angebetenen Frau. Es wuchs eine Leidenschaft aus diesem Verhältnis, die ihn, wie Hippel später schrieb, weit über seine Jahre hinaus reifte. Die Liebe zu Cora durchschwingt Jahre seines Lebens und erfüllt den Briefwechsel mit dem Freunde. Schmerzhaft spannen sich die Saiten seiner Nerven. An dieser Leidenschaft wächst er zur Klarheit an sich selber. Er beginnt, unter den Anverwandten maßlos zu leiden. Als Hippel nach Marienwerder gegangen ist, fühlt er sich ganz verlassen. Nichts Befreiendes lebt in seiner Liebe. Als er Cora kennenlernte, schiffte er gerade mutig auf das Meer der Dichtung und der Musik hinaus. Aber diese verbotene Liebe drückte ihn nach kurzem ersten Anlauf nieder. Es beginnt jene Zeit der Resignation, die ihn zum Beamtendasein hintrieb. Zu etwas Großem fühlte er sich nicht mehr fähig. Hören wir ihn in seinen Briefen an Hippel:

Freitag, den 12. Dezember 1794.

... So isoliert, so abgesondert von allen hab' ich seit meinen Studentenjahren noch nicht gelebt. Nur der spricht mich, der mich ausdrücklich aufsucht, und denn geb' ich ihm zehn Minuten preis, und damit Punktum. Ich glaube, daß ein Nichtkenner etwas Menschenscheues darin erblicken könnte, er irrt sich aber ganz. Ich liebe die Menschen noch so wie vorher. Daß ich die wiederhasse, die mich hassen, daß ich denen bei Gelegenheit einen Seitenhieb versetze, die mir einen zudachten, daß ich über die lache, die lächerlich sind, das wird doch keiner für Menschenhaß halten. Alle meine Damenbekanntschaften schränken sich auf ein paar Worte Gespräch ein (eine ausgenommen), und weiter es auszudehnen hab ich auch bei keiner Lust, – Schaden hat mich vorsichtig und klug gemacht, – Erfahrung hat mich gelehrt, daß viel reden und wenig handeln das Prädikat eines Schwächlings ist, in den Fall werd' ich nicht kommen, daß dies mir zum Vorwurf dienen soll ...

...Jeden Abend sitze ich bis nach 12, oft bis nach 1 Uhr auf, und des Morgens stehe ich um 8 Uhr auf. Diese Lebensart hat für mich so einen Anstrich von Behaglichkeit, der sie mir immer fortsetzen heißt. Daß ich meine Inamorata so ganz mit all dem Gefühl liebe, dessen mein Herz fähig wäre, daran zweifle ich sehr, nichts wünsche ich aber weniger, als einen Gegenstand zu finden, der diese schlummernden Gefühle weckt, das würde meine behagliche Ruhe stören. – Zu jeder Empfindung für Cora zum Beispiel, hab' ich gleich irgendeine komische Posse zur Surdine und die Saiten des Gefühls werden so gedämpft, daß man ihren Klang gar nicht hört ...

den 12. Januar 1795.

... Zum größten Glück in meinem Leben würd' ich rechnen, wenn mich ein günstiges Schicksal ganz mit Dir vereinte. Ist mein Käficht gleich golden, so ist's doch ein Käficht, und keiner kann mir das Schnappen nach Freiheit verargen. Solche Abende wie der neuliche, das sind herrliche Abende, die auf mein Ganzes einen immerwährenden Eindruck machen.

den 19. Februar 1795.

... Meine neue Lektüre ist jetzt der Genius von Grosse. Mit einer Art Geisteserhebung les' ich die schwärmerischen Schilderungen der Glückseligkeit, den Umgang eines innig vertrauten Freundes genießen zu können. – Unbemerkt entschlüpfen die Ideen aus dem Buche, und eigne traten an ihre Stelle – ich sann nach über meinen Zustand – die Ahndung bald alles zu verlieren, was mich hier noch fesselt, gemischt mit einer bangen Empfindung, brachte mich außer mir – ich warf das Buch weg, und ich glaube, Tränen hätten meine Augen gefüllt, wenn mir diese die Natur nicht fast ganz versagt hätte ...

... Es war ein schöner Abend, an dem ich den lebten Teil des Genius las – meine Fantasie hatte einen Festtag. – Es war elf Uhr, als ich das Buch aus Der Hand legte. – Das Aufwallen von unzähligen Leidenschaften hatte meinen Geist in eine Art von matter Betäubung versenkt. – Mir war wirklich sehr wohl – die traurigen Bilder der kummervollen Tage der Vergangenheit traten zurück in den Schatten, und süße Träume einer froheren Zukunft umnebelten meine Sinne – wichen ganz aus meinem Gedächtnis – aus ihnen schmolz ein Ideal zusammen, und dies Ideal war sie – eine neue Schöpfung hatte sie hervorgebracht – gereinigt von den irdischen Verbindungen schwebte sie mir entgegen im himmlischen Glanze – ich sah sie, ich fühlte sie, ich hörte ihre Stimme – sie kam mir entgegen, sie bot mir einen Kranz, geflochten von Myrthen und Rosen. – Es war ein schönes Bild, das mir meine Fantasie vorzauberte. In einem Zustande, der gleich weit vom Wachen und Schlafen entfernt ist, lag ich auf meinem Bette, ein Knistern weckte mich, ein schneidender Luftzug durchwehte meine Stube – ich sah auch meinen Genius, ach es war nicht Emanuel! ...

Mich verläßt alles. – Auch sie wird mich verlassen – bald naht sich ein kritischer Zeitpunkt, der sie mir vielleicht auf immer entrückt. –

28. Februar 1795 abends.

... Wärmer noch schlägt mein Herz für Deine Freundschaft, als für jene so unglückliche Liebe, denn unglücklich ist sie auf alle Fälle. – Mit Dir ziehe ich gern in eine Einöde – ich verlange denn keinen mehr zu sehen, keinen zu hören als Dich ...

Freund – Innig Geliebter – ich sag's Dir feierlich und ernst. – Gern opfere ich die Geliebte und alles, wenn ich Dich mir erhalten könnte – wie gern folgt' ich Dir nach Marienwerder. – Pläne durchkreuzen meine Seele, neue Vorsätze und Entschließungen brüten in mein Gehirn. Für Dich möcht' ich mit froher Miene mein ganzes scheinbares Glück aufopfern, um Dir unwandelbar zugesellt des einzigen für mich wahrhaften Glücks zu genießen ...

Mittwoch, den 4. März 1795.

... Den Don Juan habe ich jetzt auch, eigentümlich – er macht mir manche selige Stunden, ich fange an jetzt je mehr und mehr Mozarts wahrhaft großen Geist in der Komposition zu durchschauen, Du sollst gar nicht glauben, wieviel neue Schönheiten sich dem Ohre des Spielers entwickeln, wenn er auch nicht die geringste Kleinigkeit vorüber schlüpfen läßt, und mit einer Art von tiefem Studium zu jedem einzelnen Takt den gehörigen Ausdruck sucht. – Das Anschwellen von sanfter Melodie bis zum Rauschenden, bis zum Erschütternden des Donners, die sanften Klagetöne, der Ausbruch der wütendsten Verzweiflung, das Majestätische, das Edle des Helden, die Angst des Verbrechers, das Abwechseln der Leidenschaften in seiner Seele, alles dieses findest Du in dieser einzigen Musik – sie ist allumfassend, und zeigt Dir den Geist des Komponisten in allen möglichen Modifikationen. Noch sechs Wochen wollte ich den Don Juan studieren, und Dir ihn denn auf einem englischen Fortpiano vorspielen – wahrhaftig, Freund, Du säßest still und ruhig von vorne an bis zu Ende, und würdest ihn noch viele Zeit in Deinem noch dazu unmusikalischen Gehirn behalten. – –

Freitag, den 1. Mai 1795.

... Mein physisches Leiden kam auch wieder. – Es besteht in Migräne, Unwohlheit und einem entsetzlichen Nasenbluten – vorige Nacht blutete ich anderthalb Stunden – heute schon wieder, obgleich nicht so lange – vorgestern befürchtete ich einen Blutsturz. – Mir wurde so weh, und so halb ohnmächtig, ich weiß selbst nicht wie. – Motion hilft mir – ich befinde mich besser darnach. Wenn ich nur wüßte, daß es Deinem Vater lieb wäre, würd' ich künftige Woche einen Tag morgens zu Fuß herauskommen, und allenfalls um den Abend zu genießen, erst auf den andern Morgen früh meine Retour nehmen, ich denke immer, ich habe einen Künstlerkörper, d. h. er wird bald gar nicht zu brauchen sein, und ich werd' mich empfehlen, ohne ihn mitzunehmen.

Mein moralisches Übel kennst Du. – –

Seitdem Du in A. bist, bin ich wirklich hier mitten im größten Gewühl sehr verlassen – ich bin ein Anachoret, als wenn ich auf Formentera wäre. – Wie Du noch hier warst, war es anders – Wärst Du und der Bruder nicht damals hier gewesen – Himmel wo wäre ich jetzt! – Ich werde noch zur Verzweiflung kommen, über die gänsedummen Bocksprünge des gemeinen maulaffenden Pöbels, – ich ergreife den Stab! – Sieh nur, unser Übel ist entgegengesetzt, Du hattest zu viel Fantasie, ich habe zu viel Wirklichkeit. – – –

Du glaubst gar nicht, wie mich dieses quält – auch mein Schicksal, meine Bestimmung – Das Studieren geht langsam und traurig – ich muß mich zwingen ein Jurist zu werden.

Wenn ich doch eine Hackertsche Mondgegend hätte – Leb' wohl –

 

Im Sommer 1795 war Hippel nach Marienwerder übergesiedelt. Hoffmann hatte fast gleichzeitig das Auskultatorexamen bestanden.

 

Königsberg, den 22. September 1795.

... Ich fühle eine schreckliche Leere in meinem Herzen – Keiner – keiner, dem ich's klagen konnte. – Was wir uns waren – ich bin stolz darauf, es frei sagen zu können – Du findest mich auch nicht zum zweitenmal – von Dir find' ich keinen Schatten – Ich kann das nun schon in den Tod nicht leiden, die Bekanntschaften – wenn man sie Freundschaft nennt – Eine gewisse Person war so stockfischmäßig dumm, mir mit dem plumpsten Anstande zu sagen: Ja freilich, er ist fort, Du wirst Dir einen andern Freund zulegen müssen. – Wer diese Person war, wirst Du an dem Gemälde leicht erkennen. – Mein Schicksal ist traurig, eben in dem Zeitpunkt, wo ich den ganzen Umfang des Glücks fühle, das ich genießen könnte – gerade denn stehe ich in Gefahr es auf immer zu verlieren. – Ich müßte verzweifeln ohne mein Pianoforte. –

... Da hast Du das ganze Verhältnis – da hast Du den Urgrund meines Kummers – das Bild meiner schlaflosen Nächte – meiner blassen Wangen! – Wo ist die Jovialität, die sonst meinem Geist eigen ist! – sage Freund – Ist das Schicksal oder liegt es in Umständen, die doch subjektiv sind, daß ich nur gleichsam Erholungen habe, um desto empfindlicher wieder gequält zu werden? – Es ist, als ob sich alles vereinigte mir meine Tage jetzt abscheulich zu machen – schon geht's in die zehnte Woche, daß ich examiniert bin, und noch ist nichts von Berlin zurück, noch bin ich nicht vereidigt. Mein geschäftloses Leben ist mir im höchsten Grade zur Last. Werde ich nur erst arbeiten ... Überhaupt – weiß Gott, welches Ungefähr, oder vielmehr, welch eine sonderbare Laune des Schicksals mich in dies Haus hier versetzte. Schwarz und weiß kann unmöglich entgegengesetzter sein, als ich und meine Familie – Gott was sind das für Menschen! – Freilich gesteh' ich ein – daß manches an mir zuweilen so ziemlich exzentrisch ausfällt – aber auch nicht die geringste Nachsicht – der dicke Sir, für meinen Spott zu abgenutzt, für meine Verachtung zu erbärmlich, fängt mich an mit einer Indignation zu behandeln, die ich wahrlich nicht verdiene ...

Montag, den 25. Oktober 1795.
Nachmittag um 2 Uhr.

Ich dachte heute einen recht frohen Tag zu haben, wie Montag gewöhnlich, aber das ist verdorben, denn eben jetzt sehr zur Unzeit stirbt der Großonkel. – Eben bin ich dagewesen – da liegt er mit eingefallenen Backen, offnem Munde, brechenden Augen, und röchelt dumpf – der Anblick war grausig für mich. – Der Mensch ist doch ein elendes Geschöpf, wenn er geboren wird und wenn er stirbt – Du siehst, daß meine Abwechslungen hier sehr traurig sind, daß ich schwarz gehe ... Wenn Du noch in Arn. wärst, so käme ich morgen in jedem Fall zu Dir hinaus, denn es wird ein sehr fataler Tag sein – da wird ex officio geweinet und ich darf mein Fortepiano nicht ansehn, ob ich gleich eine sehr schöne zärtliche Arie von Pietro Winter nur gestern aus der Partitur gezogen und unaufhörlich gespielt habe, und heute und morgen wieder spielen möchte ...

– Der Onkel balgt sich fürchterlich mit dem Tode –

... Meine kleinen Konzerte dauern noch fort, und neulich legt' ich den Anfang eines Motetts von eigner Komposition auf – aber den Text dazu wirst Du schwerlich raten – er ist aus Goethes Faust – Judex ille cum sedebit pp, die Worte des Mädchens sind begleitendes Rezitativ – das Judex pp vollstimmig, meinte J. (so wie ich's nämlich aufgeschrieben habe, eine Strophe bloß mit Posaunen, Fagotts und Hoboen und dann erst fugenmäßig die Orgel und andere Stimmen) müßte eine schauervolle Wirkung tun. – Wohnt' ich an einem katholischen Ort, so ließ ich die Rezitative weg, komponierte ein paar Fugen dazu, und hätte dann die Hoffnung, es in der Kirche aufführen zu hören. – Habe ich mich erst wieder mehr in der Komposition geübt, so mach' ich mich über Claudine von Villa Bella her. Du glaubst überhaupt gar nicht, wie mich jetzt die Furie der Komposition in Musik – Romanschreiberei pp anpackt. – Das beste ist – daß ich alles das, was mir nicht gut dünkt, in's Feuer werfe. –

Königsberg, den 25. November 1795.

... In der Nacht ist mein Geist am tätigsten, und wenn ich ungenierter wäre, würden die Produkte mancher glücklich durchträumten Nacht Musterstücke ihrer Art sein. Die Ouverture zum neuesten Motett, dem noch die Vollendung fehlt, habe ich in der Nacht gesetzt, indem ich bloß den Baß auf des J. Harfe, die eben in meiner Stube stand, probierte, und ich versichere Dich, daß diese Ouverture das einzige von meiner Arbeit ist, was mich das Inwohnen eines musikalischen Genies vermuten läßt – doch schon auf der ersten Seite verirre ich mich in meine Lieblingsmaterie ...

Man ist doch im Grunde ein erbärmliches Geschöpf – dünkt sich frei und glücklich, und hängt mehr wie einer von Konvenienzen und Launen ab. Daß ich zuweilen recht niederträchtige Tage verlebe, ist eine traurige Wahrheit. Wenn ich könnte, wie ich wollte, so wie ich immer gewollt habe, so säße ich nicht hier und ließ mir von der Melusinenbrut und dem Apollo aus dem Bierfaß eine doppelte Sonate vorschnarchen! – Wenn ich von mir selbst abhinge, würd' ich Komponist, und hätte die Hoffnung, in meinem Fache groß zu werden, da ich in dem jetzt gewählten ewig ein Stümper bleiben werde ...

Du übst Dich in allen möglichen Arbeiten und wirst gewiß längst Rat sein, wenn ich noch als Auskultator (Ohrenspitzer – ich hab' über diesen Ausdruck mich sehr gefreut) herumlaufe, und irgendwo Präsident, wenn ich irgendeine kleine Stelle von ein paar hundert Taler Gehalt erhasche. Doch das alles soll in unserer Freundschaft nichts ändern – – –

Sonntag, den 10. Januar 1796.

... Die Unannehmlichkeiten und Zänkereien haben eine gute Wendung genommen, nachdem eine gewisse Mittelsperson aufgehört hat, dumme Streiche zu machen. – Du hast alles in Anschlag gebracht, nur nicht, daß ich sie bis zum Unsinn liebe, und daß gerade das mein ganzes Unglück ausmacht. – Du mußt mich für den wankelmütigsten Menschen halten, wenn Du dies liest – ich schäme mich fast Dir mehr von einer Sache zu schreiben, die mich zum Fangball der heterogensten Launen macht, die mich vielleicht in Deinen Augen herabwürdigt und lächerlich macht – ich liebe sie und bin unglücklich, weil ich sie nicht besitzen kann, weil in dem süßesten Genuß der Liebe ich qualvoll daran erinnert werde, daß sie nicht mein ist – nicht mein sein kann. – Sie, die ich über alles liebe, ohne die für mich kein Glück blüht, keine Freude existieren kann, ist das Weib eines anderen – eines Menschen, der ohne die Kostbarkeit zu genießen die er besitzt, sie nur ängstlich bewacht. –

Da hast Du meine ganze Schwachheit – – –

Meine Musik – mein Malen – meine Autorschaft – alles ist zum Teufel gegangen, ich bin so dumm wie ein Stockfisch, und versteh nicht einmal ein gescheutes Protokoll aufzunehmen, so wie alles, was mir vernünftige Leute, die weit gegründeter denken als ich, wohlmeinend raten. –

Bleibe Du in M. oder gehe nach B. – werde alles – werde viel mehr, was Du mit Deinen kühnsten Wünschen glaubst oder hoffst – mich laß hier in Königsberg mich verzehren – mit mir ist nichts anzufangen, das siehst Du wohl, ich kann nicht fort – und will sie nicht verlassen, und sie möcht um mich 24 Stunden weinen und mich dann vergessen – ich sie nie – ich bin schon zu allem verdorben – man hat mich um alles geprellt, und auf eine sauersüße Art – – –

Den 22. Februar 1796 morgens.

Ich eile Dir zu sagen, was eigentlich meine Briefe aufgehalten hat – Die Stierszene auf der Redoute, die ich Dir letzthin beschrieb, hat doch ernsthaftere Folgen gehabt als ich anfangs dachte ... Daher sagte ich Mittwoch vor 14 Tagen, daß ich schlechterdings nach Marienwerder wollte. Das wurde mir nicht zugestanden – ich schlug Glogau vor – das war besser. Den Tag darauf wurde deswegen geschrieben, und gestern erhielt ich die Antwort – daß man mich mit offnen Armen empfangen würde, daß schon alles mit dem dortigen Präsidenten abgemacht, und daß es gut wäre, wenn ich noch vor Ostern abginge. Die Reise ist aber ganz fest im Anfange des Mai bestimmt, und schon wird die Equipage instand gesetzt, d.h. was um und an mir ist! ...

Außer uns (im Hause) und dem Z., der allem Vermuten nach mitgeht, weiß es noch niemand, und wird's auch niemand bis ungefähr 14 Tage vor meiner Abreise wissen, denn werden manche Nase und Maul aufsperren, und den Flüchtling entweder loben oder verdammen, je nachdem das Glas ihrer Laune, wodurch sie's ansehn, geschliffen ist ... Ich kann's Dir versichern, daß K. ein wahres Nest ist, und daß in keinem Orte ich so geplagt werden kann als hier. Die romantischen Gebirgsgegenden in Schlesien werden allein schon imstande sein, eine zentnerschwere Last, die meinen Geist hier niederdrückt, abzuwälzen; – ich werde freier atmen, wenn ich durch die Obstalleen fahren werde, die mit ihren Blütendüften die Luft ringsumher besser parfümieren als ein paar hundert Flakons der K. Damen die Balluft ... In ein musikalisches Land geht meine Wanderschaft – Kirchenmusiken werde ich erst kennenlernen, und meine Kompositionen werden sich unter der Bildung echter Musiker besser erheben, als hier in dem musikalischen Schlaraffenleben, wo ein jeder geigt und pfeift wie's ihm dünkt ...

Für eins ist mir bange, für die Verzweiflungsszenen einer gewissen Person, wenn es heißen wird – fort! – Wenigstens wird's mir eine fatale Laune verursachen, die ich nicht sobald verlieren kann ...

Königsberg, den 18. März 1796.

... Der Tod hat bei uns auf eine so schreckliche Art seine Visite gemacht, daß ich das Grausenvolle seiner despotischen Majestät mit Schaudern gefühlt habe. – Heute morgen fanden wir meine gute Mutter tot aus dem Bette herausgefallen – Ein plötzlicher Schlagfluß hatte sie in der Nacht getötet, das zeigte ihr Gesicht, von gräßlicher Verzuckung entstellt – Ich weiß, daß Du imstande bist, eine solche Szene zu fühlen – den Abend vorher war sie munterer als je, und aß mit gutem Appetit. – Das sind wir Menschen! – quälen und härmen uns im spannlangen Leben – sorgen für die Zukunft – machen Pläne auf Pläne, wenn vielleicht nur noch ein armseliger Tag unsere Todesstunde verzögert – Das große Studium des Todes ist uns verhaßt, weil unser verzärtelter Geist sich nur an blühenden Rosen weidet, deren Dorn er fürchtet – Ach Freund, wer nicht den Tod sich beizeiten zum Freunde macht, und auf vertraulichem Fuß mit ihm umgeht, dem macht er zuletzt seine Visite immer auf die quälendste Art – ich meine, daß das seine Lieblinge sind, die er so ohne viel von sich blicken zu lassen weghascht, und was so schrecklich scheint, ist bloß ein Erziehungskniff von ihm für uns übrige – Du wirst meinen Schmerz mit mir fühlen, und Dein Gefühl, Dein gutes Herz stimmt gewiß in das Requiem ein, das ich den Manen meiner guten Mutter weihe ...

... Sie zu verlieren ... dieser Gedanke drückt mich zu Boden, und ich zweifle, daß ich auf Schlesiens Gebürgen freier atmen werde! Was kann mich sonst an diesen Ort fesseln, wo man mich gewaltsam einsperrt, und mit einer heiligen Dummheit meinen Geist in eine von Vorurteilen erschaffene Dogmatik einzwängt. – Ach lieber Freund, bogenlang würde der Rotulus all der Ärgerlichkeiten, die mich täglich an meine widrige Lage mahnen. Welch ein Blitzstrahl der erzürnten Gottheit hat mich doch in einer Stunde des Zorns in den Kreis dieser Menschen herabgeschleudert! – Nicht ein Stündchen Alleinsein gönnt man mir. – Nach dem Tode meiner Mutter ist noch alles zehnfach konfuser, und man martert mich mit Grammairediskursen bis in die späte Nacht ...


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