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Aufführung der »Undine«

An Hippel in Marienwerder

Berlin, den 30. August 1816.

... Mein Undinchen wurde in einem Zeitraum von vierthalb Wochen gestern zum sechstenmal bei überfülltem Hause gegeben. Die Oper hat ein allgemeines Gären und Brausen und endloses Geschwätz verursacht, welches lediglich dem Dichter zuzuschreiben ist, der die Opposition sämtlicher Philister wider sich hat. Dem einen ist der Text zu mystisch, dem andern zu fromm. – Der dritte tadelt die Verse, alle rühmen die Musik und – die Dekorationen, welche aber auch das genialste der Art sind, das ich jemals gesehen. – Ich habe geflucht, daß Du die Oper nicht sehen konntest, da ich fest in meiner Seele überzeugt bin, daß Du mit wahren poetischen Gemütern übereinstimmend auf eigene Weise von dem Werk angesprochen sein würdest. Merkwürdig ist es, daß die Kritiker beweisen, an der Dichtung sei nichts dran, und doch immer wieder hineinlaufen, welches sie denn freilich mir in die Schuhe schieben, woran mir aber nichts liegt, ich vielmehr fortwährend sehr trocken behaupte, ich müßte in der Tat ein Esel gewesen sein, wenn ich zu solchem Stoff, zu solchen Worten eine lumpichte Sechsdreiermusik gemacht hätte. Wahrscheinlich kommt binnen einem halben Jahr ein Klavierauszug heraus, den verehre ich Deiner singenden Familie ... – Das einzige gescheute Wort über Undine, das gedruckt wurde, hat übrigens Catel in der Berliner Zeitung gesprochen, sonst ist viel närrisches Zeug auch in den dramaturgischen Blättern geschwatzt, an denen ich übrigens keinen Anteil nehme, da sie nach einem hiesigen sehr poetischen Kunstausdruck mierig worden, so daß nur noch Lewezows (der jetzt Löwenzopf genannt wird) Primaner lesen, und dieser gezwungene Kurs eben nicht der Sache Vorteil bringt. – Das Kammergericht hat an der Undine großen Anteil genommen, und es geht eine dunkle Sage, daß der große Mann aus der Wilhelmstraße im Hintergrunde der Eckloge bemerkt worden sein soll, und zwar bei der zweiten Darstellung. –

Bei dem Kammergericht fällt mir natürlich mein Geschäftsleben ein, das ich wie den Klotz des Baugefangenen hinter mir herschleppe und glaube, es sei nun einmal die Strafe meiner vielen Sünden, daß ich in der freien Luft nicht ausdauern konnte und in den Kerker zurück mußte, so wie der verwöhnte Stubenvogel, dem das Futter so lange zugereicht wurde, daß er im Freien seine Atzung selbst zu suchen nicht mehr vermag. Alles Unangenehme haben sie mir bisher aufgebürdet – Kassenkuratel – Depositalabnahme – Untersuchungen usw. Dazu kam, daß der Kriminalsenat von acht Mitgliedern bis auf drei herabgeschmolzen war durch Reisen, Krankheit pp., so daß ich meinte, wir wollten unsere Pforten schließen und mit 5 Fuß 6 Zoll hohen Buchstaben darauf schreiben: Wir sind nach dem Bade verreiset, wonach sich jeder rücksichts der Prozesse und der begangenen und noch zu begehenden Verbrechen zu achten!

Der Präsident Woldermann war auch fort, der Vizepräsident mußte im Instruktionssenat präsidieren, und Dein gehorsamer Diener führte im Kriminalsenat als ältester Rat mit Würde und Energie den Rotstift. Kam noch zur selbigen Zeit hinzu, daß mich meine Nichte aus Posen, die ich erzog, besuchte, und mir ein wahrhaft lebendiges Kind, das die mit ihrem Manne, dem Tribunalsassessor von Lekszycki erzielt, vorzeigte, so daß ich an meiner Großonkelschaft gar nicht zweifeln konnte, so magst Du es Dir denken, wie überschwenglich groß und erhaben ich mich fühlte. Nach Niederlegung meines Postens (als Direktor nämlich, nicht als Großonkel) wurde mir als gerechtes Anerkenntnis meiner hohen Verdienste von meinen Freunden in einer außerordentlichen Serapionsversammlung ein mit bunten Bändern geschmückter Ehrenrotstift überreicht, den ich an festlichen Tagen im dritten Knopfloch meiner rechten Rockklappe trage, so daß er beim Überknöpfen auf meinem Herzen ruht!!

Meine Freunde rühmen sehr, daß mich alle meine Würden nicht stolz und übermütig gemacht, sondern daß ich in guten Stunden sehr mild und herablassend mit ihnen conversiere!

Verzeih, mein teuerster Freund! – das tolle Zeug – Du weißt ja aber schon, welch ein besonderes Affengesicht als versteckter Poet mich kitzelt! – Daß der Uhland Dich gar sehr erfreuen wurde, habe ich gewußt. Hast Du schon Fouqués Sängerliebe gelesen, sowie sein Gedicht aus dem Jünglingsalter? In letzterem ist viel Schönes, das erste sehr zart aber kein Zauberring. – Ich schreibe keinen goldenen Topf mehr! – So was muß man nur recht lebhaft fühlen und sich selbst keine Illusionen machen! ...

Hoffmann bei der Uraufführung

... Theodor hat eben nichts im Sinn als die Oper, die er vor ein paar Jahren auf das Theater brachte! »Da ich nun«, sprach er, »ein Dutzend mißlungene Proben angeschaut habe, da noch selbst in der letzten Hauptprobe der Maestro mit der Partitur nicht ganz im reinen war, so wie mit dem Verständnis des ganzen Werks überhaupt, so bin ich über die Zweideutigkeit des Schicksals, das gleich einer schwarzen Wolke über meiner Dichtung hängt, ganz beruhigt. Fällt mein Werk, so falle es denn! mir ist alle Besorgnis deshalb benommen, ich bin hinweg über alle Angst und Beklommenheit des Autors« – und was dergleichen schöne Redensarten noch mehr waren. Genug, als ich am Tage der Aufführung meinen Freund sah, und die Zeit da war, nach dem Theater zu gehen, wurde er plötzlich leichenblaß, lachte aber dabei ungemein, niemand wußte recht worüber, versicherte sehr heftig, beinahe habe er vergessen, daß seine Oper heute gegeben würde, wollte durchaus, als er den Überrock anzuziehen unternahm, den rechten Arm in den linken Ärmel stecken, so daß ihm meine Beihilfe nötig, rannte dann, ohne ein Wort zu sprechen, wie besessen über die Straße und fiel, als in dem Augenblick, da er in die Loge treten wollte, der erste Akkord der Ouverture losschlug, dem erschrockenen Logenschließer in die Arme, dann aber ...

(Aus den »Unterhaltungen der Serapionsbrüder«, 6. Abschnitt.)

 

Die Aufführung der »Undine« war eines der Lebensziele Hoffmanns gewesen. Jahrelang hatte er von einer Berliner Aufführung geträumt. Durch die »Undine« hatte er einst Unsterblichkeit zu erlangen gehofft. Die Aufführung war auch durchaus ein Erfolg, aber selbst Hoffmanns Brief an Hippel kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Erfolg nicht so bedeutend gewesen war, wie Hoffmann es wohl einst geträumt haben mochte. Auch wenn die Oper mehrmals wiederholt wurde, Unsterblichkeit – das sah Hoffmann wohl selber von Anfang an ein – konnte er durch diese Oper nicht erringen. Er resignierte, auch als Dichter. »Ich schreibe keinen gold'nen Topf mehr«, hatte er noch unter dem Eindruck der Opernaufführung an den Freund geschrieben. In einigen seiner gelungensten Erzählungen nahm er damals von dem Musikertraum Abschied: in der Kapellmeisternovelle »Das Sanctus« und in der erschütternden Erzählung »Antonie« oder »Rat Krespel«. Von nun an ergab er sich Jahre hindurch ausschließlich der anspruchslosen Unterhaltungsliteratur. Vom Werk legte sich der Schwerpunkt in das Leben.

Sein Bekanntenkreis hatte sich nennenswert erweitert. Durch Dr. Koreff war er mit dem Kreise um Hardenberg, vorzüglich mit Hardenbergs Schwiegersohn, dem Grafen Pückler, bekannt geworden, der später als Fürst Pückler-Muskau auch literarisch hervortrat. Mannigfache Scherze und Mystifikationen waren unter den Freunden im Schwange. So war eine Zeit lang ein verlassenes Haus, »Unter den Linden« Nr. 9, Gegenstand heiterer Phantasterei, aus der Hoffmanns Erzählung »Das öden Haus« herauswuchs. Der Anfang der Erzählung gibt ein anschauliches Bild des damaligen Berlin und der Art, wie Hoffmann in den Straßen Berlins umher zu schlendern pflegte.

Das öde Haus

Ihr wißt, daß ich den ganzen vorigen Sommer in ...n zubrachte. Die Menge alte Freunde und Bekannte, die ich vorfand, das freie gemütliche Leben, die mannigfachen Anregungen der Kunst und der Wissenschaft, das alles hielt mich fest. Nie war ich heitrer, und meiner alten Neigung, oft allein durch die Straßen zu wandeln und mich an jedem ausgehängten Kupferstich, am jedem Anschlagzettel zu ergötzen oder die mir begegnenden Gestalten zu betrachten, ja wohl manchem in Gedanken das Horoskop zu stellen, hing ich hier mit Leidenschaft nach, da nicht allein der Reichtum der ausgestellten Werke der Kunst und des Luxus, sondern der Anblick der vielen herrlichen Prachtgebäude unwiderstehlich mich dazu antrieb. Die mit Gebäuden jener Art eingeschlossene Allee, welche nach dem .....ger Tore führt, ist der Sammelplatz des höheren, durch Stand oder Reichtum zum üppigeren Lebensgenuß berechtigten Publikums. In dem Erdgeschoß der hohen breiten Paläste werden meistenteils Waren des Luxus feilgeboten, indes in den obern Stockwerken Leute der beschriebenen Klasse hausen. Die vornehmsten Gasthäuser liegen in dieser Straße, die fremden Gesandten wohnen meistens darin, und so könnt ihr denken, daß hier ein besonderes Leben und Regen mehr als in irgendeinem anderen Teile der Residenz stattfinden muß, die sich eben auch hier volkreicher zeigt, als sie wirklich ist. Das Zudrängen nach diesem Orte macht es, daß mancher sich mit einer kleinern Wohnung, als sein Bedürfnis eigentlich erfordert, begnügt, und so kommt es, daß manches von mehreren Familien bewohnte Haus einem Bienenkorbe gleicht. Schon oft war ich die Alleen durchwandelt, als mir eines Tages plötzlich ein Haus ins Auge fiel, das auf ganz wunderliche seltsame Weise von allen übrigen abstach. Denkt euch ein niedriges, vier Fenster breites, von zwei hohen schönen Gebäuden eingeklemmtes Haus, dessen Stock über dem Erdgeschoß nur wenig über die Fenster im Erdgeschoß des nachbarlichen Hauses hervorragt, dessen schlecht verwahrtes Dach, dessen zum Teil mit Papier verklebte Fenster, dessen farblose Mauern von gänzlicher Verwahrlosung des Eigentümers zeigen. Denkt euch, wie solch ein Haus zwischen mit geschmackvollem Luxus ausstaffierten Prachtgebäuden sich ausnehmen muß. Ich blieb stehen und bemerkte bei näherer Betrachtung, daß alle Fenster dicht verzogen waren, ja daß vor die Fenster des Erdgeschosses eine Mauer aufgeführt schien, daß die gewöhnliche Glocke an dem Torwege, der an der Seite angebracht zugleich zur Haustür diente, fehlte, und daß an dem Torwege selbst nirgends ein Schloß, ein Drücker zu entdecken war. Ich wurde überzeugt, daß dieses Haus ganz unbewohnt sein müsse, da ich niemals, niemals, so oft und zu welcher Tageszeit ich auch vorübergehen mochte, auch nur die Spur eines menschlichen Wesens darin wahrnahm. Ein unbewohntes Haus in dieser Gegend der Stadt! Eine wunderliche Erscheinung, und doch findet das Ding vielleicht darin seinen natürlichen einfachen Grund, daß der Besitzer, auf einer langen dauernden Reise begriffen oder auf fernen Gütern hausend, dieses Grundstück weder vermieten noch veräußern mag, um, nach ...n zurückkehrend, augenblicklich seine Wohnung dort ausschlagen zu können. – So dacht' ich, und doch weiß ich selbst nicht, wie es kam, daß, bei dem öden Hause vorüberschreitend, ich jedesmal wie festgebannt stehen bleiben und mich in ganz verwunderliche Gedanken nicht sowohl vertiefen als verstricken mußte. – Ihr wißt es ja alle, ihr wackere Kumpanen meines fröhlichen Jugendabends, ihr wißt es ja alle, wie ich mich von jeher als Geisterseher gebärdete und wie mir nur in einer wunderbaren Welt seltsame Erscheinungen ins Leben treten wollten, die ihr mit derbem Verstande wegzuleugnen wußtet! – Nun! zieht nur eure schlauen spitzfindigen Gesichter, wie ihr wollt, gern zugestehen darf ich ja, daß ich oft mich selbst recht arg mystifiziert habe, und daß mit dem öden Hause sich dasselbe ereignen zu wollen schien, aber – am Ende kommt die Moral, die euch zu Boden schlägt, horcht nur auf! – Zur Sache! – Eines Tages und zwar in der Stunde, wenn der gute Ton gebietet, in der Allee auf und ab zu gehen, stehe ich, wie gewöhnlich in tiefen Gedanken hinstarrend vor dem öden Hause. Plötzlich bemerke ich, ohne gerade hinzusehen, daß jemand neben mir sich hinstellt und den Blick auf mich gerichtet hatte. Es ist Graf P., der sich schon in vieler Hinsicht als mir geistesverwandt kundgetan hat, und sogleich ist mir nichts gewisser, als daß auch ihm das Geheimnisvolle des Hauses aufgegangen war. Um so mehr fiel es mir auf, daß, als ich von dem seltsamen Eindruck sprach, den dies verödete Gebäude hier in der belebtesten Gegend der Residenz auf mich gemacht hatte, er sehr ironisch lächelte. Bald war aber alles erklärt. Graf P. war viel weiter gegangen als ich, aus manchen Bemerkungen, Kombinationen usw. hatte er die Bewandtnis herausgefunden, die es mit dem Hause hatte, und eben diese Bewandtnis lief auf eine solche ganz seltsame Geschichte heraus, die nur die lebendigste Fantasie des Dichters ins Leben treten lassen konnte. Es wäre wohl recht, daß ich euch die Geschichte des Grafen, die ich noch klar und deutlich im Sinn habe, mitteilte, doch schon jetzt fühle ich mich durch das, was sich wirklich mit mir zutrug, so gespannt, daß ich unaufhaltsam fortfahren muß. Wie war aber dem guten Grafen zumute, als er mit der Geschichte fertig erfuhr, daß das verödete Haus nichts anderes enthalte, als die Zuckerbäckerei des Konditors, dessen prachtvoll eingerichteter Laden dicht anstieß. Daher waren die Fenster des Erdgeschosses, wo die Öfen eingerichtet, vermauert und die zum Aufbewahren des Gebackenen im obern Stock bestimmten Zimmer mit dicken Vorhängen gegen Sonne und Ungeziefer verwahrt. Ich erfuhr, als der Graf mir dies mitteilte, so wie er die Wirkung des Sturzbades, oder es zupfte wenigstens der allem Poetischen feindliche Dämon den Süßträumenden empfindlich und schmerzhaft bei der Nase. – Unerachtet der prosaischen Aufklärung mußte ich doch noch immer vorübergehend nach dem öden Hause hinschauen, und noch immer gingen im leisen Frösteln, das mir durch die Glieder bebte, allerlei seltsame Gebilde von dem auf, was dort verschlossen. Durchaus konnte ich mich nicht an den Gedanken der Zuckerbäckerei, des Marzipans, der Bonbons, der Torten, der eingemachten Früchte usw. gewöhnen ...

(Aus »Das öde Haus«.)


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