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Aus dem Leben der »Serapionsbrüder«

Schon früh hatten die als »Seraphinenbrüder« oder als »Nordsternbrüder« zusammengeschlossenen Freunde den Plan eines gemeinsamen Romans gefaßt. »Der Roman von Vieren« sollte dieses Buch heißen, und es erinnerte an einen ähnlichen Plan, der ein Jahrzehnt vorher von Varnhagen, dem Lyriker Neumann, Bernhardi und Chamisso ins Werk gesetzt worden war. Hoffmann hatte, als er im unglücklichen Winter 1806 auf 1807 in Berlin war, davon gehört und an Hippel darüber geschrieben. Jetzt taten sich außer Hoffmann noch Contessa, Hitzig und Chamisso zu einem ähnlichen Plan zusammen. Hoffmann schreibt darüber ausführlich in den Unterhaltungen der Serapionsbrüder, wo er zugleich eine Episode aus dem Leben der Freunde erzählt, die sich im Berliner Tiergarten zutrug.

 

» ... Vor einiger Zeit beschlossen vier Freunde, zu denen ich auch gehörte, einen Roman zu schreiben, zu dem ein jeder nach der Reihe die einzelnen Kapitel liefern sollte. Der eine gab als Samenkorn, aus dem alles hervorschießen und hervorblühen sollte, den Sturz eines Dachdeckers vom Turme herab an, der den Hals bricht. In demselben Augenblick gebärt seine Frau vor Schreck drei Knaben. Das Schicksal dieser Drillinge, sich in Wuchs, Stellung, Gesicht usw. völlig gleich, sollte im Roman verhandelt werden. Ein weiterer Plan wurde nicht verabredet. Der andere (Contessa) fing nun an und ließ im ersten Kapitel vor dem einen der Helden des Romans von einer wandernden Schauspielergesellschaft ein Stück aufführen, in dem er sehr geschickt und auf herrliche geniale Weise den ganzen Gang, den die Geschichte wohl nehmen könnte, angedeutet hatte. Hieran mußten sich nun alle halten, und so wäre jenes Kapitel ein sinnreicher Prolog des Ganzen geworden. Statt dessen erschlug der erste (der Erfinder des Dachdeckers) im zweiten Kapitel die wichtigste Person, die der zweite eingeführt, so daß sie wirkungslos ausschied, der dritte (Hitzig) schickte die Schauspielergesellschaft nach Polen, und der vierte (Hoffmann) ließ eine wahnsinnige Hexe mit einem weissagenden Raben auftreten und erregte Grauen ohne Not, ohne Beziehung. – Das Ganze blieb nun liegen!« –

»Ich kenne,« sprach Theodor, »ich kenne ein Buch, das auch von mehreren Freunden unternommen, aber nicht vollendet wurde. Es ist mit Unrecht nicht viel in die Welt gekommen, vielleicht weil der Titel nichts versprach oder weil nötige Empfehlung mangelte. Ich meine »Karls Versuche und Hindernisse«. Der erste Teil, welcher nur ans Licht getreten, ist eins der witzigsten, geistreichsten und lebendigsten Bücher, die mir jemals vorgekommen. Merkwürdig ist es, daß darin nicht allein mehrere bekannte Schriftsteller; wie z.B. Johannes Müller, Jean Paul u. a., sondern auch von Dichtern geschaffene Personen, wie z. B. Wilhelm Meister nebst seinem Söhnlein u. a., in ihrer eigentümlichsten Eigentümlichkeit auftreten.«

»Ich kenne,« sprach Cyprian, »ich kenne das Buch, von dem du sprichst, es hat mich gar sehr ergötzt, und ich erinnere mich noch daran, daß Jean Paul zu einem dicken Manne, den er auf einem Felde im Schweiß seines Angesichts Erdbeeren pflückend antrifft, spricht: »Die Erdbeeren müssen recht süß sein, da Sie es sich so sauer darum werden lassen!« – Doch wie gesagt, das Zusammentreten zu einem Werk bleibt ein gewagtes Ding. Herrlich ist dagegen die wechselseitige Anregung, wie sie wohl unter gleichgestimmten poetischen Freunden stattfinden mag und die zu diesem, jenem Werk begeistert.«

»Eine solche Anregung«, nahm Ottomar das Wort, »verdanke ich unserm Freunde Severin, der, ist er nur erst, wie zu erwarten steht, hier angekommen, ein viel besserer Serapionsbruder sein wird als Leander. – Mit Severin saß ich im Berliner Tiergarten, als sich das vor unsern Augen zutrug, was den Stoff hergab zu der Erzählung, die ich unter dem Titel: »Ein Fragment aus dem Leben dreier Freunde« aufschrieb und die ich mitgebracht habe, um sie euch vorzulesen. Als nämlich, wie ihr nachher vernehmen werdet, das schöne Mädchen das ihr heimlich zugesteckte Brieflein mit Tränen in den Augen laß, warf mir Severin leuchtende Blicke zu und flüsterte: »Das ist etwas für dich, Ottmar! – Deine Fantasie muß die Fittiche regen! – schreibe nur gleich hin, was es für eine Bewandtnis hat mit dem Mädchen, dem Brieflein und den Tränen!« Ich tat das!« –

(Aus den »Unterhaltungen der Serapionsbrüder«, 1. Teil.)

 

Hoffmann war übrigens nicht der einzige, dem sich der hier geschilderte Vorfall im Tiergarten zu einer Erzählung auswuchs. Auch Contessa, der andre Serapionsbruder, wurde zu seiner Erzählung »Der Schatzgräber« angeregt. Während dieses gemütlichen Zusammenlebens der Freunde setzte der Brand des Schauspielhauses den Aufführungen der »Undine« ein jähes Ende. Hoffmann wurde bei diesem, ihm liebsten Werke vom Unglück verfolgt. Sämtliche Schinkelschen Dekorationen seiner Oper waren verbrannt. Als das neue Schinkelsche Schauspielhaus fertig geworden war, wurde als erste Oper auf der neuen Bühne Webers »Freischütz« aufgeführt, der die »Undine« rasch in Vergessenheit geraten ließ.

An Adolf Wagner in Leipzig

Berlin, den 25. November 1817.

Der Zauberer, liebster Alf! ist wirklich bei mir gewesen und zwar im Zwielicht, es wurde aber gleich Licht angesteckt und Tee getrunken. Sei es indessen nun, daß ich spitzbemützt und in magischen Büchern lesend, ihm als ein stärkerer Zauberer erschien oder daß das adducierende Prinzip des Tees dergleichen nicht aufkommen ließ (er nahm viel Milch) – kurz! – er dachte nicht daran die Teufelskünste zu üben, wie er es vielleicht auf Ihren Anlaß im Schilde führte, sondern erzählte bloß, wie bei der Fräulein Therese aus dem Winkel Böttiger eingeschlafen und Öhlenschläger (der hier mein recht herzlicher Freund geworden) steif und zeremoniös gewesen, welches beides ich sehr gut begreife oder vielmehr ganz natürlich finde. – Warum kommen Sie denn nicht einmal her? – Auf jeden Fall würd' Ihnen wohl sein, da Sie in Hitzigs einsamer Wohnung sich jeden Augenblick außerhalb Berlin versetzen und dann bei mir in der schönsten Gegend der Residenz wieder im vollen Sinne des Worts in Berlin sein könnten. – Überhaupt! Sie würden es machen wie wir hier alle, d. h. ganz leben wie es Ihnen in den Sinn tarne, welches man hier zu tun vermag ohne alle Mühe und Störung. – Vor einiger Zeit war die gute Müller hier, die ich über alles ehre und lieb habe. Es war mir angenehm, daß gerade Undine gegeben wurde. Es war die letzte Oper in dem Hause, welches den dritten Tag darauf herunterbrannte. Sie wird Ihnen, sollte Sie sie in Leipzig sprechen, doch manches von der Darstellung sagen, unerachtet bei dem Zauber der Dekorationen und auch wohl bei dem rastlosen Fortschreiten der Handlung und den großen musikalischen Massen die Oper, zum erstenmal gehört, die Fantasie nur anregt, ohne deutliche Spuren zurückzulassen. – Majorenn ist die Oper nicht geworden, denn sie ist binnen Jahresfrist nur dreiundzwanzigmal gegeben worden. – Ich könnte Ihnen erzählen, daß ich bei dem Brande des Theaters, von dem ich nur 15 bis 20 Schritt entfernt wohne, in die augenscheinlichste Gefahr geriet, da das Dach meiner Wohnung bereits brannte, noch mehr! – daß der Kredit des Staates wankte, da, als die Perückenkammer in Flammen stand und fünftausend Perücken aufflogen, Unzelmanns Perücke aus dem Dorfbarbier mit einem langen Zopf wie ein bedrohliches feuriges Meteor über dem Bankgebäude schwebte – doch das wird Ihnen alles der Zauberer mündlich erzählen und hinzufügen, daß beide gerettet sind, ich und der Staat. Ich durch die Kraft von drei Schlauchspritzen, wovon der einen ich eine böse Wunde mit einer seidenen Schürze meiner Frau verband, der Staat durch einen kouragösen Gardejäger auf der Taubenstraße, der, als mehrere Spritzen vergeblich nach der ad altiora steigenden Perücke gerichtet wurden, besagtes Ungetüm durch einen wohlgezielten Büchsenschuß herabschoß. Zum Tode getroffen, zischend und brausend sank es nieder in den Pißwinkel des Schonertschen Weinhauses – Hierauf stiegen sofort die Staatspapiere! – Ist das nicht Stoff zum Epos? ...

An Hippel in Marienwerder

Berlin, den 15. Dezember 1817.

... Da mir hierbei das abgebrannte Theater einfällt, so melde ich Dir mit kurzem, daß ich mich in der augenscheinlichsten Gefahr befand, aufs neue ganz ruiniert zu werden. Das Dach des Hauses, in dem ich im zweiten Stock wohne (Tauben- und Charlotten-Straßen-Ecke) brannte bereits von der entsetzlichen Glut, die das ungeheure brennende Bohlendach des Theaters verbreitete, und nur der Gewalt von drei wohldirigierten Schlauchspritzen gelang es, das Feuer zu löschen und das Haus, sowie wohl das ganze Viertel zu retten. Ich saß gerade am Schreibtisch, als meine Frau aus dem Eckkabinett etwas erblaßt eintrat und sagte: Mein Gott, das Theater brennt! – Weder sie noch ich verloren indessen eine Sekunde den Kopf. Als Feuerarbeiter, zu denen sich Freunde gesellt hatten, an meine Türe schlugen, hatten wir mit Hilfe der Köchin schon Gardinen, Betten und die mehrsten Meubles in die hinteren, der Gefahr weniger ausgesetzten Zimmer getragen, wo sie stehen blieben, da ich nur im letzten Moment alles heraustragen lassen wollte. In den vorderen Zimmern sprangen nachher sämtliche Fensterscheiben und die Ölfarbe an den Fensterrahmen und Türen tröpfelte von der Hitze herab. Nur beständiges Gießen bewirkte, daß das Holzwerk nicht vom Feuer anging. – Meinen Nachbarn, die zu eilig forttragen ließen, wurde vieles verdorben und gestohlen, mir gar nichts usw.

Der Serapionsbund

Mit dem Brand des Schauspielhauses waren Hoffmanns Musikerträume endgültig begraben. Andere, sein Innerstes aufwühlende Beziehungen und Vorgänge hatte ihn auch den ehemaligen Serapionsbrüdern entfremdet, als die Serapionsidee noch einmal aufflackern sollte. Im Februar 1818 hatte Hoffmann den Plan gefaßt, seine sämtlichen, in Taschenbüchern und Kalendern verstreuten Erzählungen in Buchform zusammenzufassen und durch Zwischenstücke zu einem einheitlichen Ganzen zu verweben, wobei ihm Tiecks »Phantasus« als Vorbild vorschwebte. Aus diesem Plan entstanden die vier Bände der »Erzählungen der Serapionsbrüder«.

Ende 1818 kehrte Chamisso von seiner Weltreise zurück, und es lag nahe, mit dem lang entbehrten Freunde die alten Serapionssitzungen wieder aufzunehmen. Der 14. November 1818, im Kalender als Serapionstag bezeichnet, führte die Freunde wieder zusammen. Dieses Zusammensein gab den »Unterhaltungen der Serapionsbrüder« das Gepräge, und Hoffmann machte sich bald darauf an die Zusammenstellung seiner Erzählungen und die Niederschrift der verbindenden Gespräche. In »Kreislers musikalisch-poetischen Klub« haben wir gewissermaßen die Urgestalt des Serapionsklubs zu sehen. Auch Kreislers Klub besteht aus mehreren Vertretern Hoffmanns selbst und einigen andern Freunden, deren historische Vorbilder aber nicht deutlich zu erkennen sind. Ebenso besteht der Serapionsbund aus mehreren Vertretern Hoffmanns: dem Musiker Theoder, dem sanguinischen Lothar, dem phantastischen Cyprian – und den Personen der Freunde. Hitzig tritt als Ottmar auf, Contessa als Sylvester. Dr. Koreff ist in dem launigen Vinzenz verkörpert, während der gemütvolle Chamisso, dessen Rückkehr gerade den Anlaß zur Wiederaufnahme der Sitzungen gab, nicht zu erkennen ist.

 

»Stelle man sich auch an, wie man wolle, nicht wegzuleugnen, nicht wegzubannen ist die bittere Überzeugung, daß nimmer – nimmer wiederkehrt, was einmal dagewesen. Eitles Mühen, sich entgegenzustemmen der unbezwinglichen Macht der Zeit, die fort und fort schafft in ewigem Zerstören. Nur die Schattenbilder des in tiefe Nacht versunkenen Lebens bleiben zurück und walten in unserem Innern und necken und höhnen uns oft, wie spukhafte Träume. Aber Toren! wähnen wir das, was unser Gedanke, unser eignes Ich worden, noch außer uns auf der Erde zu finden, blühend in unvergänglicher Jugendfrische. – Die Geliebte, die wir verlassen, der Freund von dem wir uns trennen mußten, verloren beide für uns auf immer! – Die, die wir vielleicht nach Jahren wiedersehen, sind nicht mehr dieselben, von denen wir schieden, und sie finden ja auch uns nicht mehr wieder!«

So sprach Lothar, indem er heftig vom Stuhl aufsprang, dicht an den Kamin hinanschritt, die Arme übereinandergeschlagen, mit finsterem Blick in das lustig knisternde Feuer hineinstarrte.

»Wenigstens«, begann jetzt Theodor »wenigstens, lieber Freund Lothar! bewährst du dich insofern als denselben, von dem ich vor zwölf Jahren schied, als du noch ebenso wie damals geneigt bist, nur im mindesten schmerzlich berührt, dich allem Unmut rücksichtslos hinzugeben. Wahr ist es, und ich, Ottmar und Cyprian, wir alle fühlen es gewiß ebenso lebhaft als du, daß unser erstes Beisammensein nach langer Trennung gar nicht so erfreulich ist, als wir es uns wohl gedacht haben mochten. Wälze die Schuld auf mich, der ich aus einer unserer unendlichen Gassen in die andere lief, der ich nicht abließ, bis ich euch heute abend hier vor meinem Kamin zusammengebracht hatte. Gescheuter wäre es vielleicht gewesen, hätt' ich unser Wiedersehen dem günstigen Zufall überlassen, aber unerträglich war mir der Gedanke, daß wir, die wir jahrelang, durch herzliche Liebe, durch ein gleiches schönes Streben in Kunst und Wissenschaft innig verbunden, zusammenlebten, die nur der wilde Orkan, wie er daherbrauste in der verhängnisvollen Zeit, die wir durchlebt, auseinanderschleudern konnte, daß wir, sage ich, auch nur einen Tag in demselben Hafen geankert haben sollten, ohne uns mit leiblichen Augen zu schauen, wie wir es unterdessen mit geistigen getan. Und nun sitzen wir schon ein paar Stunden zusammen und quälen uns mörderlich ab mit dem Enthusiasmus unserer frischblühenden Freundschaft. Und keiner hat bis zu diesem Augenblick etwas Gescheutes zu Markte gebracht, sondern fades langweiliges Zeug geschwätzt zum Bewundern. Und woher kommt das alles anders, als daß wir insgesamt recht kindische Kinder sind, daß wir glauben, es werde nun gleich wieder fortgehen in derselben Melodie, die wir vor zwölf Jahren abbrachen. Lothar sollte uns vielleicht wieder zum erstenmal Tiecks Zerbino vorlesen, und ausgelassene, jauchzende, jubelnde Lust uns erfassen. Oder Cyprian müßte vielleicht irgendein fantastisches Gedicht oder wohl gar eine ganze überschwengliche Oper mitgebracht haben und ich sie zur Stelle komponieren und auf demselben lendenlahmen Pianoforte wie vor zwölf Jahren losdonnern, daß alles an dem armen lebenssatten Instrumente knackt und ächzt. Oder Ottmar müßte erzählen von irgendeiner herrlichen Rarität, die er aufgespürt, von einem auserlesenen Wein und absonderlichen Hasenfuß. Und da das alles nun nicht geschehen ist, schmollen wir insgeheim aufeinander, und jeder denkt vom andern: »Ei, wie ist der Gute so ganz und gar nicht mehr derselbe, daß der sich so ändern könnte, nimmermehr hätt' ich das gedacht!« – Ja freilich sind wir alle nicht mehr dieselben! Daß wir zwölf Jahre älter worden, daß sich wohl mit jedem Jahr immer mehr und mehr Erde an uns ansetzt, die uns hinabzieht aus der luftigen Region, bis wir am Ende unter die Erde kommen, das will ich gar nicht in Anschlag bringen. Aber wen von uns hat indessen nicht der wilde Strudel von Ereignis zu Ereignis, ja von Tat zu Tat fortgerissen? Konnte denn aller Schrecken, alles Entsetzen, alles Ungeheure der Zeit an uns vorübergehen, ohne uns gewaltig zu erfassen, ohne tief in unser Inneres hinein seine blutige Spur einzugraben? – Darüber erbleichten die Bilder des früheren Lebens, und fruchtlos bleibt nun das Mühen, sie wieder aufzufrischen! – Mag es aber auch sein, daß manches, was uns damals im Leben, ja an und in uns selbst als hoch und herrlich erschien, jetzt merklich den blendenden Glanz verloren, da unsere Augen durch stärkeres Licht verwöhnt, die innere Gesinnung, aus der unsere Liebe entsproßte, ist doch wohl geblieben. Ich meine, ein jeder glaubt doch wohl noch vom andern, daß er was Erkleckliches tauge und inniger Freundschaft wert sei. Laßt uns also die alte Zeit und alle alten Ansprüche aus ihr her vergessen und, von jener Gesinnung ausgehend, versuchen, wie sich ein neues Band unter uns verknüpft.«

»Dem Himmel sei gedankt,« unterbrach hier Ottmar den Freund, »dem Himmel sei gedankt, daß Lothar es nicht mehr aushalten konnte in unserm närrischen verzwickten Wesen, und daß du, Theodor! gleich das schadenfrohe Teufelchen festpackst, das uns alle neckt und quält. Mir wollt' es die Kehle zuschnüren, dies gezwungene fatale Freudigtun, und ich fing gerade an mich ganz entsetzlich zu ärgern, als Lothar losfuhr. Aber nun Theodor gerade heraus gesagt, woran es liegt, fühle ich mich euch allen um vieles nähergerückt, und es ist mir so, als wolle die alte Gemütlichkeit, mit der wir uns sonst zusammenfanden, alle unnützen Zweifel wegbannend, wieder die Oberhand gewinnen. Theodor hat recht, mag denn die Zeit auch vieles umgestaltet haben, fest steht doch in unserm Innern der Glaube an uns selbst. Und hiermit erkläre ich die Präliminarien unseres neuen Bundes feierlichst für abgeschlossen und setze fest, daß wir uns jede Woche an einem bestimmten Tage zusammenfinden wollen, denn sonst verlaufen wir uns in der großen Stadt hierhin, dorthin und werden auseinandergetrieben noch ärger als bisher.« ...

... Theodor nahm den Deckel von dem Gefäße herab und schenkte seinen Gästen ein Getränk ein, das König und Minister der Gesellschaft vom eierlegenden Hahn als übervortrefflich anerkannt und ohne Bedenken im Staate eingeführt haben würden ...

»Was sprichst du,« rief Lothar mit lauter Stimme, indem er sich vom Stuhle erhob, »was sprichst du von Neckerei, was glaubst du von mir, O mein Cyprianus? – Bin ich nicht ein ehrliches Gemüt, ein rechtschaffener Charakter, fern von Lug und Trug – eine treuherzige Seele? – schwärme ich nicht mit den Schwärmern? fantasiere ich nicht mit den Fantasten? weine ich nicht mit den Weinenden, jubiliere ich nicht mit den Jubelnden – Aber schaue her, o mein Cyprianus, schaue nochmals in dies herrliche Werk von unumstößlicher Wahrheit, in diesen sehr stattlichen Hauskalender. Bei dem vierzehnten November findest du zwar den schnöden Namen Levin verzeichnet, aber werfe deinen Blick in diese katholische Kolonne! – Da steht mit roten Buchstaben: Serapion, Märtyrer! – ... Heute ist Serapions-Tag! – Auf! – ich leere dieses Glas zum Gedächtnis des Einsiedlers Serapion: tut, meine Freunde, desgleichen!«

»Von ganzer Seele«, rief Cyprian, und die Gläser erklangen.


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