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Die Immediat-Kommission

Die Immediat-Kommission gegen demagogische Umtriebe

 

Als Hoffmann diesen Brief schrieb, der das erschütternde Zeugnis für sein unwandelbares Empfinden für Julia ist, war der erste Teil des Romans, in dem das Julia-Kreisler-Schicksal gestaltet ist, bereits im Erscheinen. Schon arbeitete er am zweiten Teil. Der dritte sollte ungeschrieben bleiben, und zwar aus Hindernissen, die in den Brief an Holbein bereits ihre Schatten werfen. Es war die Tätigkeit bei der Immediat-Kommission gegen demagogische Umtriebe, die Hoffmanns letzte Lebensjahre verbittern sollte. Bekanntlich trat nach den Befreiungskriegen in Deutschland, von dem Wien Metternichs ausgehend, eine Periode schlimmster Reaktion ein. Die Generation, die eben noch so heldenhaft die Siege gegen Napoleon erfochten hatte, wurde in ihren Hoffnungen auf ein großes deutsches Reich und auf eine nationale Verfassung schmählich getäuscht. Die nationalen Bestrebungen wurden aufs Strengste verfolgt, und gerade die Immediat-Kommission sollte das Mittel sein, alle freiheitlichen Bestrebungen niederzuringen. Hoffmann hat sich nicht zum willenlosen Werkzeug der Reaktion hergegeben, sondern mannhaft, auch gegen den König selbst, seine Meinung verfochten. Aus seinem Verhalten sollten ihm nicht nur tausend Unannehmlichkeiten erwachsen, sondern sogar ein disziplinarisches Verfahren wurde gegen ihn eröffnet.

An Hippel in Marienwerder

Berlin, den 24. Juni 1820.

Mein teuerster geliebtester Freund!

Du erinnerst Dich des Briefes, den Du mir durch Tettau sandtest, und in dem Du Dich über die jetzige Gestaltung der Dinge aussprachst. Tief in mein Innerstes hinein sprach jedes Deiner Worte, und nie habe ich so lebhaft, so innig die Übereinstimmung unserer ganzen Lebensansicht, unseres ganzen Wesens gefühlt. Gerade in jener Zeit wurde ich zum Mitkommissarius bei der zur Untersuchung der sogenannten demagogischen Umtriebe niedergesetzten Immediatkommission ernannt, und wie Du mich kennst, magst Du Dir wohl meine Stimmung denken, als sich vor meinen Augen ein ganzes Gewebe heilloser Willkür, frecher Nichtachtung aller Gesetze, persönlicher Animosität entwickelte! – Dir darf ich nicht erst versichern, daß ich ebenso wie jeder rechtliche vom wahren Patriotismus beseelte Mann überzeugt war und bin, daß dem hirngespenstischen Treiben einiger jungen Strudelköpfe Schranken gesetzt werden mußten, um so mehr, als jenes Treiben auf die entsetzlichste Weise ins Leben zu treten begann. Aus dem Gießner Verein der Schwarzen ging die Verbreitung des aufrührerischen, sogenannten Frag- und Antwort-Büchleins hervor, aber noch mehr, Sands verabscheuungswürdige, meuchelmörderische Tat gebar der Fanatismus, den die Grundsätze der sogenannten Unbedingten (»der Zweck heiligt die Mittel« pp.), die aus dem Bunde der Schwarzen hervorgingen, entzündeten. – Jenes Büchlein hatte die Unruhen im Odenwalde zur Folge! – Hier war es an der Zeit, auf gesetzlichem Wege mit aller Strenge zu strafen und zu steuern. Aber statt dessen traten Maßregeln ein, die nicht nur gegen die Tat, sondern gegen Gesinnungen gerichtet waren.

Ich schicke Dir nicht allein den zweiten Teil der Serapionsbrüder, sondern auch den ersten Teil der Lebensansichten des scharfsinnigen Katers Murr, der in der literarischen Welt eine sehr günstige Aufnahme gefunden hat, trotz der etwas bizarren Szenerie, die in dem Buche herrscht. Es folgen noch zwei Teile, die längst fertig wären, wenn mir nicht aus oben entwickelten Gründen Zeit und Humor fehlte. –

Eine neue sehr interessante Bekanntschaft habe ich in dem als Komponisten wirklich großen Spontini gemacht, dessen neueste Oper Olympia ich, weil es der König gewünscht, nolens volens ins Deutsche übertragen muß. Eine ganz verfluchte Arbeit, da im Französischen alle Rhythmen dem Deutschen entgegengesetzt sind, und ich mir in den Kopf gesetzt habe, auch in den Rezitationen nicht ein Nötchen zu ändern und die französischen Schlagwörter durch deutsche volltönende Kraftwörter totzuschlagen. Das gilt nun in den Abend- und Nachtstunden als meine Erholung! – Doch ich gerate wieder ins Ächzen! – Koreff sehe ich beinahe gar nicht. Der Staatskanzler, der mir übrigens die Ehre angetan, mich zu seiner Familientafel zu laden, ist ganz umlagert von besonderen Leuten, und ich weiß nicht, welcher Wind jetzt noch weht. – Gäbe doch der Himmel, daß Du ganz Deinen Wünschen gemäß nach Berlin kommen könntest, da würde wieder ein guter freundlicher Stern meinem Leben aufgehen.

Noch einmal, – Du solltest hier sein, denn Du gehörst ebensowenig als ich in die Provinz, und bist wohl auch nicht Cäsars Meinung: lieber in dem kleinen beengten Kreise der Erste sein zu wollen als in dem großen der Zweite oder Dritte, Vierte. Das lebendige Leben der großen Stadt, der Residenz, wirkt doch nun einmal wunderbar auf das Gemüt, und solcher Kunstgenuß, wie er hier doch zu finden, ist das beste Restaurationsmittel für den Geist, den das Einerlei erschlafft, wo nicht zuletzt tötet. Man kann z. B. jetzt einen ganzen halben Tag und länger schwelgen, wenn man bloß in den neuen Theaterbau hineingeht, und dann bloß das Atelier der Bildhauer Tieck, Rauch und Konsorten im Lagerhause besucht. Am Theater arbeiten die ersten Künstler, und man kann ohne Übertreibung sagen, daß die kleinste Verzierung ein wahrhaftes Kunstprodukt ist. Vorzüglich imposant ist schon die fertige Statue Apollos (20 Fuß hoch), der auf einem mit Hippographen bespannten Wagen daher fährt aus geschlagenem Kupferblech, wie die Viktoria an dem Brandenburger Tor. Sie kommt auf dem hohen Fronton zu stehen, in dessen Tympan Amor und Psyche en haut relief in Pirnaer Sandstein gearbeitet zu stehen kommen. Die Figuren sind meistens 10–12 Fuß hoch, und ganz meisterhaft nach Tiecks herrlichen Modellen gearbeitet. Den Apollo hat Rauch modelliert. – Soviel von den neuesten Kunstprodukten Berlins!

 

Der große Komponist Spontini hatte sich ganz in Berlin niedergelassen. Hoffmann begrüßte ihn in der Vossischen Zeitung mit seinem »Gruß an Spontini«. Leider sollte seine Begeisterung für den französisch-italienischen Maestro ihn in einen Konflikt mit Carl Maria von Weber bringen, der von einigen besonders national empfindenden Kreisen gegen den Ausländer Spontini als deutscher Nationalkomponist ausgespielt wurde. Die erste Oper, die in dem neu errichteten Schauspielhaus, dessen Bau Hoffmann dem Freunde Hippel so begeistert beschreibt, aufgeführt wurde, war bekanntlich Webers »Freischütz«. Hoffmann hatte die Rezension der Aufführung für die Berliner Vossische Zeitung übernommen, und Weber fühlte sich durch Hoffmanns – im allgemeinen natürlich durchaus anerkennende, ja teilweise begeisterte – Kritik verletzt, um so mehr, da Weber seinerseits der »Undine« restlos zugestimmt hatte.

 

Gruß an Spontini

Willkommen unter uns, du hoher herrlicher Meister! – Längst tönte dein Gesang recht in unser Innerstes hinein; dein Genius rührte seine kräftigen Schwingen, und mit ihm erhoben wir uns begeistert und fühlten alle Wonne, alles Entzücken des wunderbaren Tonreichs, in dem herrschest, ein mächtiger Fürst! – Und darum kannten und liebten wir dich auch schon längst – Aber wer will nicht, daß der schöne Baum, dessen süße Lebensfrüchte ihn laben und stärken in seinem Garten stehe, wer sehnt sich nicht, das, woran seine ganze Seele hängt, in seinem Hause zu haben, zu bewahren? So geht uns auch nun, da du in unserer Mitte weilst, da wir dich ganz unser nennen können, erst das Herz recht auf in voller Freude vor deinen Schöpfungen! – Ja! ganz unser bist du, denn deinen Werken entstrahlt in vollem Himmelsglanz das Wahrhaftige, wie den Werken unseres Händel, Hasse, Gluck, Mozart und aller der Meister, die in Wort und Tun nur echtes, edles Metall ausprägen und nicht prahlen dürfen mit flinkerndem Rauschgold, und nur dem Wahrhaftigen mag sich doch der echte deutsche Sinn erschließen. – Manchmal wollen uns seltsame Trugbilder foppen und mit kecker Dreistigkeit uns glauben machen, sie wären wirklich gestaltet in Fleisch und Bein, aber du, kräftiger Meister, schwingst deinen mächtigen Zauberstab und zerstoben in Nichts ist der schnöde Spuk! – Laß es dir wohl sein unter uns, reiche uns, die wir dir entgegenkommen mit offener deutscher Gemütlichkeit, freundlich die Hand!

Nochmals willkommen, du hoher herrlicher Meister des Gesanges, tausendmal herzlich willkommen!

Berlin, den 30. Mai 1820.
E. Hoffmann.

An Ludwig Tieck in Dresden

Berlin, den 19. August 1820.

Mit innigem Vergnügen habe ich Ihre freundlichen Worte, mein Hochverehrtester Freund! (stolz bin ich darauf, Sie so nennen zu dürfen) durch Herrn Molbech erhalten ohne den Überbringer zu sehen, der mich leider nicht im Hause traf, da ich in Geschäften abwesend. Morgen werde ich aber den interessanten Norden bei mir bewillkommnen und mich mühen, dem günstigen Vorurteil, das Sie, mein gütiger Freund! ihm für mich eingeflößt zu haben scheinen, zu entsprechen! –

Ach! – nur zu sehr fühle ich das, was Sie mir über die Tendenz, über die ganze (hin und her wohl verfehlte) Art meiner schriftstellerischen Versuche sagen. Mögen Sie aber meiner übrigen Verhältnisse qua Kammergerichtsrat etc. etc. etc. gedenken? – Doch freilich, in der Kunst gelten dergleichen Ausreden ganz und gar nichts. –

Ich empfehle Ihnen Herrn p. Kühne, Schauspieler aus Hamburg, der in der Tat auf schöne Weise in den höchst herrlichen Phantasus hinein gehört und zwar, wie ich denke, rühmlicherweise. –

Er überbringt Ihnen diese wenigen Worte, die ich, mir weiteres vorbehaltend, eilig aufschrieb.

Hitzig, mit dem Schaffen Hoffmanns, insbesondere mit dem genialen Märchen »Prinzessin Brambilla« ganz und gar nicht mehr einverstanden, empfahl dem Freunde als Muster den »Astrolog« von Walter Scott.

An Hitzig

Gestern abend war Koreff bei mir und hatte die Güte, mir auf mein Bitten noch ganz spät den »Astrolog« zu schicken, den ich nächstens lesen werde, da ich ihn in diesem Augenblick – verschlinge. Ein ganz treffliches, treffliches Buch, in der größten Einfachheit reges lebendiges Leben und kräftige Wahrheit! – Aber! fern von mir liegt dieser Geist, und ich würde sehr übel tun, eine Ruhe erkünsteln zu wollen, die mir, wenigstens zur Zeit noch, durchaus gar nicht gegeben ist. Was ich jetzt bin und sein kann, wird pro primo der Kater, dann aber will's Gott, auf andere Weise noch der Jacobus Schnellpfeffer, der vielleicht erst 1822 erscheinen dürfte, zeigen.

An Ludwig Devrient

Berlin, den 9. Januar 1821.

Gar erfreulich würd' es mir sein, wenn Du heute abend, nachdem Du bei L. & W. gegessen, bei mir ein Gläschen Punsch einnehmen wolltest, den meine Frau sehr amön bereitet.

Du findest d'Elpons und Lüttwitz nicht bei mir, wohl aber bitte ich die gemütlichen Männer Vomsee und Meier mitzubringen, sie in meinem Namen höflichst einladend.

Schlag mir ja meine Bitte nicht ab, ärgere Dich nicht und bring' ein heit'res Gemüt mit.

Dein ergebenster
Hoffmann.

An Ludwig August von Rebeur

Recht leid tut es mir, gerade heute verhindert zu werden, an dem fröhlichen Mittagsmahl teilzunehmen. Aber! – die Götter wollen es so! Nächstens hoff' ich das heute Versäumte nachzuholen und mit Dir, Verehrtester! und den Freunden den vorzüglichsten Saft, der unter dem Namen Champagner gedeiht, einzunippen.

Dein treu ergebenster
Hoffmann

Die »Meister-Floh-Affäre«

An die Verleger Gebrüder Wilmans in Frankfurt

Berlin, den 25. August 1821.

Nochmals bitte ich Ew. Wohlgeboren recht dringend das Verspäten meiner Erzählung gütigst verzeihen zu wollen, wenigstens hoffe und wünsche ich, daß sie einigen Beifall finden mag. Was das in Rede stehende Büchelchen betrifft, so habe ich vor einiger Zeit ein Märchen begonnen, das den Titel: Meister Floh führen und durchaus humoristisch, wie ungefähr Klein Zaches gehalten sein wird. Dieses Märchen (ungefähr im Umfange von 15 Druckbogen, nach dem Format und Druck des Katers Murr) würde ich in weniger Zeit vollenden, so daß, da keineswegs Kupfer, sondern nur ein Umschlag, den ich selbst zeichnen würde nach der Art des Umschlages zum Kater, den ich auch gezeichnet dazu nötig, das kleine Buch wohl als ein Weihnachtsgeschenk erscheinen könnte. Zwar habe ich das Werkchen schon halb und halb einem andern Verleger versprochen, wollen aber Ew. Wohlgeboren den Verlag übernehmen, so würde ich es für meine Pflicht halten, Ihnen denselben zu überlassen, um meinen begangenen Fehler wieder gutzumachen. In diesem Fall würde ich ganz ergebenst bitten, mir zu schreiben, bis zu welchem bestimmten Termin Zeichnung und Manuskript in Ihren Händen sein muß oder ob zum Fertigwerden bis Weihnachten die Zeit überhaupt zu kurz ist und das Buch erst zur Ostermesse geliefert werden kann. Rücksichts des Honorars erlaube ich mir ganz gehorsamst zu bemerken, daß sämtliche Verleger, für deren Taschenbücher ich schreibe, (Herr Sauerländer wird Ihnen dies auch sagen können) mir acht Friedrichsdor für den Druckbogen und zwar gleich nach dem Empfang des Manuskripts, die Verleger der Werke in gewöhnlichem Format (Kater Murr, Brambilla) mir aber Vier Friedrichsdor auf gleiche Weise zahlen. – Endlich darf ich nicht verschweigen, daß es ein hiesiger Verleger ist, der seine Hände ausstreckt nach dem »Meister Floh«, und der mir einen Vorschuß von 20 Friedrichsdor zugesagt hat. Eine gleiche Gunst würde ich mir auch von Ew. Wohlgeboren und die Erlaubnis erbitten müssen der Kürze halber die gedachte Summe mittelst einer Tratte des hiesigen Benikeschen Handelshauses entnehmen zu dürfen. – Wegen richtiger Lieferung des Manuskriptes würde ich jetzt um so mehr mein sicheres Wort geben können, als das mein ganzes Arbeitssystem zerstörende Geschäft, nämlich die Immediatkommission wegen demagogischer Umtriebe, bei der ich angestellt war, aufgehört hat ...

An den Verleger Friedrich Wilmans in Frankfurt

Berlin den 6. November 1821.

Beinahe hätten Sie sowenig als das Publikum nur noch eine einzige Zeile von mir gesehen! – Eine Leberverhärtung (Folge des Stubensitzens und Mangels an Bewegung) hat mich an den Rand des Grabes gebracht. Dauerte nun auch die eigentliche Krise nur wenige Tage, so waren für mein ganzes Tun und Treiben doch die Folgen der Krankheit ebenso schlimm als die Krankheit selbst, da ich natürlicherweise auch nur die mindeste Anstrengung vermeiden mußte. Den Gedanken kann man sich wohl nicht entschlagen, mag auch der Arzt sagen was er will, und so habe ich denn auch im Bette den Meister Floh bis ins kleinste Detail in Gedanken fertige gemacht, und glaube, daß die Unterbrechung doch die Herausgabe des Buches nicht aufhalten wird. Die vollständige Skizze des Werkes liegt vor mir und so bedarf ich des fertigen Manuskripts nicht, um weiter zu schreiben. Ich sende Ihnen, Hochverehrtester Herr! daher in der Anlage pag. 1 – 12 des Manuskripts, welches 4½ Doppelbogen, auch wohl etwas mehr, mithin beinahe den dritten Teil des ganzen Werkes austragen wird, um, beliebt es Ihnen, den Druck beginnen zu können. In acht - zehn Tagen erfolgen wieder fünf Bogen und dann in gleicher Frist die letzten, so daß das Büchlein anfangs Dezember fertig gedruckt sein könnte. – Es ist mir sehr daran gelegen, daß des bösen Zufalls unerachtet die getroffene Abrede ganz erfüllt werde und ich bitte Sich zu überzeugen, daß ich die Bereitwilligkeit mit der Sie, Hochverehrtester Herr! meine Bedingungen betätigt haben, zu erkennen und schätzen weiß. – Übrigens fühle ich mich jetzt, dem Himmel sei es gedankt! recht munter und im Geiste vorzüglich frisch, das Zimmer kann ich aber noch nicht viel verlassen ...

Todesanzeige des Katers Murr

In der Nacht vom 29. bis 30. November d. J. entschlief, um zu einem besseren Dasein zu erwachen, mein teurer, geliebter Zögling, der Kater Murr, im vierten Jahre seines hoffnungsvollen Lebens. Wer den verewigten Jüngling kannte, wer ihn wandeln sah auf der Bahn der Tugend und des Rechts, mißt meinen Schmerz und ehrt ihn durch Schweigen.

Berlin, den 1. Dezember 1821.
Hoffmann

 

Hoffmann kam bei der in dem Brief an Wilmans erwähnten Krankheit noch einmal dicht am Rande des Grabes vorüber, aber doch hatte ihn der Tod bereits gestreift. Ein übles Vorzeichen kommender schlimmer Tage, starb in dieser Zeit der Kater Murr, dessen Existenz Hoffmann den grotesken Plan zu seinem größten Werk eingegeben hatte. Hoffmann trauerte um das Tier fast wie ein Freund. Er mochte das Gefühl haben, daß in dem Kater der Tod ihn persönlich berührte. An eine Reihe seiner Freunde schickte er lithographierte Todesanzeigen, übrigens ließ er nun auch im Roman den Kater eines plötzlichen Todes sterben. Im dritten Band, den zu schreiben ihn dann allerdings der eigene Tod verhindert hat, sollten nur noch Aphorismen von der Hand des schriftstellernden Katers nachgetragen werden. Hoffmann hatte es sich nicht versagen können, in der Geschichte des »Meister Floh« sich seinen Unmut über allerhand Unzuträglichkeiten vom Herzen zu schreiben, die ihm während seiner Tätigkeit in der Immediat-Kommission aufgestoßen waren. Die Seele der Demagogenverfolgungen war der Ministerialdirektor von Kamptz, mit dem Hoffmann verschiedene Zusammenstöße gehabt hatte. Schon im zweiten Teil des »Kater Murr« hatte sich Hoffmann über die Tätigkeit der Demagogenriecher lustig gemacht. Damals hatte sich niemand darum bekümmert. Diesmal aber machte Hoffmann etwas sehr Unvorsichtiges: Er erzählte verschiedentlich in seinem Bekanntenkreise, daß das neue Märchen »Meister Floh« eine Satire auf Kamptz enthalten werde. Kamptz erhielt davon Wind, und Hoffmann selbst erfuhr wohl bald, daß Kamptz sich anschickte, einen Gegenstoß zu unternehmen.

 

An Wilmans in Frankfurt

Berlin, den 19. Januar 1822.

Ew. Wohlgeboren erhalten in der Anlage Manuskript des Flohs pag. 38 – 40 inkl. In der gewissen Erwartung, daß ich mit nächster Post die ersten Aushängebogen erhalten werde, die ich gern, ehe ich den Schluß einsende, durchsehen möchte, halte ich die letzten übrigens schon vollendeten Seiten noch zurück. – Aber nun zu einer wichtigen Sache.

In der Erzählung von dem merkwürdigen Prozeß, den Knarrpanti wider den Hrn. Per. Tyß angestellt, und zwar im fünften Abenteuer heißt es:

Knarrpanti habe die verdächtigen Stellen aus Peregrinus Papieren zusammengestellt und sich dieser Zusammenstellung sehr gefreut.

Sowie ferner, und zwar in einem Zusatz am Rande des Manuskripts: Die Leute hätten sich die Nasen zugehalten, wenn Knarrpanti vorbeigegangen, seien fortgegangen pp.

Beide Stellen muß ich streichen, da sie mir gewisser Umstände halber großen Verdruß machen können. Ich bitte daher diese Stellen vor dem Abdruck zu streichen; sollte aber wider Vermuten der Abdruck schon geschehen sein, so würde ich genötigt sein, Sie, um jenem Verdruß zu entgehen, recht herzlich zu bitten, Kartons drucken zu lassen ...

Kamptz hatte inzwischen herausbekommen, daß das Märchen Hoffmanns, das eine Karikatur seiner Person enthalten sollte – Knarrpanti ist inzwischen als aus »Narr Kamptz« mit nur kleiner Veränderung der Endung entstanden, festgestellt worden –, in Frankfurt bei Wilmans gedruckt werde, und hatte einen Dr. Klindworth dorthin entsandt. Klindworth setzte es merkwürdigerweise durch, daß die Polizei das Manuskript und die bereits gedruckten Bogen beschlagnahmte.

An Wilmans in Frankfurt

Berlin, den 28. Januar 1822.

Ew. Wohlgeboren

sehnlichst erwarteter Brief enthielt eine Nachricht, die ich beinahe vermutete. Das Ganze beruht auf einer niederträchtigen Spionage und Klatscherei. Mir Übelwollende hatten nämlich bei einem Gespräch mir abzuhorchen geglaubt, daß das Buch Aktenstücke der Kommission der demagogischen Umtriebe enthalten würde. Denken Sie sich den heillosen tollen Unsinn, es ist mir unbegreiflich, daß das Polizeiministerium nur einigermaßen darauf eingegangen ist.

Da nun unser Meister besage des Inhalts Wort für Wort das harmloseste Tierchen von der Welt ist, da kein Staat in der Welt, den größten und den kleinsten nicht ausgenommen, nicht den allermindesten Anstoß daran nehmen kann, so muß sich jenes alberne Gerücht durch die Einsicht des Buches von selbst widerlegen. Ew. Wohlgeboren haben daher sehr gut getan, Manuskript und Briefe Ihrer Behörde auszuliefern, der ich Einsicht genug zutraue, Ihres Interesse halber die Sache aufs äußerste zu beschleunigen. Es soll ja jemand von hier aus dieser Angelegenheit halber nach Frankfurt geschickt sein? Das kann ich kaum glauben, denn das wäre doch gar zu viel Geschrei und keine Wolle. Wir haben übrigens eine solche sonnenklare gute Sache, daß nichts zu befürchten als Aufenthalt; ich meinerseits kann zur Zeit nichts tun, sollte aber wider alles Vermuten etwas zu tun nötig sein, so kann ich mich der besonderen Protektion von Männern rühmen, die Sr. Maj. dem Könige sehr nahestehen. – Indessen wie gesagt, ist es rein unmöglich, selbst bei der größten Neigung hämisch mißdeuten zu wollen, etwas aus dem Buche, das keinem Gegenstände entfernter liegt als Politik, herauszufinden.

Ew. Wohlgeboren werden sich gütigst erinnern, daß ich gleich anfangs darum bat, vor der Einsendung des Schlusses die ersten Aushängebogen einsehen zu dürfen, deshalb lege ich auch heute noch nicht die letzten vier Seiten bei. Sie können übrigens wohl denken, daß mir die Sache bei aller Wirkungslosigkeit doch fatal ist, auf das inständigste bitte ich daher mir mit umgehender Post den ferneren Verlauf der Sache gütigst schreiben zu wollen; Sie haben doch pag. 37 – 40 inkl. des Manuskripts nach Abgang Ihres ersten Briefes erhalten? ...

(Übrigens kann das vielfache Gerede, welches die Prozedur mit dem mitschuldigen Meister Floh veranlassen wird und veranlassen muß, dem künftigen Debut des Buches vorteilhaft sein.)

An Hitzig

Den 30. Januar 1822.

Mit der schmerzlichsten Sehnsucht habe ich gestern auf Sie, teuerster Freund, gewartet! – Mehr als jemals bedarf ich Ihres guten Rates in Ansehung der vermaledeiten Flohgeschichte, die mich in die größte Unruhe und dabei noch auf andere Weise in Verlegenheit setzt.

Kommen Sie doch heute, wenn es Ihnen nur irgend möglich ist, Sie tun mir den größten Freundschaftsdienst!..

Seit September 1821 weilte Hippel mit seiner Familie, als Mitglied einer Kommission, in Berlin. Hoffmann hatte also wenigstens bei all den Mißhelligkeiten den Trost, mit dem alten Jugendfreunde für längere Zeit vereinigt zu sein. Von Anfang an hat Hoffmann wohl die Flohangelegenheit in ihrer ganzen Schwere durchschaut. Er war durch seine Haltung bei der Immediat-Kommission bei Hofe und in den maßgebenden Kreisen schlecht angeschrieben und hatte auf kein besonderes Entgegenkommen zu rechnen. Man konnte ihm einen Strick daraus drehen, daß er seine Kenntnis der politischen Prozesse für seine Schriftstellerei ausgenutzt habe, und es ist wohl sicher, daß er ohne seine amtlichen Erfahrungen, z.B. das Verhör, das Knarrpanti mit Peregrinus Tyß vornimmt, niemals so geschrieben hätte. In der Tat wurde denn auch bald das Disziplinarverfahren gegen ihn eröffnet, und es schwebte bis zu seinem Tode über ihm. Dazu kam eine plötzliche Geldnot, weil infolge der Verzögerung des Drucks das Honorar, mit dem er gerechnet hatte, ausblieb. Das Schlimmste aber war: er erkrankte von neuem außerordentlich schwer. Es war die Krankheit, von der er sich nicht mehr erholen sollte.

Hippel stand ihm bei allen seinen Verteidigungsschriften redlich bei und ließ seine gesamten Beziehungen spielen, ohne jedoch für den Freund etwas erreichen zu können. Hoffmann wurde auf dem Krankenbette am 23. Februar 1822 protokollarisch vernommen. Er gab eine Aussage zu Protokoll, die er mit Aufbietung der letzten Kräfte aufgesetzt hatte. Diese Verteidigungsschrift ist ein Meisterwerk in ihrer Art. Aber auch sie hätte ihn nicht vor der disziplinarischen Amtsentsetzung oder zum mindesten einer Strafversetzung nach Insterburg, die in Aussicht genommen war, bewahrt.

Die Verteidigungsschrift

So wie ich schon gestern bei meiner Vernehmung erklärte, haben die an mich gerichteten Anfragen mich darüber vollkommen ins Klare gesetzt, daß in dem von mir verfaßten Märchen, Meister Floh genannt, lediglich der darin vorkommende Prozeß, der dem Helden der Geschichte wegen Entführung eines Frauenzimmers gemacht wird, den Argwohn irgendeiner versteckten Nebenansicht erregt hat.

Um diesen Argwohn zu widerlegen, sei es mir vergönnt, schriftstellerisch darzutun, wie das ganze sogenannte Abenteuer, welches jenen Prozeß enthält, sich aus dem ganzen Cannevas der Geschichte und aus der Charakteristik der darin auftretenden Personen als ein integrierender Bestandteil des Ganzen von selbst erzeugt, und daß kein einziges Wort darin enthalten ist, was nicht dazu beitrüge, jene Charakteristik des Ganzen in ein helleres Licht zu stellen.

Schon dieses spricht dafür, daß der Verfasser keine andere Absicht haben konnte, als durch dieses Abenteuer das Märchen selbst und die darin vorkommenden Charaktere dem Leser klarer und lebendiger vor Augen zu führen.

Der Held des Stückes, Peregrinus Tyß genannt, ist ein beinahe kindischer, welt- und vorzüglich weiberscheuer Mensch, und der Zufall will es, daß gerade er den Verdacht einer Entführung auf sich ladet. Der Kontrast einer inneren Gemütsstimmung mit den Situationen des Lebens ist eine Grundbasis des Komischen, welches in dem Märchen vorherrschen sollte, und so glaube ich die Erfindung nach bewährten Theorien für glücklich halten zu dürfen. (Siehe Flügels »Geschichte des Komischen«.)

Das Gerücht entsteht, Tyß habe aus einer Gesellschaft ein Mädchen entführt und jeder, der in der Gesellschaft war, bestätigt das, keiner weiß aber bei näherer Nachfrage, wer denn entführt worden ist. Dies ist wie ich glaube die treue Charakteristik jedes Gerüchts. Da nun aber wirklich kein Mädchen entführt war, so wäre der Prozeß ohne irgendein Interesse und ohne dazu beizutragen, den Tyß in eine verwickelte Situation zu bringen, in sich selbst zerfallen. Es war daher nötig, dem Tyß noch einen Quälgeist entgegenzustellen, der sich abmüht, ihn in allerlei Schlingen zu fangen. Um Interesse zu erregen, um dem komischen Geiste des Ganzen treu zu bleiben, mußte dieser Mensch beschränkten Verstandes, von den seltsamsten Vorurteilen befangen, auf lächerliche Weise egoistisch dargestellt, und ihm noch ein Anflug einer durchaus fantastischen Denkungsart und Handlungsweise gegeben werden. So entstand das Zerrbild, welches ich mit dem Namen Knarrpanti bezeichnet habe, welches nur dem sich gegen den Dichter erlaubten Exzeß eines ganz ins Gebiet des ausgelassensten Humors steigenden Märchens verziehen werden darf, und zu dem man das Original wohl vergebens auf dieser Erde suchen würde. Der fantastischen Tendenz dieses Charakters war es ganz angemessen, ihn als Faktotum eines kleinen winzigen regierenden Herrn darzustellen, dessen Gnade er verloren hat, die wieder zu erhalten er auf den Unsinn gerät, wie er im Märchen geschildert ist. Solche Faktotums von erbärmlichster Gestalt haben sich in den letzten Jahren des verflossenen Jahrhunderts noch im südlichen Deutschland mannigfach umhergetrieben, und Kotzebue hat einen solchen in seinem »Unglücklichen« im Herrn von Volkenau dargestellt. Dieser Charakter war hiernach geeignet, mit dem verständigen und ruhigen Abgeordneten des Rats zu Frankfurt einen guten Kontrast zu bilden. Aber noch mehr, auch mit dem treuherzigen Tyß mußte Knarrpanti zu seinem Nachteil in Konflikt geraten. Dies konnte nicht besser geschehen, als durch die natürliche Anwendung des im ganzen Märchen vorherrschenden Gedankens, nämlich dadurch, daß Tyß vermöge des Zauberglases, mit dem er ihn ansah, seine inneren Gedanken erriet, demgemäß seine tollen Fragen beantwortete und ihn dadurch in die größte Verlegenheit setzte. Unbemerkt kann ich nicht lassen, daß ich diese Gelegenheit benutzte, um, wie es sich auch von selbst ergab, zwei der größten kriminalistischen Mißgriffe ins Licht zu stellen: einmal, wenn der Inquirent, ohne den Tatbestand des wirklich begangenen Verbrechens festzustellen, auf gut Glück hineininquiriert, – zweimal, wenn sich in seiner Seele eine vorgefaßte Meinung festgesetzt, von der er nicht ablassen will, und die ihm allein zur Richtschnur seines Verfahrens dient. Man könnte fragen, wie ich wohl dazu gekommen bin, diese juristischen Fragen in ein Märchen zu bringen? und ich kann nur darauf antworten, daß jeder Schriftsteller von seinem Metier, so es ihm am Herzen liegt, nicht abläßt, sondern sich an Schilderungen daraus ergötzt. Dem alten Rabener merkt man den Juristen auf jeder Seite an, der humoristische Hippel (Stadtpräsident und Kriminal-Direktor in Königsberg) ergießt sich gar zu gern in juristischen Erörterungen, und auch der neue berühmte Walter Scott, einer der ersten Rechtsbeamten in Edinburgh, hat es beinahe in jedem seiner Romane mit Prozessen zu tun. Ich selbst habe schon in mehreren meiner Werke, wie zum Beispiel in den Elixieren des Teufels und in den Nachtstücken Prozesse auf das Tapet gebracht und durchgeführt, um so weniger kann dies in diesem Märchen auffallen. – Nach dieser ganzen Ausführung ist es meines Erachtens wohl sehr klar, daß ich mit der ganzen in Rede stehenden Stelle nichts beabsichtigen konnte, als die ganze Tendenz des Märchens lebendiger ins Licht zu stellen, und zugleich den lachlustigen Leser zu ergötzen. Hierzu kommt aber noch, daß man in dem ganzen Abenteuer vergeblich auch nur eine einzige Silbe, auch nur den leisesten Fingerzeig finden wird, der etwa den Leser darauf bringen könnte, irgendeine andere Beziehung zu suchen. Ich gebe zu, daß Deutungen, woran ich nicht dachte, möglich sind, ja daß eine vorgefaßte Meinung solche Deutungen sogar plausibel finden mag; welch ein Vorwurf kann aber den Dichter treffen, der nur von seiner Welt ausgehend, alles derselben anschließend und aus derselben entnehmend, der sein Gewissen rein von jeder bösen Absicht fühlt, dennoch wider seinen Willen einen Verdacht erregt, gegen den viel stärkere Gründe (als) für denselben bei näherer Betrachtung sprechen müssen? Dem humoristischen Dichter muß es freistehen, sich in dem Gebiet seiner fantastischen Welt frei und frisch zu bewegen. Soll er sich in tausend Rücksichten, in mißtrauische Zweifel darüber, wie seine Gedanken mißdeutet werden könnten, wie in das Bett des Prokrustes einengen? Wie würde es ihm möglich sein, geistreich, anmutig zu schreiben und Gemüt und Herz seiner Leser zu ergreifen? Wie oft sind aber freilich rein empfundene Werke des Dichters auf die seltsamste Weise gemißdeutet worden. Es sei mir erlaubt, schließlich ein Beispiel einer solchen Mißdeutung anzuführen:

Der berühmte Hölty beschäftigte sich bekanntlich in seiner Jugend mit der Anfertigung von Gelegenheitsgedichten. Ein Freund bestellte bei ihm ein Hochzeitsgedicht, ohne ihm den Namen des Brautpaares zu nennen. Es war gerade um die Zeit, als nach vergangenem Winter die Frühlingstage eintraten, und Hölty nutzte dies, um in dem Gedicht allerlei Allegorien vom scheidenden Winter und kommenden Frühling anzubringen. Nicht wenig erstaunte Hölty, als er nach einiger Zeit einen Brief von dem Bräutigam erhielt, der sich von ihm beschimpft glaubte und ihm mit einem Injurienprozeß drohte. Es fand sich nämlich, daß der Bräutigam Winter und die Braut Frühling hieß. (Siehe Höltys Leben.)

Was den mir zur Rekognition vorgelegten Brief an meinen Verleger Willmanns vom 19. Januar des Jahres betrifft, so scheint man in dem von mir ausgesprochenen Wunsch, ein paar Stellen im Manuskript streichen zu lassen, irgendein Bewußtsein eines nicht vorwurfsfreien Betragens gefunden zu haben. Fürs erste muß ich bemerken, daß dieser Wunsch des Streichens mit der versuchten Beschlagnahme meines Werkes auch nicht in die mindeste Verbindung zu setzen ist. Am 19. Januar schrieb ich jenen Brief, und erst am 28. Januar erfuhr ich durch den Brief meines Verlegers vom 22. Januar die Beschlagnahme meines Werkes. Hätte ich diese Beschlagnahme nur vorher ahnen können, so würde ich gewiß nicht mit jenem Briefe vom 19. Januar den Rest meines Manuskriptes mitgesendet haben. Ich muß aber allerdings sagen, wie ich dazu gekommen bin, das Streichen der in Rede stehenden Stellen zu wünschen. Die Sache verhält sich wie folgt:

Irre ich nicht, so war es am 18. Januar in der Mittagsstunde, als mir unter den Linden in der Nähe des Dümmlerschen Ladens ein junger Mann begegnete, der an öffentlichen Örtern mit mir spricht, ohne daß ich seinen Namen weiß, wie das sehr häufig geschieht. Dieser rief mir zu: nun bekommen wir ja bald von Ihnen ein neues Märchen mit einem Prozeß, worin hübsche Porträts vorkommen sollen.

Dieses fiel mir schwer aufs Herz, und zwar aus folgenden Gründen: Jedem humoristischen Schriftsteller, wie z. B. Rabener, Hamann, Lichtenberg, Kästner sowie dem neuen Jean Paul Friedrich Richter ist es wohl so gegangen, daß die Leute sich abmühten, den Gebilden, die das Erzeugnis ihres Geistes waren, lebende Originale unterzuschieben, die jene nicht einmal kannten. Auch mir ist es häufig so gegangen, und ich habe wie jene Männer den Verdruß erlebt, daß Menschen sich mir plötzlich feindlich zeigten, denen geschäftige Zwischenträger weisgemacht hatten, daß ich sie in meinen humoristischen Werken aufgestellt; ich könnte hierüber die merkwürdigsten Beispiele anführen, wenn das hier nicht viel zu weit führen würde. Darum war es mir im höchsten Grad fatal, daß man jetzt im voraus von einem Werke schwatzte, von dem man auf mir ganz unbegreifliche Weise Notiz erhalten haben mußte. Die schwere Krankheit, die mich später heimgesucht hat, lag mir schon damals in den Gliedern, und dies vermehrte meinen Mißmut und meine Zweifel.

In der schlaflosen Nacht brachte ich mir den ganzen Prozeß ins Gedächtnis zurück, und grübelte nach, ob irgendeine Persönlichkeit herausgefunden werden könnte.

Da kam es mir vor, als habe ich bei der Schilderung des Hofrats mich des Ausdrucks Zusammenstellung bedient, und zu gleicher Zeit fiel mir ein, daß ein gemeinsamer älterer Kollege von mir diesen Ausdruck vorzüglich liebte, ja sich desselben zu oft bediente, weshalb ich mit einem jüngeren Kollegen ihn scherzweise den Zusammensteller nannte. Nun dachte ich daran, daß ein mir feindlich gesinnter Zwischenträger, deren es leider nur zu viele gibt, sehr leicht jenem erwähnten Kollegen es plausibel machen konnte, daß ich ihn gemeint, und mir dadurch ihn zum Feinde machen konnte. Jetzt sehe ich ein, daß dieser Zweifel nur in einem krankhaften Gemüt entstehen konnte, denn las jener Kollege mein Werk, so konnte er ebensowenig wie irgendein vernünftiger Mann in dem aufgestellten Zerrbilde sich wiedererkennen, und jeder Verdacht gegen mich mußte schwinden.

Diese Zweifel aber waren ebenso ein Phantom des erkrankten Geistes, wie die ganze Sache, denn die Stelle, die ich geschrieben zu haben glaubte, fand sich gar nicht im Manuskript, wie dies aus dem Briefe des Wilmans vom 25. Januar hervorgeht.

Mit der ganzen Stelle: die Leute hielten sich die Nasen zu usw. – hat es eine ganz andere Bewandtnis. Diese Stelle kam mir nämlich unsauber und überflüssig vor; ich hatte sie auch, wie der Augenschein es ausweisen wird, erst später an den Rand des Manuskripts hinzugefügt, Überdem hätten mich die Rezensenten auch eines Plagiats beschuldigen können, denn etwas ganz Ähnliches oder Gleiches kommt im Peregrine Pickle vor, wo Pipes aus Ekel und Abscheu gegen den Maler Pallet sich die Nase zuhält (Peregrine Pickle, 3. Band, Seite 59). Dies sind die Gründe, warum ich auch diese Stelle gestrichen wünschte. Und wenn ich sorgte, daß beide Stellen mir Verdruß zuziehen könnten, so wird dies wohl um so weniger auffallen, als mir wirklich daran lag, die Stellen aus dem Manuskript zu entfernen, die Verleger sich aber sehr schwer dazu verstehen, in schon zum Druck beförderten Manuskripten Stellen zu streichen, oder gar s.g. Kartons drucken zu lassen. Daß ich aber die Stellen schon gedruckt glaubte, welches diese Kartons nötig gemacht haben würde, geht aus meinem Briefe an Wilmans hervor. Diese beiden Willmansschen Briefe, auf welche ich mich bezog, habe ich im Original dem Herrn Fürsten Staatskanzler überreicht, und sie werden wahrscheinlich schon zu den Akten gekommen sein.

Nochmals beteuere ich, daß ich mir bei der Erfindung und Ausarbeitung jenes durchaus skurrilen, ja gänzlich bizarren Abenteuers durchaus nicht im mindesten böser Nebenabsichten bewußt bin, und mich reines Gewissens fühle; ich folgte frei dem Fluge meiner Fantasie, wie sie sich aus den Bedingnissen des Märchens und den darin vorkommenden Situationen und Charakteren entzündete, ohne an andere Dinge, die außerhalb des fantastischen Gemüts, in dem sich das Märchen bewegte, zu denken.

Ich bitte, den Gesichtspunkt nicht aus den Augen zu lassen, daß hier nicht von einem satirischen Werke, dessen Vorwurf Welthändel und Ereignisse der Zeit sind, sondern von der fantastischen Geburt eines humoristischen Schriftstellers, der die Gebilde des wirklichen Lebens nur in der Abstraktion des Humors wie in einem Spiegel auffassend reflektiert, die Rede ist. Dieser Gesichtspunkt läßt mein Werk in dem klarsten Licht erscheinen, und man erkennt, was es sein soll und was es wirklich ist. So werde ich aber von jedem Argwohn, der mich nur zu tief und schmerzlich betroffen, völlig gereinigt erscheinen. Diese Hoffnung, die ich mit dem größten Recht hegen zu können glaube, gibt mir Trost und Kraft, die qualvollsten Tage meines Lebens diesmal noch zu überstehen. Mehr glaubte ich nicht zu meiner völligen Rechtfertigung anzuführen zu haben.


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