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Julia's Erwachen

Im Verkehr mit den gemütlichen Serapionsbrüdern war Hoffmanns Erinnerung an Julia in den Hintergrund getreten. Der Verfasser mehr oder minder gelungener Unterhaltungserzählungen war ein anderer als der Seelenbräutigam Julias. Unter der Oberfläche aber lebte sie ständig weiter, und wartete der enthusiastische Kreisler, der in dem gemütlichen Serapionsbruder untergegangen war, auf seine Auferstehung. Eine schwere Erkrankung im Frühjahr 1818 brachte den Umschwung in Hoffmanns Produktion. In dieser Krankheit ging ihm der Plan zu dem Märchen »Klein-Zaches« auf, mit dem er sich seit Jahren zum erstenmal wieder der großen Dichtung zuwandte, die seine letzten Lebensjahre ausfüllen sollte. Eine neue Periode höchster Schaffenskraft setzte ein, in der er den Höhepunkt seiner Entwicklung erreichte. »Klein-Zaches«, »Prinzessin Brambilla«, »Meister Floh« und »Kater Murr«, – lauter dichterische Großtaten. Wie ein Sinnbild steht in dem folgenden Brief an Holbein, den alten Bamberger Genossen, Julias Name dieser Periode voran. Julia leuchtet in die schwere Krankheit hinein, die die Umkehr brachte.

An Franz von Holbein in Hannover

Vorigen Sonntag, d. h. am 5. April d. I. am Sonntage Miserere Dom. Maximus (Evangel. vom guten Hirten Joh. 10 Neumond nach halb 5 Uhr nachm. Tageslänge 13 St. 4 Min ) brachte mir Herr Gerber Ihren Brief vom 19. Jan. d. I. (am Ferdinandstage geschrieben), der mich ganz und gar in die schönen Tage unseres Zusammenseins in Bamberg zurückversetzte. »Die schönen Tage von Aranjuez« pp Ew. Hoheit verließen es nicht heiter, könnte man mit Schiller von uns beiden sagen, indessen war doch im Ganzen das tolle unstete Treiben in B. keine üble Episode – Eine Flitter auf dunklem Grunde – eine Fastnachtsszene im komischen Roman des Lebens – die Novelle vom Mohren im Don Quixote usw. –

A propos! – Julchen Mark, die den Negotianten Groepel in Hamburg heiratete, ist ganz vergröpelt! Cela veut dire – unglücklich – krank – blaß – sans enfans ppp O Gott! – Bader (ein Sänger, der als blutjunger Anfänger von Hoffmann und Holbein in Bamberg entdeckt worden war) sagte mir alles wenige Minuten vorher, ehe er als Tamino von der Schlange verfolgt wurde, die die Wurzel oder vielmehr das Zündkraut alles Übels ist, das rastlos fortbrennt hier auf Erden. Der Teufel hole solche Geschichten, ich meine die von der Julia, die in Ihnen den transzendentalen Romeo ehrte, dessen Cousin germain wenigstens ich zu sein glaubte und daher im superfeinen Tenor lamentierte: Ombre amene, amiche piante! –

Soviel merken Sie, Verehrtester! daß unser Bader wirklich hier ist und Gastrollen gibt, Jean de Paris, Tamino, Ottavio, Belmonte. Er macht Furore und wird hier, wenn sein Kontrakt in Braunschweig geendet, als erster Tenorist mit 2000 rth. engagiert! – Aus Kindern werden Leute! – Sic eunt pp. In der Tat hat sich aber die vielversprechende Stimme auf das herrlichste ausgebildet und sein Spiel ist durchaus nicht störend. Er ist viel besser als der Wiener Wild, der erstaunlich zahm war in jeder Hinsicht – eine Art von Haustier (bête de maison) – Mit Bader zugleich trat Gerber als Papageno auf und entwickelte mit erstaunlichem Glück eine total neue Ansicht der Rolle. Er gab nämlich den Papageno durchaus als seinen vielseitig ausgebildeten Weltmann, den der Hof der sternflammenden Königin à la hauteur gebracht hat. Vorzüglich die erste Szene mit Tamino, wo er nicht zu wissen simuliert, daß hinter den Bergen auch noch Leute wohnen, daß Prinzen von Königinnen geboren werden (hübsche Anspielung auf die Unfruchtbarkeit der Königin der Nacht) war ein Triumph des feinsten gedachtesten Spiels. Ein glücklicher Gedanke war es auch, daß ihm das Pan-Flötlein jedesmal versagt« – das leise ironische Verhauchen mit gespitzten Lippen! – Ohe jam satis! –

Leid tut es mir, daß Gerber gerade in einer bösen Periode gekommen ist. Ich meine bloß rücksichts meiner, da ich eben jetzt mit Arbeiten so überhäuft bin, daß ich mich werde um ihn wenig kümmern können. Unser Präsident ist verreist und ich als ältester und Vorsitzender Rat (ich bin nach meinem Ratspatent von 1801 (falsch! 1802!) als Kammergerichtsrat in das Kammergericht eingerückt (per Kabinettsordre des Königs zum großen Ärger vieler Leute mit verbrannten Steißen) muß seine Stelle vertreten, habe daher außer meiner gewöhnlichen Arbeit noch die Präsidialgeschäfte – das drückt! – Am dritten Ort sind wir aber schon zusammen gewesen d. h. in einer vornehmen Weinkneipe, wo ich ihm diversen Champagner in den Hals gejagt habe. –

Hätten, o hätten Sie, mein teuerster Orestes! mich Ihren demütigsten Pylades gesehen, wie er höchsteigenhändig Fenstergardinen abknüpfte – Tische – Stühle trug und zuletzt mit Adresse und Appointements eine Schlauchspritze, die durch seine Wohnung gezogen, da wo sie wund worden, in der Eil mit vortrefflichen Ginganschürzen seiner Frau verband und dann dirigieren half! – Unerachtet der Wind abwärts ging, zündete doch die Höllenglut des Theaterdaches das Dach meiner Wohnung zweimal an – die Stuben mußten ausgeräumt werden, ich ließ aber auch nicht ein Stück wegtragen (ich bin jetzt ziemlich artig meubliert) und habe deshalb – keine Teetasse verloren. Die Milder (einen Stock niedriger mehr nach der Mitte hin, gar nicht so in Gefahr) ließ ihre drei Buchsbaumtische und sieben Stühle wegbringen – über die Spree nach Kön. Str. glaub' ich! Auch wurden zur Ergötzlichkeit des, wie Sie wissen, erregbaren ... auf einer langen Stange zwölf Paar Strümpfe mit batistenen Hacken –

 

Den 13. Junius 1818.

Was ist der Mensch! Eben heute in meinen Papieren blätternd finde ich vorstehendes Fragment eines Briefes den ich längst abgesendet glaubte – Ich bin beinahe drei Wochen hindurch an einer Verhärtung im Unterleibe gefährlich krank gewesen – und liege noch im Bette – es geht aber besser – besser – besser – die Munterkeit des Geistes hat mich nie verlassen – Meine Frau und ich bringen der Mad. Renner die herzlichsten innigsten Grüße dar.

Mögen Sie uns immer in freundschaftlichem Andenken erhalten.

Ich schriebe gern mehr, aber es geht noch nicht gut.

Ewig unverändert der Ihrigste
Hoffmann.

Die Krankheit

Aufs neue hatte das Leben in seiner stets wechselnden Gestaltung die Freunde auseinandergeworfen. Sylvester war zurückgegangen aufs Land, Ottmar in Geschäften verreist, Cyprian desgleichen, Vinzenz zwar am Orte, aber wieder einmal nach seiner gewöhnlichen Weise im Gewühl verschwunden und nicht aufzufinden. Nur Lothar pflegte den kranken Theodor, den ein lange bekämpftes Übel doch zuletzt auf das Lager gebracht, das er nun sobald nicht wieder verlassen durfte.

Mehrere Monate waren vergangen, da kehrte Ottmar ... zurück und fand, statt, wie er gehofft die Serapionsbrüderschaft in vollem Flor anzutreffen, einen kaum genesenen Freund, der die Spuren harter Krankheit noch im bleichen Antlitz trug und den die Brüder verlassen, bis auf einen, der ihm mit allen Ergießungen einer mürrischen Laune gar hart zusetzte.

... »Theodors Krankheit,« fiel Lothar dem Ottmar ins Wort, »die ihn dem Grabe nahe brachte, war eben auch nicht dazu geeignet, mich in eine fröhliche Stimmung zu versetzen.«

»Nun,« sprach Ottmar, »Theodor ist genesen, und was den Serapionsklub betrifft, so weiß ich gar nicht, warum er nicht für schön und vollständig geachtet werden sollte, wenn drei würdige Brüder sich versammeln und so die Brüderschaft aufrecht erhalten?« ...

»Tut,« sprach Lothar etwas sanfter als zuvor, »tut, was ihr wollt, nur verlangt nicht, daß ich etwas damit zu schaffen haben soll. Dabei will ich aber sein, wenn ihr euch serapiontisch versammelt, und ich schlage vor, daß, da Freund Theodor soviel als möglich in der freien Luft sein soll, dies im Freien geschehe.«

Die Freunde bestimmten den letzten Mai, der in wenigen Tagen einfiel als die Zeit, einen schönen, beinahe gar nicht besuchten Gastgarten aber als den Ort ihrer nächsten serapiontischen Zusammenkunft. –

Ein Gewitter hatte, schnell vorüberziehend und Baum und Gebüsch nur mit einigen schweren Tropfen Himmelbalsams besprengend, die drückende Schwüle des Tages abgekühlt. Im herrlichsten Glanz stand der schöne Garten, den der liebliche Wohlgeruch des Laubes, der Blumen durchströmte, und fröhlich zwitschernd und trillerierend rauschten die bunten Vögel durch die Büsche und badeten sich in den benetzten Zweigen.

»Wie,« rief Theodor, nachdem er mit den Freunden in dem Schatten dickbelaubter Linden Platz genommen, »wie fühle ich mich so durch und durch erquickt, jede Spur des leisesten Übelfindens ist verschwunden, es ist, als sei mir ein doppeltes Leben aufgegangen, das in reger Wechselwirkung sich selbst erst recht faßt und empfindet. In der Tat, man muß so krank gewesen sein als ich, um dieses Gefühls fähig zu werden, das, Geist und Gemüt stärkend, die eigentliche Lebensarzenei scheint, welche die ewige Macht, der waltende Weltgeist uns selbst unmittelbar spendet. – Aus meiner eignen Brust weht der belebende Hauch der Natur, es ist mir, als schwämme ich aller Last entnommen in dem herrlichen Himmelsblau, das über uns sich wölbt!« – »Diese Begeisterung«, nahm Ottmar das Wort, »zeigt, daß du vollkommen genesen bist, mein teurer lieber Freund! und Dank der ewigen Macht die dich mit einem Organismus ausstattete, stark genug, dergleichen Krankheit, wie sie dich überfiel, zu überstehen. Schon daß du überhaupt genesen, ist zu verwundern, noch mehr aber, daß dies so schnell geschah.«

»Was mich betrifft,« sprach Lothar, »so verwundere ich mich über Theodors schnelle Herstellung ganz und gar nicht, da ich auch nicht einen Augenblick daran gezweifelt. Du kannst es mir glauben, Ottmar! so erbärmlich es auch mit Theodors physischem Zustand aussehen mochte, psychisch ist er niemals recht krank gewesen, und solange der Geist sich aufrechterhält – nun es war eigentlich zum Totärgern, daß der kranke Theodor sich eigentlich immer in viel besserer Stimmung befand als ich kerngesunder Mensch, und daß er oft, war nur der Schmerz vorüber, sich in tollen Spaßen erlustigte, wie er denn auch die seltene geistige Kraft besaß, sich manchmal seiner Fieberfantasien zu erinnern. – Viel zu sprechen, das hatte ihm der Arzt verboten; wollt' ich ihm aber dieses, jenes erzählen in ruhigen Stunden, so winkte er mir Stillschweigen zu, meinte auch wohl, ich solle ihn seinen Gedanken überlassen, er arbeite an einer großen Komposition oder sonst.«

(Aus den »Unterhaltungen der Serapionsbrüder«, 5. Abschnitt.)

 

Diese »Komposition«, die »Theodor« in den Fieberträumen seiner Krankheit aufgegangen war, war nichts anderes als das Märchen »Klein-Zaches«.

 

Eine Anekdote von dem Turnvater Jahn

Hoffman ließ an dem deutschtümelnden Turnvater Jahn, der mehr und mehr zur komischen Person in Berlin wurde, öfters seinen Unmut aus. Auch in der mitgeteilten Partie des Märchens »Die Brautwahl« befand sich bereits ein kräftiger Ausfall gegen den Recken. Im »Klein-Zaches« läßt Hoffmann das kleine Ungetüm Zinnober vor einem Affenkäfig einer unliebsamen Verwechslung zum Opfer fallen. Zinnober wird von durchreisenden Fremden mit einem Affen Mycetes Beelzebub verwechselt. Hoffmann hatte sich bereits im November bei Chamisso nach einer besonders scheußlichen Affenart erkundigt. Im Januar 1818 erschien anonym unter den »Vermischten Nachrichten« des »Freimütigen«, einer Zeitschrift, deren sich Hoffmann gerne zu allerhand kleinen Veröffentlichungen bediente, die weiter unten abgedruckte Anekdote, die wiederum mit dem Turnvater ihr lustiges Spiel treibt und von der nicht zweifelhaft sein kann, daß sie von Hoffmann verfaßt ist.

 

An Adalbert von Chamisso in Berlin

Berlin, den 6. November.

Verehrtester Weltumsegler und berühmter Naturforscher!

Bitte mir gefälligst folgende Auskunft zu geben! Gehören die sogenannten Wickelschwänze zum Geschlecht der Affen oder nicht vielmehr der Meerkatzen? Wie heißt wohl unter diesem Geschlecht der Wickelschwänze eine besondere Art (die sich etwa durch besondere Häßlichkeit auszeichnet und sehr häßlich ist) mit dem Linneischen Namen oder sonst?

Ich brauche eben einen solchen Kerl! –

Wollen Sie, verehrtester Freund, nur gefälligst das Erforderliche hierunter bemerken?

Guten Morgen!
Hoffmann.

Anekdote

Vor kurzer Zeit erschien ein Fremder in .... in einer daselbst zur Schau gestellten Menagerie wilder Tiere. Der Professor .... – ein berühmter Hüpf-, Spring- und Schwungmeister – war ebenfalls zugegen, und der Charakter von Wildheit den er in seiner äußeren Erscheinung affektiert, mochte den Fremden ohne Zweifel überraschen; denn als der Wärter der Tiere Namen, Vaterland und Behandlungsweise jedes einzelnen bezeichnet hatte, vom Löwen bis zum letzten Kakadu herab, wandte sich der Fremde höflich zu ihm und fragte, auf den Professor deutend: O sagen Sie mir doch mein Bester wie heißt denn dieses wilde Tier? – Der Wärter flüsterte: Mein Herr, das ist ja der Professor .... – Der Fremde belächelte seinen Irrtum und den Wundermann, und verließ kopfschüttelnd den Saal der wilden Tiere.

An Hippel in Marienwerder

Berlin, den 27. Januar 1819.

Mein teuerster innigst geliebter Freund!

Wohl geht es mir ebenso wie Dir, am Neujahrstage treten mit doppelter Frische und Lebendigkeit die Bilder des vergangenen Lebens hervor und man gedenkt der abwesenden Freunde mit wehmütiger Freudigkeit – Daher kommt es denn auch, daß ich schon seit mehreren Jahren vermeide, Silvesterabend und Neujahrstag, wie es sonst wohl zu geschehen pflegte, in rauschender Gesellschaft zuzubringen. Ich gebe in dieser Zeit in meinem einsamen Zimmer ganz meinen inneren Gedanken Raum, und Erinnerungen sind es, die wir, meine Frau und ich, uns gegenseitig auffrischen. So haben wir auch Deiner und zwar wohl als des besten, bewährtesten, umwandelbarsten meiner Freunde gedacht; und nur deshalb mit schmerzlicher Rührung weil ein böses Verhängnis uns voneinander getrennt hat!

Längst würde ich Dir geschrieben haben, hätte ich es mir nicht in den Kopf gesetzt gehabt, Dir ein kleines Buch mitzusenden, das längst unter der Presse, und dessen Erscheinung sich wider alles Vermuten bis jetzt verspätet hat. Du erhältst es jetzt in der Anlage, sowie zwei Taschenbücher, in denen Erzählungen von mir enthalten sind, und die ich Deiner lieben, von mir hochverehrten Frau in meinem Namen zu überreichen bitte. Lies doch den Zinnober, das tolle Märchen wird Dir gewiß, ich darf es glauben, manches Lächeln abzwingen. Wenigstens ist es bis jetzt das Humoristischste, was ich geschrieben, und von meinen hiesigen Freunden als solches anerkannt. – Überhaupt gewährt mir die Schriftstellerei nicht allein Aufheiterung sondern auch eine Geldzulage, die allein es mir möglich macht in dem überteuern Berlin zu subsistieren wiewohl zuweilen meine Einkünfte nicht hin- und herreichen wollen, und ich mit manchen Sorgen zu kämpfen habe, die mir unangenehme Augenblicke genug machen. – An Weiterkommen, an Verbesserung ist vor der Hand nicht zu denken da man von einer großen Justizreform, Einführung des öffentlichen Verfahrens usw. spricht, und bis dahin also wohl jeder an seinem Platz bleiben wird.

Gäbe doch der Himmel, daß irgend eine Präsidentenversammlung Dich wieder nach Berlin führte, es täte wirklich Not, daß in mein Leben wieder einmal etwas recht Erfreuliches hineinleuchte!

Lebe wohl, mein innigst geliebter Freund, empfiehl mich sowie meine Frau, die Dich auf das herzlichste grüßt, dem gütigen Andenken Deiner Frau Gemahlin.

 

»Klein Zaches« war nur der Auftakt zu einer neuen großen Schöpferperiode in Hoffmanns Leben. Bald nach dem Erscheinen dieses Märchens sollte ein Stoff in ihm aufs Neue lebendig werden, der seit Bamberg immer wieder nach Gestaltung gedrängt hatte. Im Berganza hatte er sich den ersten Groll über die Katastrophe mit Julia vom Herzen geschrieben, aber es war Hoffmann nicht verborgen geblieben, daß damit dieses Erlebnis, das so tief in sein Inneres eingeschnitten hatte, keineswegs für ihn künstlerisch erledigt war. Das »Hochpoetische«, das nach seiner Bamberger Tagebucheintragung »hinter dem Dämon spukte«, war erst noch zu beschwören. Er mußte noch den Roman schreiben, der Kreislers und Julias Schicksal gestaltet.

Manches führte ihn zu den Bamberger Vorgängen im Geiste zurück: Die »Fantasiestücke in Callots Manier« hatten eine neue Auflage nötig. Wieder las Hoffmann die Aufsätze und Erzählungen, die während der Bamberger Zeit entstanden waren. Mehr und mehr wurde aus dem Serapionsbruder wieder der Kapellmeister Kreisler. Dazu kam, daß gerade jetzt die sechs italienischen Duette, die er für Julia geschrieben und mit ihr gesungen hatte, einen Verleger fanden. Kreislers und Julias Schatten waren damit beschworen. Wieder bedurfte es einer ernsten Erkrankung, um seine seelischen Kräfte vollends zu lösen. Sie suchte ihn im Frühjahr 1819 heim. In dieser Krankheit ging ihm der Plan zu seinem größten Werk endlich auf, nachdem er fast zehn Jahre lang mit ihm gerungen hatte. Unmittelbar nach der Genesung wurde der »Kater Murr« niedergeschrieben. Während der erste Teil gedruckt wurde und Hitzig die Korrekturen las, reiste er mit Mischa ins schleiche Gebirge. Einige »Briefe aus den Bergen« wurden für den »Freimütigen« von dort geschrieben. (Wir lassen einige Stücke daraus folgen.)

Noch von einer andern Seite war ihm Julias Gestalt wieder in Erinnerung gerufen worden. In der »Undine« hatte Johanna Eunike die Titelrolle gesungen. Seit dieser Zeit verknüpfte ihn ein herzliches Freundschaftsband mit der hervorragenden Sängerin, die ihm Julia zu ihrem Teil ersetzte. Wenn Julia seine Arien und Duette gesungen hatte, Johanna wurde die lebendige Verkörperung seiner größten musikalischen Gestalt, eben der Undine. Gerade als ihn der Plan des »Kater Murr« beschäftigte, muß ihm Johanna Eunike besonders nahegestanden haben. Er richtete sogar den einen der »Briefe aus den Bergen« an sie, die schon seine Erzählung »Das Sanctus« erfüllt hatte.

Wie war es Julia selbst aber ergangen, während sie in Kopf und Herz ihres alten Verehrers wiederum lebendig wurde? Sie hatte mit Gröpel die denkbar schlechteste Ehe geführt. Gerade als Hoffmann an die Arbeit ging, die Julia unsterblich machen sollte, kehrte das Urbild seines Himmelstraumes gebrochen in das Haus ihrer Mutter nach Bamberg zurück. Übrigens fand sie wenige Jahre später noch ein Lebensglück in der Ehe mit ihrem gleichnamigen Vetter, einem Schulmann in Arolsen.

Den lebendigsten Niederschlag der inneren Vorgänge in Hoffmann, die zur Niederschrift des »Kater Murr« führten, bildet der ausführliche und in vielen Teilen erschütternde Brief, den Hoffmann bald nach Erscheinen des ersten Teils an Julias Vetter, seinen alten Freund, den Doktor Speier in Bamberg, schrieb.

Die Reise nach Schlesien rückte ein Wiedersehen mit dem alten innigen Herzens- und Musikfreunde Johannes Hampe in den Bereich der Möglichkeit. Wahrscheinlich ist aus diesem Wiedersehen nichts geworden. Jedenfalls war Hoffmann dem einstigen Glogauer Genossen, der dem Kapellmeister Kreisler seinen Vornamen gegeben hatte, in dieser Zeit innerlich so nahe wie nie zuvor.

An Johannes Hampe in Oppeln

Sie können sich wohl vorstellen, mein geliebtester Freund, welche innige Freude es mir machte, nach jahrelangem Schweigen endlich einmal wieder etwas von Ihnen zu hören! – Wie vieles habe ich Ihnen zu sagen von meinem wirren Leben in den Jahren bis 1813, das sich endlich in ein ruhiges und ich kann wohl sagen zufriedenes aufgelöst hat! – Doch gern möcht' ich Ihnen praktisch zeigen, wie ich in der Kunst stehe! – Doch wie weitläufig und mager ist das Schreiben, viel besser wir sehen und sprechen uns Aug' zu Auge von Mund zu Mund: und da will ich Ihnen nur gleich lieber vierzig Meilen entgegenkommen, als hier mich abquälen mit verblaßten Bildern, wie ich sie Ihnen doch nur mit einem schnöden Gänsekiel aufstellen könnte! –

Ich treffe zwischen dem 15. und 20. Julius bestimmt in Warmbrunn ein, und nichts in der Welt darf Sie abhalten, wenigstens einige Tage hinzukommen. In W. bleibe ich wohl bis zum 15. August und gehe dann noch auf vier Wochen nach Flinsberg und von da vielleicht nach Prag.

Nun Freund, rütteln Sie sich auf, eilen Sie den wiederzusehen, der Sie nie aus Sinn und Herz gelassen hat, der Ihnen ganz und gar treu geblieben ist mit voller Seele! Machen Sie meine Hoffnung nicht zuschanden! Ihrethalben habe ich die Reise nach Schlesien der Reise nach dem Rhein vorgezogen ...

An Fouqué in Nennhausen

Berlin, den 15. Julius 1819.

Den linken Fuß schon aufgehoben, um in einen kleinen französischen Reisewagen zu steigen, der mich nebst meiner Frau mittelst vorgespannter Pferde ins schlesische Gebirge bringen soll, sage ich Ihnen noch, Verehrtester Baron, daß der Doktor Atterbom bei mir gewesen ist und mich ungemein witzig gefunden hat!! –

... Meine Frau, die ausnehmend vergnügt ist, aus dem staubigen Berlin einmal herauszukommen, empfiehlt sich Ihrer Güte und Freundschaft angelegentlichst.

Haben Sie etwa ein gutes Fernrohr, so bitte ich den 30. Julius, morgens 11 Uhr, nach der Schneekoppe zu schauen, ich werde nicht verfehlen, Ihnen einen freundlichen guten Morgen zuzuwinken!

 

Briefe aus den Bergen

(Erschienen in Kuhns »Freimütigem«)

An die Frau von B. (Offenbar Frau v. Benzon aus den »Kater Murr«)

... Vernehmen Sie, daß ich mich in den letzten Wochen vor meiner Abreise von B. in dem fürchterlichsten Stadium jener unglücklichen Krankheit befand, die nur Dichter und Schriftsteller zu befallen pflegt, wiewohl Geschäftsmänner auch nicht frei bleiben mögen. Ich meine jenes Stadium, wenn nach zwölf verschnittenen mißratenen Federn die dreizehnte die ärgsten Zähne hat, und mit heilloser Furie dermaßen um sich spritzt, daß jeder ziemlich gezogener Anfangsbuchstabe mit gesprenkeltem Marmor grundiert erscheint, wenn Ströme des schärfsten Essigs nicht hinreichen, die Tinte in Fluß zu bringen, wenn ein plötzlich, wie ein Mondstein, niederfallender Tintenklecks den sublimsten Gedanken totschlägt. Ist das zum Aushalten? – Aber noch mehr! – Ich weiß nicht, gnädige Frau, ob Sie von jenem Mann gelesen haben, der das besondere seltsame Unglück hatte, daß sich Polizeibediente in der Größe eines Fingers auf seinen Teller, seinen Löffel, seinen Krug setzten und ihm alles vor dem Munde wegschnappten, so daß er befürchten mußte, Hungers zu sterben. Ich glaube, Sie kennen den Mann, da Ihnen so leicht nichts fremd blieb, was in psychologischer Hinsicht Merkwürdiges geschrieben und gedruckt ward.

Sie wissen, gnädige Frau, daß ich mit der Hast, zu der mich die Furcht vor irgendeinem mephistophelischen, mich aufs neue verstörenden Prinzip trieb, folgenden Tages alles, was zu meiner Reise nötig, in Ordnung brachte, so daß ich um Mitternacht schon in Reisewagen saß. Zu melden habe ich aber noch, daß meine Ausfahrt stürmisch und schreckenhaft zu nennen. Hat in den Zeitungen oder in irgend einem andern Blatt, das von den Ereignissen in B. spricht, irgend etwas von einem fürchterlichen Getöse gestanden, das sich zu selbigen Mitternacht in der ... Straße erhoben, ohne daß man dessen Ursache entdecken können, so ist das eben meine Ausfahrt gewesen. Durch den Torweg des Hauses fahrend, fiel es mir nämlich ein, meine Simsonskraft zu üben und den Torflügel aus den Angeln zu heben und niederzuwerfen, so daß entsetzt alle Hunde des Hauses zu heulen, alle Katzen zu miauen begannen und aus mehreren Kehlen aufgeschreckter Schläfer ein Angstgeschrei ertönte. Sie werden, gnädige Frau, das unglaublich finden, und man könnte sagen, der Postillion habe zu kurz gelenkt, die zum Glück starke haltbare Axe habe den Torflügel gefaßt und ihn umgeworfen. Da habe ich aber denn doch als alles bewegendes Prinzip im Wagen gesessen, und den Wagen gewissermaßen nur als geräumigen bequemen Reiserockelor umgenommen, so kann ich nicht umhin, mich selbst als Urheber jenes schreckhaften Ereignisses zu nennen.

... Der Postillion blies gerade sehr hell und noch dazu in ziemlich reinen Tönen: Es ritten drei Reiter zum Tore hinaus pp, als ich aus dem tiefen Schlaf erwachte, in den ich bei dem einförmigen Geräusch des auf der harten Chaussee fortdonnernden Wagens versunken. – Ich glaube Ihnen, gnädige Frau, schon einmal gesagt zu haben, daß ich im Wagen schlafend nichts träume als Musik und Musik, daß ich Symphonien, Opern, Lieder, Messen, und was weiß ich sonst noch, komponiere, mit dem nicht geringen Vorteil, alles auf der Stelle von einem ganz vortrefflichen Orchester aufführen zu hören. Diesmal wurde eben eine Symphonie in dem großen, gewaltigen Stil des Meisters Beethoven aufgeführt, und eben in das Andante ritten drei Reiter hinein. Der Postillion hielt und fragte, ob ich nicht aussteigen wolle, wir befänden uns auf der Höhe (zwischen Löwenberg und Hirschberg), von der herab man die ganze Gebirgskette übersehen könne. Ich hatte mehr Lust, weiter zu schlafen, weil ich auf den Schlußsatz der Symphonie sehr begierig war, um zu erfahren, ob der Komponist sich gut halten werde, doch schämte ich mich ein wenig, da ich doch aus B. gefahren der schönen Natur und nicht der Symphonien halber. Ich stieg daher wirklich aus, aber nun! – Der Frühmorgen war trübe und neblig gewesen, doch eben erhob sich der Morgenwind und rauschte mit seinen gewaltigen Schwingen und trieb die Wolken vor sich her, bis sie sich hinunterstürzten in den tiefen Abgrund. Und immer feuriger und feuriger schimmerten die Sonnenstrahlen auf hoch im Osten, und zerrissen die grauen feuchten Nebelschleier, welche in dunstigen Flocken hinabsanken. Der mächtige Riesenkamm erhob stolz seine zackiggekrönten Häupter, und immer mehr und mehr entfalteten sich die bunten Kleider seiner Berge. Oben, mitten im tiefen Blau, blendenden Weiß, noch von dem Überwurf her, den sie im Winter getragen, unten duftiges Violett der Wälder, weiter hinab grünglänzendes Gold der Täler! – Tief unter mir erklangen im lieblichen Wohllaut die Glocken des Viehs, das die Hirten hintrieben nach den Bergen, und dazwischen die seltsamen Töne der Gebirgshörner und fröhliches Jauchzen und Jubeln! Mir war es, als vernähme ich in dem wunderbaren Rauschen, das die Luft durchzog, die geheimnisvolle Stimme des Weltgeistes selbst, die tröstend zu den Menschen spricht und die (Erfüllung alles in der Seele Geahnten verheißt ...

Jetzt sitze ich auf einem stattlichen mächtig galoppierenden weißen Roß, aber nicht um, wie die Reiter meines Postillions zum Tore hinauszureiten, sondern um zu essen. Das soll aber weiter nichts heißen, als daß ich in Hirschberg im weißen Roß eingekehrt bin, um ein kurzes frugales Mahl einzunehmen, und dann ganz geschwinde nach Warmbrunn herüberzufahren ...

Zweiter Brief aus den Bergen

An Theodor

... Als ich aus der Allee heraustretend den Flügelmann und König der Riesen anschaute, fand er es für gut, plötzlich einen dichten Schleier über das Haupt zu hängen, und wie auf sein Kommandowort taten sämtliche Vasallen desgleichen, so daß bald das herrliche Farbenspiel ihrer Kleider in mannigfachem Grün – Blau – Violett verborgen lag unter der aschgrauen Hülle. »Ei, ei!« sprach ein Hirschberger neben mir. »Ei, ei!« riefen mehrere unmutige Badegäste. »Ei, ei!« rief auch ich. Und nun schritten wir in ziemlicher Hast jeder nach seiner Klause, weil jeder nicht gern anders naß werden wollte, als im Bassin. Die ganze Nacht hindurch besprachen sich die Berggeister mit den Sturmwinden in solchen wunderlich pfeifenden, ächzenden, donnernden Tönen, daß nichts Gutes zu erwarten stand, und wirklich goß am andern Morgen der Regen in vollen Strömen herab. Dabei stürmte es heftig, und die Luft war unausstehlich rauh so daß man sich nach wärmendem Kaminfeuer sehnte. – Nun denke Dir aber, daß diese abscheuliche Witterung, mit gar wenigen ganz kurzen Intervallen, beinahe vierzehn Tage anhielt, so daß man kaum das Zimmer verlassen konnte, und Du wirst begreifen, daß das reichlichen Nahrungsstoff gibt für einen sich entwickelnden Spleen. Dieser unglücklichen Geistesstimmung mag ich es nämlich zuschreiben, daß mich beinahe, wie man zu sagen pflegt, die Fliege an der Wand ärgerte, ja daß mir alles, manche Einrichtung am Orte, die ich nachher als löblich und nützlich anerkannte, unausstehlich war. – In meine Klause eingesperrt, von, die schlecht verwahrten Fenster durchsausenden Winden rauh angehaucht, vor Frost zitternd vermochte ich nicht zu lesen, viel weniger an die literarische Arbeit zu gehen, die mich wie Du weißt, mitunter beschäftigen sollte ...

Dritter Brief aus den Bergen

An das Fräulein Johanna R. (Gemeint ist Johanna Eunike)

... Der Regen hatte nachgelassen, der Abend war heiter geworden, als ich unmutig, wie ich nun einmal war, der Gesellschaft entfloh, die sich in der Allee versammelt hatte, und ganz allein hinauswanderte aus Warmbrunn, dem Ufer des Zacken entlang. An die entferntesten Häuser des Ortes angelangt, war es mir, als vernähme ich eine weibliche Stimme, die sich in Solfeggien übte, und wirklich strömten die Töne aus dem offenen Fenster eines kleinen Hauses, ohne daß ich die Sängerin entdecken konnte. Hineinzuschauen, wäre frech gewesen, und da es still geworden, wollte ich meinen Weg fortsetzen, als die Sängerin eines jener tief gedachten tief ins Gemüt dringenden Solfeggios sang, die der Meister Crescentini setzte, um die wahre Kraft, die wahre Herrlichkeit des echten Gesanges in der Brust der Schülerin zu entzünden. Darauf folgte nach einer kleinen Pause das artige Liedlein: sul margine d'un rio, mit Veränderungen, die nicht so halsbrechend waren, als die, mit denen jetzt viel seltsamer katalanischer Prunk getrieben wird, aber bedeutsamer, aus der Tiefe der Kunst geschöpft. – Dann schien die Sängerin bald in gehaltenen Tönen, bald in bunten Läufen, bald in chromatischen Gängen, bald in anschwellenden Trillern anmutig spielend, die Nachtigallen in den Büschen herauszufordern zum Wettkampf. Die armen durften nicht antworten und auch die Sängerin schwieg. Ich stand in den Boden gewurzelt. Als ich indessen, da die einbrechende Nacht immer dichtere Schleier über die Berge warf, endlich fortwollte, vernahm ich leise – leise die Töne einer Romanze. – Nun, ich will erst sagen, daß die Sängerin eine vollendete Künstlerin war, die im Gebiet der Töne herrschte. Sehr herrlich, die hier in W. zu finden, hätt' ich gedacht, und wäre, als sie den Gesang geendet, recht froh und heiter nach Hause gegangen. Setze ich aber hinzu, daß der Gesang recht mein Innerstes aufregte, daß allerlei holde Träume, süße Erinnerungen lebensfrisch in mir aufgingen, daß der gewaltige Zauber der Tonkunst mein ganzes Wesen erfaßte, so werden Sie, teuerste Johanna, die Stimmung gerechtfertigt finden, die es mir unmöglich machte, mich auch nur einen Schritt von dem Hause zu entfernen, daß ich vielmehr unwillkürlich mich niederließ auf eine Bank, die an der Mauer des Hauses angebracht war. Ein Bauernmädchen trat aus der Türe; ich wandte mich an sie und fragte, wer in dem Hause wohne und so schön sänge. Entweder verstand das dumme Ding mich wirklich nicht oder wollte mich nicht verstehen. Genug, als ich mit Fragen nicht nachließ, meinte sie: ich solle nicht tallen (dummes Zeug reden), sie würde sonst rappelköppisch, und ließ mich stehen. – Für diesmal endigte sich das Begegnis wie tausend andere, wenn man sagt: es ist mir unmöglich, von der Stelle zu weichen, und doch am Ende weicht und nach Hause geht.

Vergebens forschte ich am andern Morgen in der Badeliste nach der mutmaßlichen Bewohnerin jenes Hauses. Es fand sich, daß keine Badegäste in jenem Hause eingekehrt waren, und die Wirtsleute versicherten auf Befragen, daß durchaus keine Dame bei ihnen gesungen habe. – Waren denn nicht alle diese Nachforschungen Torheit – Wahnsinn? – Wußte ich denn nicht etwa, wer in jenem Zimmer gesungen? – Konnte ich denn nur einen Augenblick daran zweifeln, daß keine Andere als Sie – ja, Johanna – Sie selbst es waren, welche sang, als ich jene gewisse Romanze (»Morgen so hell« aus der »Undine«) vernahm, die einem gewissen Jemand in einer gewissen Begeisterung (es ist alles gewiß) recht aus dem Innersten strömte und die niemand in der Welt singt als eben Sie? – Es ist ein anmutiger mystischer Glaube, nach dem es Augenblicke gibt, in welchen der im Irdischen eingezwängte Mensch den Raum besiegt, und in welchem die psychische Annäherung so mächtig wird, daß sie wirkt gleich der physischen, und von dieser kaum zu unterscheiden ist. Die Mystiker behaupten, daß eine Wechselwirkung dazu gehöre, und ich bin überzeugt, daß Sie gerade in den Augenblicken, als ich Sie in W. hörte, in B. dasselbe, was ich hörte, wirklich sangen und wenigstens bei der Romanze ein klein wenig an mich dachten ...

Widmung des ersten Teils des »Kater Murr« für Johanna Eunike

Kater Murr an Johanna, die Sängerin

Am 2. März 1820

Mir träumt, es wär ein holdes Kind geboren
Und dies und jenes dachten die Gedanken,
Es saßen Richter in Gerichtes Schranken
Und sprachen: ja! das Kindlein ist erkoren!

Wollt' Satan murmeln: Ha! sie ist verloren?
Nein! – sanft und engelsmild? – wo gäb' es Wanken?
Wo leuchtet Sicht, dem Tod und Nacht nicht sanken?
O schlimmer Klang, entfleucht betörten Ohren!

Ein liebes Kind, gewiegt in duft'gen Rosen,
Kann, Himmelskeim entstrahlt, der Welt gebieten,
Kann Blitz entzünden in dem kirr'gen Herzen.

Doch Bildlein zart, in süßem sanftem Kosen
Verschleuß dein Ohr nicht bangem Sehnsuchtswüten,
Denn Kater Murr klagt auch romant'sche Schmerzen.

Murr

étudiant en belles lettres et chanteur
très renommé

An Dr. Friedrich Speier in Bamberg

Berlin, den 1. Mai 1820.

Geliebtester Freund!

Da Sie ein solider Mann sind von den vortrefflichsten Grundsätzen, so hegen Sie gewiß auch die richtige Meinung, daß aneinander schreiben und aneinander denken gar was Verschiedenes ist. Versichern darf ich daher nicht erst mit vielen Worten, daß, unerachtet ich lange genug schwieg, das lebhafteste Andenken an Sie auch nicht einen Moment aus meiner Seele wich oder auch nur verblaßte. Wohl kann ich es sagen, daß unser gemütliches Zusammensein in B. das einzige ist, dessen Erinnerung aus jener bösesten Zeit aller bösen Zeiten, durchaus mir hell und rein, ohne Makel und auch ohne auf diese Weise die vernarbten Wunden wieder aufzureißen, erscheint. Legte mir aber auch damals das Schicksal solch harte Prüfungen auf, daß ich noch nicht begreife, wie ich sie überstanden, zwang es mich oft, wie in heillos gewagtem Spiel Ehre, Ruf, Leben einzusetzen (Sie verstehen mich, daß hier mehr vom innern Leben die Rede ist als vom äußern) so ist doch bald darauf, ich möchte sagen, in dem Augenblick als ich den Fuß in Berlin hineingesetzt, die Versöhnung erfolgt mit all' den feindlichen Mächten, die mich zu Tode hetzen wollten! –

Ich weiß, Liebster! daß Sie teilnehmen an meinem Treiben und Tun und freu'n wird es Sie daher gewiß zu hören, daß mein Standpunkt im Geschäftsleben wirklich von der Art ist, wie ich nur wünschen kann. – Man erzeigte mir die Wohltat, mich nach meinem Ratspatent vom Februar 1801 ( rectius 1802!) in das Kammergericht einrücken zu lassen und diese Anciennität bringt mir den Vorteil, daß ich jetzt schon zum ältesten, mithin vorsitzenden Rat, der in vorkommenden Fällen den Präsidenten vertritt, hinaufgealtert bin und ein Gehalt von 2350 rth. Cour., zur Hälfte Gold, beziehe. – In Berlin ist das nicht so sehr viel, aber doch hinlänglich, um nicht hinter dem Ofen sitzen zu dürfen. Klagen könnt' ich über viele Arbeit, zumal, wie Sie vielleicht aus öffentlichen Blättern wissen werden, mich des Königs Majestät zum Mitgliede einer Immediat-Justiz-Untersuchungskommission ernannt haben, die sich ausschließlich mit der Untersuchung geheimer staatsgefährlicher Verbindungen beschäftigt, indessen arbeite ich gern und dem Himmel sei es gedankt! – leicht und frisch von der Hand weg! – Von meinem literarischen Treiben nehmen Sie doch wohl dann und wann Notiz! – Ich empfehle Ihnen den höchst weisen und tiefsinnigen Kater Murr, der in diesem Augenblick neben mir auf einem kleinen Polsterstuhl liegt und sich den außerordentlichsten Gedanken und Fantasien zu überlassen scheint, denn er spinnt erklecklich! – Ein wirklicher Kater von großer Schönheit (er ist auf dem Umschlage seines Buches frappant getroffen) und noch größerem Verstände, den ich auferzogen, gab mir nämlich Anlaß zu dem skurrilen Scherz, der das eigentlich sehr ernste Buch durchflicht. – Übrigens zahlen mir jetzt die Buchhändler Honorare, vor deren Klang Herr Kunz – sofort rücklingsüber in Ohnmacht sinken würde – Ja! – Herr Kunz! – Der gute Mann hatte sich darauf gesetzt, mir von Zeit zu Zeit die unzartesten, unangenehmsten Dinge, die mein Verhältnis mit ihm als Verleger betrafen, zu schreiben und mich dadurch lebhaft in jene heillose Periode zurückzuversetzen, in der mancher glaubte, dem Verlassenen, Bedürftigen alles bieten zu können. Der letzte Brief enthielt witzige Variationen über das Thema: Teurer Freund! – Z.B. ja! Sie sind wirklich ein teurer Freund, denn Sie kommen mir teuer zu stehen – Und nun folgte eine Apotheker-Rechnung des ungeheuren Schadens, den ihm der Verlag meiner Fantasiestücke verursacht, dann aber – mirabile dictu – die Aufforderung, ihm ferner Werke in Verlag zu geben!! que pensez vous mon cher! – Natürlicherweise habe ich gar nicht geantwortet! –

Als mir innig befreundeter Arzt wird es Sie ferner interessieren, daß ich in dem Frühling des vorigen Sommers zum Tode erkrankte und zwar an den Folgen zu großer Anstrengung in der Arbeit und an einer enormen Erkältung, die noch dazu die erbärmliche Ursache hatte, daß ich im Winter einer feierlichen Cour bei Hofe, der auch die Dikasterien beiwohnten, in der Uniform (Schuhen und Strümpfen) ohne Überrock auf dem eiskalten von allen möglichen Passatwinden durchstrichenen Korridor des Schlosses wohl eine halbe Stunde auf den Wagen warten mußte. – Verhärtung im Unterleibe – gichtischer Zustand ppp. Diese Krankheit hatte aber die angenehme Folge, daß es mir vergönnt war, vorigen Sommer von Julius an bis September hinein mich cum uxore in dem herrlichen schlesischen Gebirge (Warmbrunn, Flinsberg, Landeck) aufzuhalten und auch eine Pufffahrt nach Prag herüber zu machen. – Seit dieser Reise bin ich auf eine beinahe unanständige Weise gesund! –

So viel von meinem psychischen und physischen Zustände, jetzt zu Bambergianis, die mich auf das höchste interessieren – Sagen Sie – sprechen – schreiben Sie, ist es wahr? – Doch was? – Also! – Vor zwei Tagen hörte ich in einer Gesellschaft eine Nachricht, die mich tief bis in das Innerste hinein erschütterte, so daß ich lange an nichts anderes denken konnte. Fanny Tarnow (die bekannte Schriftstellerin) erzählte mir von Hamburg kommend, daß Julie von ihrem Mann geschieden und nach Bamberg zurückgekehrt sei. – Das wäre nun an und vor sich selbst nicht so was Außerordentliches, aber die Schilderung von Juliens Verhältnissen in H., der namenlosen Leiden die sie erduldet, der zuletzt schamlos ausgebrochenen Bestialität des verhaßten Schwächlings, die war es, die mein ganzes Inneres aufregte. Denn schwer fiel es in meine Seele, wie tief die Ahnung alles Entsetzlichen damals aus meinem eignen Ich aufgestiegen, wie ich mit der Rücksichtslosigkeit, ich mochte sagen mit dem glühenden Zorn eines seltsamen Wahnsinns alles laut werden ließ, was in mir hätte schweigen sollen! – wie ich in dem Schmerz eigner Verletzung andere zu verletzen strebte! – Und nun! – Sie können denken, daß ich viel mit F. Tarnow über J. sprach, leider nahm ich aber deutlich wahr, was sie verschleiern wollte, nämlich, daß der bittre Hohn des mißverstandenen Lebens, die Schmach vergeudeter Jugend, Juliens inneres Wesen auf das grausamste zerstört hat. – Sie soll nicht mehr sanft – mild – kindlich sein! – Vielleicht ändert sich das, nachdem sie den Kirchhof voll geknickter Blüten, begrabener Lebenslust und Hoffnung verlassen. Finden Sie es geraten und tunlich, meinen Namen in der Familie M. zu nennen oder überhaupt von mir zu reden, so sagen Sie in einem Augenblick des heitern Sonnenscheins Julien, daß Ihr Andenken in mir lebt – darf man das nämlich nur Andenken nennen, wovon das Innere erfüllt ist, was im geheimnisvollen Regen des höheren Geistes uns die schönen Träume bringt von dem Entzücken, dem Glück, das keine Arme von Fleisch und Bein zu erfassen, festzuhalten vermögen – Sagen Sie ihr, daß das Engelsbild aller Herzensgüte, aller Himmelsanmut wahrhaft weiblichen Sinns, kindlicher Tugend, das mir aufstrahlte in jener Unglückszeit acherontischer Finsternis, mich nicht verlassen kann beim letzten Hauch des Lebens, ja daß dann erst die entfesselte Psyche jenes Wesen das ihre Sehnsucht war, ihre Hoffnung und ihr Trost, recht erschauen wird, im wahrhaftigen Sein! ...

... Könnten Sie es doch, geliebtester Freund möglich machen, einmal herüberzukommen nach B. – Sie finden mich in einer kleinen bescheidenen Wohnung, aber in dem besten schönsten Teil der Stadt, am Gensdarmesmarkt, geradeüber dem neuen Theatergebäude und ganz hübsch eingerichtet. Meine Stellung würde es mir erlauben, Sie mit den interessantesten Männern bekanntzumachen und rücksichts der leiblichen Bedürfnisse würden Sie wohl auch ganz zufrieden sein. Was Eleganz der Einrichtung und Feinheit und Fülle der Speisen anbetrifft, wetteifern wir mit den Parisern und viele gibt es, die, echte Schmecker, die Restauration bei Jagor unter den Linden noch der bei Verry in P. vorziehen. Auch würde Ihnen Ihr gehorsamer Diener einen kleinen aber exquisiten Weinkeller öffnen können, der sich noch neuerdings auf eine angenehme Weise vermehrt hat. – Aus reiner Dankbarkeit und Freude dafür, daß das Taschenbuch für Lieb, und Fr. der Scudery halber sehr gut gegangen ist, schickten mir die Gebrüder Willmanns aus Frankfurt, nachdem sie die Erzählung gar reichlich honoriert, eine Kiste mit 50 Bout. Hinterhäuser Eilfer der ganz köstlich ist – Nicht einmal erfahren hab' ich, an was für ein Haus der Wein adressiert war. Die Kiste wurde mir an einem guten Morgen vors Haus gefahren und mit vieler Mühe war dem Knecht ein Trinkgeld aufzudringen. – Ich schlug an mein Herz und sprach: Solch einen Glauben hab' ich in Israel nicht funden! – Nun das nenne ich geschwatzt – Aber es war mir so sehr gemütlich wieder zu Ihnen zu sprechen, daß es mir unmöglich sein mußte nicht manches einfließen zu lassen, was Ihnen vielleicht nicht sehr bedeutsam vorkommen wird.

Fassen Sie nur rasch den schönen Entschluß, mir zu antworten und führen Sie ihn fein auf der Stelle aus. Auf die Nachrichten von J. bin ich sehr gespannt – Ich habe zu Ihnen, Teuerster, recht aus vollem Herzen gesprochen – gewiß, ganz gewiß werden Sie das nicht verkennen.


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