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Quelle: projekt.gutenberg.de

Einleitung

Noch kurz ehe sie zu Ende läuft, treibt die deutsche Romantik diese seltsame Wundergestalt E. T. A. Hoffmanns hoch. Einer der eigenartigsten Menschen, die je gelebt haben, mit den abenteuerlichsten Schicksalen. Drei große Begabungen sind auf einen einzelnen Menschen gehäuft: Dichtkunst, Musik, Malerei. Der Knabe kann sich nur schwer in dem inneren Chaos zurechtfinden. Der Weg, den er vorgezeichnet findet: der Weg des juristischen Beamten, lockt ihn von Beginn an am wenigsten. Nach anderen Richtungen fühlt er sich hingerissen. Der Dämon Kunst hat ihn frühzeitig gepackt. »Künstler-Leben«, dieses Wort übt noch auf den Erwachsenen, auf den Mann, noch auf den umgetriebenen Kapellmeister eine magische Wirkung aus. Er ist, wie immer er sich sein Brot verdienen mag, »Künstler«. Und dennoch ist die Familientradition so stark in ihm, daß er sich zunächst der Beamtenkarriere zuwendet, bis unter der Umarmung Napoleons der Staat Preußen zusammenbricht und der Rat an der preußischen Regierung in Warschau ohne Geld, ohne Brot auf der Straße liegt und schließlich als verunglückter »Musik-Direktor« in Bamberg unterkriechen kann.

Eine Kunst hat schließlich ganz von ihm Besitz ergriffen: die Musik. Durch seine Kompositionen will er Unsterblichkeit gewinnen. Aber diese geliebte Kunst bleibt ihm alles schuldig. Ihr widmet er sich mit ganzer Seele, ihr wirft er fbegeistert sein Bettelleben hin. Aber sie ernährt ihn nicht, wirft ihn in wildem Tanz hierhin und dorthin, bis er – ein verkrachter Musiker – zur Staatskrippe zurückkehrt, ein Bürger wider Willen, noch immer von Dämonen innerlich geschüttelt. Noch als würdiger, sogar, wie er nie zu betonen unterläßt, rangältester Kammergerichtsrat jagt er dem Dämon Musik nach, erwartet von seiner Oper »Undine« die Krönung seines Lebens. Ach, er hat sie schon, fast ohne es zu wissen, auf einem ganz anderen Gebiet gefunden: Über Nacht ist er als Schriftsteller berühmt, als Mensch eine Sehenswürdigkeit Berlins geworden. Was hat er geschrieben, um diesen Erfolg zu erringen? Hat er in schwerem Ringen seiner Seele dichterische Gestalten und Formen abgerungen? Keineswegs! Er schrieb sich nur, ganz nebenbei, von Herzen, was ihn drückte, was innerlich in ihm rumorte; er schrieb sein eigenes Leben, seine eigenen Qualen als Anklage gegen den Mechanismus der Welt und als wehen Aufschrei. Ohne jeden literarischen Ehrgeiz, nur so, weil es ihn trieb, zu schreiben, und weil er damit Geld zu verdienen hoffte. Und auf einmal war das, was er geschrieben hatte, Dichtung, echteste Märchendichtung sogar, Zusammenfassung aller romantischen Sehnsüchte, Erfüllung einer ganzen großen dichterischen Strömung, die seit mehr als einem Jahrzehnt Deutschland bewegt hatte und nun auf einmal, von ihm hemmungslos hinausgestellt, die weitesten Schichten ergriff. Läßt sich das, was er schrieb, irgendwie mit den großen Begabungen der Romantik vergleichen, etwa mit Novalis, Friedrich Schlegel, Brentano, Arnim auf eine Stufe stellen? Keineswegs! Es fehlte ihm schon an dem Ethos des Dichterischen, an der letzten Hingabe der Person an das gestaltete Wort. Aber er hatte sich der Kunst hingegeben, sein Leben in ihren chaotischen Strom rücksichtslos hineingeworfen, und dieses romantische Sichhineinstürzen in die Welt »Kunst«, das gerade war in ihm Gestalt geworden. Er brauchte sich selbst, sein Schicksal, seine Träume jetzt nur niederzuschreiben, um aller Augen auf sich zu lenken. Er war nicht im ethischen oder künstlerischen Sinne die Erfüllung der Romantik, aber in ihm wurde die Romantik sichtbar, fesselnd, ja faszinierend, die breitesten Schichten ergreifend und durchwühlend.

Aber diese Erfolge beglückten ihn nicht und brachten ihm nicht den Frieden. Sie lagen außerhalb dessen, was er eigentlich war und wollte. Er hatte die Tragödie des vom Dämon Kunst Umgetriebenen und Gehetzten zu leben und in Gestaltung herauszustellen. Und er lebte diese Tragödie bis zum Ende. Eigentlich ist es nicht abzusehen, weshalb er in den letzten sechs oder acht Jahren nicht das glücklichste Dasein im sicheren Hafen hätte führen können. Ruhm, Geld, geachtete bürgerliche Stellung, liebenswürdige Freunde, ihm kongeniale Naturen – alles sammelte sich um ihn, und dennoch blieb er ruhelos bewegt, fühlte er ständig die Hetzpeitsche des Schicksals über sich. Wieviel Geld ihm auch zufloß, er mußte es vertun, nicht aus Verschwendung, sondern weil er die Gefahr der Not liebte. Und so blieb er gehetzt und getrieben, bis die Affäre des »Meister Floh«, seines letzten Märchens, in dem er Vorkommnisse, die ihm auf dienstlichem Wege bekanntgeworden waren, zum Gegenstand seiner Satire machte, ihm ein Disziplinarverfahren auf den Hals lud, das nur durch seinen Tod seine Erledigung fand.

Dieses eigenartige Leben soll in dem vorliegenden Band durch Hoffmanns Selbstzeugnisse dargestellt werden. Wir haben zusammengestellt, was den Gang seines Lebens in seiner eigenen Darstellung spiegelt: Briefe, Tagebücher, die Stellen seiner Schriften, in denen Hoffmann von sich selbst direkt oder unter irgendeiner Verhüllung erzählt. In allen seinen bewegten Schicksalen tritt dieses Leben hier gewissermaßen der Hüllen entkleidet vor uns hin. Jede Phase seines Lebens ersteht vor unserm Blick: der schwärmerische Jugendfreund Hippels, der Bräutigam der Kusine Minna, der nach Plock Verbannte, der Warschauer Beamte, der im zusammengebrochenen Berlin Hungernde. Dann der von »Julia's« Himmelsbild Besessene, der in die Kämpfe um Dresden und Leipzig Hineingerissene und schließlich der zur Juristerei Zurückgekehrte. Tagebuchstellen, die der Gequälte nur für sich selber schrieb, lassen uns in seine tiefste Seele hineinsehen, oder wir verfolgen den Prozeß, wie aus seinem Leben Dichtung wird. Der »Roman« Hoffmanns tut sich uns auf. –

Diesem Zweck haben wir die Auswahl untergeordnet. Die hier mitgeteilten Stellen aus seinen Briefen oder seinen Dichtungen stehen nicht für sich da, nicht als Zeugnisse seines Schaffens, sondern als Dokumente seines Lebens. Wir haben deshalb alles Beiwerk fortgelassen und lassen nur den epischen Strom dieses Lebens vorwärtsströmen oder geben Schilderungen und Stimmungen, die für einzelne Abschnitte dieses Lebens besonders charakteristisch sind. Wir hoffen, daß sich diese Fragmente, so zerrissen sie sein mögen, zu einem Lebensbilde runden. Nähere Hinweise und ausführliche Darstellung gibt mein Buch »E. T. A. Hoffmann, das Leben eines Künstlers«, Verlag Erich Reiß - Berlin, 2 Bände. 4. Auflage. Die Texte sind meiner Ausgabe entnommen: »E. T. A. Hoffmanns Schriften und Dichtungen, nebst Briefen und Tagebüchern«, 15 Bände, Verlag Erich Lichtenstein-Weimar.

Wenn dieses Buch erscheint, jährt sich – am 24. Januar 1926 – zum 150. Male Hoffmanns Geburtstag. Möge auch dieses Jubiläum Hoffmanns Gestalt immer weiteren und weiteren Kreisen nahebringen.

Königsberg, im Herbst 1925.

Dr. Walther Harich.


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