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In Glogau

Am 15. Juni 1796 traf Hoffmann bei seinen Glogauer Verwandten ein, deren jahrelanger Hausgenosse er werden sollte. Die Reise ging über Marienwerder, wo er den Freund zu finden hoffte. Hippel war aber verreist. Hoffmann beschrieb sein Reiseerlebnis für den Freund im Stil seines Lieblingsbuches, von Sternes »Sentimentaler Reise«.

 

Glogau, den 18. Juli 1796.

Dein lieber Brief vom 26. Juni er., den ich einige Tage nach meiner Ankunft in G. aus den Händen des Onkels empfing, kettete mich wieder an Dich fester an – an Dich, und an jene Verhältnisse, ohne die mein Herz leer, und die Harmonie meines Kopfes mit demselben total verstimmt ist. – Ich bin in einer Art Betäubung oder Rausch meiner Vaterstadt entflohen – der Abschied von ihr hatte mich so butterweich gemacht, daß ich mich bald vor mir selber sehr prostituiert und beweint hätte – nachher war ich verzweifelt lustig und zog mir die Überhosen richtig dreimal verkehrt an, dann aß ich sehr viel und trank noch mehr – sie sah ich noch einmal am Fenster, – vielleicht war mein Universal-Kompliment gegen die Nachbarschaft und mein Spezial-Gruß, den ich ihr in's Fenster als letztes Lebewohl zuwarf, meine Schlußvignette für K. – Ich meine, daß ich ihnen zum letztenmal hingezeichnet stand, und mich in meinen rund verschnittenen Haaren und Reisehabit nicht sonderlich produzierte. – Von meiner Reise nichts, lieber Freund, außer daß ich mit einem Deiner Stadtinwohner reiste, der mich in M., während der zwei Stunden, die man auf der Post mit Packen und Pferdewechseln zubringt, überall herumführte und mir verschiedene Damen zeigte, und unter anderen – – Dieser Cicerone und Reiseami war übrigens ein Knopfmacher, und hatte eine sehr hübsche Frau, – eins von den feinen Gesichtern aus dem Lavater, – gegen die man gleich freundlich sein muß, wenn man nur ein einzigesmal einen Crayon zwischen den Fingern kunstmäßig gehabt hat. Die kleine Knopfmacher-Familie versammelte sich um den zurückgekehrten Papa, der bloß eine Visite in K. abgestattet hatte, aber acht Tage, für ihre Liebe eine lange Zeit, weggeblieben war – eins kletterte ihm an den Hals herauf – eins umklammerte seine Knie – und als er nun vollends bunte Pantoffel für die Mädchen, und Gastkuchen auspackte, da hättest Du die Freude sehen sollen. – Das Kleinste erwachte jetzt auch in der Wiege und lallte, seine kleinen Ärmchen ausstreckend, nach der Mutter, die lächelnd die Falten aus dem Bratenrock des Mannes, der eben aus dem Mantelsack hervorgegangen (nämlich der Bratenrock) war, ausstrich, und den vom Königsberger Gastmahl restierenden Staub – den Federanflug ausbürstete. – Ein alter Mann mit dem frappantesten Gesicht, der am Tische Knöpfe ausarbeitete – füllte die Szene mit Bewillkommnungs-Komplimenten und einem sehr höflichen Sermon an mich und seinen Kumpan – indem er schon längst ganz leise, mit einem Flugblick auf mich, sein etwas poröses Mützchen hinter sich geworfen hatte und in einer sehr konservierten Frisur mit einem Coeurtoupé dasaß. – Jetzt kam der Kaffee in einer mächtigen Kanne. – Die Frau eilte vom Bratenrock weg, um eine Porzellantasse herunterzulangen und auszuwischen. – Die Tasse war für mich – eine von Fayence für den Mann, – der Alte sah ziemlich lüstern den braunen Trank aus der Kanne fließen, und schmunzelte nicht wenig, als ganz unvermutet mit einer schnellen Wendung der Mann ihm die Tasse darbot und alle seine Höflichkeitsweigerungen mit einem lauten Ruf nach einer neuen Tasse abschnitt. – Die Kleinen versammelten sich um den Tisch mit ihrem Kuchen in der Hand – die Bitte um Kaffee durften sie nicht wagen – und doch bissen sie nicht in den Kuchen. – Ich fütterte sie aus meiner Tasse, indem ich den Kuchen einbrockte, und es ihnen mit dem Teelöffel herauslangen ließ. – Die Mutter wollte das nicht zugeben, und als ich darauf bestand, schenkte sie, um mir jede Entäußerung zu ersparen, ihnen nun ein Näpfchen zur Tunke ein – jetzt war allgemeiner Jubel – alles trank Kaffee, und sogar der Hauskater, der mit hohem Rücken knurrend schon längst an die Familie näher getreten war, bekam fetten Rahm – ich hatte mich so bei den Kleinen insinuiert, daß sie mich nicht fortlassen wollten, als man mich zur Post rief – ich küßte sie alle – und auf den sanft gerundeten Contour der Lippen des Weibes hätte ich auch einen Joricks-Kuß gedrückt, als Zueignungsdokument meiner Seele und Innungsgruß des Handwerks, das ich treibe um besser zu sein, als ich ohne dasselbe wäre und sein könnte. – Du verstehst mich! – Doch hätte dies Sensation erregt, und der Polizei-Bürgermeister, dem ich gewiß bekannt geworden wäre, hätte diesen Kuß quaest. registrieren und mich vor der ganzen Welt in Mißkredit setzen können. – Du siehst, daß ich in M. sentimentalisiert habe, und daran ist bloß das Profil oder auch die face einer Knopfmacherfrau schuld! – habent sibi – nimm nicht übel, daß diese Geschichte ganz offenbar zwei Seiten meines Briefes einnimmt.

In Posen mußte ich mich der Post, nicht meiner Müdigkeit wegen von Sonnabend früh bis Montag spät um 6 Uhr aufhalten. – Da lebte ich in einem trefflichen Hotel, bei Madam Speichert, recht lustig. – Mittwoch den 15. Junius früh um 6 Uhr stand ich Stirn gegen Stirn mit meinem Onkel. – Du glaubst jetzt meine Ankunft zu lesen mit allen Att- und Pertinenzien. – Du irrst Dich, denn mehr sage ich Dir nicht, als daß eine unausstehliche Verlegenheit mich von denen zurückstieß, denen mein Herz in den ersten Momenten des Kommenwerdens zufliegen sollte. – Nach und nach, als diese Verlegenheitseisrinde durch den Sonnenschein, den die Kusinen mitbrachten, von meinen Intestinen weggetaut war, wurde ich von einer Jovialität belebt, die mir selbst oder deren Ursache mir rätselhaft war. Zum Glück webte ein komischer Zufall mit dem Bräutigam der Kusine gleich in den ersten Dialog ein gewisses Interesse, daß wenigstens die fatalen Momente schneller als sonst vorüberschlüpften. – Dieser Erzspaß bestand darin, daß ich mich mit K. (Kriegsrat Korn), der auch auf der Durchreise nach G. war, in einem polnischen Städtchen beim Pferdewechseln in der Nacht zusammentraf, daß wir schieden (er fuhr mit eigner Equipage) ohne uns kennenzulernen, daß wir beide zu gleicher Zeit eintrafen, und daß er kaum zwei Perioden seines Eintrittsgrußes vollendet und noch nicht einmal seine Braut geküßt hatte, als ich hineintrat. – Genug von dem allen – ich bin in G. entfernt von allem, was mir lieb war, und ich lebe, wie's Hamlet seiner Mutter rät, die eine kranke Hälfte meines Herzens weggeworfen, um mit der anderen desto vergnügter zu leben. Meine Kusinen sind sehr gebildete Mädchen – die zweite hat eine äußerst interessante Figur, das Gesicht von beiden ist, ohne hübsch oder häßlich zu sein, ein Gemisch von interessanten und Wechselbalgszügen, doch aber im ganzen gar nicht uneben. Sie sind Dir beide sehr gut. – Der ältesten hab' ich gesagt, daß Du Dich sehr gut kleidest und elegant zu Pferde säßest (Steckenpferd und rechtes Pferd), der zweiten, daß Du ihrem Liebhaber ähnlich sähst – beides wichtige Gründe, Dir ihre Zuneigung zu verschaffen. – Der Onkel schätzt Dich als meinen Lebens-Associé und wünscht sehnlich Dich kennenzulernen. – Jetzt stoße ich an eine Hauptfrage, die ich in Deinem Blick lese – ob ich glücklich – zufrieden bin! – und leider muß ich antworten, daß ich nie dauernd unglücklicher, nie bei mitunter langem Durchbruch meiner Jovialität so ein Sklave unseliger Kleinheiten gewesen bin. – Nimm an, daß ich mich mit Gewalt losriß von einem Wesen, das meine ganze Seele füllte, das mir alles sein konnte, ich opferte mich einem unglücklichen konventionellen Verhältnisse auf und floh mit blutendem Herzen – einen wohltätigen Genius suchte ich fern von meinem Vaterlande und fand ihn nicht! ...

... Die Tante ist eine vortreffliche Frau – sie und der Kusin, ein äußerst natürlicher jovialischer Junge, sind die einzigen, die mir noch oft manche frohe Stunde machen werden. – Dem Onkel warf ich mich an den Hals mit meinem Leiden – sein Trost – sein Rat war eiskalt – ein tiefer inniger Schmerz frißt an der besten Blüte meines Lebens, denn der, der mich glücklich machen sollte, ist mir fremd geworden! Denke Dir, daß er mir sogar den Rat gab, nie mehr zu schreiben, damit nicht meine Briefe ad acta kämen. –

den 20. Julius.

Eben kehre ich aus der Jesuitenkirche zurück – sie wird neu gemalt, und ich habe den exzentrischen Einfall zu helfen – das wird mir wahrscheinlich juristischerseits übelgenommen werden! –

In der Glogauer Jesuitenkirche

Mit der Ausmalung der alten Jesuitenkirche des Orts war ein Maler Molinari betraut worden, der bald zu Hoffmanns wichtigsten Bekanntschaften aus seiner Glogauer Zeit gehören sollte. Hoffmann beschrieb seine Teilnahme an der Architekturmalerei seines neuen Bekannten in seiner Novelle »Die Jesuitenkirche in G.«.

 

Als ich bei der Jesuitenkirche vorüberging, fiel mir das blendende Licht auf, das durch die Fenster strahlte. Die kleine Seitenpforte war nur angelehnt, ich trat hinein und wurde gewahr, daß vor einer hohen Blende eine Wachsfackel brannte. Näher gekommen, bemerkte ich, daß vor der Blende ein Netz von Bindfaden aufgespannt war, hinter dem eine dunkle Gestalt eine Leiter hinauf und hinunter sprang und in die Blende etwas hineinzuzeichnen schien. Es war Berthold, der den Schatten des Netzes mit schwarzer Farbe genau überzog. Neben der Leiter auf einer hohen Staffelei stand die Zeichnung eines Altars. Ich erstaunte über den sinnreichen Einfall. Bist du, günstiger Leser! mit der edlen Malerkunst was weniges vertraut, so wirst du ohne weitere Erklärung sogleich wissen, was es mit dem Netz, dessen Schattenstriche Berthold in die Blende hineinzeichnete, für eine Bewandtnis hat. Berthold sollte in die Blende einen hervorspringenden Altar malen. Um die kleine Zeichnung richtig in das Große zu übertragen, mußte er beides, den Entwurf und die Fläche, worauf der Entwurf ausgeführt werden sollte, dem gewöhnlichen Verfahren gemäß mit einem Netz überziehn. Nun war es aber keine Fläche, sondern eine halbrunde Blende, worauf gemalt werden sollte; die Gleichung der Quadrate, die die krummen Linien des Netzes zur Höhlung bildeten, mit den geraden des Entwurfes und die Berichtigung der architektonischen Verhältnisse, die sich herausspringend darstellen sollten, war daher nicht anders zu finden, als aus jene einfache geniale Weise. Wohl hütete ich mich, vor die Fackel zu treten und mich so durch meinen Schlagschatten zu verraten, aber nahe genug zur Seite stand ich, um den Maler genau zu beobachten. Er schien mir ein ganz anderer, vielleicht war es nur die Wirkung des Fackelscheins, aber sein Gesicht war gerötet, seine Augen blitzten wie vor innerem Wohlbehagen, und als er seine Linien fertig gezeichnet, stellte er sich mit in die Seite gestemmten Händen vor die Blende hin und pfiff, die Arbeit beschauend, ein munteres Liedchen. Nun wandte er sich um und riß das aufgespannte Netz herunter. Da fiel ihm meine Gestalt ins Auge, »he da! he da!« rief er laut, »seid Ihr es, Christian?« – Ich trat auf ihn zu, erklärte ihm, was mich in die Kirche gelockt, und den sinnreichen Einfall mit dem Schattennetz hochpreisend, gab ich mich als Kenner und Ausüber der edlen Malerkunst zu erkennen. Ohne mir darauf weiter zu antworten, sprach Berthold: »Christian ist auch weiter nichts als ein Faulenzer; treu wollte er aushalten bei mir die ganze Nacht hindurch, und nun liegt er gewiß irgendwo auf dem Ohr! – Mein Werk muß vorrücken, denn morgen malt sich's vielleicht hier in der Blende teufelmäßig schlecht – und allein kann ich doch jetzt nichts machen.« Ich erbot mich, ihm behilflich zu sein. Er lachte laut auf, faßte mich bei beiden Schultern und rief: »Das ist ein exzellenter Spaß; was wird Christian sagen, wenn er morgen merkt, daß er ein Esel ist, und ich seiner gar nicht bedurft habe? Nun so kommt, fremder Geselle und Bruder, helft mir erst fein bauen.« Er zündete einige Kerzen an, wir liefen durch die Kirche, schleppten Böcke und Bretter herbei, und bald stand ein hohes Gerüst in der Blende. »Nun frisch zugereicht«, rief Berthold, indem er heraufstieg. Ich erstaunte über die Schnelligkeit, mit der Berthold die Zeichnung ins Große übertrug; keck zog er seine Linien, niemals gefehlt, immer richtig und rein. An dergleichen Dinge in früherer Zeit gewöhnt, half ich dem Maler treulich, indem ich bald oben, bald unter ihm stehend die langen Lineale in die angedeuteten Punkte einsetzte und festhielt, die Kohlen spitz schliff und ihm zureichte usw. »Ihr seid gar ein wackrer Gehilfe«, rief Berthold ganz fröhlich, »und Ihr«, erwiderte ich, »in der Tat einer der geübtesten Architekturmaler, die es geben mag; habt Ihr denn bei Eurer fertigen kecken Faust nie andere Malerei getrieben als diese? – Verzeiht meine Frage.« »Was meint Ihr denn eigentlich?« sprach Berthold. »Nun,« erwiderte ich, »ich meine, daß Ihr zu etwas Besserem taugt, als Kirchenwände mit Marmorsäulen zu bemalen. Architekturmalerei bleibt doch immer etwas Untergeordnetes; der Historienmaler, der Landschafter steht unbedingt höher. Geist und Fantasie, nicht in die engen Schranken geometrischer Linien gebannt, erheben sich in freiem Fluge. Selbst das einzige Fantastische Eurer Malerei, die sinnetäuschende Perspektive, hängt von genauer Berechnung ab, und so ist die Wirkung nicht das Erzeugnis des genialen Gedankens, sondern nur mathematischer Spekulation.« Der Maler hatte, während ich dies sprach, den Pinsel abgesetzt und den Kopf in die Hand gestützt. »Unbekannter Freund,« fing er jetzt mit dumpfer feierlicher Stimme an: »unbekannter Freund, du frevelst, wenn du die verschiedenen Zweige der Kunst in Rangordnung stellen willst, wie die Vasallen eines stolzen Königs – – – – – – – – – –«

... Nicht möglich ist es mir, alles das wörtlich zu wiederholen, was Berthold sprach, indem er rasch fortmalte und mich ganz wie seinen Handlanger brauchte. In der gegebenen Manier fuhr er fort, die Beschränktheit alles irdischen Beginnens auf das Bitterste zu verhöhnen; ach, ich schaute in die Tiefe eines auf den Tod verwundeten Gemüts, dessen Klage sich nur in schneidender Ironie erhebt. Der Morgen dämmerte, der Schein der Fackel verblaßte vor den hereinbrechenden Sonnenstrahlen. Berthold malte eifrig fort, aber er wurde stiller und stiller, und nur einzelne Laute – zuletzt nur Seufzer, entflohen der gepreßten Brust. Er hatte den ganzen Altar mit gehöriger Farbenabstufung angelegt, und schon jetzt, ohne weiter ausgeführt zu sein, sprang das Gemälde wunderbar hervor. »In der Tat herrlich – ganz herrlich«, rief ich voll Bewunderung aus. »Meinen Sie?« sprach Berthold mit matter Stimme: »meinen Sie, daß etwas daraus werden wird? Ich gab mir wenigstens alle Mühe, richtig zu zeichnen; aber nun kann ich nicht mehr.« – »Keinen Pinselstrich weiter, lieber Berthold!« sprach ich: »es ist beinahe unglaublich, wie Sie mit einem solchen Werk in wenigen Stunden so weit vorrücken konnten; aber Sie greifen sich zu sehr an und verschwenden Ihre Kraft.« – »Und doch«, erwiderte Berthold, »sind das meine glücklichsten Stunden. – Vielleicht schwatzte ich zuviel, aber es sind ja nur Worte, in die sich der das Innere zerreißende Schmerz auflöst.« »Sie scheinen sich sehr unglücklich zu fühlen, mein armer Freund,« sprach ich: »irgendein furchtbares Ereignis trat feindlich zerstörend in Ihr Leben!« – Der Maler trug langsam seine Gerätschaften in die Kapelle, löschte die Fackel aus, kam dann auf mich zu, faßte meine Hand und sprach mit gebrochener Stimme: »Könnten Sie einen Augenblick Ihres Lebens ruhigen, heiteren Geistes sein, wenn Sie sich eines gräßlichen, nie zu sühnenden Verbrechens bewußt wären?« Erstarrt blieb ich stehen. Die hellen Sonnenstrahlen fielen in des Malers leichenblasses zerstörtes Gesicht, und er war beinahe gespenstisch anzusehen, als er fortwankte durch die kleine Pforte in das Innere des Kollegiums.

(Aus der Novelle »Die Jesuitenkirche in G.«.)

Aloys Molinari

Glogau, den 22. Oktober 1796.

... Ein gewisser M., der ein sehr geschickter Maler ist, hält sich seit einigen Tagen hier auf. – Alles, was ich von ihm sehe und höre, ist so äußerst interessant, das ich nicht die Zeit erwarten kann, ihn kennenzulernen. – Noch nie habe ich eine solche lebhafte Miniaturmalerei gesehen!

Glogau, im Januar 1797.
Sonntag früh um 9 Uhr.

... Einige Zeit hindurch (um nicht ewig vom Sonntage zu reden) habe ich hier einen Umgang genossen, der meinem Geist oder willst Du lieber, meiner Fantasie neuen Schwung gegeben hat. Ein Mensch wie ich ihn mir oft idealisierte, kam wie eine Erscheinung her, und floh wie ein guter Genius, der im Vorüberfluge Rosenblätter in die Lüfte streut. – Sein Ruf war wider ihn, und er wurde wie viele Menschen verkannt. – Denk Dir einen Menschen – schön gebaut wie der Vatikanische Apoll – dazu aber einen Kopf, wie ich ihn einen Fiesco zu charakterisieren wählen möchte, denn es ist wahr, daß aus dem sonst schönen Auge oft eine gewisse boshafte Schadenfreude herausstrahlte. – Die schwarzen, kurzen, krausen Haare schienen dies noch mehr zu bestätigen. – In der ganzen Haltung des Körpers lag etwas Stolzes – eine gewisse Superiorität, die doch nie anmaßend war – dieser Mensch hieß Molinari und war ein Maler. – Du kennst mich, Theodor, kennst meinen Enthusiasmus für die Kunst. – War's Wunder, daß ich mich gleich ihm zu nähern suchte. Es gelang mir bald, und nun verbrachte ich fast jeden Tag ein paar Abendstunden in seiner Gesellschaft. – Er hatte die mehreste Zeit seines Lebens in Italien gelebt, und sich vorzüglich in Rom zum Künstler gebildet. – Ich behalte mir's vor, künftig bei einer mündlichen Unterhaltung Dir mehr von ihm zu sagen, jetzt nur soviel, daß ich durch ihn unendlich in der Kunst gewonnen habe. Der Feuergeist des Italieners belebte seine Werke, und einige Funken davon weckten meinen schlafenden Genius – dieses dokumentiere ich durch ein paar Mädchenköpfe, die ich in meinem Portefeuille von meiner Hand habe.

Aloys Molinari verließ Glogau nach kurzer Zeit und er hat nicht wieder Hoffmanns Weg gekreuzt. Aber er ist ihm doch wichtig geworden als der erste Berufskünstler, mit dem Hoffmann zusammentraf. Molinari gab ihm nicht nur das Vorbild für den Berthold der »Jesuitenkirche in G.«, sondern auch wahrscheinlich für jene südlichen bestrickenden und doch verbrecherischen Naturen, die in so vielen seiner Werke, von den »Elixieren des Teufels« an bis zum Prinzen Hektor im »Kater Murr« vorkommen.

Inzwischen hatte sich Hoffmann von seiner Königsberger Inamorata keineswegs gelöst. Sie standen im Briefwechsel miteinander. Aber allmählich wandte Hoffmann doch sein Herz anderen Sternen zu. Eine kleine Episode verbrachte er mit einer gewissen M ..., deren Name leider nicht zu ergänzen ist. Jedenfalls handelt es sich hierbei nicht um seine spätere Frau.

 

Glogau, den 21. Januar 1797.

... Es ist wahr, daß ich einige Ausschweifungen begangen habe – dieser M. zu Gefallen einigemal bei den Franziskanern Messe gehört, auf der Redoute nur mit ihr getanzt habe, das ist alles wahr, sowie, daß sie ganz ausgezeichnet hübsch ist, und daß ihr Kopf bei mir im Portefeuille liegt. – – –

Den 15. März.

... Ich liebe nicht mehr die Musik – es ist wahr, was Jean Paul sagt, die Musik legt sich um unser Herz wie die Löwenzunge, welche so lange kitzelnd und juckend auf der Haut liegt, bis Blut fließt! – so ungefähr lautet die Stelle. – Sie macht mich weich wie ein Kind, alle vergessene Wunden bluten aufs neue. – Neulich war ich mit jenem Mädchen zusammen – in der frohesten Laune – die untergehende Frühlingssonne warf noch die letzten Strahlen durchs Fenster – alles war so in lieblicher Haltung – ihre Figur schien in den Atomen, welche der Strahl sichtbar machte, zu schweben, und ich fühlte halb zu ihr hinüber gebogen ihren sanften Hauch auf meiner glühenden Wange, – ich war glücklich und wollt's ihr sagen, – das Wort erstarb mir auf der Zunge, als es sechs schlug und die Flötenuhr das Mozartsche Vergißmeinnicht in feierlichen Tönen spielte – die lange Wimper ihres Auges senkte sich, und ich fiel in meinen Stuhl zurück – zwei – drei Verse, ich dachte an die Worte.

Denk' daß ich's sei, wenn's laut in Deiner Seele spricht
Vergiß mein nicht!

Aller Frohsinn schwand dahin, und ein Fieberfrost kühlte die Glut, welche in mir aufgestiegen war! – Endlich schwiegen die Töne. – Es ist vorbei, sagte ich! – Ja – erwiderte sie dumpf – ich wollte ihr zu Füßen stürzen, da dachte ich an ...

Reise nach Königsberg

Das große Ereignis dieser Zeit für die Freunde war aber Hippels Verlobung mit Jeanette von Gruszczynska, der Tochter eines polnischen Generals, die der Freund in Marienwerder kennengelernt hatte. Hippel schien am Ziele aller Wünsche zu stehen. Aus dem hinterlassenen Vermögen des großen Oheims, der vor wenigen Jahren gestorben war, wurde gerade die Standesherrschaft Leistenau zusammengekauft, die Theodor, den Alleinerben, zum Großgrundbesitzer machte, während Hoffmann noch immer als kleiner Auskultatur in Glogau lebte.

Es konnte nicht ausbleiben, daß diese Verschiebung ihrer äußeren Lage auch auf das Verhältnis der Freunde trotz beiderseitiger bester Absichten zurückwirkte. In jener Zeit schloß Hoffmann eine enge Herzensfreundschaft mit Johannes Hampe, über die leider alle Unterlagen verlorengegangen sind. Hampe, wenige Jahre älter als Hoffmann, lebte als Registrator der Kgl. Zolldirektion in Glogau. Ein gleicher Enthusiasmus für Musik führte Hoffmann und Hampe, der ein ausgezeichneter Klavierspieler und Dirigent war, zusammen. Wenn sich Hoffmann wenige Jahre später ganz der Musik widmete, so war dies vielleicht nicht ausschließlich auf Hampes Einfluß zurückzuführen, jedoch wirkten sich darin die starken Anregungen, die Hoffmann durch Hampe erhalten hatte, aus.

Im Mai 1797 unternahm Hoffmann mit dem Onkel eine Reise nach Königsberg. Unterwegs wurde Hippel besucht, der sich gerade auf Litschen, dem Stammgut seiner Braut, in der Nähe von Marienwerder, aufhielt. Das Zusammentreffen fiel ziemlich unglücklich aus. Die Freunde sprachen sich nur kurz auf der Treppe des Gutshauses. Eine unerklärliche Schüchternheit hielt Hoffmann zurück, sich der Braut Hippels vorstellen zu lassen.

 

Königsberg, den 10. Mai 1797.

... Unsere romantische Zusammenkunft in L. auf der Schloßtreppe hat mich auf der ganzen übrigen Reise in gutem Schwunge gehalten und eine abscheuliche Laune vertrieben, welche mich, seit ich von G. ausfuhr, für alle Freuden des Wiedersehens gefühllos machte. – Ich habe Dich wieder gesehen, Du bist noch der alte gewesen was kann mich mehr mit allem – selbst mit dem widrigsten Schicksal aussöhnen! – Laß Dir's mit zwei Worten sagen, daß ich in K. sie wiederfand – daß sie nur für mich lebt, und daß in diesem Wiedersehen alles um mich her versunken ist – daß ich sie mir gedacht – daß ihr Wesen ins meine verschmolzen – ewig in mir leben wird – und daß ich dies nur Dir sage! ...

... Was könnte mir mehr am Herzen liegen, als endlich einmal Dich wieder zu sprechen und solche glückliche Stunden zu genießen wie ehemals, als wir beide noch ungetrennt täglich unsere Gefühle und Empfindungen austauschten. Damals schienen uns Tage, die uns voneinander trennten, Ewigkeiten – und jetzt vergehen Jahre, und wir sehen uns nicht! Ich bin müde, das Schicksal und mich selbst anzuklagen – ich habe verloren durch Konventionen – Umstände – durch mich selbst. – Die Vergangenheit war immer schöner als die Gegenwart – an die Zukunft mag ich gar nicht denken, jedes Bild derselben ist mir verhaßt. – Du bist nicht mehr frei – von Dir erwarte ich nichts mehr, es ist die Reihe an mir, Dich in Deinem Sitze aufzusuchen, daher will ich's möglich machen, Dich künftigen Frühling in L. zu besuchen, ich werde mich alsdann auf einige Tage in Deinen häuslichen Zirkel drängen, es kommt nur darauf an, daß Du mir die Lücke zeigst, wo ich allenfalls stehen könnte, so lange wenigstens, als Du's willst! – Eben fällt mir ein, daß ich jene Nacht in L. alles anwandte, um von Dir überwunden nicht alles – Onkel – Extrapost – K. zu vergessen, und daß ich um abzubrechen Dich sogar auf meinen dicken Stock aufmerksam machte, womit ich mich gegen die blutgierigen Bullenbeißer verteidigt hatte, die mich, noch ehe ich Dich gesehen, auffressen wollten. – In solchen Fällen ist man recht läppisch! – Deine Braut wird mir's nicht übelnehmen, daß ich mich so eifrig dagegen setzte, ihr vorgestellt zu werden – ich hätte mich unter den ungünstigsten Umständen produziert, und der üble Eindruck, den ich auf sie gemacht, hätte mir in der Folge sogar bei Dir schädlich werden können ...

... Mancher ist gestorben im Jahr meiner Abwesenheit, z. B. mein Vater!

Glogau, den 27. Junius 1797.

... Hier habe ich alles so wiedergefunden, wie ich es verließ – eben die gegenseitige Spannung – eben das preziöse Wesen, das mich sonst aus meiner Stube jug, entfernt mich auch jetzt. Mich überfällt zuweilen eine tötende Langeweile, wenn man um mich herum lacht, und nach Fliegen und Bonmots jagt –. O Freund! – warum behandelte mich das Schicksal so karg, daß ich nicht alle diese unerträglichen Bande abwerfen und in Dein Asyl fliehen kann, wo endlich Ruhe sein würde und Friede auf ewig! – Ich bin in K. beim Abschied so weich geworden, daß ich weinte wie ein Kind – die Rührung war widernatürlich – meinem Charakter, meiner Art solche Gefühle zu äußern ganz entgegen – vielleicht mischte sich die Ahnung drein, welche mich marterte – ich glaube sie nicht wiederzusehn.

Glogau, den 29. August 1797.

... Im Grunde ist es mir doch noch immer äußerst schmerzhaft, daß es bei meiner letzten Reise von K. nach G. ganz unmöglich gemacht wurde Dich zu sehn, und es gehört mit zu den Eigenheiten, womit mich das Schicksal quält, daß ich in Preußen gewesen bin und Dich nur zehn Minuten gesprochen, daß nur ein Raum von ungefähr zehn Schritten mich von Deiner Braut trennte, und ich sie doch nicht kennenlernte! – Jetzt ist's mir klar, was ich damals hätte tun sollen. – Acht Tage bei Dir bleiben, und denn nachgehn nach K.! – Vielleicht wäre man in L. in Rücksicht auf Dich hospital gegen mich gewesen. – Es ist vorbei und wenn – wenn werde ich Dich wiedersehn! –

In Kön. ist man jetzt so konfus, daß ich die widersprechendsten Nachrichten erhalte, und so wenige, daß man mich wohl am Ende ganz und gar vergessen würde, wenn nicht noch eine Person zuweilen an mich dächte ... Du bist vielleicht der einzige, der nichts Arges gegen mich im Sinn hatte, und der mich keinen Narren heißt, weil ich es wagte, gegen die Konvention zu lieben. – Du allein beurteilst mich da mit Schonung, wo andern der Verdammungsspruch so leicht wird. – Dir allein mag ich also nur das anvertrauen, was gegen alle ewig in mir verschlossen bleibt. – Man muß geliebt haben – ein Weib, so wie sie war und ist, um es glaublich zu finden, daß ich noch mit all der Schwärmerei der ersten Liebe an ihr hänge, daß meine süßesten – ich muß sagen, meine tröstendsten Augenblicke die sind, die ich bei ihrem Portrait in der Erinnerung an jene goldne Zeit zubringe! – Daß man uns trennen will, daß man mein Herz lieber tausendmal verwundet, als es geschmiegt an das ihrige Linderung suchen läßt, ist mir nichts Neues, wenn es auch von einer Vertrauten, die uns einander näherbrachte, inkonsequent gehandelt ist – aber die Mittel, welche man jetzt wählt, sind niedrig und erfüllen mich mit Indignation gegen die falsche Spielerin, die jetzt mir meine Karten aus immer zuwerfen will ...

Erinnerst Du Dich noch der ersten Zeit jener Liebe, als Du mich wenig sahst, und ich so stumm und verschlossen wurde, als ich endlich Dir alles sagte und Du mich mit unendlicher Schonung auf das Auffallende unseres Verhältnisses aufmerksam machtest? – Denkst Du noch der lustigen Zeit, als wir uns von Deinem Kammerhusaren – Jockei – Stallmeister und vorzüglich Leibfriseur so schön kraus und gelockt zu den Rüdigerschen und all den Privatbällen frisieren ließen? – wie glücklich waren wir da ...

Abends 10 Uhr.

... Hampe, der einzige, der hier es der Mühe wert findet sich mir anzuschmiegen, ist in Breslau ...

Es scheint den Intriguen jener »Vertrauten«, die einst die Liebenden zusammenbrachte und die wir wohl in dem Fräulein Adelheid aus dem »Majorat« wiedererkennen dürfen, gelungen zu sein, Hoffmann von Cora zu trennen. Bald darauf verlobte sich Hoffmann mit seiner Glogauer Kusine und Hausgenossin Minna Doerffer.

Glogau, den 25. Februar 1798.

... Mit der Welt in Königsberg habe ich vollkommen abgeschlossen. Außer den Schneesäulen der Verwandtschaft, von denen ich zuweilen emballierte Flocken erhalte, höre ich von keinem Menschen etwas, mag auch nichts hören – eine Reise nach Preußen würde nur bis Leistenau gehen ...

Glogau, den 1. April 1798.

... Der Zufall, teurer einziger Junge, mischt seine Karten wunderlich – Rot und Schwarz – Gewinn und Verlust. – Mit K. habe ich wirklich ganz abgerechnet. – Aber Du weißt es, mir geht's wie Jorick – die Pausen sind mir fatal – ich bin so gut gefesselt als ehemals – aber jetzt ist's ein Mädchen – ich studiere mit erstaunenswürdiger Emsigkeit die trockensten Dinge – begrabe mich in Akten. – Alles Unglück ist mir wahrscheinlich, also auch daß ein unvermuteter Schlag des Schicksals, das alles wieder vernichtet – siehst Du den seidnen Faden?

... Eine merkwürdige Bekanntschaft hab' ich gemacht! – Die Gräfin Lichtenau ist jetzt hier auf der Festung, und kommt oft zu uns. – Ach Himmel, welch ein Gemisch von Hoheit und Niedrigkeit! – Wie viel Bildung – wie viel Verstand – wie viel Ungezogenheit – das Weib ist eine wahre Vexierdose, wo ganz was anders herauskommt, als man erwartete. – Der glimmende Docht von dieser ausgelöschten Fackel kann hier in G. noch etwas anzünden. Der Kommandant und das Militär sind kommandiert, artig gegen sie zu sein – sie sind's also – so wie überhaupt die bessere Klasse. – Der Pöbel achtet kein Kommando – sondern erhitzt sich mit dem Witzfusel, den er aus den elenden schändlichen Broschüren, die über die Gräfin herausgekommen sind, aufsaugt. – Der Schneider legt die Nadel aus der Hand, um das Leben der Gr. L. zu lesen, und sein Junge bringt ihm statt des Zwirns ihr Bild in neuseeländischer Manier! – In jedem Scheerbeutel stecken die Bekenntnisse der Gräfin L., und um 11 Uhr fliegen noch unfrisierte Köpfe ungeduldig durch's Fenster, um den längst erwarteten Friseur zu ersehn, der ein neues unsinniges Ding über die Gr. L. lesend jetzt um die Ecke schleicht, die er sonst mit geflügelter Eile drei Stunden früher umsprang. – Der Janhagel übt wie Du weißt Gerechtigkeit – vox populi vox dei. – Daher erhalten die Straßenjungen als Vedetten – Plänklersfeldwachen und leichte Aventgarde der größeren Menge, die sich zusammenzieht, sobald die Gräfin aus- oder einsteigt, ein ununterbrochenes Feuer mit Schneebällen. – Wenn der liebe Gott nicht mehr Schnee gibt, so fürcht' ich, daß wenn nicht die Polizei als vermittelnde Macht sich darin legt, sie sich gewisser glühender Kugeln bedienen werden, die aus gewissen Formen gegossen immer auf den Straßen zu liegen pflegen. Ist das nicht ein unsinniges Zeug!

 

Die Gräfin Lichtenau war die bekannte frühere Maitresse Friedrich Wilhelme II. von Preußen. Der »glimmende Docht von dieser ausgelöschten Fackel« zündete in der Tat in Glogau noch etwas an. 1802 heiratete sie den um 24 Jahre jüngeren Schauspieler Franz von Holbein, mit dem Hoffmann in Berlin befreundet wurde, und mit dem er später in Bamberg denkwürdige Theaterjahre gemeinsam verleben sollte.

 

Die Reise nach dem Riesengebirge

Glogau, den 30. Junius 1798.

... Mit meiner juristischen Laufbahn gehts sehr pianissimo. Vorigen Februar meldete ich mich zum zweiten Examen, nach der nur hier üblichen Verzögerung wurde ich aber erst vor drei Wochen, nachdem ich schon vor sechs Wochen die Proberelation verlesen hatte, mündlich examiniert, und bin daher erst jetzt ins Referendariat eingeschritten. Gegenwärtig verändert sich aber wieder meine Lage. Der Onkel ist Geh. Ober-Tribunals-Rat geworden, ich lass' mich daher natürlich an's Kammergericht versetzen, und hoffe, dort etwas schneller zum Ziel zu gelangen, als es hier geschehen sein würde. Spätestens in acht Wochen hoff' ich in Berlin zu sein, und ein – Nest verlassen zu haben, dessen Einsamkeit mir vielleicht aber hin und her heilsam gewesen ist.

Glogau, den 26. August 1798.

Ich eile, Dir noch am letzten Tage, den ich in Glogau zubringe, zu sagen, daß ich Dich liebe, und daß Dein letzter Brief, der ganz das Gepräge jener Stimmung die uns in K. einst so glücklich machte trägt, mich überaus glücklich gemacht hat. Mein Stillschweigen wird Dir unerklärlich gewesen sein, – eine höchst interessante Reise, die ich durch einen Teil des schlesischen Gebürges über Liebwerda – Friedland in Böhmen nach Dresden gemacht habe, hat mich vom Schreiben abgehalten. – Wie viel Neues hab' ich gesehen. – In Schönheiten der Natur und der Kunst hab' ich geschwelgt zwei Wochen lang. Bei mehrerer Muße sag' ich Dir viel über diese Reise. Ich könnt's mir bequem machen, und Dir statt anderer Briefe immer einen Teil meines Reisejournals schicken, das so schon in Briefen an Theodor eingeteilt ist. – Du lebst ja mit und in mir, – denn Dir sagte ich jeden Abend – was ich gesehen, was mich besonders gerührt hatte. – Morgen gehe ich von Glogau und Mittwoch den 29. d. M. bin ich in Berlin. Auf das Briefkuvert setze »abzugeben in der Kurstraße im Hause der Madame Patté«, so wird mich kein Brief verfehlen, denn da werd' ich wohnen. Es macht immer Rumor, wenn man einen Ort auf immer verläßt – tausend unvorherbedachte Kleinigkeiten ziehen mich vom Schreibtisch. Nur noch das einzige sag' ich Dir, daß mich die Nacht von Correggio in den Himmel gehoben – daß mich die Magdalena von Battoni entzückt hat, und daß ich mit tiefer Ehrfurcht vor der Madonna von Raffael gestanden habe. –

Vom Antiken-Saal, den Statuen aus Antium und Ercolano zieren, muß ich schweigen. Leb' wohl, Einziger – Grüß Deine liebe Gattin, und fliege wenn Du kannst – bald bald zu mir, an meine Brust. –

Berlin, den 15. Oktober 1798.

... Jetzt bin ich fast zu verwöhnt durch die Dresdener Galerie, wo ich Meisterstücke aus allen Schulen sah. – Ich kann in Enthusiasmus geraten, wenn ich mich zurückversetze in den Saal der Italiener – denke Dir einen Saal, der gewiß noch einmal so lang ist, wie das Haus Deines Onkels ehemals in K., dessen ungeheure Wände von oben bis unten Gemälde von Raffael, Correggio, Titian, Battoni usw. decken – bei alledem sah ich denn nun freilich bald, daß ich gar nichts kann. – Ich habe die Farben weggeworfen und zeichne Studien wie ein Anfänger, das ist mein Entschluß.

Im Porträtmalen allein glaube ich starke Fortschritte gemacht zu haben – ich schicke Dir gewiß nächstens etwas zur Probe. –

Mein Tagebuch liegt unvollendet da. – Zum Glück habe ich den Stoff dazu auf der Reise schon niedergeschrieben. Es ist ein Kokon von 5 Blättchen, den ich zu einem Werk von 15 Bogen ausspinnen muß. – Diese Reise – welche ich fast nur einen Durchflug nennen kann – hat mir nicht allein Vergnügen gemacht – sie hat mich auch belehrt – die Art des Glasschleifens – die Art – Vitriol zu bereiten, Papier zu machen – kurz über so manches habe ich mich belehren können. – Du weißt, mein T., daß alle Theorie ein Schatten ist gegen das Lebendige der Ausübung – ich vergesse nie, alles, was ich auch nur einen Augenblick auf jener Reise sah. –

Wie habe ich an Dich gedacht, als ich in jenem Felsenabgrund stand – zwischen den Riesenmauern, die sich auf beiden Seiten auftürmten. – Tannen, höher als die höchsten Masten, schienen mir niederes Gesträuch, moosartig durch die Steine gewachsen. – Vor mir stürzte sich der Zacken 200 Fuß hoch mit furchtbarem donnerndem Getöse hinab. – Laß mich diese Gegend Dir mit wenig Worten beschreiben. – Wir gingen von Schreiberhau, einem kleinen Dorfe unweit Warmbrunn, durch einen Wald, der allmählich immer steigt nach der Gegend des Zackens. Wir waren zwei Stunden gegangen, als wir ein ungewöhnliches Rauschen vernehmen – dies war schon der Fall. – Immer stärker – immer mehr durch die Felsenklüfte hallend wurde das Geräusch – noch eine halbe Stunde – wir traten aus dem dichten Tannengebüsch, und standen am Zackenfall – eine ungeheure Wassersäule, die sich in eine unabsehbare Felsenkluft zu senken schien. Nun kam es darauf an, hinabzusteigen, um den Fall in seiner ganzen Riesengröße von unten herauf zu sehen, da aber die Felsen mit Moos bezogen, sehr glatt, und überhaupt der Erdboden durch den Regen sehr schlüpfrig geworden war, das Heruntersteigen überhaupt auch immer sehr gefährlich ist, so war ich von der Gesellschaft der einzige, der es wagte unserm Führer, einem kleinen Jungen, nachzusteigen. – Schon eine beträchtliche Höhe war ich mit Mühe herabgeklettert, als ich eine steilherabhängende Leiter von 26 Sprossen erfand – sie wird beim Holzflößen gebraucht – endlich war ich in der Tiefe – quer über den Zacken führte ein schmaler Steig ungefähr 12 Fuß über dem Wasser – über diesen ging ich, um auf ein in der Mitte des Zackens dicht vor dem Fall hervorragendes Felsenstück zu kommen – hier setzte ich mich hin. – Die Größe, die Erhabenheit – das furchtbar Schöne des Anblicks kann ich nicht beschreiben – die Sonne schien auf den Fall – und nun glich er geschmolzenem Silber. – In dem Wasserstaube, der die Luft umher über dem Felsenbecken netzte, bildeten sich tausend Regenbogen in den mannigfaltigsten Farben. – Nun ein Blick in die Gegend – von beiden Seiten türmen sich perpendikulär die Felsen auf – ihre Wände sind so glatt, daß sie abgemeißelt zu sein scheinen, zwischen den Felsen, die eine unabsehbar lange Straße bilden, stürzt sich der Zacken nach dem Falle durch die Felsenufer durch. – In der Ferne entdeckt man die mannigfaltigsten Täler und Berge, die in das Blaugrau des Äthers halb verhüllt in Sonnenblicken hervorschimmern. Um Dir einen Begriff von der Gewalt des Zackenfalls zu geben, füge ich nur noch hinzu, daß zwei Männer ein großes Felsenstück so heranwälzten, daß das Wasser oben es fassen konnte. – Wie ein kleiner Ball wurde das Felsenstück geschleudert, daß es in hundert Stücke zersprang. – Ich habe auch den Kochelfall gesehen, dieser ist nicht so wildromantisch, aber schön, er verhält sich ungefähr so zum Zacken, wie Emilia Galotti zu den Räubern von Schiller. – Den Elbfall, der mit dem Rheinfall die meiste Ähnlichkeit haben soll und unfern den Schneegruben liegt, konnte ich wegen kürze der Zeit leider nicht besuchen. –

Verzeih', Teuerer, meiner Schwatzhaftigkeit – es ist meine Lieblingsmaterie! – –

Spielerglück

Auf dieser Reise spielte sich auch jene Episode ab, die Hoffmann später in den Unterhaltungen der Serapionsbrüder anläßlich der Novelle »Spielerglück« erzählte:

 

»Ihr wißt,« begann Theodor, »daß ich mich, um meine Studien zu vollenden, eine Zeitlang in G. bei einem alten Onkel aufhielt. Ein Freund dieses Onkels fand, der Ungleichheit unserer Jahre unerachtet, großes Wohlgefallen an mir, und zwar wohl vorzüglich deshalb, weil mich damals eine stets frohe, oft bis zum Mutwillen steigende Laune beseelte. Der Mann war in der Tat eine der sonderbarsten Personen, die mir jemals aufgestoßen sind. Kleinlich in allen Angelegenheiten des Lebens, mürrisch, verdrießlich, mit großem Hange zum Geiz, war er doch im höchsten Grade empfänglich für jeden Scherz, für jede Ironie. Um mich eines französischen Ausdrucks zu bedienen – der Mann war durchaus amusable, ohne im mindesten amusant zu sein. Dabei trieb er hoch an Jahren eine Eitelkeit, die sich vorzüglich in seiner nach den Bedingnissen der letzten Mode sorglich gewählten Kleidung aussprach, beinahe bis zum Lächerlichen, und eben diese Lächerlichkeit traf ihn, wenn man sah, wie er im Schweiß seines Angesichts jedem Genuß nachjagte und mit komischer Gier soviel davon auf einmal einzuschnappen strebte, als nur möglich ...

... Der Mann, den ich euch geschildert, forderte mich auf, ihn auf einer Reise nach einem Badeort zu begleiten, und unerachtet ich wohl einsah, daß ich seinen Besänftiger, Aufheiterer, Maitre de plaisir spielen sollte, war es mir doch gelegen, die anziehende Reise durch das Gebirge zu machen ohne allen Aufwand an Kosten. – An dem Badeort fand damals ein sehr bedeutendes Spiel statt, da die Bank mehrere tausend Friedrichs'dor betrug. Mein Mann betrachtete mit gierigem Schmunzeln das aufgehäufte Gold, ging auf und ab im Saal, umkreiste dann wieder näher und näher den Spieltisch, griff in die Tasche, hielt einen Friedrichsdor zwischen den Fingern, steckte ihn wieder ein – genug, ihn gelüstete es nach dem Golde. Gar zu gern hätte er sich ein Sümmchen expontiert von dem aufgeschütteten Reichtum, und doch mißtraute er seinem Glücksstern. Endlich machte er dem drolligen Kampf zwischen Wollen und Fürchten, der ihm Schweißtropfen auspreßte, dadurch ein Ende, daß er mich aufforderte, für ihn zu pontieren, und mir zu dem Behuf fünf – sechs Stück Friedrichsdor in die Hand steckte. Erst dann, als er mir versicherte, daß er meinem Glück durchaus nicht vertrauen, sondern das Geld, das er mir gegeben, für verloren achten wolle, verstand ich mich zum Pontieren. Was ich gar nicht gedacht, das geschah. Mir, dem ungeübten, unerfahrenen Spieler, war das Glück günstig, ich gewann in kurzer Zeit für meinen Freund etwa dreißig Stück Friedrichsdor, die er sehr vergnügt einsteckte. Am andern Abend bat er mich wiederum, für ihn zu pontieren. Bis zur heutigen Stunde weiß ich aber nicht, wie es mir herausfuhr, daß ich nun mein Glück für mich selbst versuchen wolle. Nicht in den Sinn war es mir gekommen, zu spielen, vielmehr stand ich eben im Begriff, aus dem Saal ins Freie zu laufen, als mein Freund mich anging mit seiner Bitte. Erst, als ich erklärte, heute für mich selbst zu pontieren, trat ich auch entschlossen an die Bank und holte aus der engen Tasche meines Gilets die beiden einzigen Friedrichsdor hervor, die ich besaß. War mir das Glück gestern günstig, so schien es heute, als sei ein mächtiger Geist mit mir im Bunde, der dem Zufall gebiete. Ich mochte Kartenehmen, pontieren, biegen, wie ich wollte, kein Blatt schlug mir um, kurz – mir geschah dasselbe, was ich von dem Baron Siegfried gleich im Anfange meines Spielerglücks erzählt. – Mir taumelten die Sinne; oft, wenn mir neues Geld zuströmte, war es mir, als läg' ich im Traum und würde nun gleich, indem ich das Geld einzustecken gewähnt, erwachen. – Mit dem Schlage zwei Uhr wurde wie gewöhnlich das Spiel geendet. – In dem Augenblick, als ich den Saal verlassen wollte, faßte mich ein alter Offizier bei der Schulter und sprach, mich mit ernstem, strengen Blick durchbohrend: »Junger Mann! verstanden Sie es, so hätten Sie die Bank gesprengt. Aber wenn Sie das verstehen werden, wird Sie auch wohl der Teufel holen wie alle übrigen.« Damit verließ er mich, ohne abzuwarten, was ich wohl darauf erwidern werde. Der Morgen war schon heraufgedämmert, als ich auf mein Zimmer kam und aus allen Taschen das Gold ausschüttete auf den Tisch. – Denkt Euch die Empfindung eines Jünglings, der in voller Abhängigkeit auf ein klägliches Taschengeld beschränkt ist, das er zu seinem Vergnügen verwenden darf, und der plötzlich wie durch einen Zauberschlag sich in dem Besitz einer Summe befindet, die bedeutend genug ist, um wenigstens von ihm in dem Augenblick für einen großen Reichtum gehalten zu werden! – Indem ich aber nun den Goldhaufen anschaute, wurde plötzlich mein ganzes Gemüt von einer Bangigkeit, von einer seltsamen Angst erfaßt, die mir kalten Todesschweiß auspreßte. Die Worte des alten Offiziers gingen mir nun erst auf in der entsetzlichsten Bedeutung. Mir war es, als sei das Gold, das auf dem Tische blinkte, das Handgeld, womit die finstre Macht meine Seele erkauft, die nun nicht mehr dem Verderben entrinnen könne. Meines Lebens Blüte schien mir angenagt von einem giftigen Wurm, und ich geriet in vernichtende Trostlosigkeit. – Da flammte das Morgenrot höher auf hinter den Bergen, ich legte mich ins Fenster, ich schaute mit inbrünstiger Sehnsucht der Sonne entgegen, vor der die finstern Geister der Nacht fliehen mußten. So wie nun Flur und Wald aufleuchteten in den goldenen Strahlen, wurd' es auch wieder Tag in meiner Seele. Mir kam das beseligende Gefühl der Kraft, jeder Verlockung zu widerstehen und mein Leben zu bewahren vor jenem dämonischen Treiben, in dem es, sei es wie und wenn es wolle, rettungslos untergeht! – Ich gelobte mir selbst auf das Heiligste, nie mehr eine Karte zu berühren, und habe dies Gelübde streng gehalten. – Der erste Gebrauch, den ich übrigens von meinem reichen Gewinst machte, bestand darin, daß ich mich von meinem Freunde zu seinem nicht geringen Erstaunen trennte und jene Reise nach Dresden, Prag und Wien unternahm, von der ich euch schon so oft erzählt.«

(Unterhaltungen der Serapionsbrüder, 6. Abschnitt.)


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