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In Warschau

Im April 1804 siedelten Hoffmanns nach Warschau über.

An Hippel in Leistenau

Warschau, den 14. Mai 1804.

Mein teuerster einziger Freund!

Ich bin in Warschau angekommen, bin heraufgestiegen in den dritten Stock eines Pallazzos in der Fretagasse Nr. 278, habe den freundlichen Gouverneur, den Präsidenten, der die Nase 1/8 Zoll über den Horizont emporhebt und drei Orden trägt, und ein ganzes Rudel Kollegen gesehen und schwitze jetzt über Vorträgen und Relationen! – Sic eunt fata dominum! Schriftstellern und komponieren wollte ich, mich begeistern im Hain von Lazenki und in den breiten Alleen des Sächsischen Garten, und nun? – Erschlagen von 28 voluminibus Conkurs-Akten wie von Felsen, die Zeus' Donner herabschleuderten, liegt der Riese Gargantua, und der Renegat ächzt unter der Last dreier Totschläger, die zur Festung bereit noch den letzten fürchterlichsten Totschlag begehen. Lebhaft ist es in Warschau erstaunlich, vorzüglich in der Fretagasse, da hier der Mehl-, Grütz-, Brot- und Grünzeug-Handel ganz ausnehmend blüht. Gestern am Himmelfahrtstage wollte ich mir etwas zugute tun, warf ich die Akten weg und setzte mich ans Klavier um eine Sonate zu komponieren, wurde aber bald in die Lage von Hogarths Musicien enragé versetzt! – Dicht unter meinem Fenster entstanden zwischen drei Mehlweibern, zwei Karrenschiebern und einem Schifferknechte einige Differenzen, alle Parteien plädierten mit vieler Heftigkeit an das Tribunal des Hökers, der im Gewölbe unten seine Waren feilbietet. – Während der Zeit wurden die Glocken der Pfarrkirche – der Bennonen – der Dominikanerkirche (alles in meiner Nähe) gezogen – auf dem Kirchhofe der Dominikaner (gerade über mir) prügelten die hoffnungsvollen Katechumenen zwei alte Pauken, wozu vom mächtigen Instinkt getrieben die Hunde der ganzen Nachbarschaft bellten und heulten – in dem Augenblick kam auch der Kunstreiter Wambach mit Janitscharemusik ganz lustig dahergezogen – ihm entgegen aus der neuen Straße eine Herde Schweine. – Große Friktion in der Mitte der Straße – sieben Schweine wurden übergeritten! Großes Gequieke. – O! – O! – ein Tutti zur Qual der Verdammten ersonnen! – Hier warf ich Feder – Papier beiseite, zog Stiefeln an und lief aus dem tollen Gewirre heraus durch die Krakauer Vorstadt – durch die neue Welt – bergab! – Ein heiliger Hain umfing mich mit seinem Schatten! – ich war in Lazenki! – Ja wohl ein jungfraulicher Schwan schwimmt der Palast auf dem spiegelhaften See! – Zephire wehen wollüstig durch die Blütenbäume – wie lieblich wandelt's sich in den belaubten Gängen! – Das ist der Aufenthalt eines liebenswürdigen Epikuräers! – Was? – Das ist ja der Kommendatore aus dem Don Juan, der da so in dem dunklen Laube mit weißer Nase einhergaloppiert? – Ach! Johann Sobieski! Pink fecit? – Male fecit! Was für Verhältnisse! –er reitet Sklaven zu Boden, die sich krümmen, die welken Arme gegen das sich bäumende Roß erheben – ein widriger Anblick! Was? – ist's möglich! – der große Sobieski – als Römer mit Wonzen hat einen polnischen Säbel umgeschnallt und dieser ist – von Holz! – lächerlich! Nun bin ich verloren. – Da kommt der R. R. Markgraf – er packt mich mit Gewalt in eine Droschke – der Wagen hält vor einem unförmlichen Gebäude – hinten ein Dach mit wenigstens zwölf Dampfsäulen, alias Schornsteine, vorne ein ganz kleines winziges Frontispizchen, von beiden Seiten noch winzigere Vorsprünge! – es ist das Schauspielhaus! –

Was wird gegeben? – Der Wasserträger – Musik von Cherubini – Schön! – Das Orchester spielt die feurige rasche Symphonie mit italienischer Gemächlichkeit! – Graf Armand erscheint mit falscher Nase und Wonzen, seine händeringend« Gemahlin schlägt und singt durchweg einen Achtelton zu hoch – Nationalgarde in russischer Uniform. – Die Pariser Spaziergänger machen am Tore Padam donnoks und fassen die Wache, die ihre Pässe visitiert, ans Knie. – Der Wasserträger kommt an – sein Faß enthält ungefähr drittehalb Eimer, und doch springt, sowie die Wache den Rücken wendet, Graf Armand heraus und entflieht durch's Tor. – Wunder über Wunder! – Jetzt singen sie. – Sie stehn zu hoch, sagt im Orchester ein Musiker zum andern. Um Vergebung, antwortet dieser ganz freundlich, wie soll ich's auf gleicher Erde anfangen um niedriger zu stehn! –

Wie es mir in Warschau geht, fragst Du, mein teurer Freund? – Eine bunte Welt! – zu geräuschvoll – zu toll – zu wild – alles durcheinander. – Wo nehme ich Muße her um zu schreiben – zu zeichnen – zu komponieren! – Der König sollte mir Lazenki einräumen, da muß es sich ganz gut leben lassen! – Oder ich komme nach L., komponiere in der Eil' einige Opern und retourniere zu den Akten.

Vergilt nicht Gleiches mit Gleichem und antworte mir bald. – Denke an die Reise nach Italien und bleibe mein Freund, so wie ich ewig ewig der Deinige mit ganzer Seele sein werde. Meine Frau grüßt Dich und die Deinige, der ich mich auf das angelegentlichste zu empfehlen bitte.

Adio!
H.

 

Warschau, den 26. September 1805.

... Während des Jahres, daß ich Dir nicht schrieb, habe ich ein angenehmes künstlerisches Leben geführt, ich habe komponiert, gemalt und nebenher ziemlich gut italienisch gelernt, das Romanische verstehe ich vollkommen gut und spreche es ziemlich, dieser Winter ist dazu bestimmt es im Sprechen zur Fertigkeit zu bringen und auch die verschiedensten Dialekte (Venetianisch, Neapolit. usw.) zu erlernen, allein die Russen werden es wohl nicht erlauben, daß ich hierbleibe. – Dabei habe ich durch vieles Zeichnen nach der Natur aus dem Stegreif eine recht fertige Faust bekommen, und so denke ich der würdige Gefährte zu sein. – Die temporelle Anwesenheit des Geh. Rat Uhden, vormals Resident in Rom wie Du weißt, und des Griechen Bartholdy, mit denen ich viel lebte, hat mich in Feuer und Flammen gesetzt und meine Sehnsucht nach dem Lande »wo die Zitronen glühn!« stieg bis zu einem Grade, daß es wirklich der bleiernen Gewichte meines Geschäftslebens bedurfte, um mich davon abzuhalten den Stab zu ergreifen und zu wandern. –

Hier hast Du den Zyklus meines schaffenden Künstlerlebens! – Im Dezember v. J. komponierte ich eine äußerst geniale Oper von Clemens Brentano, Die lustigen Musikanten, welche im April d. J. auf das hiesige deutsche Theater gebracht wurde; der Text mißfiel – es war Kaviar für das Volk wie Hamlet sagt, von der Musik urteilten sie günstiger, sie nannten sie feurig und durchdacht, nur zu kritisch und zu wild – in der eleganten Zeitung wurde ich dieser Komposition wegen ein kunstverständiger Mann genannt!! Vorzüglich nahm man daran einen Arger, daß sich die komischen Masken der Italiener darin herumdrehen, Truffaldin, Tartaglia und Pantalone. Aber! – Heiliger Gozzi, was für Mißgeburten wurden hier auch aus den anziehenden Gestalten des jovialen Mutwillens! – Der Frühling gab mir eine herz- und geiststärkende Muße, ich arbeitete nichts, sondern lag träumend unter den hohen Buchen von Lazenki und Willanow, oder zeichnete höchstens Studien nach der Natur. – Im Sommer brach eine Flut von Geschäften und häuslichen Sorgen ein, meine Frau gebar mir im Julius eine Tochter, ich ließ sie Cezilia taufen und legte die letzte Hand an eine Messe, welche ich bis jetzt für mein bestes Werk halte und welche, wenn der Krieg uns nicht vertreibt, am Cezilientage bei den Bernhardinern aufgeführt werden soll. Eben jetzt habe ich eine kleine Oper aus dem Französischen in der Arbeit, in der sich der freie Geist der Franzosen, ihr komischer graziöser Genius ganz ausspricht, sie heißt: Die ungeladenen Gäste oder der Kanonikus von Mailand. Ich gedenke sie auf das Berliner Theater zu bringen, da ich anfange jetzt etwas bekannter zu werden.

Hier hast Du, mein einziger Freund, meine Lebensweise und Du wirst finden, daß die Kunst noch immer wie eine schützende schirmende Heilige mich durchs Leben geleitet; ihr habe ich mich ganz ergeben und sie zürnt nicht, wenn unabänderliche Verhältnisse oft nur wenige selige Momente übriglassen, wo ich meinen Geist zu ihr wenden kann. – Oft, nur zu oft, ist es Künstlers Erdenwallen, welches mich niederdrückt, aber nicht erdrückt, neue Umgebungen wie in Plock konnten auf mein besseres Ich wirken und ihm Zerstörung drohen, hier ist das anders. Mitten unter wüstem unkünstlerischen Pöbel findet der Geist doch Nahrung – Erwidere nur bald meine Herzensergießung mit einer ähnlichen, schreibe mir insonderheit, ob und wenn unsere Reise vor sich geht; bricht auch hier der Krieg aus, so wird es doch in Italien ruhig sein – Der Bankier E. erzählte mir, Du seist – – geworden; ist dieses richtig und schadet es in casu quod sic Deiner Freiheit nicht? – Du weißt, daß wir jetzt Revision haben; mich kümmert das wenig, da ich keine Reste habe und gehabt habe; ich muß ja wohl frisch von der Hand wegarbeiten, um nur die Akten mit Partituren verwechseln zu können. Der Revisor hat ein gar grimmiges Gesicht, scheint aber schon ein guter Mann zu sein, warum kriecht ihm die Peinlichkeit und Langeweile in der Gestalt des – – nach? – Das dritte Glied der Revisionsdreizahl ist ja ein Verwandter von Scheffner und bei diesem im Hause gewesen! – S. hat an Werner geschrieben: Ich würde Ihnen meinen Neveu empfehlen, wenn er nicht solch ein Erzprosaiker wäre –

Ad vocem Werner fällt mir ein, daß ich oben eine ganze Periode meines Künstlerlebens ausließ, wahrscheinlich weil ich nie ohne Mißbehagen daran denke! – Du wirst in öffentlichen Blättern gelesen haben, daß Werner an einem Trauerspiel »Das Kreuz an der Ostsee« für die Berliner Bühne arbeitete. In dem ersten Teil kommen Chöre der alten Preußen und vorzüglich eine Szene vor, die der Unterstützung der Musik bedurften; ... So hatte ich, da Werner mich anging, die Komposition zu übernehmen, die Szene behandelt und außerdem noch eine starke Ouvertüre sowie die Chöre gesetzt. Werner ist unerträglich ängstlich, lag mir immer auf dem Halse und quälte mich, daß ich Tag und Nacht arbeiten mußte, um zu einem bestimmten Termin fertig zu werden. Als die Partitur denn nun zum Absenden fertig lag, schrieb Iffland einen langen Brief an W., dessen kurzer Inhalt war:

Das Stück sei für die Aufführung zu kolossal.

W. hatte nämlich schon früher den ersten Teil seines Ostseekreuzes, betitelt: Die Brautnacht, auf Andringen Ifflands, der die Zeit nicht erwarten konnte, nach B. zur Aufführung geschickt. Sanders Preßbengel arbeiten schon an der Brautnacht, und Du wirst finden, daß viele geniale Züge darin enthalten sind, das Ganze aber ein ziemlich rohes, hin und her geschmackloses Produkt ist, welches den Talssöhnen gleich kommt. Der erste Akt ist unerträglich – vielleicht gewinnt aber auch das Werk, wenn man es liest – ich habe es nur (ein wenig zu oft) von Werner vorlesen gehört, welcher unsinnig schreit und sich abmartert, um nur alle Assonanzen, Alliterationen, alle Terzinen, Sonettformen usw. hören zu lassen, welches eben nicht angenehm ist. Überhaupt wirst Du finden, daß Werners Kreuz einen wirklich mit allen nur möglichen Formen der neuen Schule kreuzigt! – Tiek bedient sich auch dieser Formen, wenn es aber so geschieht wie in der Genoveva oder im Oktavian, so ist das freilich etwas anders. – Hast Du schon Sternbalds Wanderungen von Tiek gelesen? – In casu quod non – lies sobald als möglich dies wahre Künstlerbuch – Aus allem diesen wirst Du sehen, daß ich mit W. nicht ganz zufrieden bin, und aufrichtig gesagt, W. ist mir ein trauriger Beweis, wie die herrlichsten Anlagen durch eine alberne Erziehung ertötet werden können, und wie die regste Fantasie kriechen lernen muß, wenn sie von niedrigen Umgebungen heruntergezogen wird ...

 

Warschau, den 6. März 1806.

... Mein Geschäftsleben ist die ekelhafte Puppe, welche die schönen Fittiche des Kunstgenius einzuschließen strebt, bis sie gewaltsam durchbrechen! – Der Kunstzyklus, in dem ich mich hier umhertreibe, ist eine Anmahnung zum Nachstreben des Besseren, er übt und stärkt, wiewohl er, als Zweck betrachtet, nur ein Spiel mit hohlen Nüssen um hohle Nüsse sein kann, und ich hiernach auch den Vorwurf, der dem Wilhelm Meister von jenem soi disant Offizier gemacht wird, verdienen möchte! –

Das Ende der Warschauer Regierung

In einen anregenden Kreis war Hoffmann in Warschau eingetreten. Zacharias Werner war sein alter Hausgenosse in Königsberg gewesen. Oft hatte er den jugendlichen Dichter mit hoch erhobenem Kopf in dem Doerfferschen Garten spazieren sehen. Näher trat er dem um einige Jahre älteren aber erst jetzt in Warschau. In Franz Anton Morgenroth fand Hoffmann einen Musikschwärmer, der sich gleich ihm bald darauf ganz dem Musikerberuf zuwandte. Die Seele des Kreises aber war der Assessor Eduard Itzig, später Julius Hitzig, der nebst Hippel Hoffmanns bester und uneigennützigster Freund werden sollte. Itzig verfügte über die besten Verbindungen zum literarischen Berlin. Durch ihn wurde Hoffmann auch mit den Werken der romantischen Schule bekannt.

Hoffmann hatte in Warschau die beste Gelegenheit, sich künstlerisch zu betätigen. Sein Hauptwirkungsfeld war die »Musikalische Akademie«, deren Konzertsaal er eigenhändig ausmalte und deren Konzerte er selbst dirigierte. Am 3. August 1806 wurde der Saal dieser Akademie (es war das alte Mniszeksche Palais) durch ein Festkonzert feierlich eingeweiht. Es war vielleicht der stolzeste Tag, den der künstlerische Dilettant Hoffmann bisher erlebt hatte. Aber er hatte selbst das Gefühl, daß es sich bei allen diesen Betätigungen doch nur um gesteigerten Dilettantismus handelte, der ihm auf die Dauer nicht genügen konnte.

Bald sollten indes die Gitterstäbe zerbrochen zu Boden fallen. Am 28. November 1806 wurde Warschau von den Franzosen besetzt und die preußische Regierung aufgelöst. Itzig ging nach Berlin und wurde Buchhändler und Verleger. Morgenroth wurde Geiger in Dresden. Werner würde von Dalberg, dem Großherzog von Frankfurt, aufgenommen. Hoffmann blieb zunächst in Warschau, leitete die Konzerte der Musikalischen Akademie weiter und siedelte mit der Familie in eine Dachkammer des Mniszekschen Palais über. Als die Verhältnisse zu unsicher wurden, schickte er seine Familie nach Posen zu den Eltern seiner Frau. Bald aber gingen seine Mittel aus, und es begann für ihn die schlimme Zeit, in der er lange Monate hindurch vergeblich irgendwo ein Unterkommen suchte.

 

An Eduard Itzig in Potsdam

Warschau, den 20. April 1807.

Bald nachdem Sie abgereist waren, wurde ich wieder kränker, und mußte die Stube hüten; am Ende fuhr mir der Krankheitsstoff überall heraus, so daß ich abends einen phosphorischen Glanz um mich verbreitete, weshalb der Doktor anfing, mit allerlei Mitteln mein Blut zu reinigen, womit er noch jetzt beschäftigt ist. Darüber hat sich der Bestand meiner Kasse so verringert, daß ich an eine Reise nicht denken kann, und um so mehr sitzen bleiben muß, als ich außerstande bin, hier Geld aufzutreiben, ungeachtet der Justizrat K., der leider selbst kein bares Geld hat, sich erboten, jeden Schuldschein von mir als Selbstschuldner zu unterschreiben. – Hier haben Sie, mein teuerster Freund, in einem Atemzuge, alle Odiosa, welche mich in Warschau festhalten, und, ob ich demungeachtet alle Segel aufspannen soll, um fortzukommen, soll ganz von Ihrem freundschaftlichen Rat abhängen, da Sie jetzt sich selbst überzeugt haben werden, inwiefern es mir möglich sein dürfte, in Berlin den Anfang zu einem weiteren Fortkommen zu machen; – ganz vorzüglich aber, ob ich, auf diese oder jene Art, in Berlin, meinen notdürftigen Unterhalt finden würde; von Ihrer Freundschaft, die sich so oft für mich geäußert hat, erwarte ich hierüber gütige genaue Auskunft, um meine bestimmten Maßregeln danach ergreifen zu können! –

Mit erneuter Kraft und mit einem Humor, der mir selbst unbegreiflich ist, arbeite ich jetzt an einer Oper, von der ich wünschte, sie wäre die erste, die von mir auf irgendeinem großen Theater erschiene, denn ich fühle es zu sehr, daß sie alle meine übrigen Kompositionen hinter sich lassen wird! – Der Text ist kein anderer, als Calderons: Die Schärpe und die Blume. – Der Himmel hat mich bis jetzt mit einer ganz unglaublichen Blindheit gestraft, daß ich die geborenen Arien, Duetts, Terzetts pp in dem herrlichen Stück, nicht gesehen habe, in der Krankheit ist mir ein Licht darüber aufgegangen ... Seit der Zeit, daß ich komponiere, vergesse ich oft meine Sorgen, – die ganze Welt, denn die Welt aus tausend Harmonien geformt auf meiner Stube, an meinem Klavier, verträgt sich mit keiner andern außerhalb, – in dieser andern außerhalb regnet es eben jetzt so ganz erschrecklich, daß wir in Warschau bald mit Gondeln durch die Straßen fahren werden, welches der Protonotarius K. nie tun wird, nicht aus Furcht zu ersaufen, sondern aus angeborener Scheu, etwas Ungewöhnliches zu tun. –

 

Warschau, den 14. März 1807.

... Von meinen dürftigen Umständen und deren Veranlassung schrieb ich Ihnen gleich im ersten Briefe, ich müßte daher jetzt, so wie Sie es mir auch raten, wenigstens 500 Taler, wenn auch größtenteils in Papieren, borgen, um mich in mein Eden zu versetzen und das ist eine fast unausführbare Sache. – Kausch ist der einzige, der meine Königsberger Verhältnisse, über die ich übrigens kein Papier besitze, kennt, und dieser hat sich, da er selbst ohne Geld zum Verleihen ist, erboten, jeden Schuldschein von mir als Selbstschuldner zu unterschreiben und doch gelang es mir vor etwa vier Wochen nicht, auch nur 200 Taler bar Geld anzuleihen. – Es ist ein einziger Mann hier, dem ich zutraue, daß er mir aus der Verlegenheit helfen würde, allein eine besondere Scheu und eine nicht ungegründete Furcht durch eine Bitte dergleichen Art in den ersten Wochen der Bekanntschaft wider die Delikatesse zu verstoßen, verschließen mir den Mund. Sie erraten leicht, daß dieser Mann der I. R. Küs. ist und daß irgendeine Mittelsperson, dergleichen der alte Loest ein vortrefflicher war, der Sache den Ausschlag geben würde; aber so sitze ich nun, und brüte und brüte – vergebens über meinen Plänen! – Nach K. habe ich dreimal geschrieben aber keine Antwort erhalten, wahrscheinlich sind die Briefe gar nicht hingekommen. – Schon zum zweitenmal in meinem Leben geht es mir so, daß ich im Begriff einzutreten von der Türe abgewiesen werde, und es gehört wahrlich Mut dazu nicht für immer zu verzagen! – – –


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