Agnes Harder
Schlumski
Agnes Harder

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Ende gut, alles gut

Es kamen nun die letzten Tage in der Klinik, in denen sich vieles änderte. Auf den Mops hatten die großen seelischen Erschütterungen jener Nacht so eingewirkt, daß sich sein Befinden bedeutend gebessert hatte. Er übergab sich auch in der nächsten Zeit fortwährend, sowie er den Eskimo nur heulen und auf die Menschen schimpfen hörte. Natürlich nahm er nun so ab, daß seine Haut in Falten wie ein zu weites Kleid um ihn herumhing. Der Doktor war entzückt, denn er meinte, das käme von seiner Behandlung, und eines Tages trug das dicke Fräulein ihren Liebling mit Tränen der Rührung fort. Sie versprach ihm sofort Rotwürstchen und Aniskuchen, wenn sie ihn nur erst wieder zu Hause hätte, und er schloß ganz verklärt die Augen, während er sich in ihren weichen Arm drückte.

Auch der Eskimo ging. Der Doktor wollte ihn nicht mehr behalten, er ärgerte sich zu sehr über ihn.

»Es nützt nichts«, sagte er. »Am besten ist es, er kehrt wieder nach dem Nordpol zurück. Schicken Sie ihn mit dem nächsten Schiff fort. Er hat einen kleinen Stich. Sonnenstich ist es natürlich nicht, sondern irgendeine Frostbeule im Gehirn.«

Wir freuten uns, als wir ihn los waren. Als der 153 Türke von seinem Herrn abgeholt wurde, erhob er ein Freudengeheul, sprang an ihm in die Höhe und leckte seine Hände. Der junge Gelehrte schüttelte dem Doktor die Hand.

»Ich danke Ihnen, Herr Doktor. Sie haben Wunder getan. Ich fürchtete schon, er würde sich nie an mich gewöhnen. Himmel, war er verwahrlost, als ich ihn fand.«

Der Doktor lächelte geschmeichelt. Als er gegangen war, sagte der Pudel: »So sind die Menschen! Wer hat den Mops gesund gemacht? Wir! – Wer hat den Türken Treue gelehrt? Auch wir! – Aber keiner glaubt es, weil wir nur Hunde sind. Und der Doktor streicht die Goldstücke ein und lächelt.«

Zwischen dem Pudel und mir bestanden sehr höfliche Beziehungen, und wir hatten manches tiefe, verständige Gespräch. Dem Bernhardiner brachten wir gemeinsam unsere höchste Achtung dar. Da seine Leiden eine Folge von Altersschwäche und den harten Anstrengungen seiner Jugend waren, so konnten sie nicht geheilt werden. Nicht mehr lange, und der edle Hund würde dahingehen. Er selbst sprach davon mit der ruhigen Heiterkeit des Philosophen. Zuweilen fing er seine Rede mit den Worten an: »wenn ich ausgestopft sein werde –« Selbst der Doktor behandelte den ehrenvollen Invaliden mit Auszeichnung.

Die Kinder besuchten mich jetzt seltener. Und eines Tages kamen sie in schwarzen Kleidchen. Die Großmutter war gestorben. Ganz still war sie eingeschlafen, ganz glücklich.

154 »Denn, weißt du schon, Schlumski«, erzählte Peterchen, der ordentlich rote Backen hatte, »wir ziehen wieder zurück ins Dorf.«

In der Nacht schlief ich keinen Augenblick. Ich dachte an den Hof und an Karo und meinen Bruder Wotan, und ich roch schon ordentlich wieder die gute Luft da draußen, und sah die Hühner auf dem Mist, und die Schweine und hörte die Tauben gurren. Aber wie die Frau das machen wollte, das begriff ich nicht!

Dann holten sie mich, Hänschens Onkel und die Kinder. Der Onkel zahlte eine ganze Reihe Goldstücke, und der Doktor schmunzelte und sagte, es sei ihm eine Ehre gewesen, einen so berühmten Hund heilen zu dürfen, und die Wunde sei nun vernarbt. Aber als Ziehhund solle ich lieber nicht mehr verwendet werden. Etwas könne doch an der Lunge zurückgeblieben sein, dafür stehe er nicht ein.

»Nein«, sagte der Onkel lächelnd, »Ziehhund wird er auch nicht wieder, das ist vorbei.«

So lief ich denn in großen Sprüngen neben ihnen her, zum Keller zurück. Und ich wunderte mich, daß Fried und Minna den fremden Herrn so ruhig anfaßten und so zutraulich mit ihm sprachen. Im Laden stand die Frau, auch in einem schwarzen Kleid, aber sie trug den Kopf nicht mehr so gebückt. Und nach und nach erfuhr ich aus den Gesprächen alles.

Lungrich mußte ihnen die 300 Mark zurückgeben, und der Onkel lieh ihnen noch etwas Geld, für die ersten drei Jahre ohne Zinsen, und damit wollten sie im Heimatdorf einen kleinen Laden 155 einrichten, damit die Bauern nicht immer nach der Stadt zu gehen brauchten. Der Laden von Lungrich kam nach seiner Verurteilung zum Verkauf, und für ein Billiges erstand die Frau in der Auktion die Vorräte.

Als es Mai war, zogen wir ab. Wie anders diese Heimreise! Ich fuhr nicht im Hundeabteil, sondern vierter Klasse mit meinen Leuten. Ich zog auch nicht den Karren mit unseren Habseligkeiten. Wir brauchten nun eine richtige große Fuhre. Der Gutsherr schickt sie meinen Leuten und hatte sagen lassen, sie sollten sich nur ruhig obenauf setzen, die Pferde könnten ziehen. Es war nämlich gerade die Woche vor Pfingsten. Der Onkel war zum Besuch auf dem Gut und hatte gewiß alles erzählt, denn – als wir ins Dorf kamen, stand an der Straße, die zum Gutshaus führte, Hans und winkte mit der Mütze.

Himmel, war der gewachsen! Neben ihm stand ein großer Hund, der war von meiner Rasse, nur daß sein Fell dunkel war. Als der Hund mich sah, lief er mir entgegen, und wir überkugelten uns vor Freude, denn es war mein Bruder Wotan.

»Komm heut Abend ja auf den Hof«, bellte er mir nach. »Es ist großer Empfang für dich, Konzert mit Gesang.«

Ich kam. Als meine Leute schliefen, holte mich Schäferkaro. Feierlich führte er mich in den Kreis. Alle, alle waren da. Der vornehme Treff, Rolf, der Hofhund, der wieder einmal aus seinem Halsband geschlüpft war, mein Bruder Wotan, und in 156 weiterem Kreise, etwas eingeschüchtert und nicht so frech wie sonst, die Dorfköter.

Der Schäferkaro stieg zuerst auf das Göpelwerk und sprach.

»Willkommen, Schlumski, willkommen in der Heimat! Wir haben von deinen Taten gehört. Wenn ich neben meinem Herrn auf dem Felde hielt, sind die Leute aus dem Dorf gekommen und haben von dir erzählt, und von der Frau und den Kindern. Einmal, heißt es, hat sogar der Pfarrer mit dem Schulmeister von dir gesprochen. Und wenn Treff mit dem Herrn und seinem Bruder zur Jagd ging, dann sprachen sie auch von dir. Denn du hast Ehre über unseren Hof gebracht. Ich bin stolz darauf, dich meinen Schüler zu nennen. Du gehörst nun zum Dorf. Aber nie kannst du gemeinsame Sache machen mit den Kötern, die unseren Chor bilden dürfen. Darum ernennen wir dich zum Ehrenmitglied unseres Kreises. Es ist keine Ehre für dich, sondern eine Ehre für uns, wenn du an unseren monatlichen Versammlungen teilnimmst, und als erster beginne heut den Rundgesang.«

Jeder wedelte mit dem Schweife, um seine Zustimmung zu erkennen zu geben.

Ich bestieg den Fahrstuhl des Göpels, kratzte dreimal hinten aus und sang:

»Es braust ein Ruf durch dunkle Nacht,
Wir treuen Hunde halten Wacht!
Daheim, daheim im trauten Kreis,
Wie schlägt das Hundeherz so heiß.
Lieb Schlumski, du kannst ruhig sein,
Denn hinter dir liegt Not und Pein.« 158

Die Worte kamen mir von Herzen. Selten, glaube ich, hat ein Hund so schön gesungen. Der Chor der Dorfköter war wahrhaft erschütternd.

Was soll ich noch sagen?

Die Frau mietete im Dorf ein halbes Häuschen und legte ihren Laden an, und die Bauern kamen und kauften. Auch Hans holte sich zuweilen für einen Groschen von den schönen sauren Fruchtbonbons, die in dem großen Glas standen. Dann wog die Frau aber gut! Und immer gab's noch einen drauf. Fried und Minna gingen in die Schule. Fried bekam noch Extrastunden beim Lehrer und sollte auf's Seminar und auch einmal Lehrer werden. Minna aber half schon im Laden und wog Kaffee ab und Tabak, daß es ein Spaß war, zuzusehen. Ein Faß mit Sauerkraut hatten wir nicht. Das legten sich die Leute selber ein.

Peters krumme Beine haben sich etwas verwachsen. Aber so groß wie Fried wird er nicht. Es geht meinen Leuten gut. Sie zahlen regelmäßig die Zinsen, und wenn der Onkel auf dem Gutshof zum Besuch ist, spricht er bei uns vor, erkundigt sich nach allem und streichelt mich.

Denn mir geht es eigentlich am allerbesten. Ich bewache den Laden am Tage und belle, wenn jemand kommt und die Frau bei der Hausarbeit ist. Denn natürlich steht unsere Tür immer offen. Wir leben ja auf dem Lande. Und in der Nacht wache ich. Nicht mit einer Kette am Halsband, wie Rolf, nein, als ein freier Hund. Die Dorfköter haben ordentlichen Respekt vor mir. Wenn ich höre, wie sie ihre dummen, albernen Kellereien treiben, jedem 159 Wagen nachlaufen und den Kutscher solange fragen, wohin er fährt, bis er ihnen mit der Peitsche die Antwort gibt, dann richte ich mich nur auf und knurre. Gleich sind sie still.

Besuch habe ich auch. Der Schäferkaro kommt auf ein Stündchen und mein Bruder Wotan, der neulich durch sein Bellen Diebe von der Haustür verjagt hat. Als der Herr aufsprang und mit der Pistole herauskam, hat er noch ihr Handwerkszeug gefunden, ein Bündel Dietriche. Zur Rebhühnerzeit spricht der Herr manchmal vor und läßt Treff einen Topf mit Wasser bringen, wenn der sich in seinem Eifer übernommen hat. Bei den Mondscheinkonzerten aber fehle ich nie.

Ganz glücklich könnte ich sein, wenn nicht die weiße Katze wäre. Sie gehört den Leuten, die auf der anderen Seite des Hauses wohnen, und sie lieben 160 sie ebenso, wie meine Leute mich. Todfeinde waren wir am Anfang. Mit kaltem Wasser mußte man uns begießen, eimerweise, wollte man uns auseinander bringen. Konnte sie zischen und fauchen! Und gleich hinauf auf den Birnenbaum, und ich lag stundenlang unten und belagerte sie!

Aber dann gewöhnten wir uns aneinander. Und nun strafen wir uns mit Verachtung und tun, als sehen wir einander nicht. Ich weiß aber ganz genau, wenn sie auf der Bank sitzt neben dem weißgescheuerten Milcheimer und einen krummen Buckel macht und spinnt.

Ja, wegen der weißen Katze kann ich mein Leben nicht so recht genießen. Aber das ist nur so ein Hofjungenärger, wie Hänschens Vater sagt, der ist gesund.

Fast hätte ich noch vergessen: wir halten jetzt zwei Schweine. Aber nicht mehr von der hochbeinigen, langhaarigen Sorte. Die Frau kauft die Ferkel vom Gut. Und eine Ziege haben wir auch wieder. Da ziehen die Kinder denn manchmal das alte Wägelchen hervor, holen das Sielenzeug und spannen mich ein. Und dann geht es hinaus an den Chausseegraben, und wir machen wieder Heu.

Dann trolle ich auf der alten Landstraße dahin, und die Vögel singen in den Lindenbäumen, und vom Korn steigt der Blütenstaub auf wie Rauchwolken.

Ja, dann denke ich: so also ist das Hundeleben! Einmal schwer, einmal leicht. Wer aber treu und stark ist, der hält es durch.

161 Und nun lebt wohl Kinder. Und behaltet mich lieb, den Schlumski.


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