Agnes Harder
Schlumski
Agnes Harder

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In der Hundeklinik

Ein paar Stunden später war ich in der Hundeklinik. Ich wußte nicht einmal, wie ich dorthin gekommen. Ich war noch ganz benommen, als mich die Frau mit den Kindern in einen großen Korb packte. Der feine Herr, der im Laden geblieben war, als sie den Lungrich und den Ede abführten, hatte eine Droschke geholt und uns hingefahren. Ich war zu matt, um auf die Unterhaltung zu achten. Erst viel später erfuhr ich, daß der Herr ein Onkel von Hans sei, ein Bruder seines Vaters, der in der großen Stadt lebte. Und meinetwegen war er gekommen! Er hatte sich nach dem Hunde erkundigt, der damals das Kind gerettet, und war gekommen, um die Frau zu fragen, ob sie mich nicht an ihn verkaufen wolle. Er hatte viel, viel Geld für mich geboten. Aber die Frau hatte ihm geantwortet, sie sei nur arm, aber von mir könne sie sich nicht trennen. Ein Wort hatte so das andere gegeben. Dann hatte der Herr gehört, daß sie aus dem Dorf seien, das zu dem Gut gehöre, auf dem auch er einmal als Kind mit seinem Bruder gespielt habe, und wohin er noch jetzt jeden Sommer zum Besuch fahre, mit etwas Gutem für seinen Neffen Hans in der Reisetasche. Da war der Herr ganz vertraut 116 geworden und hatte sich alles erzählen lassen. Den Tod des braven Lumpensammlers, und die Reise in die große Stadt, und nun das Elend. Und es war gewiß ein Glück, daß er gerade da war, als die Polizei kam, um nach dem Gelde zu suchen. Denn so konnte er der Frau beistehen, und das war nötig. Sie war so erschrocken, daß sie gar nicht antworten konnte. Da dachte man, sie stecke mit Lungrich unter einer Decke.

Wie gesagt, das merkte ich alles viel später aus den Erzählungen der Kinder. In meinem Korbe, auf den blutigen Lappen, dämmerte ich nur so hin. Auch als mich der Hundedoktor verbunden hatte, und ich auf mein Lager kam, lag ich zwei Tage im Fieber zwischen Schlaf und Wachen und kümmerte mich um nichts. Ich weiß nicht einmal, ob Fried und Minnachen in dieser Zeit nach mir gesehen haben.

Dann wachte ich eines Morgens auf und war so hungrig, daß ich zornig bellte. Da kam ein Wärter in einer blauen Schürze und sagte freundlich: »Na, Schlumski, ich gratulier auch, nu bist du durch. Und in die Zeitungen stehst du auch all. En kaptaler Bursch bist du ja. Ich hab' och enmal en falsches Markstück erwischt gehabt. Da muß ich mir ja bei dir bedanken, daß du ihm abgeliefert hast.«

Das war mir nun sehr angenehm zu hören, um so mehr, als ich sah, daß ich mich in einem großen Raum befand, in dem ungefähr ein Dutzend Hunde waren, die teils lagen, teils an einem Strick befestigt waren, alle offenbar krank, aber trotzdem den 117 Worten des Wärters mit der größten Aufmerksamkeit zuhörten.

Der Wärter brachte mir einen Napf mit delikater, ganz leichter Kost, die mich nicht im mindesten beschwerte und ging dann.

Als ich gefressen hatte, hielt ich es für die Pflicht einer guten Erziehung, mich vorzustellen und mit kurzen Worten mein Schicksal zu erzählen. Ich wollte mich dazu trotz meiner Schwäche erheben. Ein prachtvoller schwarzer Pudel aber, der mir gegenüber lag, bat mich, liegen zu bleiben. Ich befände mich ja noch im Beginn der Besserung und hätte so wie so zu erwarten, daß das Fieber gegen Abend zurückkehren würde.

Ich bat ihn nun, mir die anderen Herren Hunde vorzustellen, was er mit der Würde und Klugheit tat, die den Pudel von jeher ausgezeichnet hat. Er begleitete auch jeden Namen mit einigen Bemerkungen, die mich sofort erraten ließen, weß Geistes Kind der Betreffende sei. So ging er über einen Mops, der hier von der Fettsucht befreit wurde, und kurzatmig dasaß, mit einer feinen spöttischen Bemerkung hinweg, erwähnte kaum einige, offenbar nicht reinblütige Köter, die auch nur durch ein unmelodisches Knurren antworteten, bezeugte aber seine vollkommene Hochachtung einem alten Bernhardiner, dessen Geruch schon etwas stumpf geworden, und der beinahe erblindet war.

»Zuletzt, mein Herr Schlumski, noch zwei Ausländer, die unserer Klinik gerade einen besonders interessanten Anstrich geben«, und damit machte er 118 mich mit einem Eskimohund und einem Hunde aus Konstantinopel bekannt, einem geborenen Türken.

Leider war ich noch zu schwach, um die Bekanntschaften sofort mit der mir sonst eigenen Lebhaftigkeit aufzunehmen. Ein anständiges Beriechen, wie es der vornehme Hundeton verlangt, war ganz ausgeschlossen, auch durch die Leinen, an denen die meisten Kranken lagen, verhindert. So erkundigte ich mich nur nach dem Leben in der Klinik. Da erfuhr ich das Beste.

»In kurzem«, erklärte mir der Pudel, »wird der Doktor seinen Morgenbesuch machen. Er verbindet dann meine verbrannte Pfote, erkundigt sich nach unserem Befinden, prüft die Temperatur, indem er die Nasen befühlt, kurz, benimmt sich sehr anständig. Es ist überhaupt eine vornehme Klinik. Unsere Besitzer zahlen einen ordentlichen Batzen für unsere Herstellung.«

»Meine armen Leute«, dachte ich traurig.

»Dann«, fuhr der Pudel fort, »bleiben wir eine Zeitlang uns selbst überlassen, bis am Nachmittag die Besuchsstunden kommen, in denen unsere Herren sich nach uns umsehen. Auch bei Ihnen waren in diesen Tagen zwei Kinder, ein Knabe und ein Mädchen. Sie nahmen aber keine Notiz von ihnen. Ja, als das Mädchen Sie streicheln wollte, Herr Schlumski, knurrten Sie sogar.«

Ich war ganz außer mir. Der Pudel beruhigte mich aber damit, daß er mir mitteilte, sie hätten gesagt, sie wollten heute wiederkommen.

»Nach den Besuchen pflegen wir uns immer zu erholen und ein Schläfchen zu machen. Dann 119 empfangen wir noch den Abendbesuch des Arztes, und beschließen den Tag meistens mit einer Geschichte, die einer von uns erzählen muß. Es ist am Erwünschtesten, wenn er aus seinem eigenen Leben vorträgt. Heute ist die Reihe eigentlich an dem Herrn Eskimo. Da derselbe aber erklärt hat, daß er sich nach der langen Seereise noch nicht genügend erholt hat, so werde ich ihn zu ersetzen suchen.«

Der Eskimohund bellte einige Male, und der Pudel teilte mir mit, daß derselbe erst kürzlich mit einem Schiff von einer Nordpolexpedition zurückgekehrt sei, und daß die lange Seekrankheit seinen Verstand so verwirrt habe, daß vorläufig noch nichts Zusammenhängendes aus ihm herauszubringen sei. Er rede so seltsam und böse, daß man sich vor ihm fürchten könne.

Ich war mit der Tageseinteilung ganz zufrieden und erwartete mit einiger Spannung das Erscheinen des Arztes. Als er eintrat, begrüßte ihn ein kurzes, heftiges Gebell, das Hochachtung ausdrückte.

Er kam sofort auf mich zu, von dem Wärter begleitet.

»Schlumski ist nämlich der Held des Tages«, sagte er zu diesem. »Alle Zeitungen sind voll von ihm und seiner Tat. In drei Zeitungen erscheint sein Bild. Es hat sich herausgestellt, daß ein Schmeißweg, der mit seinem Wagen öfters neben ihm gehalten, ihn gelegentlich photographiert hat. Der Mensch macht jetzt ein Heidengeld mit den Bildern. Er verkauft sie auf offener Straße und sie gehen reißend ab.«

Meine Brust hob sich. Der Schmeißweg 120 verkaufte mein Bild. Ich sah ihn förmlich, wie er dastand und rief:

»Nur immer her–rrr–ran, meine Herr–rrr–schaften! Dies ist das Bild des hochberühmten Hundes Schlumski, der geholfen hat, den Falschmünzer zu entlarven! Nur immer herr–rrr–an! Fünfzig Pfennig der hochberühmte Schlumski, und das Einschlagepapier bekommen Sie umsonst!«

Ja, und Ali, mein Freund, hörte das! O, ich war doch ein glücklicher Hund, wenn die Wunde auch noch brannte!

Der Doktor untersuchte sie sorgfältig, legte einen neuen Verband um und erklärte, daß er zufrieden sei.

»Aber toll herunter ist das Tier! Da kann man ja jeden Knochen zählen! Und wie ihn die Sielen gedrückt haben! Rheumatismus hat er auch noch! Na, das kurieren wir alles. Der Herr, der ihn hergebracht hat, sagt, es sollen keine Kosten gespart werden.«

Nun wurde mir klar, daß der Onkel von Hans die Kurkosten für mich bezahlte. Vor Freude fing ich laut an zu bellen und wollte mich aufrichten.

»Noch nicht, alter Freund«, sagte der Doktor. »Stille liegen und Ruhe halten. Die Nase fühlt sich noch warm an.«

Er ging nun von einem zum anderen und blieb kopfschüttelnd vor dem dicken Mops stehen.

»Der wird nicht wieder. Das reine Mastschwein.«

»Ich sag' all, Herr Doktor, enen Span zwischen die Kiefern, und denn nen Löffel Strychnin, das ist die beste Medezin für das Biest«, sagte der Wärter.

122 Aber der Doktor schüttelte den Kopf.

»Seine Herrin kann ihn wieder mitnehmen. Mag sie ihn zu Tode füttern.«

Dann stand er vor dem Bernhardiner still.

»Da ist auch nicht mehr viel zu wollen. Aber das ist ein edles Alter. Er hat vierundzwanzig Menschen das Leben gerettet. Man will ihn einmal ausstopfen und in einem Museum ausstellen.«

Aufmerksam folgten ihm meine Augen auf seinem Rundgang. Vor den Ausländern hielt er sich noch ein Weilchen länger auf.

»Er hat einen Vogel«, sagte er von dem Eskimo. »Wollen hoffen, er erholt sich noch. Aber der Verstand scheint etwas gelitten zu haben.«

Dem Türken nickte er nur zu.

»Allah il Allah. In einigen Tagen bist du entlassen.«

Damit ging er.

Ich sollte eigentlich schlafen, freute mich aber so sehr auf meine Leute, daß ich kein Auge schließen konnte.

Und kaum öffnete der Wärter um die Besuchsstunde die Tür, als auch Fried, Minna und Peterchen schon hereinstürmten, gerade auf mein Lager zu.

»Siehst du, Fried, heute hat er ganz helle Augen! Der Herr Doktor hat es ja schon gesagt. Heut knurrst du uns nicht an, Schlumski, du lieber Kerl!«

Sie streichelten mich und sprachen mit mir, und ich leckte ihnen die Hände und drückte ihnen mit Schwanzwedeln meine Freude aus. Peterchen erzählte, wie gut es ihnen ginge, und daß die Mutter 123 nun allein im Laden sei. Der böse Lungrich sitze im Gefängnis.

»Der Ede kommt ins Rauhe Haus«, sagte Fried. »Ich denke immer, nun wird noch alles gut.«

»Denkst du, der Onkel wird helfen«, flüsterte Minna dem Bruder zu.

Der nickte.

»Er spricht oft so lange mit der Mutter, Minnachen.«

»Aber Mutter sagt uns nichts.«

»Weil es noch nicht sicher ist, Minnachen. Aber siehst du, mit Zeitungaustragen sollten wir doch gleich aufhören.«

Sie nickten sich zu und sahen ganz glücklich aus. Dann mußten sie ein wenig von mir forttreten, denn es kamen viele fremde Leute, die mich sehen wollten, weil sie in den Zeitungen von mir gelesen hatten. Der Wärter brachte sie an und schmunzelte über das ganze Gesicht, denn jeder drückte ihm einen Groschen in die Hand, dafür, daß er mich zeigte. Fried sagte stolz, ich gehöre ihnen. Da mußte er ihnen die ganze Geschichte noch einmal erzählen.

Ja, jeden Tag kamen meinetwegen Leute in die Besuchsstunde. Der Doktor sagte, seine Klinik würde berühmt. Einmal, als ich schon kräftiger war und mich schon aufrichten konnte, kam der Schmeißweg und seine Braut, und mit ihnen mein Freund Ali.

Nein, war das ein Wiedersehen!

Ali erzählte mir, daß sie noch nie ein so großartiges Geschäft gemacht hätten, wie mit meinem Bild. Die Menschen rissen sich darum. Und der 124 Schmeißweg schenkte es dem Wärter und meinen Leuten, und Peterchen hielt es mir vor die Nase. Ja, das war ich wirklich, und der Wagen mit den Apfelsinen war auch drauf.

Hänschens Onkel, der sich für den Prozeß der Falschmünzer sehr interessierte, hatte der kleinen Puppenschneiderin schon im Voraus ein großartiges Hochzeitsgeschenk gemacht. Er hatte ihr hundert Mark geschenkt. Aber die wollte sie gar nicht ausgeben, die wollte sie auf die Sparkasse bringen, als Notgroschen.

Ja, es war wunderschön in der Besuchsstunde. Aber wir waren doch alle krank, und oft wurden uns die Menschen zuviel. Der Eskimo drehte sich immer im Kreise umher, gerade so, als wäre er noch auf dem Schiff, und sogar der Bernhardiner, der blind war und nicht mehr gut roch, meinte, Ruhe wäre Ruhe.

Nur den Pudel amüsierte es, und er sagte mir viel Schmeichelhaftes über meine ausgedehnten Beziehungen. Auch mein Freund Ali hatte einen ausgezeichneten Eindruck auf ihn gemacht.

Aber müde waren wir immer, wenn die Menschen fort waren, und fast noch schöner, als die Besuche, waren abends die Erzählungen der Hunde. Auch meine eigenen, die ich natürlich aus dem reichen Schatze meiner Erfahrungen schöpfte, wurde beifällig aufgenommen. Ich konnte immer kaum die Zeit erwarten, bis der Wärter das Licht ausgelöscht hatte. Dann, nachdem vollständige Stille eingetreten, hub einer nach dem anderen zu erzählen an. 125


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