Agnes Harder
Schlumski
Agnes Harder

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Der treue Schlumski

Den Weg von dem kleinen Häuschen des Lumpensammlers nach der Stadt sollte ich recht gründlich kennen lernen. In dörrender Hitze, wenn mir die Zunge aus dem Halse heraushing, und in kaltem Sturm und strömendem Regen, wenn die Vögel in den Linden sangen, und wenn Spatzen und Meisen durch die kahlen Zweige huschten und aus dem letzten Loch pfiffen. Zweimal wöchentlich fuhr ich nach der Stadt mit dem hohen Kirchturm und wartete im »weißen Roß«, bis mein Herr seine Besorgungen gemacht hatte. Immer gab mir der Hausknecht zu meinem Essen noch einen delikaten Knochen, und auch Rattentöter war immer gesprächig. Zuweilen war große Hundeversammlung, denn die Fuhrleute, die im »weißen Roß« einkehrten, brachten oft Hunde mit, die neben den Wagen liegen blieben und die Waren bewachten. Es waren prächtige Burschen darunter, große starke Tiere und kleine, rasche Spitze mit hellen Augen. Sie hatten ein Teil von der Welt gesehen und konnten etwas erzählen. Und das taten sie auch. Ich wünschte nur, der Schäferkaro hätte zuhören können. Sonderbare Geschichten hatten sie erlebt! Der eine Spitz hatte vom Wagen aus gesehen, wie Diebe eines von den Frachtstücken losmachen wollten, während der Fuhrmann gemächlich vorn neben dem 53 Handpferde dahinschritt. Da hatte er wie wahnsinnig gebellt, bis sein Herr kam. Manchmal mußte ich fort, gerade, wenn die Sache am spannendsten war. Aber Rattentöter erzählte mir dann das nächste Mal, wie es ausgegangen war.

Viele Geschichten hörte ich in der Ausspannung zum »weißen Roß«. Ich dachte über sie nach und lernte so das Leben kennen, das doch ganz anders ist, als Wotan und ich damals im Schuppen glaubten.

Da sagte eines Tages Rattentöter:

»Dein Herr macht es nicht mehr lang, Schlumski. Was wird dann aus dir?«

Ich erschrak sehr und besah meinen Herrn.

Ja, er war furchtbar verfallen. Die Backenknochen standen weit vor und große Flecke brannten auf ihnen. Er hustete auch sehr. Aber weil ich ihn jeden Tag sah, hatte ich auf das alles nicht geachtet.

»Ja, sie sagen es drin Wirtszimmer«,fuhr Rattentöter fort. »Sie mögen ihn alle leiden, den armen Teufel. Der dicke Rollfuhrmann läßt ihm hin und wieder ein Maß geben, und die Wirtin schickt ihm immer einen Napf mit Fleischbrühe. Aber er wird nicht mehr, sagen sie. Im Frühling ist er fertig.«

Er hatte sehr teilnehmend gesprochen. Als ich aber schwieg, fügte er in seiner kurzen Art hinzu:

»Menschenkrankheit – Schwindsucht – Blutsturz – rasches Ende.«

Als wir heimwärts fuhren, und der Lumpensammler so müde neben dem Wagen einherschritt, 54 blieb ich stehen, leckte seine Hand, und versuchte, ihm durch Zeichen zu verstehen zu geben, er solle sich in den Wagen setzen, ich würde ihn ziehen. Und er verstand mich wirklich und streichelte mich.

»Nein, Schlumski, nein. Jeder muß seinen Packen tragen, bis der liebe Gott ihm den abnimmt.«

Zuweilen war ich in diesem Jahr auf den Hof gekommen, wenn mein Herr bei den Instleuten nach Abfällen gefragt hatte, was er in jedem Vierteljahr einmal tat. Dann hatte ich wohl auch Karo gesprochen, der mir erzählte, daß Wotan ins Haus gekommen sei und Wächterdienste tue. Hans hatte das durchgesetzt. Er schliefe auf einer Decke in der Halle. Jetzt aber in meiner großen Not wußte ich mir nicht zu helfen, sondern lief an einem klaren Wintertage auf den jungen Roggen. Der hatte im Herbst so hoch gestanden, daß ich sicher dachte, die Schafe würden hier ausgetrieben werden. Ich sah auch schon von weitem den Schäfer, der in seinem dicken Mantel ganz steif stand, wie ein Pumpenrohr, während Karo die Schafe von der Nachbargrenze fernhielt.

»Na, Schlumski, wo kommst du denn her«, sagte der Schäfer. »Hast du heute frei?«

Ich bellte zur Bejahung und lief zu Karo und klagte ihm mein Leid.

»Was soll denn aus der Frau werden, und aus Großsche und den drei Kindern, Karo? Fried kann doch noch nichts verdienen. Er ist erst zehn Jahre alt, und Minnachen acht, und dann der kleine Peter! Jetzt bringen wir immer etwas Geld mit aus der Stadt, und als das Schwein geschlachtet 55 wurde, haben sie wieder ein Ferkel gekauft. Es ist noch magerer und ein richtiger Kümmerer. Aber sie haben ihre Freude dran.«

Karo sah mich ernst, aber freundlich an.

»Recht so, Schlumski, seinem Herrn muß man anhängen. Aber es wird nicht mehr viel zu machen sein. Der Schäfer hat schon mit der Frau gesprochen und ihr Tee gegeben. Brusttee, den kräftigsten, den wir haben. Aber er hat mit dem Kopf geschüttelt, als er die Blechdose hinter dem Ofen vorholte. Das ist ein schlechtes Zeichen.«

»Und die Kinder, Karo?«

»Die Menschen haben noch einen Vater im Himmel. Der wird sie nicht verlassen.« –

Ich paßte nun scharf auf. Da sah ich, wie die Frau sich oft genug heimlich eine Träne abwischte. Nur die Kinder merkten nichts. Die machten einen Schneemann und stellten ihn vor den Zaun, und abends, am Herd, flochten sie Besen aus Birkenruten, die nahmen wir mit in die Stadt zum Verkauf. Und immer langsamer mußte ich traben, denn immer schlechter kam mein Herr mit, und oft setzte er sich auf einen Stein am Wege, um Atem zu schöpfen.

Der Märzschnee war vergangen. Der gute, scharfe Frühjahrssturm, den ich so liebte, hatte ihn mitgenommen. Ich dachte schon, nun würde alles gut werden, denn gestern war Minna im Walde gewesen und hatte die ersten Leberblümchen und Anemonen gesammelt. Die Kinder gaben uns öfters ein Körbchen mit, Blaubeeren oder Erdbeeren, Pilze 56 oder Maiglöckchen. Das kleine Mädchen stellte seinen Korb ganz stolz auf die Besen.

»Ich dank dir schön, Minnachen. Aber ich denk, ich brauch keine Medizin mehr.«

»Bist du denn nun gesund, Vater?«

Da nickte er und sagte: »Bald, ja, ganz bald.«

Da sprang ich wie toll vor Freuden, denn ich dachte, der Brusttee hätte nun doch geholfen. Eine Weile ging auch alles gut. Aber unterwegs, gerade wo die große Pappel steht, seh' ich auf einmal, wie mein Herr hin und hertorkelt, wie böse Menschen, wenn sie zuviel Schnaps getrunken haben, und sich an den Baum lehnt, und das Blut stürzte nur so aus seinem Munde. Da hab' ich gebellt und gebellt, aber niemand war auf der Straße. Und nach einer ganzen Weile ist mein Herr auf den Wagen zugekrochen und hat sich über die Besen gelegt. Grad in den Anemonen und Leberblümchen hat sein Kopf gelegen, und ganz leise hat er gesagt: »Nach Hause, Schlumski.«

Ich bin umgekehrt und ganz langsam gefahren. Nicht, weil ich nun so schwer zu ziehen hatte. Da hätte ich mich schon ordentlich in die Sielen gelegt. Aber ich dachte, wie weh es ihm tun müßte, wenn ich auch nur an einen Stein stieße. Und so sind wir nach Hause gekommen. Peter saß vor der Tür und sah uns. Die andern beiden waren in der Schule. Als das Kind anfing zu schreien, kamen die Frau und die Großsche. Ja, und dann trugen sie ihn herein, und er hat auch noch gelebt und mir einen Blick zugeworfen, an den werde ich denken bis an mein Ende. 57


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