Agnes Harder
Schlumski
Agnes Harder

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Wie Ali spintisiert

Es mochte Mitternacht sein. Die Weihnachtsglocken waren verstummt. Ich hatte schon eine Weile im Laden geschlafen, da wurde der Schlüssel im Schlosse umgedreht. »Aha«, dachte ich, »nun kommen sie von Jule und ihrer Weihnachtsfeier zurück.«

Ich bellte kurz, damit sie nicht sagen konnten, ich sei nicht wachsam. Dann legte ich den Kopf wieder auf die Vorderpfoten und tat, als ob ich schliefe. Ich war aber so neugierig, daß ich zitterte, denn ich hatte gleich gesehen, daß sie ein Paket bei sich trugen.

»Laß den Hund in die Kammer, Vater«, sagte Ede. »Ich mein immer, das Biest hat mehr wie Menschenverstand.«

»Warum nicht gar«, sagte Lungrich, der nach Fusel roch, »dann weckt er uns noch die übrige Bande. Das fehlte noch gerade«.

Er schlich nach der Kammertür und lauschte. Dann schob er das Faß mit Sauerkraut zur Seite, holte das Kästchen aus der Höhlung, machte sein Paket auf, und legte das, was in dem Tuche verborgen gewesen, in den Kasten. Ich war verzweifelt, denn ich konnte nicht sehen, was er war. Sie knieten hinter dem Ladentisch, und wenn ich aufgestanden wäre, hätten sie mich sicher ausgesperrt. Ich horchte und horchte. Ein leises Klirren, sonst 88 nichts. Da plötzlich fiel etwas zur Erde, und unter der Tonbank hervor rollte ein Taler gerade auf mich zu. Aber in demselben Augenblick kam auch schon der Ede angelaufen, griff nach dem Geldstück, gab mir einen Fußtritt und kehrte zu seinem Vater zurück.

Nach einer Weile waren sie fertig, schoben das Faß wieder auf seine Stelle, nahmen das Licht mit in ihr Schlafzimmer, und riegelten die Tür zu.

Also nun wußte ich, was unter dem Faß lag. Geld. Lungrich war viel reicher, als er zeigen wollte. Er versteckte sein Geld nur, damit er meine Leute besser plagen konnte und sie für sich arbeiten ließ, als sei er am Verhungern. Gewiß hatte er sein Geld bei diesem Jule und holte sich nur, was er brauchte. Der Jule war wohl ebenso geizig. Brrr! wie er ausgesehen hatte!

Ich dachte an den Schäferkaro. Der hatte immer gesagt: »die Menschen sind gut und klug. Aber wenn sie das Geld zu sehr lieben, dann werden sie böse und schlecht.«

Na, wenn Ali kam, konnte ich ihm nun alles erzählen!

Wir hatten verabredet, daß wir uns wenn möglich am ersten Feiertage an der Kirche treffen wollten, kurz ehe die Gasflammen in den Straßen angesteckt wurden. Da ich heute frei hatte, konnte ich auch zeitig fort, rannte auf die große, rote Kirche zu, gerade über den Kirchplatz, so schnell, daß ich fast mit Ali zusammengetroffen wäre, der von der anderen Seite angejagt kam. Vor Freude überkugelten wir uns, richteten uns aneinander aus und 89 spielten miteinander, wie zwei junge Hunde, so vergnügt machte mich der seltene Ruhetag und meine nächtliche Entdeckung. Als ich sie aber Ali mitgeteilt hatte, bellte der, daß er sich schüttelte, drehte sich wie ein Kreisel, und war so ungebärdig, daß ich ganz ärgerlich wurde.

»Was sagst du, Ali, was sagst du?«

»Ich sage, daß der Schmeißweg klüger ist, als wir alle. Höre zu!«

Und er beruhigte sich, setzte sich neben mich und erzählte.

»Du meinst also, dein Herr sei eben nur ein Geiziger, wie ein Gierschlung von Hund, der alles zusammenschleppt, was er von Knochen finden kann, sie verscharrt, weil seine Zähne sie nicht auf einmal bewältigen, und endlich sogar den Ort vergißt, wo er seine Schätze begraben hat? O nein, lieber Schlumski, er ist noch viel, viel schlechter.

Du weißt, daß ich dich neulich auf den schwarzen Jule aufmerksam machte. Ich kannte ihn nämlich. Aber ich wußte nicht, daß er etwas mit deinem Bedrücker zu tun hatte. Mein Herr und ich, wir wohnen in einem Hause, das ist voll der seltsamsten Menschen. Da wohnt ein Savoyarde mit seinem Murmeltier, vor dem ich erst immer still stand, um es anzuknurren, und ein kleiner Italienerjunge, der mit Gipsbüsten handelt, und ein Ratzenfaller, und ein Drehorgelmann und eine Puppennäherin, die ist auch zugleich ein Puppendoktor, und ein Schaffner von der Elektrischen, eine Zeitungsfrau, ein Hühneraugendoktor und eine Blinde mit ihrer Enkelin, und –«

90 »Höre auf, Ali. Nun schwindelst du, wie dein Herr, wenn er seine Sachen ausbietet. So viele Leute können nicht in einem Hause wohnen.«

Ali tat sehr beleidigt, und ich mußte ihn ordentlich bitten, weiter zu erzählen.

»Ich wünschte nur, du könntest mich einmal besuchen, Schlumski: da möchte ich dir wohl zeigen, wieviel Menschen in so ein Haus reingehen, vom Keller bis fünf Stock hoch unter das Dach. Du würdest dich wundern! Und mit allen ist mein Herr gut Freund. Ja, gestern, am heiligen Abend, hat er der kleinen Puppennäherin gesagt, daß er sie heiraten wolle. Sein Schmeißweg-Geschäft ginge nun so gut, daß er sich an sie wegschmeißen wolle. Und sie hat ja gesagt, und sie haben in ihrem Zimmer einen Walzer getanzt, obgleich es nicht viel größer ist, wie eine richtige Hundehütte. Und vor Weihnachten wäre es auch unmöglich gewesen, denn da lagen die Puppen sogar auf dem Fußboden. Puppen von jeder Sorte, von Balldamen bis zu Köchinnen. Und auf ihrem Bett lagen die Kranken, denen sie Arme und Beine ansetzen mußte, und Perrücken aufkleben, und rote Backen anmalen. Weißt du, kleine Mädchen sind doch oft gar keine guten Puppenmütter.«

»Minnachen ist eine«, sagte ich stolz. »Ihre Puppe ist zwar nur ein Kochlöffel, um den sie ein Tuch wickelt. Aber ich kann dir gar nicht beschreiben, wie gut sie zu ihr ist.«

»Ja, also die Puppennäherin liebt meinen Herrn nun natürlich am meisten, weil sie ja auch Mann und Frau werden wollen. Aber die anderen 91 Einwohner lieben ihn, weil er so lustig ist und ein so gutes Herz hat. Dem Savoyarden und dem Italienerjungen bringt er oft genug einen Topf mit Suppe, wenn sie sich wieder einmal nur trockenes Brot verdient haben. Dem Leiermann verbindet er sein krankes Bein, der Blinden erzählt er Schnurren, dem Hühneraugenmann schneidet er die Hühneraugen ab, denn das kann der nur anderen, weil er einen so dicken Bauch hat und an seine eigenen Füße nicht herankann, und so erweist er jedem einen Dienst. Nur, der schwarze Jule, wie sie ihn nennen, kann ihn nicht leiden. Lange wußten wir gar nicht, daß der schwarze Jule auch im Hause wohnt, denn er geht am Tage nie aus. Abends aber sind wir immer oben in unserer Kammer, und nur Sonntag abends bei der kleinen Puppennäherin, wo dann der Leiermann umsonst ein Konzert gibt. Aber dann entdeckte ich ihn zuerst. Ich ging nämlich öfters hinaus, wenn der Leiermann spielte, weil Musik mich immer so wehmütig stimmt, und ich so recht herzlich heulen muß. Und als ich da einmal auf dem Hof stand, sah ich, wie der schwarze Jule seine Kellerfenster verhängte, ganz dicht. Und dann hörte ich ihn hämmern, aber sehen konnte ich nichts. Später aber wurde überall von ihm getuschelt, und die kleine Näherin erklärte, daß sie sich gräßlich vor ihm fürchte. Mein Herr beruhigte sie und sagte, er würde sie immer beschützen. Ja, und einmal, als wir vor Weihnachten in den Keller mußten, mein Herr und ich, weil da unsere Blechpuppen lagen, stand die Tür zur Kammer des schwarzen Jule ein wenig offen – 92 nur ein klein wenig. Ich stieß aber gegen, daß sie ganz aufging. Da sah mein Herr hinein und blieb erstaunt stehen. Sonderbare Tiegel standen auf dem Herd, und auf dem Tische lag eine ganze Reihe funkelnagelneuer Markstücke. Da pfiff mein Herr so durch die Zähne: also so steht es! und machte die Tür gleich zu und ging mit mir fort.«

»Warum denn, Ali, warum soll der Jule nicht Geld verdienen?«

»Höre weiter, Schlumski, alles zu seiner Zeit. Mein Herr hat wohl mit niemandem davon gesprochen. Denn wenn es auch aussieht, als ob er nichts verbergen könne, so weiß ich doch, daß er nur sagt, was er sagen will. Aber gestern, am heiligen Abend, als er so glücklich war und mit seiner Braut sprach, wie sie sich einrichten wollen, und wie fleißig sie sein wollen, da sagte er auf einmal: »Hannchen, jeden Pfennig ehrlich verdienen! Was nützen uns die falschen Markstücke?« – Und dann erzählte er, daß er bestimmt glaube, der schwarze Jule mache falsches Geld. Und er wisse nur nicht, ob er ihn nicht der Polizei anzeigen müsse. Da fiel die kleine Puppennäherin ihm um den Hals und weinte und bat, er solle das doch nicht tun. Denn dann würde sich der schwarze Jule an ihm rächen. Und wenn ihrem Schmeißweg auch nur ein Haar gekrümmt würde, dann müsse sie vor Kummer sterben. Und mein Herr hat ihr auch versprochen, noch ein Weilchen zu warten. Denn er sagt, er sei seiner Sache noch nicht ganz sicher. Sonst müsse er es sagen, damit nicht andere Leute betrogen würden. Ja, und wenn es so ist, Schlumski, 93 dann steckt dein Unterdrücker mit dem schwarzen Jule unter einer Decke und hilft ihm, das falsche Geld unter die Leute zu bringen. Und paß auf, dann enden sie beide im Zuchthaus. Das sagt mein Herr auch, und die kleine Puppennäherin sagt es ebenfalls.«

Ich war ganz baff und konnte nur knurren vor Erstaunen. Wir sprachen dann noch hin und her. Ob deswegen wohl mein Herr so oft seinen Standort wechsle und bald in diese, bald in jene Straße ziehe. Und dann kam der Mann und steckte die Gaslaternen an. Sie hingen in der Winterluft wie große Monde. Da mußte ich wieder an den Schäferkaro denken, was der wohl zu der Geschichte sagen würde, und ob er schon jemals von Menschen gehört hätte, die Falschmünzer sind. Denn so hatte sie der Schmeißweg genannt.

Ali aber wurde nun ungeduldig.

»Wir sind nämlich heute wieder bei unserer Braut«, sagte er, »und ich denke, für mich gibt es wieder etwas Besonderes. Du glaubst gar nicht, wie angenehm es ist, wenn ihre hübschen, kleinen Hände mich streicheln. Sie sagt, ihr Zeigefinger sei ganz zerstochen und häßlich, weil die ledernen Puppenbälge so hart seien. Aber ich kann das nicht häßlich finden, und mein Herr auch nicht.«

So trennten wir uns, und jeder von uns lief nach einer anderen Seite. Ich war aber so tief in Gedanken, daß mich ein Töff-Töff beinahe überfahren hätte. Da stellte ich mich hin und bellte ihm ordentlich nach und sagte ihm meine Meinung. 94


 << zurück weiter >>