Agnes Harder
Schlumski
Agnes Harder

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Zwei Ziehhunde

Aber oben in den himmelhohen Häusern wohnten wir nicht. Noch schlimmer war es. Wir wohnten im Keller. Ja, davon hatte man auf dem Gutshof freilich nichts gewußt, daß Menschen in einem Keller leben können! Da war ein Eiskeller, der war in einen Berg gegraben, auf dem standen ein paar junge Birken und winkten mit ihren Zweigen weit ins Land hinaus. Und dann kannte ich Kartoffelkeller. Auch unter unserem Häuschen beim Lumpensammler war ein Kartoffelkeller gewesen. Aber daß Menschen im Keller wohnten, das wußte ich noch nicht! Hier in der großen Stadt wohnten sie überall, in jeder Kammer, in jedem Winkel. Als sei ich in einen mächtigen Ameisenhaufen geraten, dachte ich.

Herr Lungrich hatte in dem Keller einen Laden. Da gab es alles, was man wollte, Gemüse und Kohlen, Holz und Apfelsinen. Den Laden sollte nun die Frau führen, und die Großsche sollte aufpassen, wenn die Frau kochte. Denn das mußte sie auch noch. Hinter dem Laden war ein kleines Zimmer, da schlief der Onkel mit seinem Sohn, dem Ede. Und dann war noch eine Kammer, da schliefen meine Leute. Jeder mußte beim Lungrich mindestens 64 zu zwei Dingen zu brauchen sein. Ich war am Tage Ziehhund und nachts Wachthund.

Ja, das war freilich ein anderer Dienst hier! Während die Frau verkaufte, fuhr Lungrich mit mir durch die Straßen. Bald war der Wagen mit Kohlen beladen, bald mit Gemüse, bald mit Holz. Die Last war oft so schwer, daß ich dachte, ich müßte zusammenbrechen. Und nie half Lungrich ziehen. Sondern er brauchte die Peitsche und fluchte, und nur wenn die Leute mit der Pickelhaube in der Uniform in der Nähe waren, nahm er sich in acht. Später lernte ich, daß das Schutzleute seien, die an allen Ecken stünden, um den Menschen zu helfen. Sie paßten aber auch auf die Pferde auf und auf die Hunde, und zeigten jeden Tierquäler an. Aber der Ede war noch schlimmer, als sein Vater. Der legte mir heimlich Steine in den Wagen und trat mich, wenn er es unbemerkt konnte.

Der Ede war so alt wie der Fried. Sie gingen auch zusammen in die Schule, in das große, rote Haus an der Ecke. Da gingen soviel Kinder hinein! Ich hatte noch gar nicht gewußt, daß so schrecklich viel Kinder auf der Welt seien. Aber der Ede war faul, und der Fried fleißig. Da hatte der Ede gleich einen Haß auf ihn. Ich hörte zu, wie er seiner Mutter klagte, daß ihm der Ede heimlich Tintenflecken in seine Hefte machte. Dann mußte er die Aufgaben noch einmal schreiben. Aber als die Frau mit Lungrich darüber sprach, schlug er mit der Faust auf den Tisch, daß es dröhnte.

»Bettelpack seid ihr! Seid froh, daß ihr satt zu essen habt.«

65 »Das ist nicht wahr«, sagte die Großsche.

»Wo ist denn das Geld für unser Häuschen? Und den Happen Brot, den arbeiten wir uns ab.«

Da sprang er auf, und ich dachte, er wollte die alte Frau schlagen. Aber dann wäre ich ihm sicher an die Kehle gesprungen. Minnachen faltete die Hände.

»Vor einem grauen Haupte sollst du aufstehen und das Alter ehren.«

Ich aber überrechnete im Stillen, was für Nutzen der böse Lungrich von uns allen hatte. Die Großsche flickte, wusch und strickte. Die Frau verkaufte und war so freundlich mit den Leuten, daß jetzt viel mehr in den Laden kamen. Der Fried aber und Minna mußten morgens vor der Schule und abends noch Zeitungen austragen, und nicht einen Pfennig von dem verdienten Geld durften sie behalten. Alles mußten sie abliefern. Ich aber wußte recht wohl, was ich wert war. Es gingen viele, viele Ziehhunde in den Straßen herum, aber keiner war so stark wie ich.

Im Frühling waren wir in die große Stadt gekommen, und das war gut, so konnten wir uns alle erst eingewöhnen. Die Kinder saßen in der freien Zeit vor der Tür, und durch die niedrigen Kellerfenster schien die Sonnen nicht viel, aber etwas. Als es heiß wurde freilich, war die Luft so dick und schwer, daß man sie kaum atmen konnte. Da war es im Keller zum Ersticken. Keiner konnte schlafen. Einmal machte die Frau die Tür von ihrer Kammer nach dem Laden auf, wo ich lag. Da hörte ich, wie Minna sagte:

66 »Schläfst du, Fried?«

»Nein, Minnachen.«

»Ich muß immer an unser Häuschen denken. Da wachsen jetzt die Feuerbohnen am Zaun!«

»Und der Wind weht über die Kornfelder, und das Korn blüht, und es sieht aus, als ob es rauschte. Ach, und unser Lehrer im Dorf!«

»Weißt du, ich hatte mir doch Bohnen eingesetzt in die alte Zigarrenkiste.«

»Ja, Minnachen.«

»Und sie gingen auch auf und hatten schon die Herzblättchen. Da hat der Ede sie herausgerissen und gesagt, die Kiste gehöre ihm.«

»Weine nicht, Minnachen.«

»Ich bin so unglücklich, Fried. Ach, wenn doch Vater noch lebte!«

Da konnte ich nicht an mich halten und kratzte mit den Pfoten.

»Still, Minnachen, Schlumski hört dich.«

»Denkst du denn, er versteht uns, Fried?«

»Schlumski war Vaters Freund. Ich denke, er versteht jedes Wort, das wir sagen! Und denk mal, wie schwer er es hat. Wenn er ihm nur genug Wasser gibt in der Hitze.«

Da stand ich auf und ging zu ihnen in die Kammer und leckte ihre Hände und sah sie an.

Und Minna sagte:

»Der liebe Schlumski, er versteht uns wirklich! Ja, wir bleiben Freunde, so lange wir leben.« –

Aber was half es? Lungrich hatte nun einmal die Macht über uns, und er quälte uns, so gut er konnte. Die Straßen, durch die wir fuhren, waren 67 nicht gepflastert, sondern mit Asphalt bedeckt. Wenn nun die Sonne so brannte, wurde der so heiß, daß ich kaum die Pfoten setzen konnte. Aber Lungrich fuhr mit mir immer auf der Sonnenseite. Da dachte ich: »warte, so klug wie du bin ich auch noch«. Und der tolle Hund fiel mir ein, vor dem Menschen und Tiere angst hatten, und ich streckte die Zunge aus, torkelte, und wackelte mit dem Kopf. Dann bekam Lungrich Angst und brachte mich rasch nach der nächsten Pumpe. Ich durfte mich satt trinken, und er ließ das Wasser über mich laufen.

Natürlich sah ich viele, viele Hunde in den Straßen der großen Stadt. Viele, die frei und glücklich waren, und mit ihren Herren spazieren liefen, und auch viele, die angespannt waren, wie ich selber. Wir mußten nun nicht immer umhergehen, sondern blieben oft eine Stunde und länger an einer Ecke stehen, wo die Vorübergehenden dann kamen und kauften. Und es traf sich, daß wir oft an einem Platz hielten, wo noch ein anderer Ziehhund stand. Dessen Herr war ein Schmeißweg. Einen Schmeißweg nennt man einen Menschen, der die Sachen geradezu billig verkauft, als schmisse er sie einfach weg. Und dabei preist er sie mit solchen Reden an, daß alles stehen bleibt und ihm zuhört. Der Schmeißweg hatte auf seinem Wagen alles, was man sich nur denken kann. Kämme, Spiegel, Messer, Tücher, Zigarrentaschen – und von allem behauptete er, es sei das schönste in der ganzen Welt. Er stand auf einem Stuhl und schrie:

»Nur immer her–r–r–ran, meine Herr–rrschaften! Noch nie dagewesen! Ein Messer, das

68 schneidet Glas, Eisen, Holz und Papier. Bitte überführen Sie sich!«

Und er nahm ein Messer und schnitzelte an Glas und Eisen herum, als mußte das nur so sein. Wenn es aber ein anderer gekauft hatte, dann konnte er nicht einmal sein Brot damit schneiden.

Sein Hund lag neben seinem Wagen. Er hieß Ali, und war ein schöner, schwarzer Hund mit langen Haaren. Die waren ihm nun im Sommer so heiß, daß er sich am liebsten nicht rühren mochte. Aber dann merkten wir doch, daß wir zur Freundschaft bestimmt waren.

Ali behauptete, sein Herr, der Schmeißweg, könne zaubern.

»Denn, Schlumski, zu Haus sind es ganz gewöhnliche Scheren, Brillen und Hosenträger. Aber hier auf dem Platz schneiden die Scheren Steine entzwei, und die Brillen machen Blinde sehend, und an den Hosenträgern kann man sich aufhängen, ohne daß sie reißen.«

»Dein Herr ist dann wohl ein Betrüger, Ali.«

»Sag das Wort nicht noch einmal, dann ist es mit unserer Freundschaft vorbei«, sagte Ali da ernst. »Du weißt wohl nicht, daß dein Herr falsche Gewichte hat? Das Kind da hat eben nur ¾ Pfund Kirschen bekommen, obgleich die Wagschale tief herunterging. Mein Herr ist ein lustiger Kumpan, aber deiner ist ein Bösewicht.«

Da sagte ich ihm, Lungrich sei gar nicht mein Herr, und ich diene ihm nur gezwungen. Damit war der Friede wieder hergestellt. –

Ich traf nun öfters mit Ali zusammen, denn 70 weil immer soviele Leute beim Schmeißweg stehen blieben, und seinen Späßen zuhörten, meinte Lungrich, er würde seine Kirschen dabei eher los. Und seit mich Ali darauf aufmerksam gemacht hatte, sah ich auch, wie schlecht er wog, und wenn einer fortging, den er betrogen hatte, dann brach immer so ein falscher Freudenstrahl aus seinen zugekniffenen Augen. Unter der obersten Schicht guter Kirschen lagen verfaulte, verschimmelte. Von denen brachte er, ohne daß es der Käufer merkte, jedes Mal welche in die Tüte.

Morgens, ehe wir abfuhren, prüfte er die Vorräte im Keller. Auch die Frau sollte die schlechte Ware ebenso teuer verkaufen, wie die gute. Aber sie weigerte sich, und weil der Handel sonst gut ging, schwieg er.

»Daß du aber nicht deine Rangen mit den guten Sachen stopfst.«

»Sie haben noch nicht eine Beere genommen«, sagte die Frau ernst. »Aber verbiete es auch dem Ede. Der steckt sich immer die Taschen voll.«

Lungrich lachte.

»Kann er auch. Er ist die Stadtmaus, und ihr seid die Feldmäuse.«

Minna und Fried sahen gar nicht hin nach den guten Dingen auf dem Ladentisch. Noch im vergangenen Sommer hatten sie den ganzen Wald für sich gehabt, und ganze Schonungen voll purpurroter Erdbeeren. Aber sie drehten den Kopf nach der anderen Seite, wenn sie an den Frühbirnen und den Kistchen mit Aprikosen vorbeigingen. Nur Peter reckte sich oft sehnsüchtig zu ihnen hin, und Ede 71 spuckte ihm die Kirschsteine vor die Füße und sagte:

»Da, die sind für dich.«

Die Kinder fingen nun doch an, die gute Ziegenmilch zu entbehren. Denn die Milch, die sie hier bekamen, war blauweiß, und ich sah auch einmal, wie der Mann, der sie brachte, Wasser hineingoß.

»Sag mal, Ali«, fragte ich da den Freund, »warum sind denn die Menschen in der Stadt soviel schlechter, als auf dem Lande?«

»Das ist gar nicht der Fall, Schlumski. Es gibt in der großen Stadt sehr viel gute Menschen, das kannst du glauben. Du kannst dir gar nicht denken, was sie alles für die Armen tun, und wie sie ihnen helfen. Aber die Schlechten kommen hier besser fort, weil man sie nicht so genau beobachten kann, das ist es. Zuletzt findet man sie aber doch.«

»Meinst du, sie werden auch den Lungrich finden? Aber bald müßte es sein. Die Großsche lebt nicht mehr lang, die ißt sich nicht satt.«

Ali antwortete nicht. Wir lagen im Schatten unserer Wagen und sahen dem Schmeißweg zu. Der verkaufte Sonnenschirme.

»Herr–r–r–rliche Schirme, meine Damen. Bitte, bleiben Sie stehen und sehen Sie sich diese Schirme an. Jeder ist fünf Taler wert, und ich verlange nur fünf Groschen. Ich gebe sie Ihnen aus Liebe, meine Damen, aus Liebe und gegen den Sonnenstich!«

Die Leute lachten, und der Schmeißweg verkaufte seine Schirme. Ali sah ihn stolz an.

»Er singt schon des Morgens im Bett«, sagte er.

»Wohnt ihr auch im Keller, Ali?«

72 »Nein, da sind nur unsere Vorräte und der Wagen. Wir wohnen hoch oben, im fünften Stock, in einer kleinen Kammer. Mein Herr muß die Sonne sehen können, sagt er. Wenn er frühmorgens aufsteht, steckt er den Kopf erst in die Waschschüssel, und dann durchs Fenster. Und dann ruft er mich: »komm, Ali, sieh mal die Pracht!« Das Fenster ist gerade so groß, daß unsere beiden Köpfe Platz haben. Dann liegen alle Dächer der großen Stadt unter uns, und die Kirchtürme sehen uns an, wie Freunde, und weit in der Ferne geht der Fluß aus der Stadt hinaus durch grüne Wiesen. Dann belle ich vor Freuden. Mein Herr aber singt dann ein Morgenlied, und wenn wir losziehen, sind wir zwei fidele Brüder.«

»Ach, Ali, du bist doch sehr glücklich«, sagte ich und konnte es nicht verhindern, daß mein Schwanz neidisch hin und her pendelte.

»Sei nur ruhig, Schlumski. Es kommen schon noch bessere Zeiten. Passe nur immer auf den Lungrich auf. Er hat einen zu gemeinen Geruch. Und erzähl' mir alles. Vielleicht können wir zwei deinen Leuten doch noch helfen.«

Da mußte ich vor Vergnügen bellen, und Lungrich gab mir einen derben Fußtritt. 73


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