Agnes Harder
Schlumski
Agnes Harder

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Beim Lumpensammler

Die kleine Hütte, die der Lumpensammler mit seiner Familie bewohnte, lag ganz für sich allein, weit vor dem Dorf an der Chaussee. Sie hatte ein niedriges Strohdach, das hing über die Fensterchen herüber, als hingen einem unordentlichen Kinde die Haare in die Augen. Aber unordentlich war es in der Hütte nicht. Nur recht armselig. Denn die Frau war fleißig und sauber, und ihre Mutter lebte auch noch, paßte auf die Kinder auf und strickte und flickte. Die Großsche konnte draußen nicht mehr gut vorwärts, aber in dem Häuschen schaffte sie noch für zwei. Und das war auch nötig, denn der Lumpensammler war ein kranker Mann, der es »auf der Brust« hatte, und seine Frau hatte ihre liebe Not mit all der Arbeit. Drei Kinder waren da, der Fried und die Minna gingen schon in die Dorfschule, der kleine Peter aber hing noch am Rock der Großsche, die machte ihm eben die ersten Hosen aus einem Paar, das der Fried vertragen hatte.

Ja, das sah ich am ersten Tage: ich hätte es wohl besser treffen können mit dem Haus, ich war mit einemmal von einem reichen Hunde ein armer geworden. Aber mit den Menschen würde es wohl gehen. Die Kinder waren sehr neugierig auf mich gewesen und standen an dem Zaun des kleinen Gärtchens, als wir kamen. Die Frau und die Großsche 43 saßen auf der Holzbank vor der Tür und schälten Kartoffeln.

»Ach, wie schön er ist«, sagten die Kinder.

»Und wie stark«, sagte die Frau. »Was meinst du, Mann, da kannst du dich doch manchmal aus das Wägelchen setzen und dich ziehen lassen, wenn du so argen Husten hast.«

Aber der Lumpensammler schüttelte den Kopf.

»Nein, Frau, das geht nicht. Dazu ist Schlumski noch zu jung. Er darf noch gar nicht schwere Lasten ziehen. Er muß sich erst eingewöhnen.«

Die Frau machte ein ganz trauriges Gesicht. Die Kinder aber freuten sich über meinen schönen Namen.

»Schlumski«, sagten sie und lachten.

Dann nahmen sie mich mit ins Haus, und ich bekam mein Teil von den Kartoffeln, die sie zu Mittag hatten, und abends durfte ich am Herd liegen bleiben. Die Nächte waren schon kühl, und die Kinder suchten schon die braunen Blätter zusammen und verwahrten sie in dem kleinen Verschlag neben dem Häuschen, als Streu für ihre Ziege.

Sie hatten eine Ziege und ein Schwein. Das war ihr Reichtum. Jeden Morgen ganz früh ging die Frau in den Stall und melkte die Ziege und kam mit einem Topf voll schäumender Milch zurück. Davon hatten die Kinder ihre roten Backen, denn sonst gab es eigentlich nur Kartoffeln, die auf dem kleinen Stückchen Land wuchsen, das hinter der Hütte lag. Es war aber so klein wie eine Schürze gegen die Felder um den Gutshof. Und als zum erstenmal das Schwein herausgelassen wurde und 44 seinen Rücken am Gartenzaun rieb und sich in die Sonne legte, da mußte ich bellen, damit ich nicht erstickte vor Lachen. Solch ein Schwein hatte ich noch nie gesehen. Es hatte hohe Beine und lange Borsten und war so schrecklich mager. Und ich dachte an die Schweine auf dem Herrenhof, die sich rollten wie schwere Mehlsäcke.

Da sagte die Großsche zu der Frau, und sah das Schwein ganz zärtlich an: »Ich habe noch nie so ein schönes Schwein gesehen. Um Weihnachten wollen wir es schlachten, dann gibt es Wurstsuppe zum Fest.«

Und die Frau nickte.

»Ja, Mutter. Es ist unser erstes Schwein. So reich waren wir noch nie. Und wenn die Kartoffeln gut geraten, so wird es wohl auch noch ein wenig fetter. Ich möchte ja schon gerne weniger essen. Aber etwas muß doch in den Magen kommen.«

Da schlich ich mich beschämt vor das Haus, blinzelte nach der Hecke, an der die langen, weißen Marienfäden hingen und im Sonnenschein leise hin und herwehten, und dachte nach, wie verschieden die Lose der Menschen sind. Über das magere Schwein aber spottete ich nie mehr, ja, ich wollte eigentlich auch immer etwas von meinem Futter übrig lassen. Aber es ging mir wie der Frau: ich mußte etwas im Magen haben.

Die Kinder spannten mich zum erstenmal vor den kleinen Holzwagen und fuhren mit mir auf und ab. Anfangs stieß ich mich an der Deichsel, und wenn ich plötzlich still stand, rollten mir die Räder an die Beine. Aber ich lernte es bald, und als ich den 46 Wagen nicht mehr hin und herschleuderte, da setzten sie den kleinen Peter hinein und fuhren mit mir ein Stückchen die Chaussee herauf, wo sie das Recht hatten, das Gras, das am Graben wuchs, abzuschneiden, für ihre Ziege, und sich nicht vor dem Chausseeaufseher zu verstecken brauchten. Da setzten sie den Peter an den Grabenrand und arbeiteten fleißig, bis der Wagen voll war, und manchmal legten sie im Scherz einen Ast wie einen Weesebaum über das Gras und spielten »Einfahren«, und ich dachte dann an die Viergespanne, die die Erntewagen auf den Hof gezogen hatten.

Eines Morgens sagte der Lumpensammler, nun müsse ich ran, er könne den Karren nicht mehr ziehen, die Brust täte ihm zu weh. So wurde ich denn früh, vor Sonnenaufgang eingespannt, als die Kinder noch schliefen, und trottete der Stadt zu. Ein paar Säcke mit Lumpen und Knochen lagen in dem Wagen, wie sie der Lumpensammler bei den Bauern der Umgegend zusammenholte und zweimal wöchentlich in die Stadt brachte. Auch eine Kuhhaut hatte ihm einer mitgegeben, damit wir sie zum Gerber brächten. Die lag oben auf und war bocksteif.

Als ich ein Stück gefahren war, sah ich links hinter den Feldern unser Dorf liegen, die Sonne ging gerade auf, und es läutete zur Arbeit. Da bellte ich laut und sah mich nach meinem Herrn um. Der nickte mir zu.

»Ja, Schlumski, ich weiß schon, da möchtest du hin. Aber nun hilf mir man, so lange ich es noch mache, weißt du. Nicht um meinetwegen, sondern wegen der Kinder.«

47 Da drehte ich den Kopf nach der anderen Seite und trabte weiter. Nach zwei Stunden sah ich einen hohen Kirchturm, der ragte bis in die Wolken, schien mir, und soviel rote Dächer standen um ihn herum, wie eine ungeheure Herde rotbunter Kühe um den Hirten. Das war die Stadt. Und dann kamen wir über eine breite Brücke, unter der floß ein mächtiges Wasser, das war wohl hundertmal so breit, wie unser Chausseegraben. Dann klapperten die Räder des Wagen furchtbar, und ein Haus stand ganz dicht am anderen, und nirgends war eine Scheune oder ein Misthaufen. Und die Leute sahen alle so aus, als ob Sonntag wäre. Da sah ich mich wieder nach meinem Herrn um und zog den Schwanz ein, so unbehaglich war mir. Aber mein Herr faßte 48 an die Deichsel und zog den Wagen in einen Torweg, über dem war ein weißes Roß gemalt.

Auf dem Hof standen nun lauter Wagen, Kutschwagen und Fleischerwagen und auch ein Planwagen, der aussah wie ein Zelt und mit Leinwand überdeckt war, und Kutscher gingen hin und her und fütterten die Pferde, und aus einer großen Stube hörte man Pfeifen und Gelächter. Mein Herr spannte mich aus und legte mir eine Decke hin.

»Hier ruhe dich, ich habe noch Geschäfte.« Damit nahm er einige Bündel vom Wagen und ging.

Ich streckte mich auch gleich lang aus, denn ich fühlte meine Knochen. Aber ich sah mich überall um. Da kam ein Foxterrier in die Tür des Hauses. Als er mich erblickte, sprang er auf mich zu und wir begrüßten uns auf Hundeart.

»Zum ersten Mal hier?«

Ich bejahte.

»Feine Ausspannung, die zum ›weißen Roß‹. Allererste Kutscher. Sitzen da im Gastzimmer und essen Eisbein mit Sauerkraut und trinken Doppelbier. Ihr Herr ist ein armseliger Kauz, nimmt sich immer nur eine Flasche Dünnbier für acht Pfennige. Aber ich sehe, gegen Sie ist er anständig.«

Der Hausknecht brachte nämlich eben einen Napf mit Schrot und setzte ihn vor mich hin, legte auch einen so delikaten Knochen daneben, wie ich ihn seit meinem Abschied vom Gut noch nicht gesehen hatte.

Mir lief das Wasser im Munde zusammen, ich wollte es aber vor dem hochmütigen Terrier nicht zeigen.

49 »Wollen Sie vielleicht auch zulangen«, fragte ich.

»O, danke, danke. Knochen in Menge. Bedenken Sie den Abfall in einer so großen Wirtschaft! Werde Ihnen immer einige aufheben. Muß mich hüten, zu fett zu werden.«

Ich dachte an Treff.

»Gehen Sie denn auch auf die Jagd?«

Er nickte.

»Rebhühner und Hasen?«

»Kenne ich nicht. Nur gebraten, natürlich. Rebhühner im Speckhemdchen und Hasen mit Rotkohl. Delikat. Nein, ich jage Ratten. Höchst gefährliche Jagd. Infame Biester. Bin ihnen aber über. Neulich zehn Stück in einer Nacht totgebissen. Heiße darum auch Rattentöter. Schon Tapferkeitsmedaille bekommen.«

Ich sah, daß eine blanke Marke von seinem Halsband herunterhing. Obgleich er viel kleiner war als ich, hatte ich doch gewaltigen Respekt vor ihm und ließ mir alles erklären. Er führte mich dann auf dem Hof herum, zeigte mir in einer Ecke noch einige der kunstgerecht totgebissenen Ratten, und brachte mich sogar durch die Küche und die Gaststube. Ich mußte zugeben, daß es da köstlich roch und wünschte nur, Fried und Minna hätten sich da einmal ordentlich an Fleisch sattriechen können. Als mein Herr kam, waren Rattentöter und ich schon gute Freunde, denn ich hatte doch nicht ganz hinter ihm zurückstehen wollen und ihm von meiner glänzenden Kindheit erzählt, von den Mondkonzerten, dem Schäferkaro und von dem vornehmen Treff. 50 Besonders die Geschichte von Terro hatte ihn interessiert.

»Schade, daß Sie ein Ziehhund sind. Sie könnten es noch zu etwas bringen«, sagte er.

»Das will ich auch«, sagte ich stolz.

Er schüttelte den Kopf.

»Ich wünsche es Ihnen, aber es wird Ihnen schwer werden. Es ist ein elender Beruf.«

Da kam mein Herr, und ich sprang ihm entgegen und begrüßte ihn, denn ich ärgerte mich, daß Rattentöter ihn verachtete, nur weil er arm war.

Er spannte mich wieder vor, und wir zogen nun straßauf, straßab. Ich wurde die Kuhhaut los und die Lumpensäcke und meine Last wurde immer leichter. Aber dann kaufte mein Herr alle möglichen Dinge, die ihm die Bauern aufgetragen, Harken und Spaten, Reis und Backpflaumen. Da bekam ich wieder zu ziehen. Zuletzt legte er ein Päckchen Fleisch in den Wagen, vom Vorderviertel. Der Fleischer hatte es ihm gegeben, weil er ihm die Aufträge der Bauern ausrichtete, die ihm sagen ließen, in dieser Woche könne er ein paar Kälber abholen. Da leuchteten seine Augen vor Freude.

Als wir heimfuhren, ging die Sonne schon unter. An der Deichsel hing vorn eine kleine Laterne, die wurde angezündet, und so fand ich meinen Weg. Im Stillen hatte ich gehofft, wir würden früher kommen, und am Stoppelfeld würde der Schäferkaro stehen. Dann hätte ich ihm wenigstens einen Gruß an Wotan zurufen können. Nun war es nichts damit.

Um so größer war die Freude, als wir an der 51 Hütte waren. Ich bellte, als wir von der Landstraße abbogen. Da kamen sie alle heraus. Nur Peter schlief schon.

»War Schlumski brav«, fragte Fried.

»Sehr brav. Und ihr sollt sehen, er bringt mir Glück. Da, das Stück Fleisch hat mir der Fleischer heute gegeben. Und es ist auch viel leichter, nur so neben dem Wagen herzugehen, als den Zugriemen über der Schulter zu haben. Der drückt die Brust so.«

Da freute sich die Frau und die Kinder, und am Herd, auf meinem Lager, beneidete ich den Rattentöter gar nicht. Aber an meinen Lehrer, den Karo dachte ich, und schlief zufrieden ein. 52


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